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kunst ><br />
24 <strong>Klenkes</strong> Mai <strong>2011</strong><br />
Das Herz von Hyper Real: Ein Pavillon in der Mulde zeigt Medien aus den 60ern und 70ern.<br />
Eine Wucht!<br />
Die Wucht der Bilder macht mehrere Studienbesuche im Ludwig Forum für Internationale Kunst nötig<br />
Wenn man die Herzkammer der Ausstellung Hyper<br />
Real betritt, dann packt einen die Sogkraft der getakteten<br />
Bilder und man erfährt am eigenen Leib – stehend<br />
oder mehr oder weniger lässig auf Sitzsäcke geflätzt<br />
- die Wucht medialer Bilder. Zeilenförmig ist die<br />
Wand ringsum mit bildgebenden Rechtecken belegt.<br />
Oben die Filmplakate. Darunter attackiert auf Augenhöhe<br />
eine Sehschlitzbatterie von Bildschirmen mit<br />
voller Ladung die Sehnerven. Vier Breitseiten mit<br />
Filmen der 1970 bis 2000er Jahre, die die Jahre um<br />
1970 thematisieren, rekapitulieren aus verschiedenen<br />
Perspektiven und zeitlichen Distanzen die Atmo dieser<br />
Zeit, bzw. die Atmo, die ins kollektive Gedächtnis<br />
gedrungen ist, bzw. dringen sollte. Bewegte Bilder für<br />
bewegte Jahre, die den öffentlichen Blick auf private<br />
Welten und bis dahin unter Verschluss gehaltene<br />
Wirklichkeiten preisgegeben haben. Was einem in<br />
diesem buntbefleckten nüchtern weißen Raum deutlich<br />
wird, ist der Unterschied zwischen der Eindringlichkeit<br />
filmischen Materials gegenüber den weniger<br />
konsumfreundlichen Stills: den Filmplakaten in der<br />
oberen Reihe, den Bildern der Plattencover darunter<br />
und den Büchern und Zeitschriften im Regal am Boden.<br />
Damals schien der multimediale Transfer freier,<br />
unmanipulierter, kritischer aber auch unselektierter.<br />
Freiheit am Ufer kommender Reizüberflutungstsunamis,<br />
denen standzuhalten die Kraft des Individuums<br />
kostet und als Kunst des Ausblendens und Aussteigens<br />
trainiert sein will. Was sind das für Bilder und<br />
amerikanische Träume, die da in europäische Hirne<br />
geschwappt sind? Es sind vor allem gewalttätige Bilder,<br />
Alltagshöllen sich gegenseitig quälender und demütigender<br />
Menschen. Rudimentäre Bilder von<br />
Rache und Verzweiflung, vom Wahnsinn des Krieges<br />
und organisierter Strukturen. Es sind Auseinandersetzungen<br />
mit Krebs und Drogenkonsum. Es ist die<br />
veredelte Raumfahrt und ihre unendlichen Weiten, es<br />
ist die globale und regionale Erfassung der Folgen ungehemmter<br />
Wirtschaftsexpansion und der müllionen<br />
Relikte des Konsums. Die Plattencover greifen silhouettengraphisch,<br />
fotografisch und psychedelisch diverse<br />
künstlerische Richtungen auf. Musikalisch ist von<br />
Folk bis Funk für jeden was dabei. Schlammige Freiheitsmomente<br />
à la Woodstock machen Musik zum<br />
gemeinsamen Gefühlsnenner. In jedem Falle werden<br />
Was sind das für Bilder und<br />
amerikanische Träume,<br />
die da in europäische Hirne<br />
geschwappt sind?<br />
die amerikanischen 70er hier als eine Phase deutlich,<br />
die nichts mit der gelackten nostalgisch vermarkteten<br />
70er-Retrodesign-normierung zu tun hat, die heutzutage<br />
arg verkürzend als damaliger Zeitgeist verkauft<br />
wird. Die von Medien und Warhol fabrikmäßig hergestellten<br />
Bilderfluten begannen um Aufmerksamkeit<br />
zu konkurrieren und ihre angebliche Wichtigkeit<br />
aufdringlich in die Bildgedächtnisse der Weltöffentlichkeit<br />
zu implantieren. Reisserisch und sentimental<br />
verkauft sich eben besser und daher sticht bis heute<br />
der Serienkiller den Taschendieb aus und das spekta-<br />
kuläre und bewegte Bild die adrenalinientreu und<br />
marktstrategisch hinterher hechelnde Welt der künstlerischen<br />
Bilder. Die Reiz-Reaktionserfahrungen und<br />
Methoden der Werbepsychologie sind mit Schock-,<br />
Ekeltheraphie- und Sex-sells-Effekten auch in die<br />
Kunst vorgedrungen. Dass es auch noch die Wirklichkeit<br />
funktionierender Beziehungen, imposanter<br />
Landschaften und angenehmer Erfahrungen gibt,<br />
geht seitdem unter all dem Lärm der Medienwirklichkeit<br />
fast verloren. Ein wenig dieses privaten Glücks<br />
und banalen Durchschnittsgeschehens hat sich bildlich<br />
von kuratorischer Hand gelenkt, zentrifugal in<br />
den Außenkammern des Ludwig Forum gesammelt<br />
und fordert vom Betrachter Zeit und mediale Trainiertheit,<br />
um die Verwirrung zu vermeiden, die der<br />
Wunsch mit sich bringt, die komplette Ausstellungssubstanz<br />
erfassen zu wollen. Hier spürt man dann: Es<br />
kann nicht um ein „Das sollte man gesehen haben-<br />
Event“ allein gehen und um 2 Sekunden Erfassungsgeduld<br />
pro Bild, sondern eine solche Ausstellung bietet<br />
einen Gliederungsvorschlag und ein Zusammenhangsangebot<br />
für die Gleichzeitigkeit individueller Bilderzeugung,<br />
die in der vergleichenden Auseinandersetzung<br />
einen Zugewinn an Erkenntnis stiften können<br />
und die kollektive Erinnerung neu sortiert und gewichtet.<br />
Und das geht nicht hauruck, auch wenn man<br />
die meisten Bilder schon zu kennen glaubt. Zu gucken<br />
gibt es mehr als genug. Häufiger ist mehr. /// Dirk Tölke<br />
bis 19.6.<br />
Hyper Real – Kunst und Amerika um 1970<br />
Ludwig Forum für Internationale Kunst