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Touristische Geschichten

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T o u r i s t i s c h e G e s c h i c h t e n<br />

a u s<br />

G G i i a a l l t t r r a a (1)<br />

(1)<br />

2 2 0 0 0 0 6<br />

6<br />

(Halkida, Stich von 1687)<br />

R e i s e n o t i z e n a u s M i t t e l - E u b ö a<br />

von Ulli Ulli Behrens<br />

Behrens<br />

1


I n h a l t s v e r z e i c h n i s<br />

1. E i n l e i t u n g 4<br />

Seite<br />

An der Grenze zwischen Nord- und Mittel-Euböa:<br />

“ K l i s o u r a – C a s t l e“ 5<br />

2. R o u t e n z u Z i e l e n i n M i t t e l - E u b ö a<br />

R o u t e 1: Z u d e n B u r g e n u n d T ü r m e n , d e n K l ö s t e r n<br />

u n d K i r c h e n r i n g s u m H a l k i d a<br />

(in den Ebenen von Psachná und Lelanto) 8<br />

Routenkarte 11<br />

1 Kamaritsa 12<br />

2 Politiká 12<br />

3 Kloster „Panagia Peribleptou“ 15<br />

4 Kloster „Iannis Kalyvitis“ 17<br />

5 Psachná und Kastela 18<br />

6 Kloster der „Panagia Gorgepikus“ 19<br />

7 Kontodespoti 19<br />

8 „Moni Makrimallis“ 20<br />

9 Der Turm von Triada 20<br />

10 Kirchenruine „Hagia Trias“ in Triada 22<br />

11 Triada: Das Haus des Freiheitskämpfers Nikolaos Kriezotis 22<br />

12 Moni Erion 24<br />

13 – 20 Türme, Burgen, Kirchen zwischen Dirphis und Halkida 24<br />

22 Phylla und Mitikas 26<br />

22a Die Frankenburg von Phylla 27<br />

22b Die Zwillingstürme von Phylla – Mitikas 29<br />

22c Die Burg von „Vrachos“ 31<br />

23 Vasilikó 32<br />

24 Lefkandi 32<br />

25 Kloster „Agios Georgios Arma“ 33<br />

R o u t e 2: H a l k i d a 36<br />

1. Z u r G e s c h i c h t e d e r S t a d t H a l k i d a 37<br />

2. S e h e n s w ü r d i g k e i t e n i n H a l k i d a 40<br />

a Eripos, die Meerenge von Halkida 42<br />

b Die Brücke über die Meerenge 43<br />

c Das Kastell „Karababa“ 44<br />

d Emir-Zadé-Moschee 45<br />

e Die Kirche der „Agia Paraskevi“ 48<br />

f Folklore-Museum 49<br />

g Wasserleitung – Die Wasserversorgung von Halkida 50<br />

h Archäologisches Museum 51<br />

i Das „Rote Haus“ 52<br />

j Das Haus mit den Statuen 53<br />

k Das Stadthaus von Halkida 53<br />

R o u t e 3: R u n d u m d e n D i r p h i s – von Psachná nach Kimi 55<br />

Routenkarte 55<br />

2


R o u t e 4: E r e t r i a 61<br />

Routenkarte 64<br />

A D a s a r c h ä o l o g i s c h e M u s e u m v o n E r e t r i a 65<br />

1. Der Centaur von Eretria (Lefkandi) 65<br />

2. Herakles-Amphore und Brunnenrelief 68<br />

3. Spielzeug-Pferd 68<br />

4. Die Skulpturen 69<br />

B D i e a r c h ä o l o g i s c h e n A u s g r a b u n g s s t ä t t e n<br />

v o n E r e t r i a 70<br />

1. Der Tempel des Dionysos 71<br />

2. Das antike Theater 72<br />

3. Das Haus mit den Mosaiken 73<br />

4. Der Tempel des „Apollon Daphnephoros“ 78<br />

5. Der Isis – Tempel (Iseion) 79<br />

6. Die Akropolis von Eretria 81<br />

C A u s f l ü g e z u S e h e n s w ü r d i g k e i t e n<br />

i n d e r N ä h e v o n E r e t r i a 82<br />

1. Das Heiligtum der Artemis Amarysia 82<br />

2. Kloster „Agios Nikolaos“ 83<br />

3. Gymno (Venezianischer Turm) 85<br />

4. Die besondere Exkursion:<br />

Der Philosoph M e n e d e m o s von Eretria 86<br />

3. L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s 89<br />

4. N a c h t r a g z u d e n<br />

„ H i s t o r i s c h e n G e s c h i c h t e n 2 0 0 5 “ 94<br />

1. D a s A r t e m i s i o n 94<br />

2. A n t i n o o s 96<br />

3


1. E i n l e i t u n g<br />

„Eine Reise nach Griechenland gehört nicht mehr zu jenen außerordentlichen Glücksfällen des<br />

Lebens, welche nur einzelnen Begünstigten zu teil werden. Immer größer wird die Zahl derjenigen,<br />

welche nach der Bereisung Italiens und Siziliens sich der ältesten Heimat alles Schönen, dem<br />

klassischen Boden von Hellas, zuwenden. Ein noch so kurzer Aufenthalt daselbst wird durch reiche<br />

Belehrung belohnen und die Vorstellungen über eine Kulturentwicklung, von der wir noch fort-<br />

während lernen, mehr als langjähriges Studium beleben.“ (Baedeker, S. III)<br />

Und wenn einem dann noch der außerordentliche Glücksfall zuteil wird, nicht nur in der „Heimat<br />

alles Schönen“, sondern auch nahe des Zentrums Griechenlands, also nahe des eigentlichen<br />

Mittelpunktes der Welt, nämlich in Gialtra, leben zu dürfen, dann darf man sich wahrlich belohnt<br />

und belebt fühlen. Von diesem Zentrum der Welt, von Gialtra aus, kann sich der Neugierige in<br />

alle Himmelsrichtungen aufmachen, und wohin er sich auch wendet, sehr bald wird er in der<br />

Natur auf Schönes oder in den nahen Städten und Dörfern auf Geschichtsträchtiges stoßen, und<br />

obendrein kann er hier in Gialtra, genau wie es der alte Mythos vom Mittelpunkt der Welt<br />

erfordert, viel Heruntergekommenes entdecken, Steine und Trümmer, Schutt und Abraum<br />

zuhauf. Denn auf Heruntergekommenes kam es Göttervater Zeus ja wohl an, als er festlegte, wo<br />

sich die Mitte der Welt befinden sollte. Es wird nämlich erzählt, dass Zeus zur Bestimmung des<br />

Mittelpunktes der Welt zwei Adler in entgegengesetzte Richtungen losgeschickt habe, und dort,<br />

wo sich nach ihrer jeweils halben Umrundung der Erde träfen, sollten sie dann einen Stein fallen<br />

lassen, und wo der dann herunterfiele, da sollte dann der Mittelpunkt, der Nabel, der<br />

„Omphalos“ der Welt sein.<br />

(Der „Omphalos“, der Nabel der Welt, im Museum von Delphi)<br />

Legt man, was im Falle Gialtras, wie wir gesehen haben, durchaus angemessen ist, die Maßstäbe<br />

der großen Welt und der griechischen Mythologie zugrunde, dann trafen sich die Adler nach<br />

ihren halben Weltumrundungen unweit von Gialtra und ließen genau dort einen Stein fallen und<br />

wahrscheinlich noch viele, viele weitere Steine. Wegen seiner Masse und Trägheit schlug der<br />

größte dieser Steine nicht direkt in Gialtra auf, sondern ein wenig weiter westlich. Im seitdem<br />

etwas westlich von Gialtra gelegenen Museum von Delphi kann dieser herabgefallene Mittelpunkt<br />

der Welt heute noch bewundert werden. Unweit des modernen Ausstellungs-Tempels von Delphi<br />

hat man zudem in alter Zeit dem Gotte Apoll zu Ehren einen richtigen Tempel und ein häufig<br />

befragtes Orakel eingerichtet, aber seitdem der Tempel und das delphisches Orakel ausgedient<br />

haben und zu Ruinen geworden sind, scheint sich auch der Mittelpunkt der Welt noch weiter<br />

verschoben und zersplittert zu haben, denn heutzutage gibt es, je nach dem, wo man ein<br />

politisches Zentrum liegen oder seinen persönlichen Nabel sich drehen sieht, viele Mittelpunkte.<br />

Für einige aber ist das kleine Gialtra Mittelpunkt geblieben und zum Zentrum ihres Lebens<br />

geworden, und wenn auch die globale Richtigkeit dieser Ausführungen hier von manchem<br />

4


angezweifelt werden mag, so bleibt doch unbestritten, dass man von Gialtra, von dieser geographischen<br />

Mitte Griechenlands aus, viele historisch bedeutsame Kultur- und Naturdenkmäler<br />

schnell erreichen kann: in wenigen Stunden den Olymp, den Parnassos, die Sporaden, Delphi, das<br />

Lukas-Kloster, die Akropolis von Athen oder die Meteora-Klöster weiter im Norden. Und auch zu<br />

den weiter entfernten Ziele und Sehenswürdigkeiten Griechenlands, ob sie nun im Norden oder<br />

im Süden liegen, gelangt man von Gialtra aus schnell, meist binnen einer Tagesreise.<br />

Eigentlich hätte es nahe gelegen, in diesem Jahresbericht von den gerade genannten Sehenswürdigkeiten,<br />

die ja zumeist auf dem Festland liegen, zu berichten, aber noch näher lag es, davon<br />

zu berichten, was es denn noch auf unserer eigenen Insel, auf Euböa, an unvermutet Schönem und<br />

historisch Interessantem zu entdecken gibt, genauer: im mittleren Teil von Euböa, von Evia, wie<br />

die Griechen sagen. Zudem schien es auch viel reizvoller zu sein, über etwas zu berichten, was<br />

nicht schon in jedem besserem und auch nicht in jedem schlechteren Reiseführer behandelt wird.<br />

Über den Norden der Insel ist in den “<strong>Geschichten</strong>“ der beiden Vorjahre (2004 und 2005) berichtet<br />

worden; der Süden muss noch ein wenig warten und wird wohl erst in einer der nächsten<br />

Folgen der “<strong>Geschichten</strong> aus Gialtra“ eingehender betrachtet werden.<br />

Die Form, wie hier von den Schönheiten Mittel-Euböas berichtet werden wird, ergibt sich aus der<br />

Intention dieser „<strong>Geschichten</strong>“: Sie wollen über Kultur, Landschaft und Geschichte unserer Insel<br />

informieren und zugleich Vorschläge unterbreiten, wie man sich von Gialtra aus einige dieser<br />

Schätze Mittel-Euböas in Ein- oder Mehrtages-Ausflügen erfahren oder erwandern kann. Es<br />

werden daher Routen für Ausflüge vorgeschlagen, und die Sehenswürdigkeiten, zu denen man<br />

dabei gelangt, werden dann jeweils etwas ausführlicher beschrieben, manchmal auch abgebildet<br />

und ein wenig in ihrer historischen und kulturellen Bedeutung charakterisiert. Natürlich sind<br />

auch andere als die hier vorgeschlagenen Routen und Ausflüge denkbar, natürlich kann man<br />

auch noch ganz andere Entdeckungen machen, und natürlich kann man sich aus den hier<br />

vorgestellten Materialien ganz andere Fahrtrouten zusammenstellen, etwa solche, die ganz bestimmten<br />

Themenschwerpunkten folgen. So sind zum Beispiel Reisen zu den fränkisch-venezianischen<br />

Burgen und Türmen Mittel-Euböas denkbar oder zu den kirchlichen und klösterlichen<br />

Relikten aus byzantinischer Zeit. Oder man kann versuchen, Spuren der langen Türkenherrschaft<br />

auf Euböa zu entdecken oder gar die spärlichen Überbleibsel aus einer der klassischen oder<br />

vorgeschichtlichen Epochen Griechenlands. Oder man kann sich einfach auch ohne die hier<br />

gesammelten Vorschläge und Informationen aufmachen und neugierig das in sich aufnehmen, was<br />

Mittel-Euböa an Schönem und Interessantem zu bieten hat. Das, was in diesen „<strong>Geschichten</strong>“<br />

ausgebreitet wird, erhebt nicht den Anspruch, alles auf Euböa Sehenswerte vollständig und<br />

wissenschaftlich korrekt wiederzugeben, es sind nur erste, in „Notizen“ festgehaltene Eindrücke.<br />

An der Grenze zwischen Nord- und Mittel-Euböa: “Klisoura-Castle“<br />

Als Ausgangspunkt aller Routen für Ausflüge in die Mitte Euböas wird hier in diesen „<strong>Geschichten</strong>“<br />

jeweils die Ruine einer Burg angenommen, die an der Grenze zwischen Nord- und Mittel-<br />

Euböa liegt, kurz vor der Passhöhe nämlich, die man überschreiten bzw. überfahren muss, will<br />

man, vom Norden, also von Prokopi kommend, nach Süden in Richtung Halkida 1 gelangen. Diese<br />

Grenzfestung ist die alte fränkisch-venezianische Burg “Klisoura“, auf manchen Karten und in<br />

manchen Führern auch “Klisoura-Castle“ genannt.<br />

H.G. Lolling, der Verfasser der Reisenotizen von 1876/77, hat damals mit Hilfe eines Einheimischen<br />

die Ruinen dieser Burg noch gefunden, und er, der damals noch mit dem Pferd von Halkida<br />

aus über den Pass in den Norden Euböas gelangen wollte, konnte die strategisch hervorragende<br />

Lage des Kastells noch wie folgt beschreiben: „Noch lange bevor man das Derveni erreicht (das<br />

malerische Flusstal, das von der Passhöhe nach Prokopi und weiter nach Norden führt,) sieht man<br />

links (nach Westen) auf einer bewaldeten steilen Berghöhe ein aus dem Alterthum stammendes<br />

und wahrscheinlich von den Venezianern wieder benutztes Paläokastro 2 liegen, von dem man fast<br />

ganz Nordeuböa übersieht.“ (Lolling, S. 356)<br />

1 Für die größte Stadt auf Euböa wird diese Schreibweise gewählt, weil sie in dieser Form auch auf der Landkarte<br />

erscheint, die von vielen Deutschen gerne benutzt wird, auf der Karte „Athen – Delphi – Euböa“ des Wiener Verlages<br />

Freytag & Berndt. Andere Schreibweisen und Namen für Halkida sind: Chalkis, Halkis, Chalkida, Euripos, Egripos,<br />

Negroponte u. a. m.<br />

2 palaiós (griech.) – alt, aus alter Zeit stammend; Palaiokastro – alte Burg<br />

5


(Bergkuppe mit den dort vermuteten Ruinen des „Klisoura-Castle“; im Hintergrund die Ebene von Prokopi)<br />

Die Ruinen dieses alten Kastells liegen auf einer markanten Bergkuppe, die sich westlich und<br />

dicht an der Straße zwischen Prokopi und dem Abzweig nach „Pagontas“ erhebt. Die steilen<br />

Bergflanken, die früher die das ganze Tal überschauende Burg „Klisoura“ trugen, passiert man<br />

genau dort, wo noch relativ weit unten im Tal (4 km nördlich von Prokopi) die Pass-Straße mit<br />

Beton und Fangzäunen gegen Steinschlag gesichert wird. Einen Weg, der hinauf zur ehemaligen<br />

Burg führen könnte, hat der Verfasser der Reisenotizen von 2006 noch nicht erkunden können,<br />

und er hat auch noch keinen Einheimischen gefunden, der ihm einen solchen Pfad hätte weisen<br />

können. Wenn man sich am Fuße dieses abweisenden Berges, von Prokopi kommend, dort zu Fuß<br />

nach rechts bewegt, wo die Straße an der Kapelle des „Agios Georgios“ nach links eine enge<br />

Kurve von fast 270 Grad macht (kurz bevor die genannten Fangzäune beginnen), erreicht man<br />

nach wenigen hundert Metern in einem anmutigen Tal einige große Ziegenställe und kurz danach<br />

eine enge, wilde Bergschlucht, in der schattige Platanen, große Felsblöcke und steile Felswände<br />

einen munteren Gebirgsbach säumen.<br />

(Schlucht am Rande des Klisoura-Berges)<br />

6


Der Ziegenpfad allerdings, der sich dort malerisch zwischen Wasser und Felsen hindurchwindet,<br />

führt zwar bald steil hinan, soll aber, wie ein Ziegenhirte versicherte, nicht hinauf zur Burg<br />

führen, und erfordert im übrigen auch eher die Kletterkünste einer Bergziege als die Wandergelüste<br />

und Entdeckerfreuden eines Mitteleuropäers. Der Hirte schlug recht vage einen Weg vor,<br />

der weiter oben von der Fahrstraße zum Gipfel des Burgberges mit seinen Ruinen führen soll.<br />

(Einheimische, die den Weg zur Burg kennt.)<br />

Leicht aber findet man die höchste Stelle des Passes, von der aus die Straße dann hinunter nach<br />

Halkida führt, und ebenso begeistert wie Lolling kann man der Beschreibung zustimmen, die<br />

dieser gebildete Reisende von der Aussicht gibt, die sich dort oben nach Süden hin eröffnet:<br />

„In unbeschreiblich klaren Linien zeichnet sich das Gestade des euböischen Golfes und prächtig<br />

ist der Blick auf die von der Ferne so anmuthige Stadt (Halkida) an dem schmalen Euripus.<br />

Halkida gegenüber sieht man den Aniphorospass das Messapiongebirge durchschneiden, man<br />

schaut weit in die thebanisch-tanagräische Ebene hinein und links von dem attisch-böotischen<br />

Parnes tritt die scharfe Giebelspitze des Pentelikon hervor. Anmuthig an den Rand eines Höhenzuges<br />

schmiegt sich zu unseren Füssen das Dörfchen Akräs an und wie ein Beherrscher dieser<br />

Wechselfülle von Land, Küste und Meer thront im Hintergrunde auf breitem Stufenland die so<br />

scharf und kühn gezeichnete Gestalt des mächtigen Delphs. Nur wenige Schritte weiter und vor<br />

uns tauchen aus den fernen Meeresfluten Skiathos uns Skopelos auf, auch ein großes Stück des<br />

nordöstlichen Küstenlandes von Euböa mit den schönen berühmten Waldungen und zahlreichen<br />

Schluchten entfaltet sich vor uns bis zu dem kahlen Doppelgebirge des Pyscaria und der<br />

Gerakovuni, an die sich wieder der Hauptstock des Delph-Gebirges anschließt.“ (S. 365)<br />

Von dort oben, vielleicht gestärkt durch einen Imbiss in einer der zahlreichen Tavernen am<br />

Rande der Straße, kann man sich dann auf eine der Routen begeben, die im folgenden beschrieben<br />

werden sollen.<br />

2. Routen zu den Zielen in Mittel – Euböa<br />

7


Route 1<br />

Zu den Burgen und Türmen, den Klöstern und Kirchen rings um Halkida<br />

(in den Ebenen von Psachná und Lelanto)<br />

(Der ganz Mitteleuropa überragende Dirphis, 1743 m)<br />

Die rings von hohen Bergen umgebenen Ebenen von Psachná und des Lelanto-Flusses sind die<br />

fruchtbarsten und ökonomisch wichtigsten landwirtschaftlichen Regionen Euböas. Daher war<br />

dieses reiche Gebiet zusammen mit seiner Hauptstadt Halkida immer wieder Ziel von Eroberern<br />

und Plünderern, von Kriegen und natürlich auch von Anstrengungen, sich der Eindringlinge zu<br />

erwehren. Von den zahlreichen Burgen und Befestigungen, von den Türmen und Mauern, die<br />

diesem Zwecke dienten, ist so manches erhalten geblieben, wenn auch manchmal nur in spärlichen<br />

Resten. Zu diesen mehr oder weniger ansehnlichen Resten führen die Ziele der hier vorgestellten<br />

ersten Route. Aber auf diesen Wegen kann man nicht nur martialische Entdeckungen<br />

machen, denn in diesem Gebiet, dessen Vorzüge in seinem landwirtschaftlichen Reichtum, seiner<br />

Schönheit und in seiner strategisch günstigen Lage bestehen, haben zu allen Zeiten zahlreiche<br />

Menschen gesiedelt, und sie errichteten neben ihren Häusern, Scheunen und Ställen, neben ihren<br />

wehrhaften Burgen, Wällen und Türmen auch immer Versammlungsstätten, an denen sie ihren<br />

Göttern oder ihrem alleinigen Gott Dankesopfer und andere Zeichen der Verehrung darbringen<br />

konnten. Daher wird in dieser Beschreibung der Umgebung von Halkida auch von Tempeln, von<br />

Kirchen und Klöstern die Rede sein.<br />

Die Vorkehrungen, die die Venezianer im Mittelalter zur Verteidigung ihres wichtigsten Handelsplatzes<br />

in der Ägäis zu treffen hatten, beschränkten sich nicht nur auf die unmittelbar um die<br />

Stadt Negroponte (Halkida) herum angelegten Festungswerke, sondern erstreckten sich auch auf<br />

das angrenzende Umland der Insel, wo ein Netz von kleineren Burgen und Wachttürmen in der<br />

Ebene von Psachná im Norden, auf den Vorbergen des Dirphis im Osten und in der lelantischen<br />

Ebene im Süden der Hauptstadt zusätzlichen Schutz bieten sollten. Allerdings ist die Theorie, dass<br />

die genannten Türme quasi einen Schutzring um die Stadt herum gebildet und zudem ausgezeichnete<br />

Möglichkeiten zur Vorwarnung (durch Leuchtfeuer u.ä.) geboten hätten, nicht unumstritten,<br />

denn nicht alle Türme haben Sichtkontakt miteinander, andere Türme stehen unnötig<br />

dicht beieinander und von einigen Türmen weiß man (Rovies, Politika), dass sie von Wider-<br />

8


sachern der Stadt Halkida und der dort herrschenden Venezianer erbaut wurden. Wahrscheinlich<br />

hatten die Türme außer ihrer jeweiligen strategischen Aufgabe zusätzlich auch noch eine<br />

macht-politische Funktion: sie sollten die Landbevölkerung von Unbotmäßigkeiten abhalten,<br />

waren quasi zu Stein gewordene, erigierte Symbole der Macht, und sie hatten damit eine ähnliche<br />

Funktion wie die mächtigen Hochhäuser in den ökonomischen Zentren unserer modernen Welt.<br />

Dass aber viele der Türme und Burgen für die städtischen Machthaber von Halkida bzw. Negroponte,<br />

wie die Venezianer die Stadt am Euripos nannten, auch strategischen Sinn machten, dann<br />

nämlich, wenn Angreifer das wohlhabende Zentrum der Insel zu erobern oder zu plündern<br />

trachteten, das erschließt sich auch einem militärischen Laien leicht. Mit den ringförmig um die<br />

Stadt gruppierten Türmen und Burgen hatten die Verteidiger vielfältige Möglichkeiten, den Angreifern<br />

aus sicheren, weil stark befestigten Anlagen in den Rücken zu fallen, sie zu besiegen oder<br />

zu vertreiben.<br />

Wenn die 25 Ziffern auf der Karte des Umlandes von Halkida auch die Form dieses schützenden<br />

Ringes nachzuzeichnen scheinen, der im 14. Jahrhundert diesen wichtigen Handelsplatz der<br />

Venezianer umgab, so soll dem historisch Interessierten doch keine feste Route vorgegeben<br />

werden, wenn er sich aufmacht, die Umgebung von Halkida zu erkunden, denn es gibt dort noch<br />

viel mehr als die hier vorgestellten 25 Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Gewiss findet man in<br />

jedem der zahlreichen Dörfer, auch wenn sie hier noch nicht mit einer Ziffer versehen sind,<br />

interessante Relikte aus vergangenen Zeiten, sei es ein Kirchlein aus byzantinischer Zeit, sei es<br />

einen Turm oder Burgruinen aus fränkischer oder venezianischer Zeit, oder seien es gar marmorne<br />

Spolien aus der Antike, die als Baumaterialien für vermeintlich schönere Neubauten herhalten<br />

mussten. Aber auch landschaftlich Reizvolles gibt es in immer neuen Varianten zu entdecken,<br />

und stets ist dabei die mächtige Berg-Pyramide des Dirphis oder Delfi (1743 m) treuer<br />

Begleiter und markanter Orientierungspunkt. Die Umgebung von Attali (12 km östlich von<br />

Psachná) ist zum Beispiel ein solch hier in den „<strong>Geschichten</strong>“ nicht-nummerierter Ort, in dessen<br />

Nähe man landschaftlich und kulturell reizvolle Entdeckungen machen kann.<br />

(Die Schlucht von Attali)<br />

Eine sich zum Talkessel vor dem Dirphis hin öffnende felsige Schlucht führt zu dem kleinen Dorf<br />

Attali, in dessen Mitte das alte Mittelschiff einer ehemals drei-schiffigen Kirche steht, der Kirche<br />

9


der „Panagia Theotókos“, deren aufwendiges Kästel-Mauerwerk aus alt und grau und schwarz<br />

gewordenen Natursteinen auch in seinem heruntergekommenen Zustand immer noch staunenswert<br />

oder ehrfurchtsgebietend ist.<br />

(Kirche und Glockenturm zu Ehren der Mutter Gottes in Attali)<br />

10


Auf dem folgenden Kartenausschnitt 3 sind mit Ziffern die Ziele der „Route 1“ ausgewiesen; in<br />

entsprechender Reihenfolge werden dann auf den folgenden Seiten die jeweiligen Sehenswürdigkeiten<br />

beschrieben und abgebildet.<br />

3 Karte „Athen – Delphi – Euböa“ des Wiener Verlages Freytag & Berndt. (1:250 000, Laufzeit bis 08/2000)<br />

11


1 Kamaritsa<br />

Dieses kleine Dorf am Südhang des Kandili-Gebirges ist hier nicht als ein Ort aufgeführt, in dem<br />

es etwas ganz Besonderes zu sehen gäbe; Kamaritsa wird hier lediglich darum an erster Stelle<br />

genannt, weil man von hier aus Entdeckungsfahrten abseits der Hauptstraße, die nach Halkida<br />

führt, beginnen kann und weil man sonst leicht die Hinweisschilder auf Nebenstraßen übersieht,<br />

die hinunter nach Politiká und zur fruchtbaren Ebene zwischen Kandili und Meer führen. Hat<br />

man nämlich von der Passhöhe aus ungefähr die Hälfte der kurvenreichen Strecke zurückgelegt,<br />

über die man die Ebenen von Psachná und Halkida erreichen kann, so weist unmittelbar hinter<br />

einer kleinen Kirche, die rechts am Straßenrand steht, ein Schild in westlicher Richtung nach<br />

„Kamaritsa“, ein kleines Dorf, in das man über eine gute Nebenstraße schon nach nur etwa einem<br />

Kilometer gelangt. Bei der Fahrt durch den ruhigen, sauberen Ort mag man Ausschau halten<br />

nach einer der adretten Tavernen, sich aber am Südrand des Dorfes auf die Suche nach den<br />

spärlichen Überresten eines erst in neuerer Zeit zerstörten venezianischen Turmes zu machen,<br />

lohnt kaum, denn seine Überbleibsel sind höchst dürftig, und auch in voller Größe könnte er, was<br />

Höhe, Stil und bautechnischen Aufwand betrifft, dem Vergleich mit dem nahen Turm von<br />

Politiká nicht standhalten.<br />

(Blick auf die Umgebung von Politiká)<br />

Lohnender ist da schon ein kurzer Halt an der Kirche der „Aghi Anarghiri“ , die man nach weiteren<br />

zwei oder drei Kilometern hinunter durch alte Olivenhaine erreicht und von der man einen<br />

schönen Blick auf die Küstenebene, auf den Golf und auf das gegenüberliegende Festland hat.<br />

2 Politiká<br />

Dieser malerisch enge, dieser noch von recht zahlreicher älterer Bausubstanz geprägte Ort zwischen<br />

dem Meer und den Vorgebirgen des Kandili wird in seinem Zentrum von einem der<br />

markantesten und besonders aufwendig gestalteten Türme Euböas überragt, der in seiner<br />

Qualität und in seinem Erhaltungszustand mit dem Turm in Rovies zu vergleichen ist.<br />

12


(Der fränkisch-venezianische Turm von Politiká)<br />

Besonders bemerkenswert sind die für euböische Türme geradezu luxuriös ausgeführten Steinmetzarbeiten<br />

am noch original erhaltenen Haupteingang und an den Fenstereinfassungen des<br />

Turmes. Sie spiegeln den hohen sozialen Status seines Erbauers wider, als der wohl, wie in Rovies,<br />

der Frankenherzog Guillaume de Villehardouin anzunehmen ist, der sich in seinen langjährigen<br />

Auseinandersetzungen mit den Venezianern, denen es wie ihm um die Vorherrschaft über die<br />

Insel ging, so um das Jahr 1260 eine ganze Reihe von Türmen (Burgen) auf Euböa errichten ließ<br />

(vgl. „<strong>Geschichten</strong> 2005“, S. 93).<br />

Die mächtigen Mauern des auf einer quadratischen Grundfläche errichteten Turmes (6,00 m<br />

breit, unten 1,20 m dick) erheben sich bis in ihre originale Höhe von ca. 15 m, und sie umschließen<br />

in seinem Innern vier Geschosse. Der Eingang zum Turm befindet sich, 6 m hoch über<br />

dem Boden, auf der Südwestseite der ersten Etage. Zu diesem Haupteingang, über dem noch eine<br />

quadratische Aussparung für ein Wappen zu erkennen ist, führte eine hölzerne Leiter hinauf, die<br />

im Falle einer Bedrohung heraufgezogen werden konnte. Von der Basis dieses Aufganges oder<br />

gar von den unteren Befestigungen und Widerlagern für diese Leiter ist nichts mehr vorhanden.<br />

Weiter oben, also im 3. Geschoss bzw. auf der 2. Etage, ist außen an jeder Seite des Turmes ein<br />

schön in Steine gerahmtes Fenster erhalten und auf der Nordseite eine zweite Tür mit darunter<br />

ins Mauerwerk eingelassenen Kragsteinen. Hierbei handelt es sich aber wohl nicht um einen<br />

zusätzlichen Eingang von außen, sondern in luftiger Höhe um einen Austritt auf einen kleinen<br />

Balkon, auf den, so mag man sich vorstellen, zuweilen eine französische oder italienische Julia<br />

hinaustrat. Das oberste Geschoss trägt als Abschluss ein Stein-Dach, dessen weit herausragender<br />

Wasserspeier noch heute als Reste unter der westlichen Giebel-Brüstung zu erkennen sind. Auf<br />

der Ostseite des Turmes scheint ein Mauerstück antiken Ursprungs verarbeitet worden zu sein.<br />

Anders als in Mitteleuropa legte man aber wohl hier in Griechenland früher wie heute keinen<br />

Wert darauf, sich durch den Einbau antiker Fundstücke, sog. Spolien, als Kenner und zugleich<br />

als Nachfolger einer bedeutenden Vergangenheit auszuweisen. Der Einbau alter Bau-Elemente<br />

hatte ganz einfach praktische, nämlich Materialaufwand und Kosten senkende Gründe.<br />

Der Eingang zum Untergeschoss des Turmes ist erst in neuerer Zeit in eine der Mauern gebrochen<br />

worden; das Untergeschoss wird nämlich als Lager und Archiv für archäologische Funde<br />

13


genutzt. Zugang zu diesen dort verborgenen Schätzen und Zugang zum Turm überhaupt finden<br />

Interessenten allerdings nicht.<br />

Direkt neben dem Turm steht das flache, innen jetzt ganz leere Gehäuse einer kleinen, alten<br />

Kirche, die, allen Putzes und Verputzes entkleidet, wie eine scheue Eva mit ihrer schlichten<br />

Natürlichkeit bezaubert. Innen erfreut sich das Auge an den sanften Wölbungen der drei Apsiden<br />

in der ehemaligen Altarwand, und nach außen fällt der Blick durch schlanke rundbogige<br />

Doppel-Fenster auf leuchtendes Grün oder auf das graue Gemäuer des benachbarten fränkischen<br />

Turmes.<br />

14


Ein Ort des Verweilens ist in Politiká auch der schattige Dorfplatz, wo die Tische und Stühle<br />

einfacher Tavernen zu einer Erfrischung einladen und wo das sprudelnde Wasser eines löwenköpfigen<br />

Brunnens angenehme Kühle verbreitet.<br />

(Brunnen am Dorfplatz von Politiká)<br />

3 Das Kloster der „Panagia Peribleptou“ bei Politiká<br />

Sowohl die Ziffer (3) als auch das Symbol für ein Klostergebäude, das auf der oben abgedruckten<br />

Routenkarte in der Nähe von Politiká zu sehen ist, bezeichnen die Lage des Panagia-Peribleptou-<br />

Klosters nicht ganz korrekt. Dieses Nonnenkloster liegt nämlich in Wirklichkeit genau dort, wo<br />

auf der Karte die Ziffer „2“ eingedruckt ist, und man erreicht es am leichtesten, wenn man an der<br />

Kreuzung mitten im Dorf und damit direkt neben dem Turm von Politiká dem blauen Hinweisschild<br />

folgt, 500 m leicht bergan.<br />

Das blaue Hinweisschild an der genannten Straßenkreuzung verspricht auch, dass die Kirche der<br />

„Panagia“, der „mit einem weiten Mantel umhüllten und sich weit umschauenden Gottesmutter“,<br />

eine Sehenswürdigkeit aus dem 8. Jahrhundert sei, während der eine oder andere Reiseführer,<br />

wenn er Politiká überhaupt erwähnt, behauptet, die Kuppel der Kirche stamme aus dem Jahre<br />

1025. Sehr alt und sehr gebrechlich ist die Kirche inmitten der sie umgebenden modernen<br />

Klostergebäude ganz gewiss, aber wenn man sich von einer der freundlichen Nonnen die<br />

Geschichte der Zerstörungen und Wiederaufbau-Unternehmungen hat erzählen lassen, dann<br />

kommen dem Besucher doch Zweifel, ob er auch wirklich ein Original betrachtet, das mehr als<br />

1000 Jahre alt sein soll. Dennoch ist die Kirche sehenswert, denn vom Typus her repräsentiert ihr<br />

fast quadratischer Bau (Breite ca. 10 m, Länge ohne Apsiden ca. 12 m) die charakteristische<br />

Klosterkirche der mittel-byzantinischen Zeit im südlichen Griechenland. Sie ist eine<br />

Kreuzkuppelkirche vom Viersäulentypus 4 , wie man ihn auch bei zahlreichen Klosterbauten des<br />

benachbarten Festlandes, zum Beispiel in Malesina finden kann. Diese Kirchen und Klöster<br />

entstanden meist im 11. und 12. Jahrhundert. Bei der Kirche der „Panagia Peribleptou“ wurden<br />

4 vgl. „Orthodoxe <strong>Geschichten</strong> 2004“, S. 36<br />

15


von den vier Säulen, die die Kuppelkonstruktion tragen, die zwei westlichen im Zuge einer<br />

Restaurierung während der Türkenzeit durch einen gemauerten Pfeiler (im Norden) und durch<br />

eine antike Grabstele (im Süden) mit einer Inschrift aus dem 2. Jahrhundert n.Chr. ersetzt. Auch<br />

die Renovierung des Daches geht wohl auf dieselbe Zeit zurück, während die drei außen dreiseitigen<br />

Apsiden wahrscheinlich noch aus der Zeit der Ersterrichtung stammen.<br />

(Kirche des Klosters der „Panagia Peribleptou“ bei Politiká)<br />

Bemerkenswert gut erhalten sind im Bereich der Vierung Teile des Fußbodens mit Marmorinkrustation<br />

(Farben: rot, licht- und dunkelgrün, orange, weiß, blau), und gut erhalten ist auch<br />

das in der Türkenzeit aus mittel-byzantinischen Marmor-Zierplatten erneuerte Templon, also der<br />

hintere Bereich der Kirche, der allein dem Priester vorbehalten ist. Die darunter liegenden<br />

Templonplatten des ursprünglichen Baues stammen, so hat man nachgewiesen, teils aus dem<br />

11./12. Jahrhundert, also aus der Zeit, in der wohl die Kirche errichtet wurde, teils aber auch aus<br />

einem alt- oder vor-christlichen Bauwerk, denn eine Platte trägt auf ihrer Rückseite eine Inschrift<br />

aus der Zeit des Kaisers Claudius (41 – 54 n.Chr.).<br />

(Marmor-Spolien in der Fassade der Panagia-Klosterkirche)<br />

16


Das mittelbyzantinische Kloster ist wahrscheinlich bei der Eroberung der Insel durch die Türken<br />

(1470) zerstört worden und dann in der Folgezeit ganz verfallen. Erst in der in der zweiten Hälfte<br />

des 16. Jahrhunderts wurden Kloster und Kirche wiederhergestellt, als nämlich der damalige<br />

orthodoxe Metropolit Laurentios die Klosterruine von den Türken zurückkaufen konnte. Er<br />

schenkte sie dann als Metochion, also als Klostergut, dem Kloster Galataki bei Limni, in dessen<br />

Besitz es seitdem fast ununterbrochen geblieben ist.<br />

So alt und ehrwürdig die Steine und die Ausstattung der Kirche auch sein mögen, so wenig anschauungs-freundlich<br />

bieten sie sich dem Besucher dar. Außen hält ein aufwendiges System von<br />

Stahlseilen und Eisenplatten die Mauern, das Dach und die Kuppel der Kirche müham zusammen,<br />

und innen versperren entweder Stützgerüste und Bretterabdeckungen den Blick auf die<br />

architektonischen Schönheiten der Dach- und Kuppelkonstruktion, oder weiter unten sind die<br />

Ikonen und Fresken so schwarz verfärbt, dass auf ihnen fast nichts mehr zu erkennen ist. Man<br />

versteht, dass die Nonnen nachdrücklich darum bitten, drinnen in der Kirche nicht zu photographieren.<br />

4 Moni Agios Iannis Kalyvitis<br />

Kurz vor der ersten großen Kreuzung, die man unten in der Ebene nach dem Ende der Passstraße<br />

erreicht und an der man, wenn man nach links fährt, unmittelbar nach Psahná gelangt,<br />

oder geradeaus nach Halkida, weist ein Schild nach links (nach Osten) zum „Moni Iannis Kalyvitis“,<br />

zu einem Kloster des Heiligen Johannes, der, wie der Zusatz im Namen es sagt, sein Leben<br />

in einer kleinen „Hütte“ verbrachte. Ganz so klein und bescheiden ist das Nonnenkloster nicht,<br />

das das man nach ca. drei Kilometern Fahrt durch gepflegte Olivenhaine erreicht. Vor wenigen<br />

Jahren ist das alte Klostergebäude, das bereits in der Türkenzeit zu verfallen begann, durch einen<br />

Neubau ersetzt worden, der mehr einem eleganten Landhaus als einer asketischen Nonnenklause<br />

gleich und das den zwei (!) verbliebenen Nonnen reichlich Platz bietet.<br />

(Kirche des Klosters Agios Iannis Kalyvitis)<br />

Besonders sehenswert ist die ehrwürdige Klosterkirche, deren östlicher Teil mit dem Altarbereich<br />

und den Apsiden noch aus dem 12. Jahrhundert stammt, während die übrigen Teile und das<br />

hölzerne Dach in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wieder aufgebaut wurden. Die in der<br />

17


Umgebung des Klosters zahlreich gefundenen Architekturteile aus frühchristlicher Zeit (Säulenteile,<br />

Säulenbasen, Kapitelle, Architrave) lassen auf eine seit der Antike kontinuierliche Nutzung<br />

dieses beschaulichen Ortes als Kultstätte schließen. Aus älterer Zeit stammen auch die schönen<br />

Säulen mit ihren klassischen Kapitellen im Innern der Kirche und die fein verzierten Bauelemente<br />

aus Marmor, die außen das Eingangsportal umrahmen.<br />

(Landhaus mit Kirche: das Nonnenkloster Agios Iannis Kalyvitis)<br />

Eine der beiden freundlichen Nonnen spricht gut Englisch, zeigt gerne die Kirche mit ihren Elementen<br />

aus unterschiedlichen Zeiten, lässt den Besucher einen Blick auf die künstlerisch wertvollen<br />

Reste von Fresken in den seitlichen Apsiden werfen, verweist auf die Schönheit des dreiteiligen<br />

Fensters der Mittelapsis und erzählt beredt aus dem Leben des Namenspatrons des Klosters<br />

und aus ihrem eigenen Leben, das sie aus dem unruhigen Athen schließlich an diesen beschaulichen<br />

Ort führte, an einen, wie sie selber treffend sagte, „peaceful place“.<br />

5 Psachná und Kastela<br />

Trotz des Namens „Kastela“ war in diesem gleichnamigen Ortsteil von Psachná kein Kastell mehr<br />

zu entdecken, aber zwei Kilometer südöstlich von Psachná, nahe Agios Ilios, stehen die Reste<br />

eines mittelalterlichen Turmes, dessen Grundfläche 6,10 x 6,10 m misst und der eine Mauerstärke<br />

von 1,20 m aufweist. Dass die einzelnen Stockwerke des Turmes früher durch Holzböden getrennt<br />

wurden, ist innen an den umlaufenden Steinrändern zu erkennen, die den Deckenbalken<br />

als Auflage dienten. Von Türen und Fenstern und von deren zumeist aufwendiger gestalteten<br />

Einfassungen ist nichts mehr erhalten. Im Abstand von etwa 30 m kann man die Reste einer<br />

Mauer entdecken, die wahrscheinlich um den ganzen Turm herumlief. Diese Reste sind besonders<br />

gut in der Nähe des nördlich angelegten Grabens erkennen. Wie bei einigen weiteren Türmen auf<br />

Euböa muss man wohl auch hier davon ausgehen, dass die Turmanlage den Charakter einer Burg<br />

hatte, auf die sich die benachbarten Bauern zurückziehen konnten, wenn Gefahr durch Piraten<br />

oder andere Eindringlinge drohte.<br />

Im Gebiet der Orte Kastella – Vryssakia – Psachna fanden während des griechischen Aufstandes<br />

1821 einige wichtige, wenn auch nicht unmittelbar erfolgreiche Gefechte gegen die Türken statt.<br />

Der Anführer der Aufständischen war Angelis Govios. Dessen Denkmal steht an der Kreuzung,<br />

an der man, wenn man aus Halkida kommt, kurz vor Psachná nach links, also nach Norden in<br />

Richtung Aidipsos abbiegen muss. Das Grab von Angelis Govios findet man in der sehenswerten<br />

Kapelle des Agios Iannis in Psachná.<br />

18


6 Kloster der „Panagia Gorgoepikos“<br />

(Eingang zum Kloster der „Panagia Gorgoepikos“)<br />

Folgt man vom Ortszentrum von Psachná aus den (kleinen und leicht zu übersehenden) Hinweisschildern,<br />

die in nördicher Richtung nach „Kontodespoti“ führen, so erreicht man nach ungefähr<br />

drei Kilometern die modernen Gebäude des Klosters der „Panagia Gorgoepikos“. Was dieser<br />

gefährlich klingende Namens-Zusatz der Gottesmutter bedeutet, konnte bisher ebenso wenig ermittelt<br />

werden wie die Antwort auf die Frage, welche Geschichte das Kloster aufweist und welche<br />

Sehenswürdigkeiten es bietet. Die ionischen Säulen, die das kleine Dach über dem Eingang tragen,<br />

scheinen genau so neu gegossen und errichtet worden zu sein wie die übrigen Gebäude der<br />

Klosteranlage. Am Eingang aber fand sich wenigstens ein Schild, wann Besucher willkommen<br />

sind, nämlich von 10 bis 12 und von 17 bis 19 Uhr.<br />

7 Kontodespoti<br />

Historisch interessanter und auch älter als das kleine Dorf Kontodespoti, in dem es für den, der<br />

daran interessiert ist, als einzige Sehenswürdigkeit lediglich ein kleines privates Museum mit<br />

historischem Kriegsgerät zu besuchen gibt, sind die Mauerreste einer mittelalterlichen Burg, die<br />

auf einem markanten Hügel (280m über NN) oberhalb von Psachná und auf halben Wege nach<br />

Kontodespoti gestanden hat. Von dort oben kann man die weite Ebene von Psachná bis hin nach<br />

Halkida überblicken. Auf Karten oder in Führern ist dieser Hügel als „Paläopsachná“ oder<br />

einfach als „Kastri“ ausgewiesen, und bei der Burg, die dort gestanden hat, soll es sich um die<br />

fränkische Burg „Holorita“ (Hollorita, Colochita, Colochit) handeln.<br />

(Hügel zwischen Psachná und Kontodespoti mit den Ruinen einer fränkischen Burg)<br />

19


Man erreicht diesen Burghügel, wenn man auf dem Wege von Psachná nach Kontodespoti ist (auf<br />

der Höhe des Klosters der „Panagia“, vgl. Ziffer 7) und etwa 1,5 km hinter Psachná an einer<br />

kleinen Kreuzung nicht weiter dem nach halblinks weisenden Schilderwald folgt, sondern geradeaus<br />

auf eine kleinere Straße abbiegt und sich dann einen zunächst noch zu befahrenen, dann<br />

aber nur noch zu Fuß zu bewältigenden Weg hinauf zu den Burgresten auf der markanten Bergkuppe<br />

sucht.<br />

8 „Moni Makrimallis“<br />

Fährt man von Psachná aus etwa 4 km in nordöstlicher Richtung, so erreicht man den kleinen Ort<br />

Makrimalli; einen Kilometer weiter im Norden liegt dann am Rande eines schönen Seitentales das<br />

einsame Kloster „Moni Makrimallis“. Der Name bezeichnet wohl einen Ort, an dem die Ikone<br />

eines „langmähnigen“ Heiligen oder ein „langhaarigen“ Madonna verehrt wird, aber um das genauer<br />

herauszufinden, müsste man Zugang zum Kloster und seiner Kirche haben. Im Frühsommer<br />

2006 jedoch war das Kloster auch noch am späten Vormittag, also zu einer der sonst in<br />

griechischen Klöstern üblichen Besuchszeit, geschlossen und das Eingangstor mit Ketten und<br />

Schlössern versperrt. Ob nun das eigentlich recht große Kloster nur vorübergehend wegen Bauarbeiten<br />

geschlossen oder ob die Zahl der dort lebenden Nonnen oder Mönche so gering geworden<br />

war, dass der Betrieb des Klosters eingestellt werden musste, war ebenfalls nicht zu ermitteln.<br />

9 Der Turm von Triada<br />

(Moni Makrimallis)<br />

200 m nördlich der Straße Psachna – Triada, dort wo ein Weg kurz vor Triada zur kleinen<br />

Kapelle des Agios Athanasios führt, steht unübersehbar ein gut erhaltener Turm an einem Ort,<br />

der als landschaftlich besonders bezaubernd gelten darf: von dort hat man einen schönen Blick<br />

auf den steil aufragenden Dirphis, man sieht Pflanzen und Blumen überall und hört die Bienen,<br />

die den zahlreich aufgestellten Kästen zustreben.<br />

20


(Der Turm von Triada)<br />

Der Turm selber ragt noch in seiner ganzen stattlichen Höhe auf (ca. 15 m), hat drei Stockwerke,<br />

und oben sind auch noch einige Reste seiner Zinnen erhalten. Der Turm bedeckt eine Grundfläche<br />

von 7,10 x 7,10 m, und unten an der Basis sind seine Mauern fast zwei Meter dick. Das Erdgeschoss<br />

ist fensterlos und diente früher wohl zur Lagerung von Getreide und anderen Gütern.<br />

Die erste Etage hatte einen Holzfußboden, was man noch an den vorspringenden Steinen<br />

erkennen kann, die innen rings um die Wände herum laufen. Der Zugang zum Turm befand sich<br />

auf der Südseite der zweiten Turm-Ebene, und zwar durch ein Tor, das leider sehr verfallen ist.<br />

An diesem zweiten Stockwerk sind rund um den Zugang, anders als sonst üblich, keine aufwendigeren<br />

Steinarbeiten zu erkennen, aber an allen Ecken des Turmes sind in den unteren Schichten<br />

des Mauerwerks antike Werkstücke (Spolien) eingemauert worden.<br />

(Antike Spolien im Mauerwerk des Turmes von Triada)<br />

Was bei vielen der Türme auf Euböa völlig verloren gegangen ist, nämlich die Boden-Auflage, die<br />

der hölzernen Leiter zum höher gelegenen Eingang sicheren Halt gab, ist hier auf der Südseite des<br />

Turmes noch gut erhalten: eine ebene einstmals wohl mit Kopfsteinen gepflasterte Fläche unterschiedlicher<br />

Länge und Breite. Es sind zwar keine dieser Kopfsteine mehr erhalten geblieben,<br />

aber die Spuren an Wand und Boden verweisen auf eine solche Basiskonstruktion.<br />

Wie bei vielen Türmen Euböas sind auch am Turm von Triada Spuren einer Ringmauer oder<br />

eines Ringwalles zu entdecken, der früher wohl der gesamten kleinen Bergkuppe den Charakter<br />

einer stark befestigten, kreisrunden Fluchtburg gab, in deren Mitte der wehrhafte Turm stand.<br />

21


10 Kirchenruine Hagia Trias in Triada<br />

Am nördlichen Rand des Ortes Triada liegt die Ruine der Kirche „Agia Trias“, der häufig auch<br />

noch der Beiname „Tou Kriezotis“ gegeben wird, weil nämlich in ihrer Nähe der griechische<br />

Freiheitskämpfer Nikolaos Kriezotis sein Haus hatte (vgl. 11). Die Kirche, so nimmt man an, muss<br />

in der Zeit zwischen 1050 und 1150 erbaut worden sein. Sie ist die Kreuzkuppelkirche eines Typs,<br />

der in Griechenland sehr selten anzutreffen ist und den man den „konstantinopolitanischen<br />

Viersäulentypus“ nennt. Bei diesem Kirchentyp wird der dreiteilige Altarraum vom kreuzförmigen<br />

Hauptraum der Kirche völlig getrennt. Auch die ungewöhnlich reichhaltige und qualitätsvolle<br />

Ausstattung der Kirche mit Relief-Plastiken verweist auf eine Entstehungszeit im 11. oder<br />

12. Jahrhundert. Die ionischen Kapitelle und Basen der vier Säulen, die die Kuppel tragen, legen<br />

die Vermutung nahe, dass die Kirche einen antiken Vorgängerbau gehabt haben muss, vielleicht<br />

ein heidnisches Heiligtum, das an dieser Stelle gestanden hat. Diese Vermutung wird auch von<br />

einer Marmor-Statue gestützt, die aus römischer Zeit stammt, in der Nähe der Kirche gefunden<br />

wurde und die heute im Museum von Halkida ausgestellt ist.<br />

Vor einigen Jahren ist man bei Restaurierungsarbeiten auf der Südseite auf Mauern gestoßen, die<br />

wohl zu einer frühchristlichen Kirche gehören und die die Kontinuität der Heiligenverehrung an<br />

diesem Ort bezeugen. Dass die Kirche wahrscheinlich zu einem Kloster gehörte, schließen die<br />

Wissenschaftler aus in der Nähe gefundenen weiteren Bauresten.<br />

11 Triada: Das Haus des griechischen Freiheitskämpfers Nikolaos Kriezotis<br />

(Sternkiefern-Allee in Triada)<br />

Das Zentrum des Dorfes Triada wird von architektonischen Anlagen bestimmt, die man durchaus<br />

als fürstlich bezeichnen könnte und die alle mit dem Namen des griechischen Freiheitskämpfers<br />

Nikolaos Kriezotis verknüpft sind. Eine ungewöhnlich lange, breite und schattige Allee<br />

aus alten Kiefern führt sanft zu einem großen Platz hinan, auf dem das Denkmals des N. Kriezotis<br />

steht und hinter dem sich in einem mit alten Bäumen bestandenen Park das große Herrenhaus<br />

erhebt, in dem Kriezotis wohl am Beginn des 19. Jahrhunderts gelebt haben muss. Wer sich nun,<br />

von dieser Beschreibung angeregt, vorstellt, hier in Triada könne man nun mal endlich ein architektonisches<br />

Gesamtkunstwerk entdecken, wie wir es von bayrischen Königen oder rheinischen<br />

22


Erzbischöfen gewohnt sind, vergisst, dass wir hier nicht im bayrischen Füssen oder in Brühl bei<br />

Köln sind, sondern in Griechenland, und dort ist die schöne Welt der Ideen und Idyllen häufig zu<br />

einer ruinierten Wirklichkeit verkommen. So leider auch in Triada. Der Park ist verwildert und<br />

ungepflegt, seine Zäune und Eisentore sind umgestürzt oder hängen windschief in den Angeln; die<br />

zahlreichen Nebengebäude sind verfallen und haben schon lange keine fleißigen Hände mehr<br />

gesehen, und das stattliche Herrenhaus, mit dem stattlichen Namen „Kriezoteion“ in den Marmor<br />

über dem Eingang gemeißelt, präsentiert sich mit leeren Tür- und Fensterhöhlen. Aber in seinem<br />

verlassenen Inneren kann man wenigstens ein paar grobe Spuren des Bemühens erkennen, das<br />

Haus mit Beton und Zement vor dem völligen Einsturz zu bewahren und seine zahlreichen<br />

schönen Räume vielleicht doch einmal sinnvoll zu nutzen. Noch kann sich die ganze Anlage trotz<br />

der genannten Mängel und Schäden einen gewissen dekadenten Charme bewahren, der nach<br />

innen und außen manch bezaubernden Ausblick gewährt, doch es ist abzusehen, dass dies<br />

Herrenhaus mit seinem Park schon bald auch die letzten Spuren seiner stolzen Vergangenheit<br />

verlieren wird.<br />

(Das „Kriezoteion“ in Triada)<br />

So widersprüchlich wie die verfallende Pracht des Herrenhauses und seines Parkes ist, so widerspruchsvoll<br />

ist auch die Biograhie des Freiheitshelden, der dort einmal gelebt hat. Nicholaos<br />

Kriezotis gehörte gewiss an führender Stelle zu den Männern, die in den zwanziger Jahren des 19.<br />

Jahrhunderts Griechenland von der Fremdherrschaft der Türken befreien wollten, aber seine<br />

militärischen Aktionen, Euböa zurückzugewinnen, waren deprimierende Fehlschläge, und<br />

Kriezotis war auch so in die internen Rivalitäten der zahlreichen Anführer der griechischen Freiheitskämpfer<br />

verwickelt, dass es den Türken leichtfiel, sich lange auf Euböa zu behaupten. Erst<br />

1833, später als alle anderen Landesteile des neuen Griechenstaates, wurde Euböa befreit, und<br />

zwar nicht wegen der Erfolge griechischer Freiheitskämpfer, sondern wegen des Druckes, den die<br />

europäischen Großmächte auf die Türken ausübten, und wegen der Entscheidungen, die sie dann<br />

im „Londoner Protokoll“ festhielten.<br />

23


(Denkmal des griechischen Freiheitskämpfers N. Kriezotis in Triada)<br />

12 Das aufgelassene Kloster Eria bei Kathenoi (auch: Moní Erion))<br />

Vom aufgelösten Kloster Eria („Panagia sta Eria“) ist lediglich die kleine Kuppelkirche „Panagia<br />

i Monomerítissa“ erhalten geblieben. Sie steht in einer Mulde etwa drei Kilometer westlich von<br />

Kathenoi in den Ausläufern des Dirphis in der Nähe einer starken Quelle, die sich ca. 40 m<br />

südlich der Kirche befindet. Die erst in neuerer Zeit restaurierte einräumige Anlage (also ohne<br />

Narthex, ohne Vorraum) hat einen fast quadratischen Grundriss (5,40 x 4,00 m) und zeigt außen<br />

eine halbrunde Apsis. Die Kirche gehört zum Typus der kreuzförmigen Dreikonchen-Kirchen<br />

und trägt über der Vierung eine mächtige, turmähnliche Kuppel. An die Südwand der Kirche<br />

war früher eine Seitenkapelle angesetzt; durch die heute zugemauerte Türe konnte man direkt in<br />

den Kirchenraum gelangen. Im Innern sind zahlreiche, leider stark nach-gedunkelte Fresken<br />

erhalten, die wohl in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gemalt wurden, während der eigentliche<br />

Baukörper der Kuppelkirche am Beginn des 13. Jahrhunderts errichtet wurde.<br />

13 – 20<br />

Die Ruinen von Burgen und die Reste von Türmen, wie sie im Folgenden knapp dargestellt<br />

werden, sind es in aller Regel nicht wert, dass man ihretwegen eine lange Anfahrt unternimmt,<br />

und auch die Orte, in denen sie stehen, bieten meist auch sonst keine anderen Sehenswürdigkeiten<br />

als die hier jeweils genannten Reste aus fränkisch-venezianischer Zeit. Manchmal jedoch<br />

vermag eine kleine Kapelle oder eine alte Kirche die Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich zu<br />

ziehen.<br />

13 Agia Paraskevi und Moni Dimitriou bei Loutsa<br />

Über diese Kirche und das früher dazugehörende Kloster, von dem nur spärliche Reste erhalten<br />

sind, ist so gut wie gar nichts bekannt. Die Klosterkirche, ein einschiffiges Katholikon, gehört dem<br />

auf Euböa sehr häufig anzutreffenden Kirchen-Typ mit „Dachtransept“ an, d. h. die Kirche<br />

verfügt über eine eine quer zum Kirchenschiff und Kirchendach verlaufende, zusätzliche Dachkonstruktion,<br />

die als Vorläufer oder Sparversion einer auch an allen vier angrenzenden Seiten<br />

überkuppelten Vierung (Kreuzkuppelkirche) angesehen werden kann. Die Entstehung der Kirche<br />

von Loutsa wird ins 14. oder 15. Jahrhundert datiert; die Fresken im Inneren sind deutlich<br />

jüngeren Datums.<br />

14 Kato Steni<br />

Der weitestgehend zerstörte Turm von Kato Steni liegt etwa 3 km westlich von Kato Steni, also<br />

auf halbem Wege zwischen Katheni und Kato Steni an der Stelle, wo die Straße in nordöstlicher<br />

24


Richtung nach Loutsa abbiegt. Bei den Einheimischen heißt der Turm auch „Paläopirgos“. Von<br />

ihm ist nur die Nordwand bis auf eine Höhe von 4 m erhalten, doch an dieser Wand sind noch die<br />

Reste eines Gewölbes zu erkennen. Ursprünglich hatte der Turm die Grundmaße 6,20 x 5,10 m,<br />

und die Mauern waren etwa einen Meter dick.<br />

15 Vouni (Bounoi)<br />

Der Turm von Vouni steht am östlichen Ortsrand dieses malerischen, kleinen Dorfes, und zwar in<br />

der Nähe einer Kapelle, die der „Panagia“ geweiht ist. Die Reste des Turmes sind nur bis in eine<br />

Höhe von 1-2 m erhalten geblieben, und es fehlt auch sonst an irgendwelchen baulichen<br />

Besonderheiten. Die Grundfläche des Turmes beträgt ungefähr 10 qm Grundfläche, und seine<br />

Mauerstärke entspricht der Stärke vergleichbarer Türme: etwa 1,20 m.<br />

Es gibt aber im Dorf und im umliegenden Gelände Mauerreste, die darauf schließen lassen, dass<br />

Vouni einmal rundum von einer wehrhaften Mauer umgeben war. Dass dem Dorf früher wohl<br />

einmal größere Bedeutung zukam, ist auch an der Tatsache abzulesen, dass es noch heute im sonst<br />

so kleinen Dorf drei Kirchen gibt.<br />

16 Amfithea<br />

(Typische Mauerreste von Türmen, Burgen und Kirchen in den Dörfern am Fuße des Dirphis)<br />

Etwa 2 km östlich von Amfithea kann man noch die Reste einer fränkischen Burg aus dem 13.<br />

Jahrhundert entdecken. Sie ist noch bis zur halben Höhe (7m) ihrer ehemaligen Ausmaße erhalten,<br />

zeigt in ihrer Ruine aber keinerlei Besonderheiten. Zwischen dieser Burg mit ihrer Turmruine<br />

und der nahe gelegenen nachbyzantinischen Kirche „Agios Ioannis“ soll es früher eine Verbindung<br />

gegeben haben; allerdings sind davon heute nur noch geringe Spuren zu erkennen.<br />

17 Pisonas (Pissonas)<br />

25


Um die Lage dieses Turmes, von manchen auch „Mostra Castle“ genannt, in seiner zentralen<br />

Bedeutung für den Ort Pisonas als auch für die fruchtbare Ebene, in deren Mitte der Ort liegt, zu<br />

erkennen, sollte man Landschaft, Turm und Ort von einiger Entfernung aus betrachten, am<br />

besten von dort, wo die Straße von Nea Artaki nach Stení ihren Abzweig nach Pisonas hat.<br />

„Mostra Castle“ ist eine venezianische „Burg“ und steht mitten im Ort neben der nachbyzantinischen<br />

Kirche „Agios Spyridon“. Der Turm bedeckt die übliche Grundfläche von 7 x 7 m und ist<br />

bis zu eine Höhe von ca. 12m erhalten. Seine Wände sind ungewöhnlich dick; sie erreichen eine<br />

Stärke von fast 1,5 m. Um den Turm auch heute noch nutzen zu können, sind landwirtschaftliche<br />

Gebäude angebaut, und es sind Veränderungen an dem Tor und den Fenstern des Erdgeschosses<br />

des Turmes vorgenommen worden.<br />

18 Skounderi<br />

Der Turm von Skounderi (bei Kalemi: Pirgos) steht am nördlichen Abhang eines steilen, sich<br />

deutlich heraushebenden Hügels und wird dort von drei kleineren Kirchen umgeben, die alle<br />

demselben Heiligen geweiht sind. Man muss schon nahe herankommen, um dieses Ensemble zu<br />

entdecken. Es liegt ungefähr 300 m nordwestlich des kleinen Dorfes, das heute weitestgehend<br />

verlassen ist.<br />

Obwohl der Turm am Ende des zweiten Weltkrieges teilweise zerstört wurde und er obendrein<br />

1984 durch ein Erdbeben weitere Schäden erlitt, erreicht er auf einer Ecke seiner Nordwand<br />

immer noch die beachtliche Höhe von 16 m. Die anderen Seiten erreichen eine Höhe von noch<br />

höchstens 5 m. Die Seitenlänge des quadratischen Turmes beträgt 8 m, und seine Mauern sind ca.<br />

1,5 m stark. Eine schöne Gewölbe-Decke ist noch im Erdgeschoss erhalten, und Reste einer<br />

ähnlichen Konstruktion erkennt man noch an den Mauerresten im dritten, dem obersten Geschoss.<br />

Es fallen auch innen und außen am Turm die Lager für Holzkonstruktionen von Böden<br />

und Balkonen auf.<br />

19 Mistros<br />

Der Turm von Mistros steht auf der höchsten Erhebung des Ortes, etwa 200 m von der modernen<br />

Kirche „Agios Athanasios“ entfernt, direkt neben einem Brunnen und einer Kapelle, die dem<br />

Heiligen Agnarios geweiht ist. Der Turm hat die beachtlichen Ausmaße von 9,4 x 9,2 m, erreicht<br />

immer noch eine Höhe von knapp 5 m, und seine Mauern sind durchweg 1,45 m stark. Das<br />

Erdgeschoss ist mit dem Schutt des oberen Teils des Turmes gefüllt und wir von einer mächtigen<br />

Feige ausgefüllt. Der frühere Eingang zum Turm ist nicht mehr erhalten, wohl aber drei Fenster<br />

im ersten Stock mit ganz eigenen architektonischen Elementen. Die nach oben sich weitenden<br />

Fensteröffnungen auf der Süd- und auf der Westseite sollten wohl einen besseren Lichteinfall<br />

garantieren. Am Rande der nahen Straße gibt es die Reste einer Mauer, die wohl den ganzen<br />

Turm ringförmig umgab.<br />

20 Theologos<br />

Auf der Karte S. 78 ist bei Kalemi (vgl. Literaturverzeichnis) das Kloster „Kimiseos Theotkou<br />

Monastery“ eingetragen. Aber weder bei Kalemi selbst noch in anderer Literatur ist etwas über<br />

dieses Kloster, seine Lage, seine Geschichte und seinen jetzigen Zustand zu erfahren gewesen.<br />

Vielleicht findet ja ein besonders Interessierter dieses Kloster „Moni Theologos“.<br />

22 Phylla (auch Filla) und Mitikas (auch: Mytika)<br />

Nördlich von Vasiliko, nördlich der Straße Halkida – Eretria, gibt es zwei Sehenswürdigkeiten<br />

aus fränkisch-venezianischer Zeit: die schönste und die zugleich am besten erhaltene Frankenburg<br />

auf Euböa, nämlich die Burg von Filla (Fila, Phylla), und die beiden Zwillingstürme von<br />

Filla-Mitikas. Ferner gibt in dieser Gegend aus vorgeschichtlicher Zeit die Reste der Burg von<br />

Vrachos. (vgl: Eretria. A Guide to the Ancient City, S. 302 - 305)<br />

26


22a) Die Frankenburg von Phylla (auch: Phylon Castle)<br />

Die exponierte Lage der Burg auf ihrem steilen Burgberg hoch über dem Lelantos-Fluss und ihre<br />

Nähe zu der alten Wasserleitung, die auch noch im Mittelalter Halkida mit Trinkwasser versorgte,<br />

machte sie zu einem strategisch äußerst wichtigen Stützpunkt im Umfeld der Hauptstadt<br />

von Euböa, die die Venezianer zu ihrer Zeit (1204 - 1470) „Negroponte“ nannten, und alle, die<br />

Negroponte und damit ganz Euböa in ihren Besitz bringen wollten, trachteten zunächst danach,<br />

die Burg von Phylla zu erobern.<br />

(Die Burg von Phylla)<br />

Wer die „Historischen <strong>Geschichten</strong> 2005“ aufmerksam gelesen hat, vor allem die Seite 37, dem<br />

wird nicht entgangen sein, dass am Ende des 13. Jahrhunderts ein Ritter Licario es war, der den<br />

Franken und Venezianern Euböa streitig zu machen suchte und dem es dabei auf seinem Eroberungsfeldzug<br />

gelang, nach der im Süden der Insel gelegenen Burg von Karystos auch die Burg<br />

von Phylla in seine Gewalt zu bringen. Bevor er aber auch Negroponte den Franken und den<br />

Venezianern hätte entreißen können, starb Licario im fernen Konstantinopel. Doch sei hier noch<br />

vor der Beschreibung des Weges hinauf zur Burg von Phylla kurz erzählt, wer dieser Licario war<br />

und in wessen Diensten er stand, denn so bedeutsam auch die Licario-Episode für die Geschichte<br />

Euböas im 13. Jahrhundert gewesen sein mag, so sehr grenzt sie doch aus heutiger Sicht auch ans<br />

Anekdotische.<br />

Man erinnere sich: Im Jahre 1204 eroberten und plünderten die fränkischen Ritter Konstantinopel,<br />

und anstatt dann weiter ins Heilige Land zu ziehen, eroberten sie Griechenland und ließen<br />

sich dort fürstlich nieder. Drei Herren aus Verona, alle zur Familie der Carceri gehörend, erhielten<br />

dabei je einen Teil von Euböa als Lehen, und auch die Familie des Ritters Licario, ebenfalls<br />

aus Verona stammend, wurde auf Euböa in herausgehobener, wenn auch in einer von den Dreiherren<br />

abhängigen Stellung auf Euböa ansässig. Als nun einer der mächtigen Dreiherren, nämlich<br />

Merito della Carceri, gestorben und Ritter Licario mit dessen Witwe, Felisa della Carceri, eine<br />

Beziehung eingegangen war und er daraus sogar Erbansprüche ableitete, wurde diese „Liaison“<br />

von den beiden anderen Herren Carceri als „unschicklich“ angesehen, und sie machten dem<br />

neuen Paar Licario-Carceri das angestrebte Erbe streitig. Doch Licario suchte sich zur Durchsetzung<br />

seiner Ansprüche Verbündete, und er fand sie in den von den Franken aus ihrer<br />

27


Hauptstadt Konstantinopel vertriebenen Herrschern des verkleinerten ost-römischen, also des<br />

Byzantinischen Reiches. Dessen Kaiser, Michael Paläologos, suchte seinerseits Verbündete, um<br />

den Franken und Venezianern das wieder zu entreißen, was diese Byzanz abgenommen hatten,<br />

nämlich Konstantinopel, Griechenland und die Inseln der Ägäis. 1271 stellte sich daher der<br />

abtrünnige West-Römer Licario in den Dienst der Ost-Römer und erhielt dafür vom Kaiser eine<br />

Söldnertruppe, mit der er im Süden Euböas zunächst Karystos eroberte. Zum Dank für diesen<br />

ersten Streich gegen die Franken erhielt Licario nominell die ganze Insel Euböa als kaiserliches<br />

Lehen, musste sich jedoch verpflichten, mit seinen Söldnern dem byzantinischen Kaiser weiterhin<br />

zu Diensten zu sein. Licario kam dieser Verpflichtung nur allzu gerne nach, eroberte nacheinander<br />

die Sporaden-Inseln Skyros, Skopelos und Skiathos und brachte auch, von Halkida (Negroponte)<br />

abgesehen, ganz Euböa in seine Gewalt. Negroponte belagerte und bedrohte Licario mit<br />

Hilfe eben der Türme und Burgen, die die Venezianer und Franken selber erst kurz zuvor zum<br />

Schutz ihrer wichtigen Handelsstadt am Egripos errichtet hatten. Der Burg von Phylla, die die<br />

ganze Region weithin beherrschte, fiel bei dieser Belagerung ganz natürlich eine zentrale Rolle zu.<br />

Die Herrscher von Halkida widersetzten sich jedoch der Belagerung Licarios, und so kam es 1279<br />

zur Schlacht von Vatonda, einem kleinen Ort wenige Kilometer nördlich von Halkida. Die<br />

Schlacht vor den Mauern der umstrittenen Stadt endete mit der Niederlage der Franken. Ihre<br />

Anführer, Giberto da Verona, ein Bruder von Felisa della Carceri-Licario, und Jean de la Roche,<br />

der Herzog von Athen-Theben, der seinen fränkischen Landsleuten zu Hilfe geeilt war, konnten<br />

von Licarios Söldnertruppe gefangen genommen werden. Ganz überraschend jedoch verzichtete<br />

Licario darauf, Halkida sofort in Besitz zu nehmen, sondern er entschied sich, mit seinen Soldaten<br />

und mit den adeligen Gefangenen nach Konstantinopel zu ziehen, wohin sein byzantinischer<br />

Kaiser inzwischen seine Residenz wieder hatte verlegen können. Der Kaiser erhob Licario in Anerkennung<br />

seiner Verdienste in den Rang des „Megas Dux“, also des Befehlshabers über alle<br />

lateinischen Söldner des Reiches. Diese Beförderung ist die letzte Information, die über Licario<br />

erhalten ist. Wahrscheinlich ist er, ähnlich wie die beiden von ihm vor Halkida besiegten fränkischen<br />

Herzöge, sehr bald danach in Konstantinopel eines natürlichen Todes gestorben. Wir<br />

wissen nur, dass es nicht mehr dazu gekommen ist, dass Licario die ihm rechtmäßig zustehende<br />

Herrschaft über seine Heimatinsel Euböa und ihre Hauptstadt antreten konnte. Stattdessen<br />

gelang es Venedig wieder, seine Stellung in Negroponte (Halkida) und schließlich auf ganz Euböa<br />

auszubauen und auch die fränkischen Dreiherren ganz in seine Abhängigkeit zu zwingen. Die<br />

neuen Herren, denen Venedig sich schließlich beugen musste, waren nicht Licario und seine<br />

Mannen, sondern die osmanischen Türken, und zwar erst im Jahre 1470.<br />

(Schöne Ausblicke, schlechte Aussichten)<br />

Die steile, enge und kurvenreiche Straße hinauf zur Burg von Phylla, von der aus Licario mit<br />

seinen Söldnern Halkida bedrohte, kann, vorsichtig, mit jedem noch so kleinen Auto bewältigt<br />

werden. Schwierig ist es allein, die Auffahrt zu finden. Im Ort Phylla selber zweigt, wenn man von<br />

Vasiliko kommt, von der Hauptstraße nach rechts (nach Süden) eine enge Nebenstrecke zum<br />

Kloster „Agios Georgios Arma“ ab. Am Abzweig weist ein kleines Schild auf dieses religiöse Ziel<br />

hin. Folgt man dieser Route, so kommt man nach ca. 400 m am Ortsausgang zum Friedhof von<br />

Phylla, und genau dort, und zwar oberhalb der linken Friedhofsmauer beginnt die kleine Bergstraße<br />

hinauf zur Burg. In den wenigen Führern, die es über Euböa gibt, wird die Burg von<br />

28


Phylla als die schönste und als die am besten erhaltene Burgruine Euböas beschrieben. Man sollte<br />

sich aber beeilen, will man ihre Mauern, Zinnen und Türme noch in diesem „Best“-Zustand<br />

antreffen, denn die alten Gemäuer zerfallen zusehends, und das große „OXI“, das man weithin<br />

sichtbar mit weißer Farbe auf eine seiner Mauern gepinselt hat, meint gewiss nicht das Ende der<br />

Beschädigungen, die die Geschichte, die das Wetter und die die Gleichgültigkeit der Griechen<br />

diesem Bauwerk angetan haben, sondern meint wohl das „OXI“, das die Griechen an ihrem<br />

Nationalfeiertag am 28. 10. feiern, weil nämlich 1940 der damalige griechische Ministerpräsident<br />

einem italienischen Ultimatum ein entschiedenes „Non“ entgegengesetzt hatte.<br />

b) Die Zwillingstürme von Phylla –Mitikas<br />

Die beiden Zwillingstürme, die die kleine Ortschaft Mytika (auch: Mytikas) überragen und<br />

beherrschen, werden oft auch nach dem etwas weiter östlich gelegenen Ort Phylla, der unterhalb<br />

der Frankenburg liegt (vgl. 22a), benannt und heißen dann die „Türme von Phylla“.<br />

29


Die Tatsache, dass zwei so herausragende, mächtige Türme so dicht zusammen stehen und nicht<br />

mehr als 200 m von einander entfernt sind, wirft die nicht eindeutig zu beantwortende Frage auf,<br />

welche Funktion ihnen in fränkisch-venezianischer Zeit zugedacht war. Gewiss konnten sie, wie<br />

die vielen anderen Türme der Umgebung Halkidas, mit der von ihnen aus möglichen<br />

weitreichenden Sicht dazu beitragen, eine Art Frühwarnsystem bei anrückenden Feinden oder<br />

Piraten zu sein und entsprechende Nachrichten mit Halkida und den anderen Türmen, zu denen<br />

sie in Sichtkontakt standen, durch Licht- oder Rauchzeichen auszutauschen. Ferner konnten die<br />

Türme durch ihre imposante Größe und Stärke gewiss selber auch wehrhaften Schutz im Vorfeld<br />

der immer wieder so heftig begehrten Stadt am Euripos bieten, und diese Schutzfunktion hatten<br />

sie gewiss vor allem wegen der für die Stadt so wichtigen Wasserversorgung, denn die Wasserleitung,<br />

vom Rande des Dirphis kommend, verläuft ganz in der Nähe der beiden Türme und<br />

verlässt bei Mytikas das Tal des Lilantos-Flusses mit scharfem Knick westwärts in Richtung<br />

Halkida. Für die Erfüllung dieser strategischen Funktionen hätte allerdings auch ein einziger<br />

Turm ausgereicht, und so muss die Frage, warum hier zwei sehr ähnliche Türme in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft stehen, noch mit einem andersartigen Erklärungsmuster beantwortet werden.<br />

Wenn man die auffällig aufwendige Bauweise der beiden Türme als Ausdruck einer Konkurrenz<br />

sieht, in der die Besitzer der Türme zueinander standen, vielleicht auch als Ausdruck einer<br />

ökonomisch begründeten Konkurrenzsituation, die sich hier in der Nähe des Durchganges eines<br />

so wichtigen küstennahen Handelsweges durch mögliche Zolleinnahmen ergab, so kann man sich<br />

vorstellen, dass im alten Mytikas zwei rivalisierende Familien um die Vorherrschaft und um die<br />

Sicherung ihrer ökonomischen Interessen rangen und zum Zeichen ihrer Ansprüche jeweils einen<br />

Turm errichteten, der der anderen Partei besonders imponieren sollte. Türme als Ausdruck<br />

familien-bezogener Herrschaftsansprüche und Konkurrenzsituationen kennt man ja auch aus<br />

anderen Regionen Europas, zum Beispiel bei den Geschlechtertürmen, die so manches Ortsbild in<br />

der Toskana oder im Süden der Halbinsel Mani (Peloponnes) bestimmen. Und vielleicht entstand<br />

hier in Phylla diese Konkurrenz, die Türme entstehen ließ, sogar innerhalb einer einzigen Familie,<br />

vielleicht als Folge der damals in Griechenland üblichen Teilungen, durch die Landbesitz<br />

immer wieder halbiert wurde, und als Folge eines solchen Erb-Konfliktes und als Zeichen demonstrativer<br />

Wahrung von Ansprüchen wurden dann vielleicht diese Türme erbaut. Solche trutzigen<br />

Folgen eines Erbstreites sind ja auch bei uns in Deutschland nicht unbekannt. Man denke zum<br />

Beispiel nur an einige Burgen am schönen Rhein; auch die Burgen Sterrenberg und Liebenstein,<br />

die „feindlichen Brüder“ von Kamp-Bornhofen, verdanken ihr Entstehen einem familiären<br />

Erbzwist. Und auch aus Gialtra kennt man ja auch die Schwierigkeiten und Zwistigkeiten, die<br />

entstehen, wenn ein immer weiter vererbtes und dabei über Generationen immer kleiner geteiltes<br />

Stück Land von Griechen an Deutsche verkauft werden soll. Und bei den neuen Besitzern und<br />

Häusern geht es manchmal auch nicht ohne Zwist ab, fehlt es auch nicht an Zeichen<br />

demonstrativer Besitztumswahrung, fehlt es auch nicht an wehrhaft starken und hohen Häusern,<br />

Zäunen oder gar Türmen.<br />

(Der südlichere und der nördlichere der Zwillingstürme)<br />

Die Türme von Phylla sind beide gut erhalten und erheben sich noch zu ihrer ehemaligen vollen<br />

Höhe (ca. 18 m, jeweils vier Stockwerke). Zu keinem der beiden Türme jedoch findet ein<br />

interessierter Besucher Zugang, so dass über das Innere der Türme, über ihre innere Gestaltung,<br />

die Dicke der Mauern (sicher mehr als ein Meter) und ihren Erhaltungszustand hier keine Aussagen<br />

gemacht werden können. Die Elemente, die man von außen betrachten kann, erlauben<br />

30


lediglich die Feststellung, dass der nördliche der beiden Türme besonders viele Zeichen einer im<br />

Detail exquisiten baulichen Gestaltung aufweist.<br />

Der südliche Turm hat eine Grundfläche von 7,45 x 6,95 m. Der Zugang zum Turm befand sich<br />

auf der ersten Etage, und zwar auf der Südseite. Gekrönt wird dieser Turm noch von einer Reihe<br />

steinerner Zinnen im typisch venezianischen Stil. Der andere Turm hat eine fast quadratische<br />

Grundfläche von 6,15 x 6,10 m; sein Zugang befand sich auf der Nordseite. Im obersten Geschoss<br />

erkennt man durch die offenen Fenster ein Deckengewölbe; ob die anderen Geschosse auch solche<br />

Decken haben, ließ sich nicht ermitteln. Unterhalb seiner fehlenden Zinnen sieht man oben an<br />

jeder Seite kreisrunde Einfassungen, in die in früheren Zeiten wohl Sonnenuhren eingelassen<br />

waren.<br />

(Imposante Reste der venezianischen Wasserleitung östlich von Halkida)<br />

Folgt man der Nebenstraße die östlich um den Hügel mit den Zwillingstürmen herum in Richtung<br />

Halkida führt, so erreicht man hier schon bald die imposanten Reste der ehemaligen Wasserleitung,<br />

die hier kurz vor Halkida als hohe Bögen eines schönen Aquäduktes geführt wurde, während<br />

das Wasser zuvor fast ebenerdig durch eine Rinne parallel zum Lauf des Lelantos-Flusses<br />

geleitet wurde. Unter einigen wenigen weiteren Bögen der ehemaligen Wasserleitung fährt man<br />

hindurch, wenn man der verkehrsreichen Hauptstraße folgt, die in Nord-Süd-Richtung um das<br />

Zentrum von Halkida herumführt (vgl. Halkida, S. 50).<br />

c) Die Burg oder das Kastell von „Vrachos“<br />

Wahrscheinlich aus vorgeschichtlicher oder der frühen klassischen Zeit stammen die spärlichen<br />

Reste von Gebäuden, die wohl einmal als eine Art Kaserne gedient haben für Soldaten, die von<br />

einem strategisch äußerst günstig gelegenen Hügel die fruchtbare Lelantos-Ebene bewachen sollten.<br />

Südlich der Frankenburg und ca. 1,5 km von Vasiliko entfernt erhebt sich dieser Hügel bis zu<br />

einer Höhe von 130 m. Wer sich für dieses Relikt aus der Frühzeit interessiert, der sei auf die Beschreibungen<br />

und Theorien verwiesen, die in dem Buch „Eretria. A Guide to the Ancient City“<br />

ausgebreitet werden (vgl. Literaturverzeichnis). In diesem Buch findet man auch Hinweise auf<br />

andere bedeutende vorgeschichtliche Fundstätten, die man in der weiteren Umgebung von Eretria<br />

finden kann (u.a. Amarynthos, Lefkanti, Xeropolis).<br />

31


23 Vasilikó (Basilikó)<br />

Dieser Turm von Vasilikó steht südlich der Straße Halkida – Eretria, mitten und unübersehbar<br />

im Ort. Aus Berichten über die Belagerung und die spätere Eroberung von Halkida durch die<br />

Türken ist bekannt, dass der Turm zu einer der Angriffsstellungen der Osmanen gehörte und er<br />

damit schon vor 1470 errichtet gewesen sein muss. Der Turm hat drei Stockwerke (ein<br />

Erdgeschoss und darüber zwei weitere Stockwerke) und erreicht eine Höhe, einschließlich der<br />

erhaltenen Zinnen, von ca. 13 m. Seine Mauern ruhen auf einer Grundfläche von 8,40 x 8,20 m<br />

und haben eine Stärke von 1,80 m. Die Zugangstüre befindet sich (wie üblich) im ersten Stock,<br />

und zwar auf der Südseite. Von unten bis zur Schwelle im ersten Stock sind es 6,50 m. Die<br />

Fenster-Einfassungen bestehen jeweils aus vier symmetrisch angeordneten Steinen. So viel Sorgfalt<br />

und Aufwand findet man an den anderen Türmen der Gegend selten.<br />

24 Lefkandi<br />

Der bedeutendste Fund, der an der frühgeschichtlichen Siedlungs- und Begräbnisstätte von<br />

Lefkanti gemacht wurde (am Meeresufer südlich von Vasiliko), ist die kleine Statuette des „Zentaur<br />

von Lefkandi“, die heute im Museum von Eretria zu bewundern ist (vgl. S. 65).<br />

(Der Zentaur von Lefkandi im Archäologischen Museum von Eretria)<br />

32


25 Kloster „Agios Georgios Arma“<br />

Von Phylla aus, zunächst am Fuß der Frankenburg entlang, erreicht man über eine nach Osten<br />

führende, recht ordentliche, aber kurvenreiche Straße nach etwa 9 km das Kloster „Agios Georgios<br />

Arma“. Im Ortszentrum von Phylla ist die Abzweigung nach rechts (von Vasiliko kommend)<br />

zum Kloster zwar ausgeschildert, aber auch leicht zu übersehen.<br />

Die Geschichte des Klosters „Agios Georgios Arma“ ist spärlich belegt, und spärlich sind auch die<br />

Reste der ehemaligen Klosteranlage, die ursprünglich wohl das auch von vielen anderen<br />

griechischen Klöstern bekannte Baumuster zeigte, dass nämlich um einen quadratischen<br />

Innenhof, in dessen Zentrum die Haupt-Klosterkirche, das Katholikon, steht, wehrhafte Umfassungsmauern<br />

errichtet sind, an deren Innenseiten die Klosterzellen und die übrigen Gebäude<br />

direkt angebaut sind. Von den ehemals vier Seiten mit den Klosterzellen findet der Besucher<br />

heute nur noch eine einzige Zeile vor, und die ist ein schlanker moderner Neubau.<br />

(Kloster Arma)<br />

Von den vier wehrhaften Außenmauern sind nur noch die Reste von zwei Seiten erhalten, so dass<br />

sich heute das Klostergelände für den Besucher als ungewöhnlich offen darbietet. Besondere Aufmerksamkeit<br />

verdient bei diesen Resten eines klösterlichen Ensembles die sehr gut erhaltene<br />

zentrale Klosterkirche, eine Kreuzkuppelkirche aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Wie so oft bei<br />

Kirchen des christlichen Griechenlands verweisen auch bei dieser Kirche einige Bauelemente und<br />

Baumaterialien darauf, dass an diesem schönen Ort bereits in der Antike eine vor-christliche<br />

Kultstätte gestanden haben muss.<br />

(Grundriss der Kirche Agios Georgios Arma, Quelle: Koder, S. 149)<br />

33


(Kirche des Klosters Agios Georgios Arma)<br />

Als antike Baumaterialien eines Vorgänger-Baues, sogenannte Spolien, sind hier in der Kirche<br />

„Agios Georgius Arma“ die vier Säulen anzusehen, die die zentrale Kuppel der Kirche tragen und<br />

die mit antiken ionischen Kapitellen verziert sind. Auch die im Innenraum der Kirche noch zu<br />

erkennenden Reste frühchristlicher Bauplastik verweisen auf antike Vorbilder. Weitere Spolien,<br />

meist aus schönem Marmor, werden draußen im Klosterhof aufbewahrt.<br />

(Marmor-Spolien des Klosters Arma)<br />

Der Grundriss der Kirche zeigt deren feine architektonische Strukturierung und lässt zwei<br />

Besonderheiten deutlich erkennen: der drei-gliedrige Altarraum ist vom Hauptraum der Kirche,<br />

also dem Raum der Gemeinde, demonstrativ separiert, und bei der Vorhalle des<br />

Eingangsbereichs, dem Narthex, handelt es sich einen späteren Anbau; er ist der Kirche erst im<br />

17. Jahrhundert hinzugefügt worden. Die Fresken dieser Vorhalle sind darum auch in einem<br />

34


deutlich besseren Erhaltungszustand als die Ausmalungen des Hauptraumes, von denen nur noch<br />

einige Reste auf der Südwand zu erkennen sind.<br />

Der äußere Schmuck der Kirche beschränkt sich im wesentlichen auf gemauerte Gestaltungselemente<br />

auf der Ostseite der Kirche und auf einige eingelassene Spolien. Die östliche Mauer des<br />

Kirchengebäudes ist als sogenanntes Kästelmauerwerk errichtet worden, bei dem sorgfältig<br />

bearbeitete, regelmäßige Steinquader jeweils mit Ziegel umrahmt werden; in dieses Mauerwerk<br />

sind Kreuze eingearbeitet, aber auch Reliefs mit Zypressen, Rosetten und anderen Ziermustern.<br />

Einer der eingefügten weißen Marmorblöcke zeigt den venezianischen Löwen.<br />

(Klosterkirche „Arma“)<br />

Das Kloster wurde 1834 aufgelöst, aber seit 1965 ist es durch einige wenige Mönche wieder zum<br />

geistlichen Leben erweckt worden. Der Beiname des Klosters, „Arma“, geht wohl auf eine<br />

griechische Inschrift zurück („APMA“), die auf einem Stein zu lesen ist, der außen in der<br />

Mittelapsis der Kirche eingemauert ist. „APMA“ ist aber wohl kein eigenständiges Wort, sondern<br />

bezeichnet auf altgriechische Weise eine Jahreszahl in Form von Buchstaben, in einer Form also,<br />

wie wir sie zum Beispiel von den römischen Ziffern kennen. „APMA“ bezeichnet demnach also<br />

das auf alte griechische Weise errechnete Jahr einer Restaurierung der Kirche, nämlich das Jahr<br />

1637 nach unserer Zeitrechnung.<br />

35


Route 2<br />

Halkida (auch: Chalkis, Halkis, Chalkida, Euripos, Egripos, Negroponte)<br />

Drei Probleme hat der Besucher zu bewältigen, der sich ein Bild vom alten und vom modernen<br />

Halkida machen möchte: er muss sich einen Parkplatz suchen, muss sich dann im Gewirr der verkehrs<br />

verkehrsreichen Straßen und Gassen zurechtfinden, und er muss schließlich auch noch die<br />

Orte finden, an denen sich die meist recht spärlichen Überreste der stolzen Vergangenheit der<br />

Stadt und die wenigen Attraktionen der Neuzeit entdecken lassen.<br />

Aus Norden kommend, sollte man sich, wenn man die geschäftige Vorstadt Nea Artaki durchfahren<br />

hat, an der ersten großen Ampel-Anlage, die am Stadtrand von Halkida direkt am Meer<br />

steht, links einordnen und dem Verkehrsschild mit der Richtungsangabe „Athina / Athen“ folgen.<br />

Nach etwa 500 m fährt man dann durch die schönen Bögen der alten Wasserleitung und hält sich<br />

unmittelbar dahinter nach rechts in Richtung „Kentro“. Nicht falsch ist es, sich schon gleich hier<br />

einen Parkplatz zu suchen und den Weg in die Innenstadt zu Fuß zurückzulegen, und zwar in der<br />

allgemeinen Richtung, die die Wasserleitung vorgibt. Mann kann sich natürlich auch weiter mit<br />

dem Auto in Richtung Stadtzentrum vortasten, vereinzelte Schilder mit den Hinweisen „Kentro“<br />

oder „Museio“ oder „Old Bridge“ können dabei hilfreich sein. Bei der Ein-, Aus- und Durchfahrt<br />

von Halkida sollte man aber beachten, dass die Hinweisschilder, die einen in den Norden oder<br />

Süden Euböas leiten sollen, auf englisch zwar eindeutig sind („North-, South-Euböa“), dass aber<br />

die zahlreicheren Schilder mit ausschließlich griechischer Schrift für den, der der griechischen<br />

Sprache unkundig ist, durchaus missverständlich sein können, denn „N-Euböa“ weist auf diesen<br />

griechischen Schildern in den Süden (!) und nur „B-Euböa“ zu den meist ja angestrebten Zielen<br />

im Norden der Insel.<br />

Im Gewirr der Straßen, Gassen und Plätze Halkidas gibst es zwei städtische Achsen, die dem<br />

Besucher Orientierungshilfe sein können: die Straße, die parallel zum Meeresufer in nord-südlicher<br />

Richtung verläuft, aber in der Nähe der „Alten Brücke“ ausschließlich den promenierenden<br />

Fußgängern vorbehalten ist. Senkrecht dazu, also fast in Ost-West-Richtung und nicht weit<br />

nördlich der Brücke beginnend, verläuft die zweite Achse, die breite Straße „El. Benizelos“, die,<br />

was sonst in der Stadt ungewöhnlich ist, an ihrem grünen Mittelstreifen zu erkennen ist. Hat man<br />

also eine lebhafte Straße mit Mittelstreifen gefunden oder befindet sich gar am Schnittpunkt der<br />

genannten Achsen, so kann man sagen, dass man sich in der Nähe des heutigen Zentrums der<br />

Stadt angekommen ist. Das alte Zentrum lag weiter südlich, etwa dort, wo sich die Kirche der<br />

„Agia Paraskevi“ befindet.<br />

Verkehr, Geschäftigkeit und eine gewisse Unübersichtlichkeit sind natürlich vor allem darauf zurückzuführen,<br />

dass Halkida die mit Abstand größte Stadt auf Euböa ist und heute mit den umliegenden,<br />

aber kaum abzugrenzenden Gemeinden mehr als 100.000 Einwohner zählt. Halkida ist<br />

zudem auch heute noch die wirtschaftlich wichtigste Stadt der Insel. Ihre zentrale Lage auf der<br />

Insel, ihre Nähe zum Festland und ihr direkter Zugang zum Meer und zu bedeutenden Handelswegen<br />

hat sie nicht nur geographisch, sondern auch politisch, historisch und verwaltungstechnisch<br />

zum Zentrum Euböas werden lassen. Die Geschichte der Insel Euböa ist eng mit der Geschichte<br />

und mit dem Geschick ihrer Hauptstadt verknüpft, so eng, dass der Name der Stadt<br />

Halkida oder Chalkis oder Negroponte, wie sie von den Venezianern genannt wurde, oftmals zur<br />

Bezeichnung der gesamten Insel verwandt wurde. Wer also die Geschichte der Stadt Halkida<br />

kennt, kennt damit auch die Geschichte Euböas. Im Folgenden werden zunächst einige Grundzüge<br />

der Geschichte Halkidas dargestellt, dann einige der verbliebenen Sehenswürdigkeiten der<br />

Stadt beschrieben.<br />

36


1. Zur Geschichte der Stadt Halkida<br />

(Halkida / Negroponte um 1835)<br />

Die Herkunft des Namens der Stadt ist umstritten. Entweder leitet man den Namen von „Chalkos“<br />

ab und verweist damit darauf, dass die Bewohner der alten Stadt berühmt für die Gewinnung<br />

und Bearbeitung von „Kupfer“ gewesen seien, oder man sagt, die Bezeichnung der Stadt<br />

verweise auf das Wort „Chalki“, was „Purpurschnecke“ bedeute, denn mit dem Farbstoff dieser<br />

Meeres-Schnecke seien früher in Halkida und auf der Insel Euböa Stoffe gefärbt worden. Ein<br />

dritter Versuch, den Ursprung des Namens der Stadt zu erklären, bemüht die alte griechische<br />

Mythologie. Ihr zufolge sei Halkida eine der zwölf Töchter (zwölf Nymphen), die Asopos, der Gott<br />

des gleichnamigen Flusses, der auf dem Festland gegenüber Euböa in die Ägäis münde, zusammen<br />

mit Metope gehabt habe. Die Nymphe Chalkida habe sich auf Euböa großer Verehrung erfreut<br />

und darum der Stadt am Euripos auch ihren Namen gegeben.<br />

Ursprünglich soll Halkida von den Königen des Volkes der Abanten regiert worden sein, und<br />

Homer weiß in seiner „Ilias“, dem berühmten Epos vom Trojanischen Krieg, zu berichten, dass<br />

sich auf der Festlandseite bei Aulis, also nahe Halkida, die Krieger (und Schiffe) der sieben<br />

euböischen Städte und aller griechischen Stämme und Städte versammelt hätten, um unter der<br />

Führung König Agamemnons am Krieg gegen Troja teilzunehmen. Homer nennt als erste und<br />

damit als bedeutendste der euböischen Städte die Stadt Halkida (vgl. „<strong>Geschichten</strong> 2005“, S. 70).<br />

Aus vorgeschichtlicher Zeit gibt es nördlich von Halkida, auf halbem Wege zwischen Nea Artaki<br />

und Halkida, archäologische Funde, die darauf schließen lassen, dass dort auf der schmalen oder,<br />

wie eine entsprechende Sage zu berichten weiß, auf der einem Drachenfuß ähnelnden, kleinen<br />

Halbinsel die Stadt Manika gelegen hat. Diese Stadt gilt als die Vorläuferin der Stadt Halkida.<br />

Halkida selbst liegt an der strategisch wichtigen Stelle, wo Insel und Festland sich ganz nahe<br />

37


kommen, und diese äußerst schmale Stelle des „Euripos“, also des euböischen Binnenmeeres,<br />

musste von allen Kriegs- und Handelsschiffen passiert werden, wenn sie schnell von Norden nach<br />

Süden oder von Süden nach Norden gelangen wollten, ohne die gefahren- und windreiche<br />

Südspitze Euböas umfahren zu müssen. Wegen dieser sowohl für Handel als auch für Kriegsführung<br />

äußerst günstigen Lage ist um den Besitz der Stadt Halkida immer wieder heftig<br />

gestritten und gefochten worden, und jede fremde Macht, die sich Griechenland zu unterwerfen<br />

trachtete, bemühte sich jeweils von Anfang an darum, Halkida in Besitz zu nehmen oder sich die<br />

Stadt wenigstens zum Verbündeten zu machen. Die Bedeutung dieser Stadt lässt sich auch daran<br />

erkennen, dass sie in allen Zeiten stark befestigt war. Der häufige Wechsel der Herren der Stadt,<br />

die schweren Erdbeben (zuletzt 1894), die Belagerungen und Zerstörungen, denen sie sich im<br />

Lauf ihrer Geschichte ausgesetzt sah (zuletzt noch durch die deutschen Bombardierungen im II.<br />

Weltkrieg, im April 1941), und die zahlreichen „Modernisierungen“, die keine Rücksicht auf die<br />

überkommene Bausubstanz nahmen, trugen wesentlich dazu bei, dass Halkida sich eine historische<br />

Altstadt nicht hat erhalten können und dass der Besucher von den Zeugnissen und Monumenten<br />

der Antike und des Mittelalters nur noch sehr wenige entdecken kann.<br />

(Halkida und Kastell im Euripos; Kupferstich von Vincenzo Coronelli, um1690)<br />

Die Geschichte der Stadt und die Geschichte Euböas ist naturgemäß sehr eng mit den historischen<br />

Ereignissen auf dem griechischen Festland verknüpft, und vor allem die Nähe zu Attika und<br />

der Hauptstadt Athen bewirkte, dass Halkida über lange Phasen seiner Geschichte den dortigen<br />

Herrschaftsstrukturen und den dort jeweils herrschenden Mächten unterworfen war. Man kann<br />

also nicht nur sagen, dass der, der die Geschichte Halkidas kenne, damit auch ein Kenner der<br />

Geschichte Euböas sei, sondern auch, dass der, der die Geschichte Athens kenne, damit auch<br />

wisse, wie die Geschichte Halkidas abgelaufen sei.<br />

Die Reste vor-griechischer, ufernaher Siedlungen, die zur kykladischen Kultur gehören (vgl. o.<br />

Manika), und zahlreiche mykenische Gräber, die rings um die Meerenge gefunden worden sind,<br />

belegen, dass die Region um das heutige Halkida schon in geschichtlich sehr früher Zeit besiedelt<br />

und erschlossen war. Wahrscheinlich war diese Region sogar so gut besiedelt, dass sich dort im 7.<br />

und 8. Jahrhundert vor Christus aus demographischen oder ökonomischen Gründen die Notwendigkeit<br />

entwickelte, fern gelegene Kolonien zu gründen, um entweder einer strukturellen Überbevölkerung<br />

entgegenzuwirken oder um den wirtschaftlichen Aufschwung zu verstärken. So kam<br />

38


es zur Gründung chalkidischer Kolonien auf der Halbinsel Chalkidike, am Golf von Neapel in<br />

Cumae und auf Sizilien in der Stadt Naxos. Mehr als eine Fußnote ist dabei der Hinweis wert,<br />

dass über das italienische Cumae das chalkidische Alphabet 5 zunächst zu den Etruskern und dann<br />

zu Römern gelangte und dass damit Halkida einen ganz wichtigen Beitrag zur Entstehung der<br />

römischen Schreibkultur und somit zur abendländischen Kultur überhaupt geleistet hat.<br />

Im 7. Jahrhundert führte Halkida eine erbitterte und schließlich siegreiche Fehde mit der Nachbarstadt<br />

Eretria um die Vorherrschaft in der wirtschaftlich bedeutenden „lelantischen Ebene“,<br />

die sich südlich von Halkida zwischen den Ausläufern des Dirphis-Gebirges und der Küste bis<br />

nach Eretria erstreckt. Seit diesem Sieg spielte Halkida auf Euböa, aber auch über die Inselgrenzen<br />

hinaus eine durchaus bedeutsame Rolle im wechselvollen Verlauf der griechischen Geschichte.<br />

So zum Beispiel am Anfang des 5. Jahrhunderts, als Halkida mit den Böotiern und den Spartanern<br />

einen Pakt gegen das übermächtig werdende Athen schloss, aber da die drei Bündnispartner<br />

es nicht verstanden, ihre Kräfte zu bündeln, gelang es den Athenern leicht, sie nacheinander<br />

einzeln zu besiegen. Halkida wurde 506 v.Chr. von den Athenern besiegt, und das Land,<br />

das dem herrschenden Adel, den Hippoboten 6 , gehört hatte, wurde diesen abgenommen und an<br />

attische Siedler verteilt.<br />

An der Seite Athens und anderer griechischer Städte und Inseln, die sich im attischen Seebunde<br />

verbündet hatten, nahm Halkida am Krieg gegen die herandrängenden Perser teil und trug seinen<br />

Teil am Sieg über die Perser bei, vor allem in den entscheidenden Seeschlachten von Artemisio<br />

(480) und Salamis (480) sowie in der Landschlacht von Platäa (479).<br />

In den Jahren 477 bis 411 und 377 bis 357 war Halkida ein relativ selbständiges Mitglied des attischen<br />

Seebundes, aber als Athen in diesem Bündnis zu dominant wurde und es ausschließlich zu<br />

seinen eigenen machtpolitischen Zwecken ausnutzte, nahm es nach einigem Zögern am Aufstand<br />

der übrigen Städte Euböas gegen Athen teil, verbündete sich schließlich aber wieder mit den<br />

Athenern, um mit denen gegen Sparta zu kämpfen, das seine Macht über ganz Griechenland auszudehnen<br />

trachtete.<br />

Der Streit der Städte Athen, Sparta und Theben machte es den nördlichen Nachbarn der Griechen,<br />

den Mazedoniern unter Philipp II., relativ leicht, weite Teile Griechenlands zu erobern, und<br />

so stand Halkida bereits seit 338 v. Chr. unter makedonischer Herrschaft und war nach Errichtung<br />

einer Zwingburg eine der makedonischen „Fesseln Griechenlands“ (neben Korinth und<br />

Demetrias 7 ). Da die Stadt, die die Makedonier zu einer ihrer wichtigsten Marine-Basen ausgebaut<br />

hatten, sich weiterhin im Besitz des fruchtbaren und ertragsreichen mittleren Landesteils von<br />

Euböa befand, erfreute sie sich auch unter den neuen Herrschern zunächst eines relativen Wohlstandes,<br />

wurde dann aber in späteren Jahren zum Zankapfel zwischen den Königen, die sich um<br />

die Nachfolge Alexander des Großen stritten.<br />

Im 1. und 2. mazedonischen Krieg kämpfte Halkida an der Seite der Mazedonier gegen die Römer<br />

und gegen deren Versuche, ihr Reich auszuweiten. Im Verlauf des 2. Krieges (197 v.Chr.) wurde<br />

die Stadt durch den römischen Feldherrn Claudius Centon erobert und zerstört. Die verbliebenen<br />

Bewohner Halkidas bauten ihre Stadt wieder auf und beteiligten sich dann etwa 50 Jahre später<br />

am Aufstand der Griechen, die sich im Achäischen Bunde gegen die römische Besatzungsmacht<br />

zusammengeschlossen hatten. Aber auch diese Allianz brachte der Stadt keinen Erfolg, und sie<br />

wurde im Verlauf dieser Kämpfe von den Römern erneut völlig zerstört, und zwar diesmal durch<br />

den römischen Feldherrn Mummius (146 v.Chr.). Auch weitere Versuche, sich der Vormacht der<br />

Römer zu entledigen, scheiterten, und so versank Halkida in römischer, spätrömischer und<br />

schließlich auch in byzantinischer Zeit in politische Bedeutungslosigkeit, wenngleich man wohl<br />

annehmen kann, dass auch in Zeiten fremder Besetzung die Insel Euböa sich wegen ihres<br />

natürlichen Reichtums und die Stadt Halkida sich wegen ihrer für den Handel günstigen Lage<br />

5 chalkidisches Alphabet: Das lateinische Alphabet wurde, über Vermittlung der Etrusker aus dem westgriechischen<br />

Alphabet entlehnt. Es bestand ursprünglich aus 20 Buchstaben: A B C D E F H I K L M N O P Q R S T V X. Anfangs<br />

wurde C für den stimmlosen (/k/) und den stimmhaften (/g/) Velar verwendet. Das zeigen noch die Abkürzungen C. für<br />

Gaius und Cn. für Gnaeus und inschriftliche Formen wie CRATIA. Später wurde durch Hinzusetzen eines diakritischen<br />

Striches G = /g/ von C = /k/ unterschieden. In augusteischer Zeit wurden zur Wiedergabe griechischer Fremdwörter und<br />

Eigennamen die Buchstaben Y und Z eingeführt: zona (Gürtel, Zone), cyclus (Kreis, Zyklus). Später dann<br />

erweiterte sich das römische Alphabet auf die uns vertrauten 26 Buchstaben.<br />

6 Hippoboten - Adelige, die es sich leisten konnten, Pferde zu züchten und als Krieger zu Pferde (gr. hippo) zu kämpfen.<br />

7 Demetrias (auch Demetrios): In der Antike wichtige Hafenstadt im Westen der Bucht von Volos. Ruinen dieser Stadt<br />

sind in der Nähe von Halmyros freigelegt worden.<br />

39


eines gewissen Wohlstands erfreuen konnten. Im Jahre 365 v.Chr. jedoch mussten die Bewohner<br />

von Halkida ihre Stadt vorübergehend ganz aufgeben, weil sie durch ein schweres Erdbeben<br />

völlig zerstört worden war.<br />

Schon im Altertum befanden sich wie heute die wesentlichen Teile der Stadt auf der Seite der<br />

Insel Euböa, aber schon früh gab es immer wieder Versuche, die Meerenge vor Halkida zu überbrücken.<br />

Die erste schmale Brücke über den Euripos-Kanal wurde 411 v.Chr. aus Holz erbaut<br />

und wenige Jahre später auf eine Breite von 1,60 m erweitert.<br />

Auf dem „Veli-Baba-Hügel“, unweit des heutigen Stadtzentrum auf der Inselseite, gab es auch<br />

schon in klassischer Zeit (5.- 4. Jhdt. v. Chr.) ein befestigtes Kastell. Ebenfalls auf der Inselseite,<br />

bei Vathrovouni (südöstlich des heutigen Stadtzentrums), befand sich die städtische Akropolis,<br />

von der aus die südlich gelegene Agios-Stephanos-Bucht beherrscht werden konnte. Einige Reste<br />

der zum „Kastron“ gehörenden Stadtmauer mit ihren ehemals 18 Türmen sind aus hellenistischer<br />

Zeit (3. Jahrhundert v. Chr.) erhalten geblieben und erstrecken sich von “Trochos” bis zu<br />

der im Süden der Stadt gelegenen Arethousa-Quelle (vgl. Karte bei Kalemi S. 92), überwiegend<br />

also im Gebiet des Kasernenareals, das sich heute dort befindet.<br />

Erst ab dem späten 12. Jahrhundert gewann Halkida durch die handelspolitischen Interessen, die<br />

Venedig mit seiner Niederlassung in dieser ideal gelegenen Hafenstadt verfolgte, wieder politische<br />

und ökonomische Bedeutung, jetzt unter dem Namen „Negroponte“, was die falsche lateinischitalienische<br />

Adaption eines Wortes ist, das ursprünglich Euripos oder Egripos lautete und eigentlich<br />

nur die euböische Meerenge bezeichnete, später dann aber auch auf die Stadt übertragen<br />

wurde, die dort an seinem Ufer lag. Die Bedeutung, die die Stadt im Mittelalter erlangte, erweist<br />

sich auch daran, dass sie von den Venezianern und später von den Türken zu einer starken<br />

Festung ausgebaut wurde.<br />

Bevor die Türken unter Mohammed II. die Stadt im Jahre 1470 erobern konnten, erwies sie als<br />

Festung noch einmal ihre militärischen Qualitäten, denn unter Führung des letzten venezianischen<br />

Verwalters, dem Balio Paolo Erizzo, vermochte sie es, mit relativ geringen Kräften fast drei<br />

Wochen lang den massiven türkischen Attacken (300 Schiffe, 300.000 Soldaten) zu trotzen. Verrat<br />

trug dazu bei, dass die Stadt schließlich doch erstürmt wurde, aber sie blieb auch unter osmanischer<br />

Herrschaft als “Egriboz“ ein wichtiger Handelsplatz und eine starke Bastion. 1688 versuchten<br />

die Venezianer (Francesco Morosini und der schwedische Herzog Wilhelm Königsmark mit<br />

ihren Truppen) noch einmal, die Stadt für sich zurückzugewinnen, aber sie mussten ohne Erfolg<br />

wieder abziehen. Auch der Versuch der griechischen Revolutionsarmee unter Odysseas Androutsos,<br />

die Stadt 1823 von den Türken zu befreien, scheiterte, und erst 1833, nachdem die europäischen<br />

Großmächte die Gründung eines eigenen griechischen Staates befördert hatten, übergaben<br />

die Türken ganz Euböa und Halkida an Griechenland.<br />

2. Sehenswürdigkeiten in Halkida<br />

Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts muss Halkida als städtebauliches Ensemble eine außergewöhnlich<br />

attraktive Stadt gewesen sein, die mit Mauern, Toren, Zinnen, Kirchen, Moscheen,<br />

Minaretten und vielen anderen stattlichen Gebäuden ihre venezianische und ihre türkische Vergangenheit<br />

lebendig bezeugte und ihren mittelalterlichen Charakter bewahrt hatte. H.N.Ulrichs<br />

(vgl. Literaturverzeichnis) konnte 1837 das malerische Halkida, die ehemalige „Città di Negroponte“,<br />

noch so beschreiben:<br />

„Chalcis gewährt von der Seeseite einen äußerst überraschenden Anblick und zeigt einen durchaus<br />

orientalischen Charakter. Über die lange Reihe der Zinnen ragen die Kuppeln und lange<br />

säulenartige Minarets der Moscheen, die Dächer einiger hohen türkischen Häuser, ein vier-eckiger,<br />

Mittelalterlicher Kirchthurm hervor und zwischen diesen die Gipfel alter Cypressen und Palmen.“<br />

(S. 215)<br />

40


Auf der hier noch einmal abgedruckten Titelseite dieser „<strong>Geschichten</strong>“, einem Stich aus dem<br />

Jahre 1687, sieht man - ähnlich wie auf den Stichen von 1690 und 1835 - die Stadt noch so, wie sie<br />

sich wohl auch noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts dargeboten haben muss. Die malerisch<br />

wehrhafte Stadt sieht aus, als sei sie ein an das Meer versetztes Rothenburg ob der Tauber gewesen,<br />

ein Negroponte ob des Egripos.<br />

Links erkennt man die Bögen der beiden Brücken, über die man die Meerenge queren konnte,<br />

sofern man nicht von dem mächtigen Bollwerk aufgehalten wurde, das auf der kleinen Felseninsel<br />

mitten in der Meerenge stand. Dort, wo der kleinere Teil der Brücke die schmale Fahrrinne<br />

zwischen Insel-Fort und Stadt überspannte, öffnet und schließt sich heute eine moderne Brückenkonstruktion<br />

aus Stahl. Wie auf einer eigenen Insel erheben sich in der Mitte des Stahlstiches die<br />

mächtigen Türme und Mauern der Stadtbefestigung; zur Inselseite hin ist ihr ein breiter, künstlicher<br />

Wassergraben mit Brücken und Stadttoren vorgelagert. Im Innern der dicht bebauten<br />

Festung ragen die hohen Minarette der Moscheen und die zu Minaretten umgebauten Türme der<br />

vormals christlichen Kirchen heraus; deren höchster ist nicht mit einem Hahn, sondern mit einem<br />

osmanischen Halbmond gekrönt und gehört zur eigentlich gotischen Kirche der „Agia Paraskevi“.<br />

Leider aber hat dann ein schweres Erdbeben und leider hat man dann ab 1850 durch das<br />

Trockenlegen der innerstädtischen breiten Wassergräben, durch den Abriss der noch verbliebenen<br />

älteren Bausubstanz und durch das relativ ungeordnete Bauen neuer Straßen und Gebäude<br />

den malerischen Charakter der alten Stadt fast völlig zerstört. Heute stellt sich die Stadt als ein<br />

Agglomerat wild wuchernder Teilbezirke dar und als ein Labyrinth wirrer Verkehrsführungen,<br />

und somit fehlt ihr ein urban zu nennendes Zentrum und ein attraktives, unverwechselbares<br />

Gesicht. Nur im Bereich der alten Brücke über den „Egripos“, der Meeresenge, und entlang des<br />

nördlich sich anschließenden Ufers zeigt Halkida Ansätze städtischen Flairs.<br />

Für den Besucher offeriert das diffuse Bild der modernen Stadt wenig Hilfen, zwischen all den<br />

Neubauten und Provisorien die ehemaligen Strukturen der alten Stadt, die spärlichen Reste ihrer<br />

Stadtmauern, ihrer Tore, Türme, Burgen und Paläste zu entdecken und die streng abgegrenzten<br />

Bezirke zu finden, in denen früher die Herrschenden residierten, die reichen Venezianer und<br />

Franken zum Beispiel, und die anderen Bezirke, wo die Kaufleute oder die Juden, die Fremden,<br />

die Türken und die einfachen Leute leben oder hausen mussten.<br />

41


a Euripos, die Meeresenge von Halkida<br />

Von der Brücke im Zentrum Halkidas, aber auch vom angrenzenden städtischen Ufer aus kann<br />

man die starken und unregelmäßigen Strömungen, die gefährlichen Strudel und den ungewöhnlichen<br />

Gezeitenwechsel beobachten, der die Meeresenge von Halkida berühmt und berüchtigt<br />

gemacht hat. Zahlreiche <strong>Geschichten</strong> und Legenden ranken sich um die Rätsel, die das unruhige,<br />

manchmal sogar reißende und häufig die Richtung wechselnde Wasser hier dem Betrachter<br />

aufgibt, und noch zahlreicher sind die Versuche, diese einzigartigen Phänomene zu erklären. Man<br />

hat dabei die alten Mythen zur Erklärung herangezogen oder Erklärungsmuster bemüht, die in<br />

die Welt der Astronomie oder der Astrologie gehören; man hat natürlich auch die Gesetze der<br />

Physik zu Rate gezogen, und weil dann immer noch etwas Geheimnisvolles blieb, also etwas Meta-<br />

Physisches, waren es nicht zuletzt die Philosophen, die die Kräfte und Methoden ihres Denkens<br />

auf die Geheimnisse des Wassers vor Halkida anzuwenden trachteten. Und einer der berühmtesten<br />

Philosophen aller Zeiten, so will es die Legende, nämlich Aristoteles 8 selber, soll sich hier, weil<br />

er keine schlüssige Erklärung für die Strömungsverhältnisse vor Halkida hat finden können, vor<br />

lauter Verzweiflung in die Fluten gestürzt und dabei den Tod gefunden haben.<br />

(Strömung und Strudel an der alten Brücke von Halkida)<br />

Heutzutage ist ja so mancher geneigt, das Wachsen und Gedeihen in der Natur, aber auch das unerklärliche<br />

Gelingen oder Misslingen menschlicher Handlungen auf das geheimnisvolle Wirken<br />

des Mondes und von Frau Luna zurückzuführen. Ganz unbestritten aber ist, dass die Kräfte<br />

dieses blassen Himmelsgestirns für die Gezeiten, für den Gezeitenwechsel, für die Wirbel, Strudel<br />

und die so geheimnisvollen und unregelmäßigen Strömungen in der Meerenge vor Halkida mitverantwortlich<br />

sind und dass zudem einige der Unregelmäßigkeiten auf die geologische Struktur<br />

des Meeresbodens im Norden und im Süden von Euböa zurückzuführen sind sowie auf die Kräfte,<br />

die das Wasser der Ägäis auf die Fjorde der euböischen Binnenmeere ausübt.<br />

8 Aristoteles, einer der großen griechischen Philosophen, dessen Erkenntnisse und Lehren von fundamentaler Bedeutung<br />

für die Entwicklung des abendländischen Denkens sind, wurde 384 v.Chr. in Stagira (Mazedonien) geboren und<br />

war ein Schüler Platons. In den Jahren 342/41 widmete er sich der Erziehung Alexanders des Großen. 334 ging er<br />

nach Athen und gründete dort eine Philosophenschule, die nach den Wandelgägen des Schulgebäudes (gr. Peripatoi)<br />

die “Peripatetische Schule” genannt wurde. Nach Alexanders Tod (323) musste er Athen verlassen und sich nach<br />

Halkida zurückziehen. Hier in Halkida starb Aristoteles im Jahre 322.<br />

42


Unabhängig aber von allen mehr oder weniger überzeugenden Erklärungsversuchen ist es an<br />

einem sonnigen Tag für Augen und Phantasie anregend, dem Fließen des Wassers und seinen<br />

Strudeln zuzuschauen und dem Strom der Menschen und Fahrzeuge bei einer Tasse Kaffee<br />

nachzusinnen. Dem Schicksal des großen Aristoteles braucht man dabei nicht unbedingt nachzueifern.<br />

b Die Brücke über die Meerenge von Halkida<br />

Die folgende tabellarische Übersicht zeigt das große Interesse, das in geschichtlicher Zeit bestand,<br />

die Meerenge vor Halkida zu überbrücken, sie für eigene Interessen zu nutzen und zugleich zu<br />

sichern.<br />

410 v. Chr. erste Brücke 410 v. Chr., feste Holzbrücke, Turm auf jeder Seite<br />

510 n.Chr. der byzantinische Kaiser Justinian lässt eine Zugbrücke über den Euripos bauen<br />

1204 – 1470 Venezianerzeit: fünfbögige Brücke mit dem Haupttor auf der Insel in der Mitte<br />

der Meerenge<br />

1470 – 1830 Türkenzeit: feste Holzbrücke<br />

1840 Beginn des Baus einer neuen Brücke (bis 1890)<br />

1854 im Zusammenhang mit Vertiefungsarbeiten für die Schiffahrt werden alle bisherigen<br />

Brücken oder deren Reste sowie der größte Teil der kleinen Felseninsel<br />

in der Mitte des Euripos zerstört<br />

1858 bewegliche Brücke aus Holz<br />

(Die „alte“ Brücke über den Euripos in Halkida 2006)<br />

43


is 1894 lag in der Engstelle noch eine Felsenklippe; dadurch wurde der Euripos in einen<br />

flacheren westlichen Arm von etwa 15 m Breite und 1 m Tiefe und den östlichen,<br />

den eigentlichen Hauptarm von rund 18 m Breite und bis zu 5 m Tiefe, geteilt;<br />

über letzteren führte seit der Antike eine Hebebrücke. Der westliche Arm war<br />

seit der Antike zugeschüttet.<br />

Die venezianische Brückenanlage, an der sich in den Grundzügen bis in das 19.<br />

Jahrhundert hinein nichts änderte, bestand aus folgenden Teilen: dem Seetor von<br />

Negroponte (Porta di Marina), das durch den Incoronata-Turm gedeckt war und<br />

Wassermühlen mit dem „Rivellino die Molini“ als Vorwerk vorgelagert waren;<br />

einer Hebebrücke aus Holz, die von Euböa zur Euripos-Insel führte; dem Kastell<br />

auf der Euripos-Insel; einer Steinbrücke, die die Euripos-Insel mit dem<br />

böotischen Festland verband, und schließlich einem kleinen Vorwerk unmittelbar<br />

am Brückenkopf auf dem Festland (Böotien). Die Steinbrücke vom Festland zur<br />

Euripos-Insel bestand aus fünf kleinen Bögen und hatte eine Gesamtlänge von ca.<br />

25 m. Sie reichte nicht unmittelbar an die Euripos-Insel heran, sondern war von<br />

ihr noch durch eine kurze Zugbrücke getrennt, die von der Inselbefestigung aus<br />

hochgezogen werden konnte.<br />

1896 – 1962 eiserne Drehbrücke<br />

1962 bewegliche Brücke, deren Hälften zum Öffnen in die Brückenköpfe gezogen<br />

werden<br />

c Das Kastell „Karababa“ (Das Kastell des Schwarzen Vaters)<br />

(Der Hügel mit der türkischen Festung auf der Festlandseite)<br />

Einige Wissenschaftler vermuten, dass der Burghügel „Furka“, der der Stadt Halkida gegenüber<br />

auf der Festlandseite liegt, in vorgeschichtlicher Zeit, der Ort war, an dem das alte Kanethos lag.<br />

Heute noch heißt dieser Ortsteils Halkidas, der auf der Festlandseite liegt, „Kanithos“. Auch in<br />

der Zeit, als die Römer in Griechenland waren, soll der Hügel befestigt gewesen sein. Man weiß<br />

auch, dass auf dem heutigen Gelände der Burg in der Zeit vom Abzug der Römer bis zur<br />

Besetzung Griechenlands durch die Türken keine Befestigung zur Sicherung der Meeresenge<br />

gestanden hat. Halkida war in diesen mehr als tausend Jahren allein auf seiner Inselseite mit<br />

Mauern und Wällen befestigt. Als dann aber zur Zeit der Türkenherrschaft die Venezianer<br />

immer wieder versuchten, die 1470 an die Türken verlorene Insel und ihre Hauptstadt zurückzugewinnen,<br />

ließen die Türken unter ihrem Sultan Kara Baba (1680 – 1690) auch auf der Festlandseite<br />

der Stadt wieder ein Bollwerk errichten. Mit den Plänen für den Bau beauftragten sie<br />

einen Italiener, den Venezianer Gerolimo Galopo, und durch ihn erhielt das Kastell eher mittel-<br />

44


europäische als türkische Züge. Seine erste militärische Bewährungsprobe bestand das Kastell, als<br />

1688 der venezianische General Francesco Morozini (1618 – 1694) mit seinen Truppen die Stadt<br />

belagerte und zu erstürmen suchte, um sie für Venedig zurückzugewinnen, aber nach mehreren<br />

vergeblichen Attacken musste er mit seinen viel zu schwachen Truppen den Rückzug antreten.<br />

Halkida und seine Burg blieben bis 1833, also bis zur Übergabe der Insel an den neuen<br />

griechischen Staat, in türkischer Hand.<br />

(Kanone und Glockenturm des Karababa-Kastells)<br />

Die Mauern der Burg bilden ein Rechteck, dessen Längsachsen nach Osten ausgerichtet sind und<br />

das gegen Norden durch einen Schutzwall, durch drei Bastionen und einen Turm verstärkt ist.<br />

Heute befinden sich die im Süden des Kastells gelegenen Mauern und Wallanlagen in einem sehr<br />

schlechten Zustand, aber überall ist noch an Mauern und Mauerresten zu erkennen, dass dort<br />

auch ältere Werkstücke (Spolien) verwandt wurden. Besonders aufwendig wurde das sechs-seitige<br />

Bollwerk gestaltet, das nach Osten und damit nach Halkida ausgerichtet ist. Die beiden Kanonen,<br />

die dort noch zu sehen sind, sind russischen Ursprungs und stammen aus dem 19. Jahrhundert.<br />

Das einzige Tor zur Burg befand sich im Südosten und war dort noch durch zusätzliche militärische<br />

Bauwerke gesichert. Zwischen diesem Burgtor und der Ost-Bastion steht ein Glockenturm<br />

genau an dem Platz, an dem einst die Alarmglocke der Burg aufgehängt war. Die Burganlage<br />

diente noch bis 1859 militärischen Zwecken. Das einzige Bauwerk allerdings, das innerhalb der<br />

Burgmauern bis heute vollständig erhalten geblieben ist, ist eine Kirche, die dort im Jahre 1895<br />

errichtet und dem Propheten Elias geweiht worden ist.<br />

(Die Kirche „Prophitis Elias“ im Burghof des Kastells)<br />

45


Es gibt zwei Wege hinauf zur Burg: entweder geht man direkt über eine der Straßen bergan, die<br />

unten an der alten Brücke münden, oder man geht zunächst nordwärts 400 m die Uferstraße entlang<br />

und steigt dann links über die ausgeschilderte Treppenanlage hinauf zum Kastell, vorbei an<br />

einem gepflegten Café, das von der Höhe eine prächtige Aussicht auf Halkida bietet.<br />

d Emir – Zadé – Moschee<br />

Geht man von der Évripos-Brücke stadteinwärts in die Kótsou-Straße, also in die Straße, die am<br />

Verkehrskreisel vor der Brücke nach halbrechts abbiegt, so liegt bald darauf rechts an der Platia<br />

Pesonton Oplitón die türkische „Emir-Zadé-Moschee“. Es handelt sich bei ihr um die ehemalige<br />

venezianische Hauptkirche „San Marco de Negroponte“, die 1470 nach der Eroberung der Insel<br />

durch die Türken in eine osmanische Moschee umgebaut wurde.<br />

(Die Emir-Zadé-Moschee in Halkida)<br />

Von den übrigen zehn Moscheen, die in türkischer Zeit das Stadtbild von „Egribos“ prägten, ist<br />

nichts mehr erhalten geblieben, denn aus verständlichen Gründen haben die Griechen fast alles,<br />

was an die Zeit der türkischen Besetzung erinnern könnte, abgerissen oder verkommen lassen.<br />

Leider ist in diesem Verdrängungsprozess auch so manches verloren gegangen, was<br />

Außenstehende heute als zu schützendes Kulturgut bezeichnen würden. Der weitestgehende<br />

Erhalt der Emir-Zadé-Moschee ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie in ihrem Kern eine<br />

christliche Kirche war. Heute werden in ihrem Inneren, aber auch draußen in ihrem umzäunten<br />

Hof Architekturstücke, Mosaiken und Skulpturen aus venezianischer und türkischer Zeit gesammelt,<br />

die aber nur selten für Besucher zugänglich sind.<br />

46


(Antike Werkstücke im Hof der Emir-Zadé-Moschee)<br />

Vor der Moschee steht ein kleiner Brunnen, der aus türkischer Zeit stammt und seinen Erhalt<br />

wohl einer kontinuierlichen praktischen Nutzung verdankt, bei der die Religionszugehörigkeit<br />

keine Rolle spielte. Heute aber fließt aus dem Brunnen kein Wasser mehr, und so ist er häufig so<br />

von parkenden Autos zugestellt, dass man ihn kaum erblicken und seine schönen Inschriften<br />

kaum lesen kann.<br />

(Türkischer Brunnen am Platz vor der Emir-Zadé-Moschee)<br />

47


e Agia Paraskevi<br />

Nur eine Straßenzeile weiter steht auf einem weiten Platz, der früher das Zentrum von Negroponte<br />

war, die Kirche der “Agia Paraskevi”. Sie ist eines der bedeutendsten Baudenkmäler<br />

Halkidas und zudem eine der wenigen Kirchen in Griechenland, deren Ursprung bis in die<br />

frühchristliche Zeit zurückreicht. Heute erkennt man sie schon von weitem an ihrem wahrlich<br />

italineisch anmutenden Campanile.<br />

(Halkidas bedeutendste Kirche, die Kirche “Agia Paraskevi”)<br />

Die erste christliche Kirche wurde an dieser Stelle errichtet, als Justinian der Große (527-565)<br />

Kaiser des Oströmischen Reiches von Byzanz war, und sie wurde gerade an diesem Ort errichtet,<br />

weil sich hier zuvor die Kultstätte einer beliebten griechischen Göttin befunden hatte, nämlich ein<br />

Tempel der Artemis. Diese erste Kirche war wohl - wie die heutige - eine drei-schiffige Basilika<br />

mit einem Dach aus Holz, und sie war zunächst der „Panagia Perivleptos“ geweiht, der sich „nach<br />

allen Seiten umschauenden Gottesmutter“. Die Venenzianer, die ab dem 11. und 12. Jahrhundert<br />

immer mehr Macht und Einfluss auf Euböa gewannen und im 13. und 14. Jahrhundert Halkida<br />

zu ihrem Hauptstützpunkt in der Ägäis machten, erweiterten die Kirche und bauten sie in ihrem<br />

eher gotisch zu nennenden Stil um. Die Türken, die dann ab 1470 die Macht über Griechenland<br />

und auch über Euböa übernahmen, machten aus der Basilika zunächst eine Moschee und später<br />

dann ein Lagerhaus für ihr Militär. Erst 1833, also erst nach der Befreiung von den Türken,<br />

wurde aus dem zweck-entfremdeten Gebäude wieder eine christlich-orthodoxe Kirche, und man<br />

weihte sie nun der Stadtpatronin Halkidas, nämlich der „Agia Paraskevi“ 9 , deren Namensfest am<br />

9 Zu Namen und Bedeutung der Heiligen Paraskevi vgl. „Orthodoxe <strong>Geschichten</strong>“ 2005, S. 90 ff.<br />

48


am 26.7. gefeiert wird. Anschließend wird dann eine ganze Woche lang ein großer, farbiger<br />

Markt auf dem Platz vor der Kirche abgehalten.<br />

(Klassische Säulen in und vor der Kirche der „Agia Paraskevi“)<br />

Im Inneren der Kirche sind vor allem die Seitenwände des Mittelschiffes sehenswert, das sich<br />

durch hohe Bögen zu den Seitenschiffen hin öffnet. Diese Bögen ruhen auf unterschiedlich hohen<br />

antiken Säulen, die einander paarweise und symmetrisch auf jeder Seite zugeordnet sind. Da nicht<br />

nur die Säulenhöhe jeweils paarweise unterschiedlich ist, sondern sich auch die Paare der Säulenkapitelle<br />

ganz erheblich von den anderen unterscheiden, ist jede der beiden Seitenwände von<br />

einer Reihe höchst individueller Säulen geprägt, die wie in einem Lehrbuch die unterschiedlichen<br />

Säulenformen der klassischen Antike vorführen.<br />

f Das Folklore - Museum<br />

Etwas mehr als hundert Meter hinter der Kirche „Agia Paraskevi“, also weiter stadteinwärts,<br />

steht ein altes, großes und graues Gebäude aus Natursteinen, in dem das Folklore-Museum der<br />

Stadt untergebracht ist.<br />

49


Das Museum ist leider häufiger geschlossen als geöffnet, so dass man auch leider keinen Blick auf<br />

die innere Struktur dieses ungewöhnlichen Bauwerkes werfen kann. Doch auch von außen<br />

erkennt man leicht, dass seine dicken Mauern aus grob behauenen, grauen Steinen, dass seine<br />

kleinen, vergitterten Fenster, die festen Türen unter den zugemauerten Bögen und das ungewöhnliche<br />

Dach nicht die tänzerische Leichtigkeit eines griechischen Folklore-Ensembles haben. Und in<br />

der Tat: das Museum befindet sich in den letzten Mauern und Räumen, die zur ehemaligen Stadtmauer<br />

von Halkida gehörten und immer noch erahnen lassen, dass diese mittelalterliche Stadtbefestigung<br />

mit ihren Türmen, Mauern und Toren einmal besonders wehrhaft gewesen sein muss.<br />

Die weiter oben abgebildeten Stiche (S. 37, S. 38 u. S. 41) bestätigen diesen Eindruck.<br />

g Wasserleitung - Die Wasserversorgung von Halkida<br />

Bis noch weit ins 17. Jahrhundert sorgte eine venezianische Wasserleitung, die aber wohl auch<br />

schon in der Antike zumindestens geplant, wenn nicht gar in Römerzeiten funktionsfähig war, für<br />

den Großteil der Wasserversorgung, die Halkida in Friedenszeiten benötigte. Von dieser Wasserleitung<br />

sind am östlichen Stadtrand von Halkida, im Ortsteil Chilidonia, elf Bogen vollständig und<br />

drei weitere teilweise erhalten.<br />

(Die erhaltenen Bögen der venezianischen Wasserleitung)<br />

Die eleganten Pfeiler und Spitzbögen dieser Leitung sind zum Teil aus antiken Quadern, meist<br />

aber aus rötlich-grauen Steinen, aus Ziegeln und Mörtel gemauert. Oben ist die Rinne, die das<br />

Wasser führte, offen. Das Wasser wurde aus den nordöstlich von Halkida gelegenen Vorbergen<br />

des Dirphis herangeführt. Ihr Ausgangspunkt lag in der Nähe der Dörfer Kambia, Vouni und<br />

Amfithea (vgl. Karte S. 11, Ziffern 13 bis 16), folgt dann nach Südwesten einem Seitental des<br />

Lelanto, das unterhalb des Dorfes Pournos auf das Lelanto-Haupttal stößt. Die Wasserleitung<br />

begleitet den Fluss am rechten Ufer in fast genau südlicher Richtung, verläuft also parallel zu dem<br />

künstlichen Bewässerungsgraben, der dort im Lelanto-Tal angelegt worden war. In diesem ersten<br />

Abschnitt wird die Wasserleitung nicht auf Bögen geführt, sondern auf einer offenen Mauer. Am<br />

50


Ausgang des Lelanto-Tales wendet sich die Leitung oberhalb der beiden Türme von Phylla nach<br />

Westen und damit direkt nach Halkida. In der Nähe der Stadt gewinnt die Wasserleitung dann<br />

immer mehr den Charakter eines auf eleganten hohen Bogen geführten Aquäduktes. (vgl. S. 31).<br />

h Archäologisches Museum<br />

(Öffnungszeiten: Di. – So. 08:30 – 15:00, außer montags)<br />

Das schöne, gelb gestrichene und im klassizistischen Stil um 1900 erbaute Gebäude in der breiten<br />

“Benizelos-Straße” präsentiert in seinen drei nicht allzu großen, ebenerdigen und ineinander<br />

übergehenden Räumen zum Teil prächtige archäologische Fundstücke aus der vorgeschichtlichen<br />

Zeit Euböas, aus der klassischen und römischen Zeit und aus der späteren, der hellenistischen<br />

Epoche. Zwei besonders schöne Objekte werden hier abgebildet: der Kopf einer Antinoos-Statue,<br />

die in Aidipsos gefunden wurde und aus der römischen Zeit im 1. Jahrhundert nach Christus<br />

stammt. Im Anhang zu diesen “<strong>Geschichten</strong>” (S. 96) wird näher auf die Biographie dieses schönen<br />

Jünglings eingegangen, der der Geliebte des römischen Kaisers Hadrian war, und es wird dort<br />

auch auf den Kult verwiesen, der nach Antinoos´ frühem Tod überall im Mittelmeerraum<br />

entstand. Das zweite Objekt ist ein außergewöhnlich kunstvoll gestalteter Kopfschmuck aus dem<br />

1. Jahrhundert vor Christus. Über 100 vergoldete Olivenblätter sind hier zu einem prachtvollen<br />

Kranz zusammengefügt.<br />

(Kopf der Antinoos-Statue aus Aidipsos, 1.Jhdt. n.Chr. und Kranz aus vergoldeten Olivenblättern, 1.Jhtd. v.Chr.)<br />

Leider werden hier in den Ausstellungsräumen des Museum und auch im angrenzenden archäologischen<br />

Museumsgarten die gezeigten Fundstücke nicht hinreichend ausführlich in ihrer historischen<br />

und ästhetischen Bedeutung erläutert. Wünschenswert wäre es zudem, wenn alle vorhandenen<br />

knappen Hinweise wenigstens auch auf Englisch gegeben würden. Besonders schön aber<br />

sind auch die architektonischen Fundstücke, die im kleinen Garten des Archäologischen Museums<br />

geschmackvoll ausgestellt werden.<br />

(Dorische Säuelkapitelle im Museumsgarten)<br />

51


Beachtung verdienen vor allem die drei großen dorischen Säulenkapitelle, die auf dem Burg-<br />

Hügel des Karababa-Kastells gefunden wurden und die wahrscheinlich zu dem in der Antike berühmten<br />

Tempel des olympischen Zeus´ gehörten (1. Hälfte des 5. Jhdts. v. Chr.). Schön anzusehen<br />

sind im Garten aber auch noch andere Säulenkapitelle und Skulpturen, z.B. Die audrucksvollen<br />

Pferdeköpfe aus römischer Zeit.<br />

i Das „Rote Haus“<br />

(Im Garten des Archäologischen Museums von Halkida)<br />

Das Herrenhaus, das sich die einflussreiche Familie Mallios am Ende des 19. Jahrhunderts vom<br />

französischen Architekten Flegis entwerfen und errichten ließ, ist auch heute noch eine städtebauliche<br />

Attraktion am Nordrand der Uferzone Halkidas, und das nicht nur wegen seiner leuchtend<br />

roten Außenfarbe, wegen seiner exponierten Lage und wegen der kulturellen Funktion, die<br />

das Haus heute als „Haus der Wissenschaften“ ausfüllt, sondern vor allem wegen seiner architektonischen<br />

Qualitäten, die einen Eindruck davon vermitteln, was in Halkida, was auf Euböa und<br />

was in ganz Griechenland auch ohne Krieg an Bausubstanz verloren ging, weil selbst so relativ<br />

junge und ansehnliche Häuser wie die, die im 19. Jahrhundert nach der Gründung des neuen<br />

griechischen Staates im neo-klassizistischen Stil erbaut worden waren, einem ungezügelten und<br />

ungeordneten Modernisierungseifer bedenkenlos zum Opfer fielen und auch heute noch zum<br />

Opfer fallen.<br />

52


j Das Haus mit den Statuen<br />

An der Uferpromenade, an dem kleinen Platz direkt neben dem “Roten Haus”, steht dieses klassizistische<br />

Haus, das en seinem Dachabschluss Statuen und Fragmente von Statuen zeigt, die bekann<br />

antiken Vorbildern nachempfunden sind. Wie das “Rote Haus” gehörte auch das “Haus mit<br />

den Statuen” der einflussreichen Familie Mallios, die das Haus 1895 nach Plänen des bekannten<br />

dänischen Architekten Theophil Edvard Hansen errichten ließ, der auch in Athen am Bau vieler<br />

öffentlicher und privater Gebäude des neuen Griechenlands maßgeblich beteiligt war. Wie das<br />

Nachbarhaus gehört das “Haus mit den Statuen” heute der Stadt Halkida, die in seinen Räumen<br />

ein Institut für die Geschichte und Archäologie Euböas unterhält.<br />

k Das Stadthaus von Halkida<br />

(Das „Haus mit den Statuen“ an der Uferpromenade von Halkida)<br />

Als letztes der in Halkida nicht sehr zahlreichen sehenswerten Gebäude sei hier noch auf das<br />

Stadthaus von Halkida hingewiesen, das wie die beiden zuvor beschriebenen Häuser direkt an der<br />

Uferpromenade steht, aber schon von der „alten Brücke“ aus ganz nah zu sehen ist. Beim Vergleich<br />

mit dem „Haus mit den Statuen“ fällt auf, dass beide Gebäude das Verhältnis von Breite zu<br />

Höhe unterschiedlich interpretieren. Während das „Statuen-Haus“ einen in sich geschlossenen,<br />

eher die Höhe betonenden Baukörper präsentiert, tendiert das Stadthaus stärke zur Breite und<br />

hebt daraus zwei Türme empor, die mit ihren Dächern die sonst so deutlich vorherrschende<br />

geometrische Strenge durchbrechen und barocke Stil-Elemente zu zitieren scheinen. Die schlichte<br />

Zurückhaltung, die bei „reinen“ klassizistischen Gebäuden auch die Gestaltung der Fenster und<br />

Türen kennzeichnet, ist beim Stadthaus bei den Fenstern der untersten Reihe durch deren demonstrative<br />

Größe zugunsten eines offensichtlich ausgeprägteren, eines wiederum barocken Repräsentationsbedürfnisses<br />

aufgegeben worden. Das Stadthaus scheint also leicht jüngeren Datums zu<br />

sein, spielt es doch noch stärker als seine etwas älteren Geschwister mit Architektur-Elementen<br />

der Vergangenheit, zum Beispiel mit Pilastern, Fensterbrüstungen und – rahmen, überstehenden<br />

Trägerbalken und weißen Dachbalustraden aus – Stuck.<br />

53


(Das Stadthaus von Halkida)<br />

54


Route 3<br />

Rund um den Dirphis - von Psachná nach Kimi<br />

Die folgende Beschreibung eines Ausflugs in die Bergwelt des Dirphis und seiner Ausläufer und<br />

dann hinüber nach Kimi, dem „Balkon über der Ägäis“, soll natürlich vor allem dazu auffordern,<br />

sich selber zu Fuß oder mit dem Auto den landschaftlichen Schönheiten der Bergwelt Mittel-<br />

Euböas zu nähern und die phantastischen Ausblicke auf die Ägäis mit ihren Sporaden-Inseln zu<br />

genießen. Ganz nebenbei kann man auf dieser Route auch noch einen Blick auf die eine oder andere<br />

Sehenswürdigkeit werfen, die oft ganz versteckt am Rande der Route liegt.<br />

(Auschnitt aus der Karte 04-2, „Southern Evia“ des Anavasi-Verlages)<br />

Die überwältigenden landschaftlichen Schönheiten und Überraschungen, die den Reisenden auf<br />

dieser Strecke erwarten, haben bereits 1876 H.G.Lolling in seinen kenntnisreichen „Reisenotizen“<br />

bewogen, dem Ausdruck seiner Begeisterung die für ihn ungewöhnliche Form eines<br />

Zitates zu geben, eines Zitates, das er von einem Herrn Unger übernahm, der wohl auch einer der<br />

zahlreichen Reisenden war, die, reichlich ausgestattet mit klassischer Bildung, in der Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts Griechenland nach dessen neu gewonnener Freiheit und Staatsgründung intensiv<br />

erkundeten.<br />

„Die Richtung, die der Weg nimmt, auch nur einigermassen zu bezeichnen, ist kaum möglich, da<br />

er sich bald über jehe baumlose Felsenabstürze, bald durch dichtes Waldesdunkel, bald über subalpines<br />

Haideland in den seltsamsten Verschlingungen auf- und abwärts windet. Nimmt man noch<br />

die prachtvollen Fernsichten, die dabei hie und da auftauchen und entweder die ganze Wildnis<br />

einer Gebirgslandschaft oder das ferne mit Inselchen übersäete Meer vorführen, so muss man<br />

diese Wanderung als eine der genussvollsten bezeichnen, die man in diesem classischen Lande<br />

anführen kann.“ (Lolling, Reisenotizen, S. 335)<br />

Der Weg durch die Bergwelt Euböas lässt sich heute wegen der meist gut ausgebauten Straßen<br />

und mit Hilfe des mittlerweile reichlich vorhandenen Kartenmaterials sehr viel leichter beschreiben<br />

als noch vor 150 Jahren. Zunächst gilt es, auf dieser Fahrt die Pass-Straße zu erreichen,<br />

die sich von Stení aus über die Südflanke des Dirphis windet, dort eine Höhe von gut 1000 m<br />

erreicht und dann hinunter auf die Ägäis-Seite der Insel führt. Von wo der Reisende sich auch<br />

immer nähern mag, stets wird ihm die mächtige Bergpyramide des Dirphis eine unübersehbare<br />

und zugleich höchst willkommene Orientierungshilfe sein.<br />

55


(Unübersehbar: der höchste Berg Euböas, der Dirphis (1743 m), von Westen aus gesehen.)<br />

Die schnellste Route zum Dirphis führt von Nea Artaki ziemlich gerade nach Osten direkt nach<br />

Stení, einem bei Athenern sehr beliebten Höhen-Kurort, der in herrlicher und zugleich sehr<br />

gepflegter Umgebung im Sommer angenehme Kühlung und im Winter Möglichkeiten zum<br />

Wintersport bietet. Die Strecke über Nea Artaki (7 km südlich von Psachná, 7 km vor Halkida) mag zwar,<br />

da sie sehr zügig zu befahren ist, von Griechen bevorzugt werden, bietet aber für neugierig<br />

reisende Mitteleuropäer herzlich wenig Attraktionen. Kein Kloster liegt auf dieser Strecke, und<br />

allein schon diese Tatsache sollte den Reisenden nach anderen Wegen Ausschau halten lassen,<br />

liegen doch die griechischen Klöster zumeist in landschaftlich besonders reizvoller Umgebung.<br />

Aber auch all das andere, was sonst das Reisen in dieser Gegend besonders interessant machen<br />

kann – Burgen, Kirchen, Türme - , ist entlang der Straße von Nea Artaki nach Stení nur in recht<br />

dürftigen Exemplaren zu finden. Der wenig attraktive venezianische Turm von Pissonas, auf<br />

halbem Wege nach Stení mitten in einem Dorf, das rechts der Hauptstraße liegt, mag hier als<br />

Beispiel für eine „Attraktion“ dienen, für die es sich nicht lohnt, einen Umweg zu nehmen oder<br />

einen Halt einzulegen.<br />

Für den, der aus dem Norden Euböas kommt, bieten sich, wie man der Karte auf Seite 10 leicht<br />

entnehmen kann, alternative und deutlich attraktivere Routen zum Dirphis und nach Stení an,<br />

entweder die Straße von Psachná über Makrimalli, Attali oder die Strecke von Psachná über<br />

Triada nach Stení. Will man mit dem Auto über die inneren Bergketten Euböas hinweg<br />

schließlich Kimi erreichen, führt, wie schon gesagt, keine andere Straße dorthin als die über Stení.<br />

Dort in Stení aber sollte man eine Pause einlegen, frische Bergluft schnuppern und sich in einer<br />

der zahlreichen Tavernen, Restaurants oder Straßengrills bedienen lassen. Einen Fehler macht<br />

man gewiss auch nicht, wenn man sich hier in Stení den Tank nachfüllen lässt, denn so zahlreich<br />

wie sonst an griechischen Straßen werden auf der folgenden Berg- und Talfahrt die Tankstellen<br />

nicht auf Kunden warten.<br />

Da es sich ohnehin empfiehlt, wegen der Länge und des kurvenreichen Verlaufs der Strecke, aber<br />

auch wegen der wünschenswerten Zwischen-Stopps und Ausflüge „per pedes“ („ta podia“), vielleicht<br />

gar zum Gipfel des Dirphis, wenigstens eine Übernachtung auf dieser Tour nach Kimi<br />

vorzusehen, könnte Stení Dirphis genau der willkommene Ort sein, den man für eine Zwischen-<br />

Übernachtung wählt. Andere Orte, die für eine Übernachtung in Frage kommen, sind, ein Stück<br />

56


weiter nach Osten, Stropones, Metochi (in der Nähe der schönen Badestrände des „Paralia<br />

Chiliadou“) oder schließlich Kimi. Nicht zu jeder Jahreszeit aber ist es in diesen Orten leicht,<br />

eine preiswerte und ordentliche Unterkunft zu finden.<br />

Wenn man dann, ob ausgeschlafen oder leicht ermüdet, Stení wieder verlassen und den Dirphis-<br />

Pass nach einer kurvenreichen Fahrt, die für eine Berg-Etappe bei der „Tour de France“ geeignet<br />

wäre, erklommen hat, kommt man in jene prachtvolle Landschaft, die oben die Herren Unger<br />

und Lolling beschrieben haben und die herrliche Fernsichten auf die blaue Ägäis und auf ein<br />

formenreiches Gebirge bietet, das manchmal wie ein schroffes Hochgebirge anmutet.<br />

Das nächste Bergdorf, das man über die weiterhin sehr gute Straße, aber dann eben auf der<br />

Ägais-Seite der Insel erreicht, heißt „Stropones“ und liegt etwa 700 m über dem Meer. In<br />

Reiseführern und Prospekten wird Stropones als ein schönes „authentisches“ Bergdorf geführt, in<br />

dem man noch, idyllisch eingebettet in das üppige Grün eines Berghanges, das ursprüngliche<br />

Griechenland entdecken könne - wenn man es nicht schon in Gialtra gefunden hat. Das von einem<br />

plätschernden Bach durchzogene Stropones gilt als das Kirschen-(nicht Kirchen-)Zentrum von<br />

Euböa. An seiner Platia stehen vier oder fünf der üblichen Tavernen, doch die einzige Übernachtungsmöglichkeit<br />

befindet sich gleich am oberen Ende des Dorfes an der Straße, die von Stení<br />

zur Ägäis-Seite hinüberführt. Das relativ neue Haus bietet acht schöne, recht günstige und sehr<br />

saubere Studios an und gilt als „empfehlenswert“.<br />

Will man auf dem kürzesten Wege Kimi erreichen, so muss man wenige Kilometer vor Stropones<br />

nach rechts, also nach Süden, abbiegen. Hier an dieser Kreuzung endet dann leider auch die bis<br />

hierhin so gut asphaltierte und manchmal sogar breite Straße. Bis „Metochi“, dem nächsten Ort<br />

auf der Route nach Kimi, sind auf 20 bis 40 km Länge, je nachdem welche Strecke man wählt,<br />

nicht immer sehr ordentliche Schotterpisten zu bewältigen. Die Weiterfahrt von Stropones in<br />

Richtung Kimi ist also nur den Reisenden zu empfehlen, die über ein robustes, strapazierfähiges<br />

Auto verfügen, am besten einen Geländewagen.<br />

57


Von Stropones aus aber kann man über zum Teil abenteuerliche, immer serpentinenreiche und<br />

prächtige Aussichten bietende Pisten zu zwei der besonders schönen Strände gelangen, über die<br />

Euböa auf der Ägäis-Seite verfügt, zum Strand „Paralia Chiliadou“ und zum Strand „Paralia<br />

Metochiou“. Der Abstecher zum zuerst genannten Strand bedeutet, hat man als Fahrtziel Kimi im<br />

Auge, einen etwas längeren Umweg (hin und zurück 25 km) als die Fahrt zum Strand von<br />

Metochi (hin und zurück 10 km). Der Reisende wird aber dort am Chiliadou-Strand nicht nur mit<br />

der Möglichkeit belohnt, in landschaftlich spektakulärer Umgebung ein erfrischendes Bad im<br />

türkis-farbenen Wasser der Ägäis zu nehmen, sondern auch die zum Teil gut erhaltenen Reste<br />

eines sehr alten Klosters zu besichtigen, das dem Strand seinen Namen gab. Das Kloster „Kimissis<br />

tis Theotokou“ (das Kloster der „Entschlafung der Gottesmutter“) war nämlich das tausendste<br />

(gr. chilioi = tausend), so erzählt es eine fromme Sage, das die Kaiserin Theodora 10 vor gut 1100<br />

Jahren dort in der Nähe des Ägäis-Strandes auf einem kleinen Hoch-Plateau erbauen ließ. Und<br />

wer Lust hat, kann zu dem gut erhaltenen Rest byzantinischer Kultur hochkraxeln und nebenbei<br />

einen wunderbaren Panoramablick über die Ostküste Evias genießen. Chiliadou-Strand und<br />

Panagia-Kloster erreicht man, wenn man durch Stropones hindurchfährt und der schmalen<br />

Straße folgt, die über den kleinen Ort Lamari hinunter zur Küste führt und sich meist in einem<br />

sehr ordentlich asphaltierten Zustand befindet.<br />

Nach Bad und Besichtigung sollte man wieder zurück nach Stropones fahren, denn der auf Karten<br />

verzeichnete direkte Weg nach Metochi über Koutourla ist von so mäßige Qualität, dass man<br />

ihn besser meiden sollte. Von der Abzweigung oberhalb von Stropones folgt man dann der Piste,<br />

die man auch gleich und ohne Umweg hätte nehmen können, wenn man, von Stení kommend, vor<br />

Stropones rechts nach Metochi und Kimi abgebogen wäre. Wenn man dann dann größten Teil<br />

der Schotterpiste bewältigt hat, zweigt unmittelbar vor Metochi eine weitere Piste zu dem schon<br />

erwähnten Strand „Paralia Metochiou“ ab. Entlang eines rauschenden, mit Platanen und viel<br />

Grün gesäumten Baches führt diese Piste hinunter zu einem besonders schönen, meist sehr einsamen<br />

Kies-Strand.<br />

(Gebirgsbach neben der Piste zum Strand „Paralia Metochiou“)<br />

Der Strand von Metochi gleicht dem von Chiliadou, ist nicht weniger malerisch, wenn auch ein<br />

wenig kleiner, und wer sich von hier zu Fuß aufmacht und der Küste zwei Kilometer nach Norden<br />

folgt, erreicht auch auf diesem Wege das Kloster „Kimissis tis Theotokou“ oberhalb des<br />

„Paralia Chiliadou“- Strandes.<br />

10 Theodora, einflussreiche byzantinische Kaiserin (500 – 548 n.Chr.), Gemahlin Kaiser Justinians I.<br />

58


(„Paralia Metochiou“)<br />

Zurück in Metochi beginnt dann, nun wieder auf einer meist sehr ordentlich asphaltierten Straße,<br />

des letzte Viertel des Ausflugs nach Kimi, und die Ausblicke, die sich auf dieser erneuten Bergund<br />

Talfahrt bieten, sind nicht weniger spektakulär als die Ausblicke, die man bis dorthin hat genießen<br />

dürfen.<br />

59


Besonders eindrucksvoll ist der Blick zurück auf die gerade erst besuchten Strände von „Metochi“<br />

(vorne) und „Chiladiou“ (hinten), und man versteht, warum dieser Teil Euböas in der Nähe<br />

von Kimi auch als „Balkon über der Ägäis“ bezeichnet wird. Je näher man schließlich an Kimi<br />

herankommt, desto mehr wenden sich Straße und Blick wieder dem Insel-Inneren zu, das jetzt<br />

aber viel sanfter und lieblicher durch eine weite Bergmulde geprägt ist, in der viele, viele kleine,<br />

kaum unterscheidbare Ortschaften den Bereich der Groß-Gemeinde Kimi bilden. Kimi selbst ist<br />

ein kleines adrettes Städtchen, das sich dem Reisenden in zwei Teilen darbietet, mit dem alten<br />

Ortskern, der oben auf dem Bergplateau liegt, aber für den Touristen nur wenige attraktive<br />

Angebote bereithält, kein besonders sehenswertes Ortsbild und auch keine Schätze aus älteren<br />

Zeiten. Kimis zweiter Ortsbereich liegt unten an der geschützten Meeresbucht, die als Hafen<br />

ausgebaut ist und vor allem dem Be- und Entladen der Fähren dient, die hinüber nach Skyros<br />

pendeln, der am weitesten südlich gelegenen und zugleich größten Sporaden-Insel, deren markante<br />

Kontouren man bei klarer Sicht in 25 km Entfernung am Horizont deutlich erkennen kann.<br />

Dieser Hafenbereich Kimis gibt sich moderner und lebhafter als sein stilles Pendant oben auf dem<br />

Berg. Hier unten am Hafen gibt es eine kleine Promenade mit zahlreichen Tavernen, Fisch-<br />

Restaurants und auch einigen Hotels.<br />

(Küstenstraße bei Kimi)<br />

Auf zwei Sehenswürdigkeiten, die eine in, die andere bei Kimi, sei hier noch hingewiesen. Oben im<br />

Städtchen Kimi steht das schöne Gebäude des sehenswerten Volkskunde-Museums, und da dieses<br />

nicht nur Handarbeiten und Trachten ausstellt, sondern auch künstlerische Werke aus der<br />

Region, hat es sich zu einem Kulturzentrum gemausert, das immer einen Besuch wert ist.<br />

Fünf Kilometer weiter nach Norden, dicht an der Küste und ganz außerhalb von Kimi steht zu<br />

Füßen der Reste eines alten venezianischen Kastells das „Kloster Soter“, griechisch „Moni<br />

Sotiros“ oder „Moni Metamorphosis tou Sotiros“, also das Kloster der Verklärung Christi; in<br />

manchen Führern wird es einfach auch nur als „Heilands-Kloster“ bezeichnet. Das Kloster ist in<br />

den letzten 150 Jahren so oft und so gründlich renoviert worden, dass lediglich in der Bausubstanz<br />

des Katholikons, also der zentralen Kirche des Klosters, der ältere Originalzustand aus<br />

der Türkenzeit erhalten ist. Diese Kirche ist wohl ursprünglich eine dreischiffige Basilika<br />

gewesen, die erst nachträglich durch eine Veränderung der Dachkonstruktion in eine Kreuzkuppelkirche<br />

umgebaut wurde.<br />

60


Es gibt eigentlich nur zwei diskutable Möglichkeiten, von Kimi aus wieder in den Norden Euböas<br />

zurückzukehren: entweder wählt man dieselbe Strecke, die man auch gekommen ist, also die<br />

Strecke entlang der Ostküste der Insel und wieder am Dirphis vorbei nach Nea Artaki oder<br />

Psachná, oder man entscheidet sich, auf einer zwar weiteren, aber dafür schnelleren und weniger<br />

kurvenreichen Straße, die dabei auch weniger spektakuläre Aussichten bietet, direkt zur Westküste<br />

der Insel zurückzukehren, also Aliveri anzusteuern, um von dort über Amarynthos, Eretria<br />

und Halkida in Richtung „Heimat“ zu fahren. Der erste Vorschlag ist gar nicht so langweilig, wie<br />

es zunächst scheinen mag, ist es doch häufiger auch sonst im Leben so, dass sich nach einer<br />

Wendung um 180 Grad oft ganz neue Perspektiven auftun.<br />

Route 4<br />

Erétria<br />

Seit Alters her war Eretria nach Halkida die zweitwichtigste Stadt Euböas. Schon Homer hat sie<br />

in seinem Katalog der sieben Städte Euböas aufgeführt, die am Kampf der Griechen gegen Troja<br />

teilnahmen (vgl. <strong>Geschichten</strong> 2005, S.70). Nach Süden dehnte die Stadt Eritrea ihren Machtbereich<br />

zeitweise bis nach Karystos aus, der südlichsten Stadt Euböas, und südlich darüber<br />

hinaus beherrschte sie in manchen Phasen ihrer Geschichte sogar einige Inseln der Kykladen.<br />

Nach Norden hin geriet Eretria immer wieder in Konflikt mit dem nahen Halkida, vor allem im<br />

Streit um die fruchtbare lelantische Ebene, die sich zwischen den beiden Städten erstreckt und<br />

vom Fluss Lelantos (auch: Lilos) durchzogen wird, der bei Vasilikó ins Meer mündet. Am Ende<br />

des 8. Jahrhunderts v. Chr. kam es zu regelrechten Kriegen zwischen Eretria und Halkida.<br />

Halkidas blieb schließlich siegreich und spielte von da an in den folgenden Jahrhunderten meist<br />

die dominierende Rolle auf Euböa, auch wenn es selbst häufig in Abhängigkeit fremder (kontinentaler)<br />

Mächte geriet. Im 5. Jahrhundert hatte die Stadt Eretria sich aber so weit wieder erholt,<br />

dass sie am Krieg der Griechen gegen die Perser teilnehmen konnte, dann aber auch ertragen<br />

musste, dass sie 490 v. Chr. von den zunächst in Griechenland erfolgreichen Persern erobert,<br />

zerstört und weitestgehend entvölkert wurde. Ähnlich wie Halkida geriet auch Eretria mit Athen,<br />

mit den Mazedoniern und schließlich mit den Römern in Konflikt, wurde mehrfach belagert,<br />

eingenommen und völlig zerstört, so auch 198 v. Chr. und schließlich zum letzten und entscheidenden<br />

Male vom römischen Imperator Sulla, der wohl in zeitlicher Nähe zur Eroberung<br />

und Zerstörung von Athen im Jahre 86 v. Chr. auch Eretria zerstörte. Danach spielte Eretria<br />

politisch keine wichtige Rolle mehr, und die entsprechenden archäologischen Funde weisen aus,<br />

dass die Stadt im Verlaufe des dritten und vierten nachchristlichen Jahrhunderts von seinen<br />

Bewohnern weitestgehend aufgegeben und verlassen wurde. Daher ist auch von der Geschichte<br />

Eretrias in nach-römischer, in byzantinischer und osmanischer Zeit wenig bekannt. Erst im<br />

Zusammenhang mit dem griechischen Freiheitskampf am Beginn des 19. Jahrhunderts spielten<br />

die Einwohner der Stadt wieder eine herausgehobene Rolle, also im Kampf der Griechen gegen<br />

die türkischen Besatzer.<br />

In Halkida machen es die baulichen Veränderungen aus neuerer Zeit dem historisch Interessierten<br />

äußerst schwer, Relikte aus der Zeit des Mittelalters aufzuspüren, denn von den Spuren aus<br />

der Zeit der klassischen Antike findet er höchstens noch einige wenige Monumente im Museum<br />

der Stadt. Ganz anders – und damit historisch viel interessanter – liegt die Sache (liegen die<br />

Sachen) in Eritrea. Nach Spuren aus dem Mittelalter braucht man hier gar nicht erst zu suchen,<br />

denn die gibt es gar nicht. Für die Franken und Venezianer (1200 – 1500) existierte Eritrea<br />

praktisch überhaupt nicht, weder als Stadt noch als Stützpunkt oder Hafen. Nach der letzten<br />

radikalen Zerstörung der Stadt durch die Römer und nach der brutalen Auslöschung oder<br />

Vertreibung seiner Bevölkerung fanden die wenigen Überlebenden nicht noch einmal die Kraft,<br />

die Stadt wieder aufzubauen, zumal der Hafen verlandete und sich das Gebiet um die Stadt<br />

herum zum Teil so sehr in Sumpfgelände verwandelte, dass Malaria-Epedemien neue Siedler abschreckten<br />

oder die Zahl der Bewohner noch weiter dezimierten.<br />

61


Für den archäologischen Profi oder Laien jedoch bedeutet das Fehlen sich ständig erneuernder<br />

Überbauungen die einzigartige Chance, durch das Ausgraben und Besichtigen der vormals eingeebneten<br />

oder zugedeckten Fundamente und Reste des alten Eritreas sich ein fast vollständiges<br />

Bild vom Aussehen und von der Struktur einer größeren Stadt der Antike machen zu können. Die<br />

neueren Bauten und die rasterförmig angelegten Straßen Eretrias stammen erst aus der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts. Aber auch heute noch sind die Ausdehnungen des alten Eritreas größer als die<br />

Ausdehnung der modernen Gebäude und Einrichtungen, so dass es zwischen den Archäologen<br />

und den modernen Stadtplanern nur manchmal zu Auseinandersetzungen kommt.<br />

(Blick auf die Akropolis von Eretria; unten links ein Teil des Theater-Halbrunds)<br />

Das Bild, das man durch die bisherigen Ausgrabungen von der antiken Stadt Eretria gewinnen<br />

kann, so wie sie zwischen dem fünften und dem zweiten Jahrhundert vor Christus bestanden<br />

haben muss, wird bestimmt von einer charakteristischen Mischung urbaner privater und öffentlicher<br />

Gebäude. Von den privaten Häusern sind nur die Fundamente solcher Häuser erhalten, die<br />

von wohlhabenden Bürgern bewohnt wurden, denn die Häuser der einfacheren Leute waren wie<br />

die Mauern und Tore meist aus vergänglichem Lehm und Holz errichtet und haben keine Spuren<br />

hinterlassen. Die Grundmauern und Fundamente der aus Stein gebauten Häuser lassen aber noch<br />

einige Charakteristka des Wohnens in der Antike erkennen. Wie die Stadt selber waren auch<br />

diese großen Häuser jeweils in zwei Bereiche unterteilt, in einen privaten und in einen quasi<br />

öffentlichen Bereich, deren zahlreiche Räume sich jeweils um einen Innenhof gruppierten. Der<br />

private, familiäre Bereich war der Frau des Hauses, den Kindern, Sklaven und Dienern<br />

vorbehalten, während in dem anderen Gebäudeteil, der meist an der Straße lag, der Herr des<br />

Hauses Räume hatte, in denen er mit Freunden oder Geschäftspartnern plauderte, diskutierte,<br />

verhandelte oder sich zu einem geselligen Festmahl niederließ. Die Räume, deren wertvolle<br />

Fußböden im „Haus mit den Mosaiken“ erhalten geblieben sind, sind solche dem Herrn des<br />

Hauses vorbehaltenen Festräume (andros, andrones), und Frauen hatten zu diesen Räumen<br />

männlicher Geschäftig- und Geselligkeit in aller Regel keinen Zutritt, so wie sie auch vom öffentlichen<br />

Leben der Stadt weitestgehend ausgeschlossen waren.<br />

Die Zahl und Größe öffentlicher Gebäude war erstaunlich groß. Außer der Stadtmauer mit ihren<br />

Türmen und Toren und der besonders stark befestigten Akropolis gab es in der antiken Stadt<br />

Eretria zahlreiche Tempel und tempelähnliche Anlagen, gab es das Theater, die Gymnasien mit<br />

ihren zahlreichen Möglichkeiten zur Leibeserziehung und Körperpflege, gab es die öffentlichen<br />

Bäder und Stadien, den Marktplatz (agora) und andere Versammlungsstätten, Festplätze,<br />

Kolonaden (stoa), insgesamt also so viele Gebäude und Plätze für die städtische Öffentlichkeit,<br />

62


dass man annehmen muss, dass viele Bürger sich ihren privaten Wohnsitz außerhalb der<br />

Stadtmauern einrichten mussten, wo sie zumeist mit Ackerbau und Viehzucht ihren Lebensunterhalt<br />

verdienten und die Voraussetzungen für einen blühenden Handel schaffen konnten.<br />

(So mag vor 2500 Jahren die Stadt ausgesehen haben. Quelle. Eretria. A Guide..., S.281)<br />

Das kleine Aquarell, das die Lage und Struktur der alten Stadt Eretria nachzuzeichnen sucht,<br />

kann helfen, sich vorzustellen, wie sich ihre auch heute noch zu erkennenden Reste und Ruinen<br />

damals in der Antike zu einem imposanten Stadtbild zusammenfügten: vorne die stark befestigte<br />

Akropolis, rechts hinter der Stadtmauer das Halbrund des Theaters, im Stadtzentrum der Tempel<br />

des Apolls und am oberen Bildrand der Hafen.<br />

Diese selbst für griechische Verhältnisse einzigartige Chance, ein antikes städtisches Areal mit all<br />

seinen überraschend komplexen Strukturen freizulegen, ist hier in Eretria seit dem Beginn des 19.<br />

Jahrhunderts von Archäologen aus Griechenland, den USA und der Schweiz genutzt und dokumentiert<br />

worden. Sie kamen und kommen dabei allerdings manchmal in Konflikt mit Bestrebungen,<br />

ein neues Eritrea entstehen zu lassen und dieses zu einem touristischen Anziehungspunkt<br />

zu machen. Heute ist Eretria zwar ein recht beliebter Ferienort, aber bedeutender als seine<br />

Strände, seine neuen Hotels und Ferienanlagen sind eigentlich die ausgegrabenen Relikte und<br />

Funde aus seiner klassischen, seiner griechischen und römischen Zeit.<br />

Der folgende Kartenausschnitt zeigt die Lage der ausgegrabenen Relikte und Sehenswürdigkeiten<br />

des alten Eretria sowie die geometrische Struktur der modernen Straßenplanung, wie sie in der<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Architekten Eduard Schaubert im Auftrag der<br />

griechischen Regierung entworfen wurde. Die Karte enthält auch noch drei Vorschläge für<br />

Routen, auf denen sich der historisch interessierte Fußgänger einige der Sehenswürdigkeiten<br />

Eretrias erschließen kann. Die kleinen Ziffern auf der Karte bezeichnen die verschiedenen<br />

archäologischen Stätten, und in der Legende dazu wird jeweils mit Seitenangaben auf Details<br />

verwiesen, die auch für einen Laien als so wichtig und interessant erachtet werden, dass sie hier in<br />

diese „<strong>Geschichten</strong> 2006“ aufgenommen wurden.<br />

63


( Wege zu den Sehenswürdigkeiten in Eretria. Quelle: Eretria. A Guide to the Ancient City, S. 154)<br />

1-5 Fundamente ausgegrabener Häuser 18-22 Die Tempel-Anlage des<br />

im westlichen Stadtviertel Apollo Daphnephoros (S. 78)<br />

6-8 Reste der Stadtmauer und des 23-27 Öffentliche Gebäude im Umkreis<br />

westlichen Stadttores des antiken Marktplatzes, der ‚Agora’<br />

9 Dionysos – Tempel (S. 71) 28 Der Isis-Tempel (Iseion) (S. 79)<br />

10 Das antike Theater (S. 72) 29 Das südliche Gymnasion (Palaestra)<br />

11 Das nördliche Gymnasion 30 Das Heiligtum der Eileithyia<br />

12–17 Das Haus mit den Mosaiken (S. 73) 31-32 Thesmophoreion I und II<br />

und die Reste benachbarter Gebäude 33-36 Die Akropolis von Eretria (S. 81)<br />

64


Die ersten Versuche, auf dem Boden der alten und über viele Jahrhunderte verlassenen Stadt<br />

neue Ansiedlungen zu errichten, gehen auf die Zeit des griechischen Widerstands gegen die türkische<br />

Besetzung zurück (1821 – 1827). Im Jahre 1822 hatten nämlich Fischer der Insel Psará, die<br />

auf der Höhe von Euböa, aber weiter im Osten in der Ägäis nahe Chios liegt, ein Schiff des<br />

ottomanischen Admirals Kara Ali in Brand gesteckt. Die Rache der Türken war furchtbar, und<br />

die wenigen Flüchtlinge, die dem Morden, der Zerstörung und Verwüstung ihrer Insel entkommen<br />

waren, landeten nach einer dramatischen Flucht als „boats-people“ auf Euböa, wo man<br />

ihnen als neues Siedlungsgebiet die Region des alten Eritreas anbot. Bis 1960 nannte sich die Stadt<br />

daher „Nea Psará“. Aber im 19. Jahrhundert entwickelte sich die neue Stadt nur sehr langsam.<br />

Das lag zum einen an den immer wieder aufbrechenden Malaria-Erkrankungen, zum anderen an<br />

der attraktiven Nähe von Halkida, das den Neubürgern bessere Chancen für ihre Zukunft zu versprechen<br />

schien. Die Entwicklung von Nea Psará beschleunigte sich dann aber mit dem Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts, als mit dem Austrocknen der Sümpfe und mit der medizinischen Beherrschung<br />

der Malaria-Erkrankungen bessere Lebensbedingungen geschaffen werden konnten. Und<br />

es kamen neue Flüchtlinge, nämlich die zahlreichen Flüchtlinge (in Griechenland insgesamt 1,5<br />

Millionen Menschen), die als Folge des verlorenen Feldzuges der vermeintlichen „Großgriechen“<br />

aus Kleinasien vertrieben worden waren (1921/22) und im „alten“ Griechenland neu angesiedelt<br />

werden mussten, u.a. auf Euböa und auch in Eretria.<br />

Es war oben schon gesagt worden, dass das alte Eretria eigentlich sehr viel mehr Aufmerksamkeit<br />

verdient als die moderne Stadt, aber wie an so vielen historischen Stätten in Griechenland gewinnt<br />

der interessierte Laie auch in Eretria den Eindruck, als würdigten die heutigen Bürger und<br />

Besucher die Errungenschaften einer großen Vergangenheit viel zu wenig. Zwar verweisen Reiseführer<br />

und Reisehandbücher in aller Ausführlichkeit und mit prächtigen Fotos auf den ehemaligen<br />

Glanz und die außergewöhnliche Kultur des alten Eretria, aber der interessierte Reisende,<br />

meist kommt er aus dem Ausland, muss schon einige Mühe aufwenden, um seine Hochglanz-Erwartungen<br />

mit der glanzlosen und manchmal arg vernachlässigten Wirklichkeit in Übereinstimmung<br />

zu bringen. Dabei sollte der Besucher auf zwei Orientierungshilfen nicht verzichten:<br />

auf einen möglichst ausführlichen und detailfreudigen Reiseführer und auf einen einleitenden<br />

Besuch des kleinen, aber sehr informativen und höchst sehenswerten Archäologischen Museums<br />

von Eretria. Zur Eintrittskarte sollte man dort an der Kasse für 6,-- € die englisch-sprachige<br />

Version des Büchleins „Eretria“ erwerben, denn es ist zugleich schön bebilderter Museumsführer<br />

wie auch informativer Begleiter zu allen wichtigen archäologischen Fundstätten.<br />

A Das Archäologische Museum von Eretria<br />

(Öffnungszeiten: Di. – So. 08:30 – 15:00, außer montags)<br />

Das Museum zu finden, ist nicht schwer. Es liegt an einem kleinen Platz am Rande des Ortseingangs<br />

zum modernen Eretria, und zwar unmittelbar an der Hauptstraße, die von Halkida nach<br />

Karystos führt. Links sieht man, von Halkida kommend, ein scheinbar freies Feld, hinter dem sich<br />

der markante Hügel der alten Akropolis erhebt, und gleich rechts verbirgt sich hinter schattigen<br />

Bäumen ein kleiner archäologischer Park und mitten in ihm das flache Gebäude des Museums.<br />

Hier seien nun im Folgenden einige der besonders sehenswerten, wenn nicht gar berühmten Exponate<br />

des kleinen, aber exquisit geführten Museums vorgestellt.<br />

1. Der Centaur (Kentaur, Zentaur) von Eretria<br />

Der “Centaur von Eretria”, der im nordwestlich von Eretria gelegenen Ausgrabungsgebiet von<br />

Lefkandi (vgl. Karte S.11, Ziffer 24) gefunden wurde, ist eine kleine, kaum 20 cm hohe, aus Ton<br />

gebrannte Figur, die aber kunst- und kulturgeschichtlich von großer Bedeutung ist. Die Figur<br />

stammt aus dem 10. Jahrhundert vor Christus, und ihre farbige Bemalung zeigt die typischen<br />

geometrischen Muster, wie sie in dieser frühen Zeit üblich waren. Aber dieser Centaur ist zugleich<br />

ein Beleg dafür, dass sich die Menschen jener Zeit nicht mehr allein damit zufrieden gaben,<br />

ihre Gebrauchsgegenstände, also Töpfe, Vasen und Trinkgefäße, mit einfachen Ornamenten zu<br />

verzieren, sondern begannen, auch zweckfreie Figuren künstlerisch zu gestalten. Wie dieser<br />

Centaur beweist, wandte man sich dabei vorzugsweise den Gestalten der eigenen Mythologie zu,<br />

einem Thema also, das später dann in der griechischen Klassik, aber von dort aus dann in der<br />

gesamten abendländischen Kunst ein motivischer Schwerpunkt geworden ist. Die Nähe zur<br />

65


Mythologie wird bei diesem “Centaur von Lefkandi” noch dadurch unterstrichen, dass er an<br />

seinem vorderen linken Knie eine Verwundung zeigt, die auf eine mythologische Erzählung<br />

verweist, in der nämlich berichtet wird, dass Herakles einen solchen Centuar in einem seiner<br />

zahlreich Kämpfe mit einem Pfeil verwundet habe. (Schlechte Kopien des “Centaur von Lefkandi”<br />

erkennt man leicht am Fehlen dieser Verwundung.)<br />

(Der “Centaur von Eretria” bzw. Von Lefandi; Quelle: www.Archaeological Museum of Eretria)<br />

In der griechischen Mythologie galten die Centauren (auch Kentauren, seltener: Zentauren) als<br />

Nachkommen von Ixion, dem Sohn des Ares, und einer Wolke. Diese seltsamen Wesen haben den<br />

Kopf, die Brust und die Arme vom Menschen, aber die Beine wie überhaupt die gesamte untere<br />

und hintere Körperhälfte haben die Gestalt eines Pferdes. In späteren (jüngeren) Mythen hatten<br />

sie auch Hörner oder Flügel oder gar beides. Sie lebten, so erzählt man sich, meist in Thessalien,<br />

ernährten sich von Fleisch, und man sagte ihnen heftige Fress- und Sauforgien nach. Sie scheinen<br />

also die dunklen und ungezügelten Kräfte der Natur zu symbolisieren, somit also auch die von<br />

Gesellschaft und Kultur noch nicht gezügelten animalischen Kräfte des Menschen. Darum werden<br />

die Kentauren häufig auch als trunkene Begleiter des Dionysos dargestellt, eines Gottes also,<br />

dem selber eine recht zügellose Lebensführung nachgesagt wird (vgl. S. 71).<br />

66


2. Herakles-Amphore und Brunnen-Relief<br />

Von den zahlreichen Begräbnis-Amphoren, die im Museum von Eretria ausgestellt und die in den<br />

zahlreichen Begräbnis-Stätten rings um Eretria gefunden wurden, ist diese Amphore, die den<br />

Kampf zwischen Herakles und den Zentauren zeigt, eine der schönsten. Amphoren dieser Art<br />

dienten dazu, die Asche Verstorbener aufzunehmen. Diese Amphore hier wird auf die Zeit um 560<br />

v. Chr. datiert.<br />

Das keramische Relief, das ursprünglich wohl zu einer Brunnen-Einfassung gehörte und ins frühe<br />

7. Jahrhundert v.Chr. datiert wird, zeigt im oberen Band einzelne Kämpfer und darunter, wie<br />

hier auf dem rechten Bild zu sehen, tödlich verletzte Kämpfer, deren Körper zum Raub von Aasvögeln<br />

werden.<br />

3. Spielzeug-Pferd<br />

68


Weniger martialisch, aber wenigstens auch zweieinhalb tausend Jahre alt ist das im Museum gezeigte<br />

Spielzeugpferd aus Ton, das auf vier großen Rädern läuft und auf seinem Rücken zwei<br />

kleine Amphoren trägt. Getöpferte Nachbildungen (Replicas) dieses oder ähnlichen frühen<br />

Kinderspielzeugs, das ursprünglich vor allem in Attika hergestellt und von dort in alle Regionen<br />

Griechenland vertrieben wurde, findet man heute fast in allen besseren Souvenir-Läden, auch in<br />

Loutra Aidipsos. Sie sind nicht ganz billig, diese hübschen Pferdchen; 150 bis 500 €uro muss man<br />

wohl, je nach Qualität und Größe, für sie anlegen. Eines dieser braunen Pferdchen aus Ton hat<br />

seinen Stall- und Stammplatz im Häuschen von Gisela und Ulli gefunden. Es hat sich als deutlich<br />

pflegeleichter erwiesen als so mancher echte Esel oder lebende Hund.<br />

4. Die Skulpturen<br />

Im zweiten Ausstellungsraum des Museums sind die imposanten Reste von Skulpturen zu sehen,<br />

die einst den Westgiebel des Haupttempels von Eretria zierten, nämlich den Tempel des „Apollo<br />

Daphnephoros“, also des mit Lorbeer bekränzten Apolls. Die Skulpturen sind im Museum in<br />

einer Anordnung aufgestellt, wie sie wohl auch vor der Zerstörung des Tempels durch die Perser<br />

(490 v. Chr.) bestanden haben muss.<br />

Im Zentrum der Figurengruppe steht die Göttin Athene, von deren stolzer Statue nur Brust,<br />

Schultern und die Ansätze ihrer Oberarme erhalten sind. Wie auf zahlreichen anderen Abbildungen<br />

ziert ein Schrecken einflößendes Gorgonenhaupt, ein „Gorgoneion“, Athenes Brustpanzer,<br />

die „Aigis“. Dass Athenes schöne und zugleich machtvolle Gestalt im Mittelpunkt der<br />

Figuren des apollinischen Tempels stand, erklärt sich aus der Tatsache, dass Athene in klassischer<br />

Zeit eine der beliebtesten Gottheiten in Griechenland, vor allem in Attika war und dass Eretria<br />

sich in jener Zeit um ein gutes Verhältnis zu Athen bemühte, um einen mächtigen Verbündeten in<br />

den Auseinandersetzungen mit Halkida zu haben. Stilistisch gehört die Skulptur der Athene von<br />

Eretria in eine Übergangsphase, in die Zeit um 600 v. Chr., als die strenge Statuarik der archaischen<br />

Bildhauerkunst von der Kunst der griechischen Klassik und damit von einer differenzierteren<br />

Gestaltung der Körperlichkeit der Statuen und, sofern es sich bei der dargestellten Person<br />

um ein weibliches Wesen handelte, ihrer Bekleidung (Faltenwurf) abgelöst wurde.<br />

69


Auch an dem zweiten bedeutenden Skulpturen-Fragment vom Tempel Apolls lassen sich die Stilmerkmale<br />

dieser Zeit des Übergangs eindrucksvoll studieren. Dargestellt sind Theseus, der sagenumwobene<br />

König Athens, und Antiope, die Königin der Amazonen, die von Theseus entführt<br />

wird, allerdings – wie man den Gesichtern und den zärtlichen Gesten entnehmen kann – im glücklichen<br />

Einvernehmen mit der Entführten. Die Gesichter des Paares lassen noch die stereotypen<br />

Gestaltungs- und Ausdrucksformen erkennen, wie sie in der archaischen Kunst üblich waren,<br />

aber die sanfte Bewegung der Körper sowie die feine Gestaltung der Haare, des Kopfputzes und<br />

der Falten der Kleidung verweisen schon auf die Gestaltungsprinzipen der nahen klassischen Zeit.<br />

In einigen Kunst- und Reiseführern ist zu lesen, dass es sich bei dem abgebildeten Paar um<br />

Theseus und Ariadne handle, also jener Tochter des Königs Minos von Kreta, die dem Theseus,<br />

den sie liebte, mit einem Faden den Weg aus einem tödlichen Labyrinth zu finden half. Zum Dank<br />

entführte Theseus die gute Ariadne von der Insel ihres Vaters. Aber ob nun die Skulptur im Museum<br />

von Eretria Theseus mit Antiope oder Theseus mit Ariadne zeigt, das Grundmotiv bleibt<br />

gleich: jeweils ist es eine Situation dargestellt, in der eine königliche Frau mit deren liebevollem<br />

Einvernehmen entführt wird. Und die Ironie des Schicksals will es, dass jede der beiden Frauen,<br />

sowohl Antiope als auch Ariadne, vom treulosen Theseus bei der nächstbesten Gelegenheit, und<br />

das ist jeweils eine kleine Insel, verlassen und zurückgelassen wird. Theseus ist bei den Griechen,<br />

wen wundert´s, nach Herakles der beliebteste Held ihrer Sagen und Mythen.<br />

B Die archäologischen Ausgrabungsstätten von Erétria<br />

Nach dem Besuch des Museums sollte man sich, auch wenn es heiß ist, auf den Weg zu einigen der<br />

zahlreichen Ausgrabungsstätten machen. Mit den Eindrücken, die man im Museum gewonnen<br />

hat, und mit den Bildern und Informationen, mit denen gute Reiseführer die Vorstellungskraft<br />

ihrer interessierten Leser anzuregen wissen, wird es dem Neugierigen leichter fallen, die oft nur<br />

spärlichen oder nachlässig wieder zugewachsenen Spuren der Vergangenheit mit den üppigen<br />

Vorstellungen seiner angeregten Phantasie in Übereinstimmung zu bringen.Auf den folgenden<br />

Seiten werden in einer kleinen Auswahl und in einer Reihenfolge, die sich an den Ziffern des<br />

Ortsplanes auf Seite 64 orientiert, einige der besonders bemerkenswerten Fundstellen vorgestellt.<br />

Der archäologische Rundgang beginnt am Museum. Dort überquert man die Hauptstraße und erreicht<br />

auf der gegenüber liegenden Seite das eingezäunte große Gelände mit den Resten des<br />

westlichen Teiles der antiken Stadt. Im Hintergrund erhebt sich der markante Berg der ehe-<br />

70


maligen Akropolis, und davor an ihrem Fuße kann man schon von der Straße aus die meist zugewachsenen<br />

Konturen des alten Theaters erkennen. Das noch an der Straße liegende Tor zu diesem<br />

archäologischen Gelände ist zwar meist geschlossen, aber nie verschlossen, so dass man leicht<br />

Zugang zu den zahlreichen kunstvoll gemauerten Fundamenten von Häusern findet, die dort vor<br />

mehr als zweitausend Jahren gestanden haben und die jetzt lediglich noch die Basis für Balanceübungen<br />

von Touristen abgeben, die sich Stein für Stein in Richtung Theater bewegen, die damit<br />

aber vermeiden, über Trampelpfade zu gehen, die voller Dornen, Disteln und Kletten sind. Will<br />

man allerdings lesen, was auf den tischhohen Informationstafeln steht, muss man sich aber in die<br />

manchmal, zumindest im Frühjahr recht unangenehme gräserne Wildnis begeben. Zum Theater<br />

und den Resten des Dionysos-Tempels gelangt man aber selbst auf diese artistische Weise leider<br />

nicht, denn diese sind von einem weiteren Zaun umgeben, dessen Tore meist das ganze Jahr über<br />

verschlossen sind.<br />

1. Der Tempel des Dionysos (Ziffer 9 auf dem Stadtplan von Eretria S. 64)<br />

Dionysos oder auch Bakchos, im lateinischen Kulturraum später dann Bacchus oder Bachus<br />

genannt, war der Gott der Fruchtbarkeit und des Weines, und er war damit auch der Gott des<br />

Rausches und der wilden Ekstase. Mit seinem relativ späten Erscheinen in der großen Familie der<br />

griechischen Götter verband sich mit dem weinkundigen Dionysos ein neues, ein erweitertes<br />

Bewusstsein über die in der Welt und im Götterhimmel herrschenden Prinzipien. Dionysos wurde<br />

so etwas wie der orgiastische Gegenpol zu den eher rationalen, in harmonische Formen gefügten<br />

Ordnungsprinzipien, deren verbindliche Klarheit der überall verehrte olympische Apoll repräsentierte.<br />

Dessen wichtigster Tempel stand in Delphi, aber mit der zunehmenden Bedeutung und<br />

Verehrung, die der neue Gott Dionysos im antiken Griechenland gewann, räumte ihm Apoll<br />

wenigstens für die Zeit des Winters die Herrschaft über den für ihn besonders heiligen Ort ein.<br />

Dort auf dem Parnassos wurde dann am Ende des Winters so manches Fest zu Ehren des<br />

trinkfesten Gottes gefeiert, wir würden heute sagen: es wurde in Vorfreude auf den nahenden<br />

Frühling ausschweifend Karneval gefeiert. Und über diese dionysischen Feiern, die Bacchanalien,<br />

sind uns manche aparte, manche interessante und manchmal auch manch frivole Details überliefert<br />

worden. Heftig und deftig muss es bei den „Choen“, den Festen zu Ehren von Dionysos zugegangen<br />

sein. Formen rituellen Trinkens, die wir heute wohl als Kampftrinken bezeichnen<br />

würden, soll es damals schon gegeben haben. Und gar sexuell ausschweifend, man stelle sich das<br />

vor, sollen vor allem die „Pithoigien“ gewesen sein, die beliebten Feste zur Feier der Öffnung der<br />

Weinfässer, Festebei, bei denen auch leicht bekleidete und übermütig tanzende Bacchantinnen,<br />

Mänaden und Thyiaden „mitwirkten“.<br />

Conrad Bursian weiß zu berichten (vgl. Literaturverzeichnis), dass ein in Eretria gefundener<br />

Mosaikfußboden aus Meereskieseln (4,073 m Länge x 4,068 m Breite) einen Dionysos zeige, der<br />

auf einem Panther reite und von einer verführerischen Sirene begleitet werde. Er behauptet,<br />

dieses Mosaik habe zum Dionysos-Heiligtum gehört; wo es heute zu besichtigen sei, sagt er aber<br />

leider nicht. Auf jeden Fall gehört dieses Mosaik nicht zu den Fußboden-Mosaiken, die im „Haus<br />

der Mosaiken“ gezeigt werden (vgl.u.).<br />

Von den vielfältigen Formen der Feiern, die zu Ehren des Gottes Dionysos in dessen Tempel oder<br />

zu Ehren der Göttin der Fruchtbarkeit, Demeter, in einem nahen Heiligtum gefeiert wurden,<br />

sollen hier nur zwei Feste vorgestellt werden, nämlich die „Mysterien des Dionysos“ und die<br />

„Thesmophoria“, Feiern, an denen vorzugsweise oder ausschließlich Frauen teilnahmen und die<br />

frühe Formen weiblicher Emanzipationsbestrebungen darstellen. Es waren Feiern, die an vielen<br />

Orten des alten Griechenlands veranstaltet wurden, ganz bestimmt aber auch, wie die Archäologen<br />

herausgefunden haben, in Eretria. Am religiösen Leben aktiv teilzunehmen, war in alten<br />

Zeiten für Frauen eine der wenigen Gelegenheiten, ihre sonstige Beschränkung auf Haus und Hof,<br />

auf Kinder, Haus- und Heimarbeit zu durchbrechen und öffentlich so präsent zu sein, wie es sonst<br />

nur den Männern vorbehalten war.<br />

Und die Männer sahen wohl der Teilnahme ihrer verheirateten und unverheirateten Frauen an<br />

den „Mysterien des Dionysos“ mit einigem Unbehagen zu, denn sie selber waren weitestgehend<br />

von diesen Festen ausgeschlossen. Höchstens einer der Männer war dabei und leitete an Dionysos´<br />

Statt die Feiern, die darin bestanden, dass die Frauen in die Berge und Wälder zogen, dort ihre<br />

wilden Tänzen vollführten, wenig Milch und kaum Honig, aber viel Wein konsumierten, Tiere<br />

jagten und deren Fleisch roh verschlungen haben sollen. Mit ihrem Verhalten in diesen zügellosen<br />

71


Orgien – wenn das alles stimmt, was sich die Männer, die ja nicht dabei waren, in ihrer Phantasie<br />

ausmalten und in so manchem Theaterstück niederschrieben – ahmten die Frauen die „Mänaden“<br />

nach, also weibliche Wesen, von denen die mythologischen Erzählungen berichten, dass sie<br />

als ekstatische und vielleicht auch frivole Tänzerinnen zum Gefolge des Dionysos gehörten.<br />

Den dionysischen Feiern zu Ehren Demeters, der Göttin der Fruchtbarkeit und der Beschützerin<br />

der Landwirtschaft, sahen die Männer wahrscheinlich mit größerem Wohlwollen entgegen, hatten<br />

sie diese Feste ihrer verheirateten Frauen doch eher unter Kontrolle, denn diese „Thesmophoria“<br />

fanden in dem nahen und überschaubaren Bereich des eigenen Wohnortes statt, und<br />

wohlhabende Männer durften als Sponsoren auftreten, die die Kosten (und die Kost) für die<br />

Feiern übernahmen. Und da sexuelle Enthaltsamkeit zur Grundregel dieser dreitägigen Feiern<br />

gehörte, bestand für die Männer kein Grund zur Beunruhigung über die Folgen, die das Verhalten<br />

ihrer Frauen haben könnte. Kultischer Höhepunkt dieser „Thesmophoria“ war das Ausheben<br />

vorher vergrabener tierischer Gebeine und verwesender Opfergaben, die dann vermischt<br />

mit neuem Saatgut der Göttin Demeter auf deren Altar dargebracht und anschließend auf den<br />

Feldern verstreut wurden. Diese Feste fanden im Herbst statt, waren also Erntedankfeste und<br />

sollten zugleich das Wohlwollen der Göttin für die Wintersaat beschwören.<br />

Von dem Tempel, der in Eretria zu Ehren von Dionysos errichtet worden war, sind leider nur<br />

noch spärliche Reste ganz in der Nähe des antiken Theaters erhalten geblieben. Die Nähe des<br />

Theaters zu einem Tempel ist eine in Griechenland häufig anzutreffende Verbindung; man denke<br />

nur an die beiden Theater, die in Athen ganz in der Nähe der Tempel der Akropolis stehen und<br />

von denen eines auch wieder dem Gotte Dionysos geweiht ist. Die Nähe des Spielens auf dem<br />

Theater zur Religion erklärt sich aus dem ursprünglichen Zweck, der mit dem dramatischen<br />

Agieren auf der Bühne verbunden war, nämlich einem Spiel, das wie ein Gottesdienst zur Ehre<br />

und zur Verehrung der Götter aufgeführt wurde. Auch die zahlreichen Wettbewerbe, die auf dem<br />

Theater in den Kategorien des Dramatischen, des Musikalischen oder Tänzerischen oder in den<br />

Stadien in sportlichen Disziplinen durchgeführt wurden, hatten immer auch eine religiöse Komponente.<br />

Und Dionysos war der Gott des Theaters, und für den wurden eben auch in Eretria Festspiele<br />

und Wettbewerbe durchgeführt, die sogenannten „Dionysia“.<br />

Von dem schönen Dionysos-Tempel aus dem 4. Jahrhundert vor Christus sind leider nur die<br />

Reste der massiven Grundmauern erhalten geblieben, aber aus ihnen und aus weiteren Spuren<br />

haben sich die Archäologen ein Bild des Tempels rekonstruieren können.<br />

Der Dionysos-Tempel war ein dorischer Tempel, hatte an den Schmalseiten jeweils sechs Säulen<br />

und an den Längsseiten ganz klassisch und regelgerecht (2 x 6 – 1) jeweils elf Säulen. Im Inneren<br />

gab es nicht, wie man es sonst aus der klassischen Zeit kennt, eine zweite umlaufende Säulenreihe,<br />

sondern nur zwei einzelne Säulen im Eingang zur Vorhalle der „Cella“. Bei den weiteren Fundamenten,<br />

die rechts (östlich) vor dem Tempel zu erkennen sind, handelt es sich um die Reste des<br />

Dionysos-Altares (7,35 x 4,20 m) und um die Reste von zwei Sockeln, auf denen damals wohl<br />

direkt vor dem Eingang größere Statuen gestanden haben müssen.<br />

2. Das antike Theater (Ziffer 10 auf dem Stadtplan von Eretria S. 64)<br />

Erbaut im 4. Jahrhundert v. Chr. (326) von Cleisthenes, einem Baumeister aus Eritrea und dem<br />

Vater des Philosophen Menedemos (vgl. S. 86), ist das Theater von Eretria eine Nachbildung des<br />

Lycourgos-Theaters von Athen und basiert auf einer recht einfachen dreiteiligen Konstruktion:<br />

dem Zuschauerraum (koilon), der eigentlichen Bühne (orchestra) und dem Bühnenhaus (skene).<br />

Der Zuschauerraum des Theaters von Eretria, das Amphitheater, ruht vollständig auf einem<br />

künstlichen Unterbau, und damit unterscheidet sich dieses Amphitheater von vielen ähnlichen<br />

Bauwerken in Griechenland, die meist in einen felsigen Hang gehauen worden sind.<br />

72


(Das alte Theater von Eretria)<br />

Auch im Theater von Eretria füllten hölzerne Sitzroste die einzelnen Stufen und Ränge. Der<br />

Halbkreis des Zuschauerraums erreicht mit seinem äußeren Kranz einen Durchmesser von fast 90<br />

m und ist in 11 Sektoren (kerkis) aufgeteilt, die von 12 Treppenaufgängen (klimax) erschlossen<br />

werden und insgesamt etwa 6.300, vielleicht sogar 10.000 Zuschauern Platz boten. Das Rund der<br />

abgesenkten Bühne hat einen Durchmesser von 22 m und ist mit dem Bühnenhaus durch einen<br />

überwölbten Gang verbunden, eine architektonische Raffinesse, die nur wenige griechische<br />

Theater bieten, die es aber in manchen Theaterstücken spektakulär erlaubte, im geeigneten<br />

Moment Gestalten aus der Unterwelt auftauchen zu lassen. Die Schauspieler und der Chor, der<br />

das dramatische Geschehen zu kommentieren hatte, agierten in den frühen Formen des antiken<br />

Theaters gemein-sam auf der runden Bühne direkt vor den Zuschauern, auf dem „orchestra“. In<br />

späterer Zeit dann wurden die Schauspieler stärker herausgehoben und spielten auf der erhöhten<br />

Bühne, die dem Bühnenhaus vorgebaut war, während der Chor weiterhin auf der runden Fläche<br />

des „orchestra“ seinen eher statuarischen und das Bühnengeschehen kommentierenden Part zu<br />

geben hatte.<br />

3. Das Haus mit den Mosaiken (Ziffern 12 – 17 auf dem Stadtplan von Eretria S. 64)<br />

Das Haus mit den Mosaiken wurde ungefähr im Jahre 370 v. Chr. erbaut und ist wahrscheinlich<br />

durch ein Feuer zerstört worden, das etwa hundert Jahre nach der Errichtung des Hauses<br />

gewütet haben muss, vielleicht sogar im Zusammenhang mit dem ‚Chremonidean War’, dem<br />

Krieg, den einige griechische Städte unter Führung des Atheners Chremonidas gegen die<br />

mazedonische Fremdherrschaft führten und verloren (267 – 261 v. Chr.). Das Haus mit den<br />

Mosaiken war ein sehr großes und für damalige Verhältnisse wohl sehr luxuriös ausgestattetes<br />

Gebäude, in dem sich um zwei Innenhöfe zahlreiche Räume für private und öffentliche Zwecke<br />

gruppierten. Alle Räume hatten kunstvolle Böden aus Kieselsteinen; aus drei Räumen sind Böden<br />

erhalten, die aufwendig als Mosaike mit Ornamenten und Figuren gestaltet sind. Diese Mosaike,<br />

die zu den ältesten und am besten erhaltenen in Griechenland gehören, werden seit einigen<br />

Jahren durch einen darüber errichteten Pavillon geschützt. Durch die gläsernen Seitenwände<br />

dieses modernen Gebäudes können die wertvollen Mosaiken betrachtet werden - wenn das Gartentor<br />

und wenn das Tor zum Innenhof des Hauses geöffnet sind. Sind die Tore verschlossen,<br />

muss man sich die Schlüssel an der Kasse des Archäologischen Museums gegen Hinterlegung eines<br />

Passes holen.<br />

Die erhaltenen Mosaike bedecken die Böden von zwei Räumen, die vor etwa 2500 Jahren die<br />

festlichen Besucherräume dieses wohl feudalen Wohnhaues schmückten, einen kleinen und einen<br />

großen Speise- oder Bankettraum.<br />

73


(Doppelmosaik im kleinen Bankettraum)<br />

Aus der Mitte des kleinen Speise- oder Bankettraumes ist ein rechteckiges Mosaik erhalten (2,20<br />

x 1,36 m), das aus zwei Feldern besteht, die zwar unterschiedlich gestaltet sind, aber aus<br />

ähnlichen, meist floralen Motiven bestehen und die durch einen gemeinsamen Rahmen aus Blatt-<br />

Motiven verbunden werden. Dieser Rahmen zeigt eine kunstvoll verschlungene Folge von Efeu-<br />

Blättern, die ihre Wurzel in einem mit Rosetten verzierten Akanthus-Blatt haben. Das Zentrum<br />

des oberen Feldes ist eine größere Rosette mit acht Blütenblättern, die um einen Kern aus roten<br />

Steinen angeordnet sind und dessen Mitte aus dem einzigen Stein des ganzen Mosaiks besteht, der<br />

gelb gefärbt ist, während alle anderen Steine des Mosaiks von schwarzer, weißer oder roter Farbe<br />

sind. Um die zentrale Rosette wurden ganz symmetrisch acht weitere Blätter eingelassen, vier<br />

jeweils siebenblättrige, leicht geschlossene Palmetten, die bis in die Ecken des Mosaikquadrates<br />

reichen, und dazwischen ist auf jeder der Längsseiten eine Lotos-Blume und auf den kurzen<br />

Seiten des Mosaik-Rechteckes jeweils eine kleinere geöffnete Palmette eingelassen.<br />

Das Zentrum des zweiten Feldes dieses Doppelmosaiks zeigt das verzerrte Gesicht eines Gorgonen-Hauptes,<br />

das von ähnlichen floralen Elementen umgeben ist, wie wir sie schon auf dem<br />

anderen Teil des Mosaiks gesehen haben, nur tragen hier jetzt die Pflanzen ihre weiß-roten<br />

Blüten. Ähnlich wie die zahlreichen Gorgonen-Häupter, die im Museum von Eretria ausgestellt<br />

sind, zeigt auch dieses Gorgonen-Mosaik ein fast kreisrundes Gesicht, das zu einer bedrohlichen<br />

Grimasse verzogen ist. Eng über den kreisrunden Augen liegen strenge Brauen, und weiter unten<br />

zeigt die Fratze eine stumpfe Nase und den Strich einen Mundes, aus dem die Zunge vorgestreckt<br />

wird. Drei Viertel des Kopfes sind mit Locken umgeben, deren Gestalt Schlangen symbolisieren<br />

sollen, denn Gorgo war, wie schon Homer schreibt, ein Ungeheuer mit einem „grausigen,<br />

grässlichen Haupt“. Nicht weniger grässlich waren seine drei mythologischen Töchter, Stheno,<br />

Euryale und Medusa. Deren Blick versteinerte den, der sie anschaute, und symbolisierte damit<br />

den Schrecken, den der Mensch beim Anblick der Götter erfassen musste. Gorgos Töchter galten<br />

als unsterblich, bis auf Medusa, der Perseus mit abgewandtem Blick, denn er wollte nicht versteinert<br />

werden, das Haupt abschlug. Dieses Haupt schenkte Perseus seiner Beschützerin Athene,<br />

74


die es fortan mitten auf ihrem wehrhaften Brustpanzer trug. Zahlreiche Darstellungen der Göttin<br />

Athene zeigen sie mit diesem Medusen-Haupt, diesem „Gorgoneion“. Aber Darstellungen eines<br />

isolierten Gorgonenhauptes erfreuten sich sowohl in Tempeln als auch im privaten Bereich - wie<br />

hier im „Haus mit den Mosaiken“ – großer Beliebtheit, denn sie verbreiteten wohl nicht nur<br />

Götterschrecken, sondern enthielten auch für den Träger oder Besitzer dieses Hauptes einen Abwehrzauber.<br />

Das zweite, das größere Mosaik, das aus dem „Haus mit den Mosaiken“ erhalten ist und hinter<br />

dem Glas des schützenden Pavillons zu besichtigen ist, besteht aus drei Teilen. Der erste Teil bedeckte<br />

die größere Fläche eines Bodens, der zu einem großzügig ausgelegten Speiseraum gehörte;<br />

der zweite Teil bedeckte den Boden eines angrenzenden Vorraumes, während das kleine dritte<br />

Mosaik den Übergang zwischen diesen beiden Räumen gestaltete. Wie der große Bankettraum<br />

früher einmal ausgesehen haben und vom Herrn des Hauses und seinen Gästen benutzt worden<br />

sein mag, veranschaulicht eine kolorierte Zeichnung, die im ausgezeichneten Führer über Eretria<br />

abgedruckt ist (Eretria. A Guide to the Ancient City, S.101).<br />

Der Vorraum zum großen Bankettsaal ist mit einem Mosaik ausgelegt, auf dem sich Sphinxen<br />

(Sphingen) und Panther paarweise gegenüberstehen, wobei die einzelnen Paare nicht völlig einheitlich<br />

gestaltet sind, sondern interessante Unterschiede aufweisen. Dieses Hauptmotiv der sich<br />

anschauenden Paare wird von einem Fries eingerahmt, in dem sich Palmetten und Lotusblumen<br />

abwechseln, also Elemente, die auch schon im Mosaik des kleines Speiseraumes auftauchten (s.o.).<br />

75


(Auschnitt aus dem Mosaik des Vorraumes)<br />

Das Zentrum des großen Bankettraumes ist mit einem quadratischen Mosaik ausgelegt, in dessen<br />

Mitte ein sechzehnstrahliger Stern eingelassen ist, der von acht Pflanzenmotiven umgeben ist,<br />

alternierend von vier Palmetten und vier Lotusblumen.<br />

(Mosaik im großen Bankettraum)<br />

Aber anders als bei dem entsprechenden Mosaik im kleinen Speiseraum fügen sich hier diese<br />

Pflanzen in einen Kreis, der von einem Quadrat eingefasst wird. In die dabei entstehenden vier<br />

kleinen Flächen zwischen dem Kreis und den Ecken des Quadrates sind zwei Adler mit ausgebreiteten<br />

Schwingen und zwei mit Quasten verzierte Stierköpfe eingearbeitet. In die Flächen<br />

zwischen diesem inneren Quadrat und dem quadratischen äußeren Rahmen mit seinen traditionellen<br />

geometrischen Formen (Mäandern) sind wie auf dem Band eines Frieses auf jeder der<br />

vier Seiten figürliche Darstellungen zu erkennen, in denen von Kämpfen zwischen Menschen,<br />

Tieren und tierähnlichen Wesen erzählt wird. Bei diesen Kämpfen handelt es sich um die legendäre<br />

Schlacht zwischen den geflügelten Greifen und den berittenen Kriegern des Stammes der<br />

Arimasps. Greifen und Arimasps sind Gestalten, über die ursprünglich wohl in östlichen Sagenkreisen<br />

erzählt wurde, in Thrakien und Persien; von dort fanden sie dann wohl schon sehr früh<br />

Eingang in die griechische Mythologie. Die Greifen, Mischwesen aus einem geflügelten Löwenkörper<br />

und einem (manchmal auch gehörnten) Adlerkopf, waren, so wird erzählt, vom Göttervater<br />

Zeus dazu ausersehen, dessen ungeheure Goldschätze zu bewachen. Da sich nun die Krieger<br />

vom Stamme der einäugigen Arimasps sich dieser Schätze zu bemächtigen suchten, kam es<br />

zwischen ihnen und den das Gold verteidigenden Greifen zu heftigen Kämpfen, aus denen schließlich<br />

die Greifen als Sieger hervorgingen. Von Episoden dieser Kämpfe erzählt auch das hier beschriebene<br />

Mosaik.<br />

Auf dem unteren Band erkennt man einen wohl schon von zwei Greifen besiegten Kämpfer (eine<br />

weibliche Kämpferin ?), der sich mit seiner bereits waffenlosen rechten Hand auf einen Felsblock<br />

stützt und sich mit einem ovalen Schild, das er noch in seiner linken Hand hält, der Attacke des<br />

76


echten Greifen zu erwehren sucht. Auf dem gegenüber-liegenden, auf dem hier abgebildeten<br />

oberen Fries ist eine ähnliche Kampfszene dargestellt, nur scheint hier der Kampf noch nicht<br />

entschieden zu sein, denn der Arimasp greift hier mit wehendem Gewand, erhobenem Kopf,<br />

Kurzschwert und Schild einen der Greifen schwungvoll an.<br />

Die Kämpfe auf den beiden Seiten sind schon deutlicher entschieden. Dort haben sich die Löwen,<br />

in denen man Verbündete der Greifen zu sehen hat, jeweils in die Rücken von reiterlosen Pferden<br />

verbissen, auf denen ursprünglich wohl deren Herren, die Arimasps, zu ihrem Raubzug<br />

ausgezogen sind. Die kräftigen Löwen haben die Pferde schon niedergezwungen, und eine<br />

ähnliche Niederlage haben wohl auch ihre noch gegen die Greifen kämpfenden Herren zu<br />

gewärtigen.<br />

Es gibt mythologische Erzählungen, in denen die Arimasps als Diener des Gottes Dionysos dargestellt<br />

werden, und einige Interpreten des Kampfes zwischen den Greifen, die Zeus zuzuordnen<br />

sind, und den dionysischen Arimasps sehen darin eine symbolische Auseinandersetzung, die alle<br />

Wesen auf ihrem Wege vom Tod zur Unsterblichkeit zu bestehen hätten.<br />

(Thetis auf ihrem Ritt nach Troja)<br />

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Im Eingangsbereichs des Raumes, der mit dem soeben beschriebene Fußbodenmosaik der kämpfenden<br />

Greifen geschmückt ist, ist zwischen der Türschwelle und dem Greifen-Mosaik noch ein<br />

weiteres, ein etwas kleineres Mosaik erhalten geblieben, das eine Szene darstellt, die zum Umkreis<br />

der mythischen Erzählungen vom Trojanischen Krieg gehört.<br />

Gezeigt wird, wie Thetis, eine der Töchter des Meeresgottes Nereus, ihrem heldenhaft vor Troja<br />

kämpfenden Sohn Achill einen neuen Speer und einen neuen Schild bringt. Thetis wird dabei von<br />

einem Seeungeheuer getragen, das halb Fisch und halb Pferd, also eine Art Seepferdchen ist, und<br />

sie reitet auf dem merkwürdigen Untier höchst elegant, die Beine wie im Sattel eines Pferdes, eines<br />

Esels oder einer Vespa damenhaft zu einer Seite gestreckt. Ihr Blick allerdings ist nach hinten<br />

gerichtet, so dass sie rückwärts, also in Gegenrichtung dahinreitet. Dass sie sich schwungvoll<br />

durch ein leicht bewegtes Meer tragen lässt, zeigen die kleinen Wellen an, die wie ein Fries diese<br />

Szene einrahmen.<br />

4. Der Tempel des „Apollo Daphnephoros“,<br />

des mit Lorbeer bekränzten Apolls (Ziffern 18 – 22 auf dem Stadtplan von Eretria, S.64)<br />

All die bereits ausgegrabenen oder noch nicht ausgegrabenen Gebäude, die zum Heiligtum des<br />

“Apollo Daphnephoros” gehören, liegen genau im Zentrum der alten Stadt, und die spärlichen<br />

Gebäude-Reste, die heutzutage dort zu sehen sind, gehören in aller Regel zu den Resten der<br />

größten Tempel-Anlage von Eretria, so wie sie im 6. Jahrhundert vor Christus über einem<br />

Vorgänger-Bau, einem ionischen Tempel und vielleicht noch älteren Heiligtümern, errichtet<br />

worden ist. Der Apollo-Tempel des sechsten Jahrhunderts zeigte an seinen Schmalseiten jeweils<br />

sechs und an seinen Längsseiten jeweils 14 dorische Säulen (6 x 2 + 2). Zerstört wurde dieser<br />

mächtige Bau zum ersten Mal von den Persern im Jahre 490 v.Chr., und ein zweites Mal,<br />

nachdem er wohl in wesentlichen Teilen wiederhergestellt worden war, in der Zeit der Römer;<br />

man nimmt an, dass es wohl in der Zeit von 100 vor bis 100 nach Christus geschehen sein muss.<br />

Im Archäologischen Museum von Eretria wird das auf der folgenden Seite abgebildete schöne<br />

Fragment vom Westgiebel des Apollo-Tempels aufbewahrt. Es zeigt Theseus und Ariadne.<br />

Ariadne war, folgt man der griechischen Mythologie, eine der Töchter des Königs Minos von<br />

Kreta, und sie war es, die dem Theseus das Garnknäuel gab, mit dessen Hilfe Theseus wieder aus<br />

dem Labyrinth von Knossos herausfand, in dem er den mörderischen Minotaurus besiegt hatte.<br />

Ariadne flüchtete mit Theseus von der Insel Kreta, wurde aber von ihm auf der Insel Naxos<br />

zurückgelassen, wo Dionysos sie fand und sie zu seiner Gattin erhob. Das Motiv der von Theseus<br />

verlassenen Ariadne ist ein beliebtes Sujet der griechischen und abendländischen Kunst. Auch die<br />

hier abgebildete Skulptur aus Eretria zeigt den Moment, in dem Theseus die ihn liebende Ariadne<br />

zärtlich mit der Absicht umfasst, sie von Kreta zu entführen. Im Zusammenhang mit dem<br />

Original, das im Archäologischen Museum von Eretria zu sehen ist, wurde auf die Möglichkeit<br />

verwiesen, dass es sich bei dem dargestellten Liebespaar auch um Theseus und die Amazonenkönigin<br />

Antiope handeln könnte (vgl. S. 69).<br />

78


(Theseus und Ariadne (Antiope) vom Westgiebel des Apollo-Tempels in Eretria)<br />

5. Der Isis – Tempel (Iseion) (Ziffer 28 auf dem Stadtplan von Eretria S. 64)<br />

Trifft man, fernab von Ägypten, fernab von den Pyramiden, den Königsgräbern und Tut-ench-<br />

Amun, irgendwo in Europa auf archäologische Spuren uralter ägyptischer Kultur, so fragt man<br />

sich verwundert, wie diese Fundstücke, eine Sphinx zum Beispiel oder eine Statue der Göttin Isis,<br />

so weit nach Norden und Westen in ganz andere Kulturbereiche gelangen konnten. Sphingen und<br />

ägyptische Statuen sind aber nicht einfach Mitbringsel von Soldaten oder Reisenden des Altertums,<br />

die damals eben halt auch einmal in Ägypten gewesen sind, sie sind auch nicht einfach eine<br />

Handelsware, die auf ähnliche Weise ihren Weg nach Europa gefunden hat wie heute die beliebten<br />

Handwerksarbeiten aus Asien und Afrika. Gegen solche Erklärungen, die sich letztlich auf<br />

bloßen Zufall oder reine Ökonomie berufen, spricht zum Beispiel, dass vor gar nicht so langer<br />

Zeit in Mainz am Rhein ein ganzer Isis-Tempel aus römischer Zeit ausgegraben werden konnte<br />

und dass die große Sphinx, wie sie heute im Museum von Delphi zu sehen ist, nachweislich eine<br />

79


künstlerische Arbeit ist, die in Griechenland entstanden ist und die von den reichen Bürgern der<br />

Kykladen-Insel Naxos im Jahre 560 v. Chr. dem Orakel-Heiligtum von Delphi geschenkt und dort<br />

auf einer 10m hohen Säule aufgestellt worden war.<br />

(Sphinx im Museum von Delphi)<br />

Die Antwort auf die Frage nach der Herkunft der kultischen und künstlerischen Objekte, die in<br />

Europa gefunden wurden, aber ganz offensichtlich ägyptische Züge tragen, verweist auf interkulturelle<br />

Zusammenhänge, die über Jahrhunderte im ganzen Mittelmeerraum vor allem ägyptische,<br />

griechische und römische Kultur wechselseitig beeinflussten. Die wechselseitige Beeinflussung<br />

von griechischer und ägyptischer Kunst und Kultur verstärkte sich natürlich im besonderen<br />

Maße seit den Eroberungen Alexanders des Großen und seit der Herrschaft seiner Nachfolger,<br />

vor allem der Ptolomäer, die über drei Jahrhunderte von 323 bis 30 v.Chr. in Ägypten regierten.<br />

Nach dem Niedergang des Ptolomäer-Reiches übernahmen dann die Römer die Herrschaft im<br />

ganzen Mittelmeerraum, und sie übernahmen dabei aber nicht nur die kulturellen Vorbilder aus<br />

Griechenland, sondern auch die aus Ägypten.<br />

Die Symbolkraft der geheimnisvoll lächelnden ägyptischen Sphinx, die eine Mischgestalt mit dem<br />

Körper eines geflügelten Löwen und dem Kopf eines Königs, seltener einer Königin ist, schien<br />

auch den griechischen Herrschern, den römischen Kaisern und Imperatoren, später aber auch<br />

den venezianischen Dogen eine geeignete und gern übernommene Form zu sein, um ihren Herrschaftsanspruch<br />

und die geheimnisvolle und angsteinflößende Größe ihrer Macht symbolisch<br />

darzustellen. Die Griechen übernahmen das Fabeltier schon in mykenischer Zeit und erneut am<br />

Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr., zunächst rein dekorativ in ihrer Kleinkunst, dann aber in<br />

klassischer Zeit auch in der monumentalen Großplastik als Wächter von Gräbern und Tempeln.<br />

Sprach die Symbolik der Sphingen eher das Selbstverständnis und das Repräsentationsbedürfnis<br />

der herrschenden Klassen an, so fand die Verehrung der ägyptischen Göttin Isis sehr schnell bei<br />

den Griechen aller Schichten und Klassen Anklang und Nachahmung. In Ägypten verkörperte die<br />

Göttin Isis zunächst wohl die fruchtbare Erde des Niltales, aber ihr Mythos ließ sie dann immer<br />

mehr zur idealen Gattin und Mutter werden, und als Verkörperung menschlicher Grundqualitäten<br />

wurde Isis dann auch in Griechenland zur Beschützerin der Frauen und der Ehe, denn<br />

sie vereinte in sich die Kräfte der Fruchtbarkeit, der Prophetie (Weissagung) und der Heilkunst.<br />

80


Von Griechenland aus gelangte der Isis-Kult über die griechischen Kolonien auch nach Italien,<br />

wo sich dieser Kult bei den Römern großer Beliebtheit erfreute und von wo aus er über die<br />

großen Handelswege schnell seinen Weg nach Norden zu Donau, Rhein, Main und Mosel nahm.<br />

Meist wurde Isis dort mit einem Füllhorn dargestellt, mit schlangenförmigen Motiven und mit<br />

Fransen an ihrem Gewand. Neben ihr stand oft eine „Situla“, ein Bronzeeimer, und in ihren Händen<br />

trug sie oft ein „Systrum“, eine Art Rassel. Neben diesen „westlichen“ Attributen sind an den<br />

Skulpturen und Darstellungen von Isis auch immer wieder Gestaltungselemente zu erkennen, die<br />

aus dem ägyptischen Kulturkreis stammen. Dort personifizierte die Göttin Isis neben der bereits<br />

genannten Fruchtbarkeit zunächst wohl auch den Thron des Herrschers, den man sich als göttliches<br />

Wesen vorstellte und dessen Schriftzeichen sie häufig auf den Darstellungen, die sie zumeist<br />

in menschlicher Gestalt darstellen, auf dem Kopfe trägt. Auf dem Kopfe trägt sie meist auch ein<br />

Kuhgehörn und in dessen Mitte eine Sonnenscheibe. Diese Attribute verdankt sie wohl ihrer<br />

mythologischen Verschmelzung mit der ägyptischen Himmelsgöttin Hathor. Gern bildete man sie<br />

auch als Mutter ab, die ihren Sohn Horus auf dem Schoße trägt und säugt. Als solche kann man<br />

in der Göttin Isis ikonographisch eine Vorläuferin der christlichen Gestaltungen Marias mit dem<br />

Kinde sehen.<br />

(ägyptische Isis - Figur Kuhgehörn und Mondscheibe)<br />

Von den zahlreichen Räumen der einst wohl sehr weitläufigen Tempelanlage der Isis in Eretria ist<br />

so gut wie nichts erhalten geblieben, und auch von der Innenausstattung des Heiligtums kann man<br />

keinen Eindruck mehr gewinnen. Im Museum von Eretria ist nichts zu finden, was an Isis und<br />

ihren Tempel, das „Iseion“, erinnern könnte. Die Frage, wieso man denn unter solchen Voraussetzungen<br />

überhaupt sicher sein könne, dass diese spärlichen Gebäudereste zu einer doch relativ<br />

exotischen Gottheit aus Ägypten gehören, beantworten die Archäologen vor allem damit, dass sie<br />

auf dem weitläufigen Gelände des „Iseion“ mehrere Marmorblöcke gefunden hätten, in die im 2.<br />

und 3. Jahrhundert v. Chr. Widmungen geritzt worden seien, die sich eindeutig an die ägyptische<br />

Göttin Isis gerichtet hätten.<br />

Einen sichtbaren Beweis für die weite Verbreitung und große Beliebtheit des Isis-Kultus in der<br />

Antike und damit auch auf Euböa und auf den Sporaden-Inseln kann man zum Beispiel außen an<br />

den Außenwänden der alten Kirche „Agios Michaíl Sinadón“ in Skopelos-Stadt finden. In die<br />

schönen Fassaden dieser alt-ehrwürdigen Kirche, die nicht weit von der Uferpromenande unten<br />

am Fuße des Aufgangs zum Kastro und dem verwinkelten Berg weißer Häuser steht, sind viele<br />

antike Baumaterialien eingearbeitet worden, unter anderem große rechteckige Steinplatten, die<br />

unübersehbar und groß die Symbole der ursprünglich ägyptischen Göttin Isis tragen, eine Mondscheibe<br />

zwischen weit auseinander stehenden Hörnern einer Kuh.<br />

6. Die Akropolis von Eretria (Ziffern 33 – 36 auf dem Stadtplan von Eretria S. 64)<br />

Wenn man auch nicht erwarten darf, dass derjenige, der die 120 Höhenmeter hinauf zur Akropolis<br />

von Eretria gekraxelt ist, dort oben – wie etwa in Athen - mit dem Anblick eines einigermaßen<br />

erhaltenen Tempels belohnt würde, so lohnen sich die Mühen des Aufstiegs doch, denn von<br />

dort oben hat man einen bezaubernden Blick auf das Blau des südlichen Golfes von Euböa, auf<br />

die Gestade und Berge des gegenüberliegenden Festlandes und auf das alte und neue Eretria mit<br />

81


seinem Hafen und den Konturen seiner ehemaligen Ausdehnung, die durch die Reste seiner<br />

Mauern und Tore bestimmt werden und deren Verlauf und Lage man immer noch ganz gut erkennen<br />

kann. Die zum Teil überwachsenen Ruinen der Mauern und Türme ziehen sich hinauf bis<br />

zur Akropolis und weisen aus, dass dieser Berg in alter Zeit mit zur Stadtbefestigung gehörte und<br />

wahrscheinlich der Teil seiner Wehranlagen war, der von den jeweiligen Angreifern, z.B. von den<br />

Persern, Römern, Türken oder Horden von Piraten, nur sehr schwer zu erobern war. Ganz oben<br />

auf der Akropolis sieht man außer den Ruinen dieser wehrhaften Anlagen noch zahlreiche Reste<br />

bzw. die Fundamente von Gebäuden, die früher hier gestanden haben müssen, private und<br />

öffentliche Häuser, eine Zisterne, Opfer- und Weihestätten und ein kunstvoll in den Felsboden<br />

gehauenes Plateau, das vielleicht die Basis für einen Tempel war, viele Steine und viele Mauerreste,<br />

die die Phantasie anregen, wie es hier wohl vor zweieinhalb Jahrtausenden ausgesehen<br />

haben mag, aber sie geben kaum noch eine konkrete Anschauung von der Vergangenheit und dem<br />

Leben in diesen Mauern.<br />

C Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten in der Nähe von Eretria<br />

1. Das Heiligtum der Artemis Amarysia<br />

Das bedeutendste und wohl auch älteste aller Heiligtümer Eretrias, das der „Artemis Amarysia“,<br />

lag nicht in der Stadt Eretria selbst, sondern in dem sieben Kilometer südöstlich gelegenen Dorf<br />

Amarynthos: dorthin bewegte sich am Jahresfest der Göttin Artemis in den Zeiten des höchsten<br />

Glanzes Eretrias von der Stadt aus ein Festzug mit 3000 Hopliten (schwer bewaffneten Kriegern),<br />

600 Reitern und 60 Wagen, und noch im zweiten Jahrhundert v. Chr. nahmen an der Feier nicht<br />

nur die Bewohner des ganzen Gebiets von Eretria, sondern auch die Bewohner von Karystos teil.<br />

Hier am Tempel der Artemis wurden auch die meist in Stein gehauenen Exemplare aller wichtigen<br />

öffentlichen Urkunden zur allgemeinen Kenntnisnahme aufgestellt. Von diesem in der<br />

Antike so wichtigen Heiligtum ist so gut wie nichts mehr erhalten geblieben, und selbst die genaue<br />

Lage des Tempels haben die Archäologen noch nicht eindeutig bestimmen können. Im Jahre 2006<br />

wird die ESAG, die Eidgenössische Schweizerische Archäologische Gesellschaft, weitere Grabungen<br />

in Amarynthos und Umgebung durchführen.<br />

Neben einer Vielzahl landschaftlich und touristisch reizvoller Anziehungspunkte bietet Amarynthos<br />

nicht nur einen schönen Namen, der auf den Tempel der Artemis verweist, sondern auch<br />

zahlreiche weitere Zeugnisse seiner langen Vergangenheit. Aus den bis heute durchgeführten<br />

archäologischen Forschungen, bei denen man auch die Reste einer neolithischen Siedlung fand,<br />

ergibt sich, dass sich bereits in der Zeit von 6000 bis 3000 v.Chr. Menschen auf Dauer in<br />

Amarynthos niedergelassen haben müssen. In der folgenden frühen Bronzezeit (3000-2100 v.Chr.)<br />

gehörte die Siedlung von Amarynthos vor allem wegen seines Hafens zu den bedeutendsten frühhelladischen<br />

Ortschaften auf Euböa. An der Küste fand man zahlreiche Gegenstände, die der<br />

Kykladenkultur zuzuordnen sind und die bezeugen, dass es schon früh Beziehungen zwischen<br />

Amarynthos und den Inseln der Agäis gab. Auch in mittelhelladíscher Zeit (2000-1650 v.Chr.)<br />

stand Amarynthos weiterhin in Blüte und brachte selber herrliche Beispiele "minoischer"<br />

Keramik hervor, die zugleich auf seine engen Beziehungen zum griechischen Festland verweisen.<br />

Zu Beginn der spät-helladischen Zeit (1650-1100 v.Chr.) war Amarynthos der wichtigste Ort im<br />

Süden Euböas, und sein Name erscheint auf zahlreichen Schrifttafeln, die in zum Teil sehr weit<br />

entfernten Gegenden auf dem Festland und auf den Inseln gefunden wurden. Das markanteste<br />

Kennzeichen der jahrhundertealten Geschichte von Amarynthos ist auch heute noch der ufernahe,<br />

am südlichen Ortsausgang gelegene Paläochora-Hügel, auf dem sich das prä-historische<br />

Amarynthos befunden hat. Die Berichte der antiken Historiker und moderne archäologische<br />

Forschungen bestätigen, dass in der Nähe des Hügels auch das Heiligtum der „Artemis Amarynthia“<br />

gelegen haben muss. Ältere Schriftsteller wissen zu berichten, dass hier ein sehr prächtiger<br />

Tempel gestanden habe, von achtzig Säulen aus parischem Marmor gestützt.<br />

82


(Der Paläochora Hügel bei Amarynthos)<br />

Auf dem markanten Paläochora-Hügel können Archäologen bestenfalls noch spärliche Reste des<br />

alten Ortes ausgraben. Heute wird der Hügel auch „Palöioklissies“ oder „Sarantaklissi“ genannt,<br />

denn dort befinden sich zwei einschiffige, kuppelüberdachte Kapellen aus byzantinischer Zeit,<br />

"K misi t s Theotokou" auf der Spitze des Hügels und, etwas tiefer gelegen, das Kirchlein "Metamorfosi<br />

tou Sotira". Nördlich von Amarinthos liegt in 1500 m Entfernung auf einer Anhöhe die<br />

Panajitsas - Kirche. Die einschiffige, überkuppelte kleine Kirche stammt aus dem 11. oder 12. Jh.<br />

und wurde auf den Grundmauern einer hier gelegenen frühchristlichen Kirche errichtet. Das<br />

gesamte Material, das für seinen Bau verwendet wurde, besteht aus älteren Marmor und Kalksteinblöcken,<br />

was darauf hinweist, dass es hier einen alten Tempel gegeben haben muss.<br />

2. Kloster „Agios Nikolaos“<br />

(Kloster Agios Nikolaos bei Amarynthos)<br />

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Zwei Kilometer östlich von Amarynthos liegt am Fuße der Berge der kleine, unbedeutende Ort<br />

Ano Vathia; von dort führt eine 8 km lange Stichstraße zum 500 m hoch gelegenen Nonnenkloster<br />

„Agios Nikolaos“. Die schöne Fahrt hinauf in die Berge weit oberhalb von Amarynthos<br />

und Eretria gleicht, was die kurvenreiche Straßenführung und die prächtige Aussicht betrifft,<br />

der Straße, die man von Alt-Aidipsos, vorbei am Restaurant „Akropolis“, hinauf zum Kloster<br />

„Agios Georgios“ fahren kann. Das Kloster, nordöstlich von Ano Vathia am Abhang des<br />

Serbuni-Gebirges gelegen, ist wohl erst im 16. Jahrhundert gegründet worden, und seine<br />

Hauptkirche, das Katholikon, scheint ebenfalls um 1600 errichtet worden zu sein. Die Kirche<br />

weist das für Euböa typischen Dachtransept auf (vgl. 5, Lutsa). Die Westfassade der Kirche, also<br />

die Seite des Haupteinganges der Kirche ist besonders reich mit Verzierungen versehen, vor<br />

allem mit Keramiken und farbigen Fayence-platten, wie sie in der Zeit der Türkenherrschaft<br />

beliebt waren. Innen sind von den Fresken nur noch spärliche Reste und kaum mehr zu<br />

entziffernde Inschriften erhalten. Nur die Nennung des Namens „Joasaph“ verweist wohl auf die<br />

Zeit, in der Joasaph II. Patriarch von Konstantinopel war, 1555 – 1565.<br />

(Innenhof des Klosters Agios Nikolaos mit einer besonders schönen und großen Platane<br />

und den Keramiktellern in der Fassade der Kirche)<br />

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3. Gymno<br />

Zwei Gründe könnten Anlass sein, ein kleinen Abstecher in das 6 km nördlich von Amarynthos<br />

gelegene Dorf Gymno zu unternehmen: die schöne Aussicht, die man von dort auf Amarynthos,<br />

und Eretria hat und auf die sanften Ebenen und Küstenstreifen, die die beiden Ort umgeben;<br />

(Blick von Gymno auf Amarynthos, auf den süd-euböischen Golf und das gegenüberliegende Festland)<br />

der zweite Grund, einen Abstecher nach Gymno zu unternehmen, könnte das Interesse sein, das<br />

man an den Relikten fränkisch-venezianischer Herrschaft hat. Denn mitten im Dorf, direkt neben<br />

der Kirche „Kimissis tis Theotokou“ („Maria Entschlafung“) stehen die immer noch imposanten<br />

Ruinen eines mächtigen Turmes aus dem 14. Jahrhundert. Der Turm ist nur teilweise verfallen,<br />

erhebt sich immer noch zu einer stolzen Höhe von 14 m, lässt erahnen, dass er einmal in seinem<br />

Innereren zwischen dicken Mauern Raum für vier Etagen bot, lässt aber vor allem erkennen, dass<br />

er trotz seiner Last der Vergangenheit bereits im 21. Jahrhundert angekommen ist. Sein kräftiges<br />

Mauerwerk dient nämlich als stabile Basis für Antennen, die helfen, das griechische Fernsehen<br />

einzufangen, und seine dicken Mauern, in die so mancher antike Stein- und Marmorblock verbaut<br />

worden zu sein scheint, sind heute die Rückwände von nützlichen Anbauten.<br />

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(Alter und neuer Turm von Gymno mit junger Frau)<br />

4. Der besondere Exkurs: Der Philosoph Menedemos von Eritrea<br />

(ca. 350 – 275 v. Chr.)<br />

Abweichend von den hier sonst meist nur an der Geschichte, der Geographie oder der Topographie<br />

orientierten Abstechern und Rundfahrten zu den Sehenswürdigkeiten auf Euböa, wird nun<br />

im Folgenden eine kleine Exkursion angeboten, die in das wenig besuchte Gebiet der Philosophie<br />

führen soll, zu einem Philosophen aus der Zeit der klassischen griechischen Antike, nämlich zu<br />

Menedemos von Eretria, der auf der Basis der philosophischen Lehren und Methoden des<br />

berühmten Sokrates eine philosophische Schule gründete, die als „elisch-eretische Schule“<br />

bezeichnet wird und deren Mitglieder „Eretiker“ genannt werden. Aber nicht nur die philosophischen<br />

Lehren des Menedemos von Eretria verdienen Beachtung, sondern auch seine Persönlichkeit<br />

und sein Leben, ein Leben, das man zumindest als ungewöhnlich bezeichnen kann. Seine<br />

Heimatstadt Eretria ehrt ihn heute dadurch, dass die Hauptgeschäftsstraße der modernen Stadt<br />

seinen Namen trägt.<br />

Menedemos wurde um das Jahr 350 v. Chr. als Sohn des Cleisthenes 11 in Eretria geboren. Er<br />

muss, wie wir von seinem Biographen Diogenes Laertius 12 wissen, von Jugend an von auffallend<br />

kräftiger Gestalt gewesen sein, denn man nannte ihn den „Bullen“, eine Bezeichnung, die er sich<br />

wohl nicht nur wegen seines mächtigen Schädels erwarb, der als besonders als breit beschrieben<br />

wird und als einer, der von fülliger Schwere gekennzeichnet gewesen sei, sondern auch wegen der<br />

Durchsetzungskraft seines Wesens und seiner Argumente.<br />

Trotz seiner Herkunft aus einer angesehenen Familie arbeitete Menedemos zunächst als einfacher<br />

Maurer und Zeltmacher, bis er als etwa Zwanzigjähriger in der Zeit des „Lamischen<br />

Krieges“ (323 v.Chr.) von seiner Heimatstadt Eretria mit einer Truppe von Soldaten nach<br />

11 Cleisthenes von Eretria (nicht der namensgleiche Staatsmann von Athen) lebte in der ersten Hälfte des 4. Jhdts. v.<br />

Chr. und war von Beruf Architekt und Bühnenbildner; er erbaute das große Amphitheater von Eretria.<br />

12 Diogenes Laertius - (griechisch , Diogénes Laértios) war ein spätantiker Philosophiehistoriker, der<br />

um 220 n. Chr. eine Geschichte der griechischen Philosophie in 10 Büchern schrieb.<br />

86


Megara 13 geschickt wurde, um den Aufstand der griechischen Stadtstaaten zu unterstützen, die<br />

eine – am Ende erfolglose – Koalition gegen die sich ausweitende makedonische Vorherrschaft<br />

gebildet hatten. In Megara lernte Menedemos zum ersten Mal die Philosophie Platons 14 kennen,<br />

die dort von einem Schüler Platons, dem Phaidon von Elis 15 , gelehrt wurde. In Megara begann<br />

auch seine lebenslange Freundschaft mit Asclepiades 16 , mit dem zusammen er nachts arbeitete, um<br />

tagsüber Philosophie hören und studieren zu können. Zunächst war er Schüler von Stilpo 17 und<br />

dann von dem noch berühmteren Philosophen Phaidon. Dessen Lehre übernahm er, und dessen<br />

Schule verlegte er nach Eretria. Wegen dieser lokalen Zusammenhänge erhielt die philosophische<br />

Richtung dieser Schule später den Namen „elisch-eretische Schule“.<br />

Neben seiner Tätigkeit als Philosoph spielte Menedemos bis zu seinem Tode eine führende Rolle<br />

im politischen, kulturellen und, trinkfreudig wie er war, im gesellschaftlichen Leben seiner Vaterstadt<br />

Eretria. Es war die unruhige Zeit, in der die sog. Diadochen, die Nachfolger Alexander des<br />

Großen, untereinander um die Herrschaft im neu-gegründeten großen Reich der Makedonier<br />

kämpften. Auch Euböa und vor allem Eretria blieb von diesen Kriegen nicht verschont. Menedemos<br />

gelang es aber, bei dem Diadochen Demetrios 18 zu erreichen, dass die Tributzahlungen, die<br />

Eretria an ihn zu zahlen hatte, drastisch reduziert werden konnten. Seine freundschaftlichen<br />

Beziehungen jedoch, die er zu Antigonus Gonatas 19 , dem Sohn und Nachfolger des Demetrios,<br />

entwickelt hatte und dem er zeitweise sogar als dessen Botschafter in Ägypten diente, weckten in<br />

Eretria starke Zweifel an Menedemos´ Loyalität zu seiner Heimatstadt (wie wir heute wissen:<br />

unberechtigte Zweifel), so dass man ihm nachstellte und sein Leben bedrohte. Zunächst fand<br />

Menedemos Schutz im Tempel des Amphiaraus 20 in Oropos 21 und dann später bei Antigonus<br />

Gonatas. An dessen Hof, so sagt man, sei er dann schließlich an Kummer und Heimweh gestorben.<br />

Andere Quellen sagen, dass er gestorben sei, weil er sich geweigert habe, Nahrung zu sich zu<br />

nehmen, nachdem er es bei den mazedonischen Nachfolgern Alexanders des Großen nicht habe<br />

erreichen können, dass seiner Vaterstadt größere Unabhängigkeit und die Einrichtung demokratischer<br />

Strukturen gewährt würde.<br />

Die philosophische Schule, der Menedemos in Eretria vorstand, löste sich nach seinem Tod sehr<br />

bald auf. Über philosophischen Lehren dieser Schule berichten die antiken Historiker zum Teil<br />

sehr Unterschiedliches, und das rührt vor allem wohl daher, dass Memedemos wie sein Vorbild<br />

Sokrates keine eigenen Schriften hinterlassen hat. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass er<br />

einige Lehren des Sokrates weiterentwickelte, vor allem dessen aufklärerische Auffassung, dass<br />

nur durch wissenschaftliche Einsicht die sicheren Prinzipien einer sittlicher Lebensführung gewonnen<br />

werden könnten. Tüchtigkeit (gr. aretí) beruhe also auf Einsicht. Wer nur nach Gefühlen<br />

oder auf der Basis nicht-eindeutiger Voraussetzungen oder hergebrachter Gewohnheiten handle,<br />

der könne wohl zuweilen das Richtige treffen, aber der wisse es nicht mit Bestimmtheit und könne<br />

sich daher des Erfolges und der Richtigkeit seines Tuns nicht sicher sein; wer aber gar in<br />

Täuschung oder Irrtum über das, worum es sich handle, begriffen sei, der greife sicher fehl. Nur<br />

der werde des rechten Handelns sicher sein können, der die richtige Einsicht von den Dingen und<br />

von sich selbst habe. Daher sei die Erkenntnis (gr. epistími) die Grundlage aller Eigenschaften, die<br />

den Menschen tüchtig und brauchbar machen könnten. Einsicht, Erkenntnis, so hat Menedemos<br />

wohl gelehrt, entstehe zu allererst aus der genauen Kenntnis eben der Dinge, auf welche sich das<br />

jeweilige Handeln beziehen solle, sodann aber auch aus Selbsterkenntnis. Diese Betrachtungen,<br />

die Sokrates und seine Schüler zunächst aus den Wertbestimmungen der praktischen Tüchtigkeit<br />

13 Megara, Stadt westlich von Athen am saronnischen Golf.<br />

14 Plato(n), griechischer (Athener) Philosoph (427 – 347 v. Chr.), der die Ideen-Lehre entwickelte.<br />

15 Phaidon, ein Lieblingsschüler von Platon, stammte aus Elis, einer Landschaft im Nordwesten der(s) Peleponnes<br />

(Olympia gehört dazu).<br />

16 Asclepiades, Asklepios, lat. Aesculapius: Eigenname in Anlehnung an den Namen des Gottes der Heilkunde<br />

17 Stilpo(n), Philosoph, Schüler von Sokrates und Leiter der „Schule von Megara“, die sich auf Spezialfragen der<br />

formalen Logik spezialisiert hatte.<br />

18 Demetrios, einer der am meisten gefürchteten mazedonischen Generäle, die mit wechselndem Erfolg um die<br />

Nachfolge Alexanders kämpften. Demetrios war lange Zeit erfolgreich, besonders durch seine neuen militärtaktischen<br />

Leistungen und den Einsatz innovativer Kriegsmaschinen. Sein wildes, höchst extravagantes Leben<br />

gäbe Stoff für mehrere Romane.<br />

19 Antigonus Gonatas, Sohn des Demetrios und zeitweise König von Mazedonien<br />

20 Amphiaraus wurde in der griechischen Mythologie als einer der Heroen verehrt, als einer der Göttersöhne also,<br />

deren Kräften Heilung und die Vorhersage der Zukunft zugetraut wurde (ähnlich wie dem Gott der Heilkunst,<br />

Asklepios).<br />

21 Oropos liegt gegenüber Eritrea auf der Festlandseite des Golfes von Euböa. In dem dortigen Tempel schliefen die<br />

Hilfesuchenden, nachdem sie dem Amphiaraus ein Opfer, meist ein Geldopfer, dargebracht hatten. Im Traum<br />

erfuhren sie dann, was ihnen Hilfe bringen konnte.<br />

87


heraus entwickelten, übertrugen sie dann auch auf den Bereich der sittlichen Tüchtigkeit, auf die<br />

Tugend, und das führte sie schließlich zu der sokratischen Grundlehre, dass Tugend in der Erkenntnis<br />

des Guten bestehe und zugleich in der Verknüpfung dieser Erkenntnis mit dem rechten<br />

Willen. Die unterschiedliche Bestimmung dessen, was denn das Gute und Rechte sei, führte dann<br />

zur Herausbildung verschiedener Lehren und philosophischer Schulen. Die Eretriker erblickten<br />

das höchste Gut in der Geistesschärfe, und sie scheinen vor allem einem auch heute noch modern<br />

anmutenden Wissenschaftsbegriff verpflichtet gewesen zu sein. Als Verfechter der Dialektik<br />

(Eristik) befassten sie daher vorzugsweise auch mit den Problemen logischer Paradoxa, zum<br />

Beispiel mit der Behauptung des Philosophen Zenon aus Elea, selbst der schnellfüßige Achill<br />

könne das langsamste Tier, die Schildkröte, niemals einholen, falls diese beim Beginn des<br />

Wettlaufes einen Vorsprung habe, da die Schildkröte, während Achilleus diese Strecke<br />

durchlaufe, selber eine weitere Strecke zurücklege. Immer also, wenn Achilleus diese weitere<br />

Strecke durchlaufe, lege die Schildkröte abermals eine bestimmte, wenn auch jeweils kleinere<br />

Strecke zurück, die ihr einen Vorsprung sichere. Da dies ohne Ende so weitergehe, könne Achilleus<br />

die Schildkröte nicht einholen. Diese Zenonsche Paradoxie von Achilleus und der Schildkröte<br />

wird auch als Halbierungs- oder als Stadion-Paradoxie bezeichnet.<br />

Vorschau auf das Jahr 2007:<br />

„Architektonische <strong>Geschichten</strong> aus Gialtra“<br />

88


5. Literaturverzeichnis<br />

Ergänzungen, die dem aus dem Anhang der “<strong>Geschichten</strong> 2005“ übernommenen Literaturverzeichnis hinzugefügt werden<br />

konnten, werden kursiv ausgewiesen.<br />

Der alte Stich, der das Titelblatt der “<strong>Geschichten</strong> 2006“ ziert, wurde folgendem Buch entnommen:<br />

Bakhuizen, Simon Cornelis: Studies in the topography of Chalcis on Euboea. Chalcidian Studies 1, Studies of the Dutch<br />

Archaeological and Historical Society 11. Leiden (Brill) 1985, S.98<br />

1) Literatur, die sich bei der Erarbeitung des gewählten Themas als hilfreich erwiesen hat:<br />

Auberson, Paul, und Schefold, Karl: Führer durch Eretria, Bern (Francke) 1972<br />

APA Guides, Griechenland, hrsg. v. Karen van Dyck. Apa Publications. München (Langenscheidt) 1997<br />

Baedeker, Karl.: Griechenland, Handbuch für Reisende, Leipzig (K.Baedeker) 5. Auflage 1908<br />

Bakhuizen, Simon Cornelis: Chalcis-in-Euboea, Iron and Chalcidicans Abroad, Studies of the Dutch Archaeological and<br />

Historical Society, Vol. V., Leiden (Brill) 1976<br />

Bakhuizen, Simon Cornelis: Studies in the topography of Chalcis on Euboea. Chalcidian Studies 1, Studies of the Dutch<br />

Archaeological and Historical Society 11. Leiden (Brill) 1985<br />

Behr, Holger: Die Selbstdarstellung Sullas. Ein aristokratischer Politiker zwischen persönlichem Führungsanspruch und<br />

Standessolidarität (Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften; Band<br />

539), Frankfurt a.M. (Peter Lang) 1993<br />

Bengtson, Hermann: Griechische Geschichte von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit. (Handbuch der Altertumswissenschaft<br />

III, 4) München (C.H.Beck), 5.Auflage 1979<br />

Buchon, Alexandre: Voyage dans l´Eubée, les Iles Iioniennes en 1841. Paris (Émile-Paul) 1911<br />

Bursian, Conrad: Geographie von Griechenland. Bände 1 und II, Leipzig 1862 – 1872 (Nachdruck: Hildesheim<br />

(Gerstenberg) 1977)<br />

Bury, John B.: The Lombards and Venetians in Euböa (1205 – 1470). The Journal of Hellenic Studies, 7, 1886, 8, 1887, 9,<br />

1888<br />

Bury, John B.: A History of Greece to the Death of Alexander the Great. London (Macmillan) 1941<br />

Christ, Karl: Sulla. Eine römische Karriere. München (C. H. Beck) 2002<br />

Dahlheim, Werner: Die Antike. Griechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion des Islam, Paderborn<br />

(Schöningh) 1994 (mit umfangreicher und sehr differenzierter Bibliographie)<br />

Dion Chrysostomos: Euböische Idylle, übersetzt von Hildebrecht Hommel. Zürich und Stuttgart (Artemis – Verlag) 1959<br />

Dion Chrysostomos: Der Jäger von Euböa, übersetzt aus dem Altgriechischen von Rudolf Reimer. Steuben Blätter Nr. 29,<br />

Steuben Verlag, Berlin 1948 (inhaltlich identisch mit der „Euböischen Idylle“)<br />

Dondorff, Hellmuth: Die Ionier auf Euböa, in: Jahresbericht über das Königl. Joachimsthalsche Gymnasium. Berlin<br />

(Königliche Akademie der Wissenschaften) 1860<br />

Ducrey, Pierre (Hrsg.): Eretria. A Guide to the Ancient City. CH-Gollion (Infolio éditions) 2004<br />

Duff, Tim: Plutarch´s Lives, Exploring Virtue and Vice. Oxford (Clarendon Press) 1999 (mit umfassender Bibliographie)<br />

Durando, Furio: Griechenland, Archäologischer Reiseführer. Köln (Karl Müller) 2000<br />

Erbstösser, Martin: Die Kreuzzüge. Eine Kulturgeschichte. Leipzig (Verlag für Kunst und Wissenschaft) 1977<br />

Euboica. L´Eubea e la presenza euboica in Calcidica e in Occidente. Neapel (Centre Jean Bérard) 1998<br />

Evely, Doniert, Irene S. Lemos, , Susan Sherratt (Hrsg.): Minotaur and centaur, Studies in the archaeology of Crete and<br />

Euboea. Oxford (Tempus Reparatum) 1996<br />

Fischer Weltalmanach 2005. Frankfurt (Fischer TB) 2005<br />

Fraunberger, Richard: Die unreife Insel, in: Süddeutsche Zeitung, Nr.253 v. 03.11.2005, S.48<br />

Friedrich, Hans Eberhard: Griechenland mit Jugoslawien. Darmstadt (Leske) 1960<br />

89


Frost, Frank J.: Plutarch´s Themistocles, A Historical Commentary. Princeton (PUP) 1980<br />

Geyer, Fritz: Topographie und Geschichte der Insel Euböa. I. Bis zum peloponesischen Kriege (Quellen und<br />

Forschungen zur alten Geschichte und Geographie, Heft 6), Berlin (Weidmannsche Buchhandlung) 1903<br />

Gregorovius, Ferdinand: Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter, 2 Bände. Stuttgart 1889 (reprinted München 1980)<br />

(auch im Internet unter: http://gutenberg.spiegel.de/gregorov/athen/athen.htm)<br />

Gregory, Timothy E.: Roman Inscriptions from Aidepsos, in: Greek, Roman and Byzantine Studies (28), 1979, S. 255 – 277<br />

Griechenland. Lexikon der historischen Stätten von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. v. Siefried Lauffer, München<br />

(C.H.Beck) 1989<br />

Harris, Nathaniel: Antikes Griechenland, Staatswesen, Alltagsleben, Kultur. Wien (Tosa) 2001<br />

Hopf, Karl: Geschichte Griechenlands vom Beginn des Mittelalters bis auf unsere Zeit, Bände I u. II. Leipzig 1867 – 68<br />

(reprinted: New York (Sentry Press) 1960)<br />

Kalemis, Alexandros: Die Entdeckung der natur- und historischen Schätze Euböas (sic!). Athen 2001<br />

Koder, Johannes: Negroponte: Untersuchungen zur Topographie und Siedlungsgeschichte der Insel Euboia während der<br />

Zeit der Venezianerherrschaft. Wien (Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) 1973<br />

Letzner, Wolfram: Lucius Cornelius Sulla. Versuch einer Biographie (Schriften zur Geschichte des Altertums, Band 1),<br />

Münster (LIT) 2000<br />

Lienau, Cay: Griechenland, Geographie eines Staates der europäischen Südperipherie. Darmstadt (WBG) 1989<br />

Lilie, Ralph-Johannes: Byzanz und die Kreuzzüge. Stuttgart (Kohlhammer) 2004<br />

Lock, Peter: The towers of Euboea: Lombard or Venetian, agrarian or strategic, in: The Archaeology of Medieval<br />

Greece, ed. by Peter Lock and G.D.R.Sanders, Oxbow Monograph 59, Exeter 1996, S. 107 – 126<br />

Lock, Peter: The Franks in the Aegean, 1204 – 1500. London (Longman) 1995<br />

Loenertz, Raymond-Joseph: Les Seigneurs Tierciers de Négropont de 1205 à 1280, in: Byzantina et Franco-Graeca. Rom<br />

(Storia e Letteratura) 1978, S. 141 - 181<br />

Lolling, Habbo Gerhard: Reisenotizen aus Griechenland 1876 und 1877, herausgegeben vom Deutschen Archäologischen<br />

Institut, Athen, und der Carl Haller von Hallerstein Gesellschaft, München, Berlin (Reimer) 1989<br />

Lolling, Habbo Gerhard: Das Artemision auf Nordeuböa. Mittelungen des deutschen Archäologischen Instituts in Athen.<br />

Bd. VIII 1883, S.7 – 23 und S. 200 - 210<br />

Longnon, Jean: Les Compagnons de Villehardouin. Genf (Librairie Droz) 1978<br />

Lotze, Detlef: Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Hellenismus, München (C.H.Beck) 1995<br />

Mango, Elena: Das Gymnasion (ESAG, Eretria XIII). CH-Gollion (Infolio éditions) 2003<br />

Mayer, Hans Eberhard (Hrsg.): Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Schriften des Historischen<br />

Kollegs, Kolloquien 37. München (Oldenbourg) 1997<br />

Mayer, Hans-Eberhard: Geschichte der Kreuzzüge. Stuttgart (Kohlhammer) 1995<br />

Meyers Historischer Weltatlas, Leipzig und Wien (Bibliographisches Institut) 1911<br />

Miller, William: Greece. New York (Charles Scribner´s Sons) 1928<br />

Miller, William: The Latins in the Levant; A History of Frankish Greece (1204 – 1566). London 1908, reprinted<br />

Cambridge (Speculum Historiale) 1964<br />

Philippson, Alfred: Die griechischen Landschaften, Bände I – IV, Frankfurt 1950 – 1959. Band I, Teil 2: Das Östliche<br />

Mittelgriechenland und die Insel Euboea, Frankfurt (Klostermann) 1951<br />

Plutarch: Symposiacs. eBooks@Adelaide 2004 (Book IV, Question IV: Whether the sea or land affords better food)<br />

(Internet: http://etext.library.adelaide.edu.au/p/plutarch/symposiacs/chapter4.html)<br />

Rosen, Klaus: Griechische Geschichte erzählt. Von den Anfängen bis 338 v. Chr., Darmstadt (WBG) 2000<br />

Ross, Ludwig: Reisen des Königs Otto und der Königinn Amalia in Griechenland, 2 Bände. Halle (Schwetschke) 1848<br />

Sakellaraki, Efi Sapouna, Coulton, J.J., and Metzger, I.R.: The Fort at Phylla, Vrachos. Excarvations and Researches at a<br />

late Archaic Fort in Central Euboea. The Council, The British School at Athens (Suppl. Vol. 33), Athen 2002<br />

90


Sakllararki, Efi Sapouna: Eretria, Site and Museum. Athen (Archaeological Receipts Fund), 2. Auflage 2000<br />

Speich, Richard: Südgriechenland, Band I, Stuttgart (Kohlhammer) 1978<br />

Ulrichs, Heinrich Nicolaus: Reisen und Forschungen in Griechenland, II. Teil: Topographische und archäologische<br />

Abhandlungen, hrsg. v. A. Passow. Berlin (Weidmannsche Buchhandlung) 1863)<br />

Vanhove, Doris: Roman Marble Quarries in Southern Euboea and the Associated Road Networks (Monumenta Graeca et<br />

Roman, Vol. VIII), Leiden 1996<br />

Vedder, R. G.: Ancient Euboea: Studies in the History of a Greek Island from the Earliest Times to 404 B. C.. Tucson,<br />

Arizona (Univ. of Arizona Diss.) 1978<br />

Volkmann, Richard: Leben und Schriften des Plutarch von Chaeronea. Berlin (Calvary) 1869 (Nachdruck Leipzig 1970)<br />

Waas, Adolf: Geschichte der Kreuzzüge, 2 Bände. Freiburg (Herder) 1956<br />

Walker, Keith G.: Archaic Eretria. A political and social history from the earliest times to 490 BC. London and New York<br />

(Routledge) 2004<br />

Weber, Georg: Griechische Geschichte, Essen (Phaidon) o.J.<br />

Welt- und Kulturgeschichte, Bd.4: Klassische Antike, Band 5: Spätantike und Völkerwanderungszeit,<br />

Hamburg (Zeitverlag) 2006<br />

Werner-Jensen, Arnold: Wolfgang Amadeus Mozart, Musikführer, Band 2 Vokalmusik, Reclam (Leipzig) 2001<br />

Whittaker, David J.: Philip Noel-Baker – Vorkämpfer der Abrüstung, in: Der Friedens-Nobelpreis von 1901 bis heute,<br />

Bd. 7 (1953 – 1962). Zug (Edition Pacis) 1990, S. 74 – 83<br />

Windelband, Wilhelm: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, hrsg. v. Heinz Heimsoeth. Tübingen (J.C.B. Mohr) 1957<br />

Zeitlexikon. Das Lexikon in 20 Bänden, Hamburg (Zeitverlag) 2004/2005<br />

Ziebarth, Erich.: Ausflug nach der Insel Euböa Ostern 1934, in: Hellas Jahrbuch 1936. Hamburg (Friederichsen, de<br />

Gruyter) 1936, S.27 –31<br />

Ziebarth, Erich: Aideepsos, ein griechischer Kurort, in: , in: Hellas Jahrbuch 1936. Hamburg (Friederichsen, de Gruyter)<br />

1936, S.32 - 35<br />

2) Literatur, die verspricht, für das Thema hilfreich zu sein, die aber noch nicht erworben<br />

ausgeliehen werden konnte:<br />

(-) - nicht in der Universitätsbibliothek Bonn<br />

Boulay, J. du: Portrait of a Greek Mountain Village. Oxford 1974/79<br />

Dahlheim, Werner: Die griechisch-römische Antike, Bd. 1, Herrschaft und Freiheit: Die Geschichte der griechischen<br />

Stadtstaaten, Paderborn (UTB) 1992<br />

Dickie, M.: The Geography of Homer´s World, in: Homer´s World, 1995<br />

Drosines, Georgios.: Land und Leute in Nord-Euböa. Übersetzt v. August Boltz, Leipzig (Friedrich) 1884 Berlin<br />

Errington, M.: Geschichte Makedoniens. München 1986 (-)<br />

Fiechter, E.: Das Theater in Eretria (1937)<br />

Fiedler: Reise durch alle Theile des Königreiches Griechenland im Auftrag der Kgl. Griech. Regierung i. d. J. 1834 –<br />

1837, I – II, Leipzig 1840 – 1841 (-)<br />

Gerland, Ernst: Geschichte des lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel. Homburg v.d.H. 1905<br />

Gordon, Thomas.: History of the Greek Revolution. London 1832 (2 Bände), auch: Geschichte der Griechischen Revolution,<br />

nach dem Englischen von J.W. Zinkeisen<br />

Jacoby, David.: Byzantium after the Fourth Crusade: The Latin Empire of Constantinople and the Frankish States in<br />

Greece, in: New Cambridge Medieval History 5, hrsg. v. D. Abulafia, Cambridge 1999, S. 452 – 500 (-)<br />

Jacoby, David: La féodalité en Grèce mediévale. Les ‘Assises de Romanie’: sources, application et diffusion. Paris – The<br />

Hague, 1971<br />

91


Kahrstedt, U.: Das wirtschaftliche Gesicht Griechenlands in der Kaiserzeit. Kleinstadt, Villa und Domäne. Bern 1954 (-)<br />

Keaveney, A.: Sulla, the last republican. London 1982 (-)<br />

Kirsten, Ernst: Die griechischen Landschaften, Teilband 2: Das östliche Mittelgriechenland und die Insel Euböa. Frankfurt<br />

(Klostermann) 1951<br />

Marek, C.: Euboia und die Entstehung der Alphabetschrift bei den Griechen, in: Klio 75, 1993, pp. 27-44<br />

Markl, Otto: Ortsnamen Griechenlands in „fränkischer“ Zeit. Graz/Köln 1966 (-)<br />

Müller, D.: Topographischer Bildkommentar zu den Historien Herodots. Griechenland im Umfang des heutigen<br />

griechischen Staatsgebietes. Tübingen 1987 (-)<br />

Müller, Hans: Griechische Reisen und Studien. 2 Theile in einem Band. Leipzig (Friedrich) 1887<br />

Panagopoulos, B. K.: Cistercian and Mendicant Monasteries in Medieval Greece. Chicago 1979<br />

Paroulakis, Peter H.: The Greek War of Independence (-)<br />

Pauly: Der Kleine Pauly, Bd. 1, 1964<br />

Powell, B.: Trips in Euboea. Unpublished Papers of the American School of Classical Studies, 1899 I. (-)<br />

(The) Princeton Encyclopeidia of Classical Sites, hrsg.v. R.Stillwell, Princeton 1976 (-)<br />

Queller, D. E.: The Fourth Crusade. The Conquest of Constantinople, 1201 – 1204. Philadelphia 1977<br />

Triantaphyllopoulos, D. D., “Archaeological issues on Byzantine and Post-Byzantine Euboea. (Historical context –<br />

monuments - problems and demands)” (in Greek, English summary), Archaeologia (dedicated to Euboea), iss. 42<br />

(Athens, 1992), pp. 63-75.<br />

Wachmeier, G.: Athen. Zürich und München 1976<br />

3) Literatur, die versprach, für das Thema dieser „<strong>Geschichten</strong> 2006“ hilfreich zu sein, die<br />

sich dann aber als zu speziell oder als gar nicht zum Thema passend erwies:<br />

Bowra, C. M.: Heroic Poetry, London (Macmillan) 1952 (sehr allgemein zur Struktur von Heldenepen)<br />

Bowra, C. M.: Heldendichtung. Eine vergleichende Phänomenologie der heroischen Poesie aller Völker und Zeiten,<br />

Stuttgart 1964 (dito)<br />

Buck, Robert J.: A History of Boeotia. Edmonton (The University of Alberta Press) 1979 (Frühgeschichte Boötiens bis zum<br />

Jahre 431 v.Chr.)<br />

Braudel, Fernand: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps, 3 Bände. Frankfurt (Suhrkamp)<br />

1990 (sehr umfassend für das 16. Jahrhundert, auch: Schlacht von Lepanto)<br />

Bury, John B.: A History of the Easter Roman Empire from the Fall of Irene to the Accession of Basil I., London<br />

(Macmillan) 1912 (Zeitraum 802 – 867, interessant nur für Byzanz, Schisma etc.)<br />

Cargill, Jack: Athenian Settlements of the Fourth Century B.C., Leiden (E.J.Brill) 1995 (nichts über Euböa)<br />

Dihle, Albrecht: Die Griechen und die Fremden. München (C.H.Beck) 1994 (uninteressant)<br />

Errington, Robert Malcolm: Geschichte Makedoniens. Von den Anfängen bis zum Untergang des Königreiches,<br />

München (C.H.Beck) 1986 (nur Makedonien, ohne Euböa)<br />

Finley, M. I.: Die Griechen. Eine Einführung in ihre Geschichte und Zivilisation. München (C.H.Beck) 1976<br />

(uninteressant)<br />

Fuhrmann, Heinrich: Philoxenos von Eretria. Archäologische Untersuchungen über zwei Alexandermosaike. Göttingen<br />

(Kaestner) 1931 (über pompejanische Mosaikbilder)<br />

Geyer, Fritz: Euböa in den Wirren der Diadochenzeit, in: Philologus 85, NF 35 (1930), S. 175 – 191 (sehr speziell zu Fragen<br />

der Autonomie von Städten auf Euböa im 3. u. 2. Jhdt. v. Chr.)<br />

Holt, P. M.: The Age of the Crusades. The Near East from the eleventh century to 1517. London, New York (Longman)<br />

1986 (Vorderer Orient)<br />

92


Huxley, A., and Taylor, W.: Flowers of Greece and the Aegean. London 1977 (über die griechische Flora auch auf Euböa)<br />

Jacoby, David: Byzantium, Latin Romania and the Mediterranean. Variorum Collected Studies Series: CS 703. Aldershot<br />

(Ashgate) 2001 (Sammlung von Aufsätzen zum Lateinischen Imperium von Konstantinopel (1204 – 1261) mit<br />

besonderer Berücksichtigung der Machtinteressen und -strukturen Venedigs)<br />

Jones, C. P.: Plutarch and Rome. Oxford (Clarendon Press) 1971 (nichts über Euböa)<br />

Kennedy, Hugh: Crusader Castles. Cambridge (CUP) 1994 (Vorderer Orient)<br />

Kirsten, Ernst, und Kraiker, Wilhelm.: Griechenlandkunde. Ein Führer zu klassischen Stätten. Heidelberg (Carl Winter)<br />

4. Aufl. 1962 (sehr ausführlich über viele griech. Kulturstätten, aber sehr wenig über Euböa)<br />

Künkele, Siegfried, und Paysan, Klaus: Die Orchideenflora von Euböa (Griechenland). OPTIMA-Projekt „Kartierung der<br />

mediterranen Orchideen“, Bd.3. Karlsruhe (Institut für Ökologie und Naturschutz) 1981 (Arten und Fundstellen<br />

von Orchideen auf Euböa)<br />

Maier, Franz Georg: Die Verwandlung der Mittelmeerwelt. (Fischer Weltgeschichte Bd. 9) Frankfurt 1968 (Zeit<br />

Konstantins)<br />

Mayer, Hans Eberhard: Idee und Wirklichkeit der Kreuzzüge. Germering bei München 1965 (lateinische Quellentexte)<br />

Mattingly, H. B.: Athens and Euboea, in: JHS 81 (1961), S. 124 – 132 (zu speziell, Zeit um 400 v. Chr.)<br />

Mayer, Hans Eberhard: Kreuzzüge und lateinischer Osten. London (Variorum Reprints) 1983 (sehr spezielle Aufsätze)<br />

Ostrogorsky, Georg: Geschichte des byzantinischen Staates. München (C.H.Beck) 1965 (Geschichte des byzantinischen<br />

Reiches 324 – 1453)<br />

Picard, Olivier: Chalcis et la Confédération Eubéennne: Étude de numismatique et d´histoire (IVe – Ie siecle), Athenes<br />

1979 (interessant nur für Münzen bis zum 1. Jahrhundert)<br />

Queller, Donald E., and Madden, Thomas F.: The Fourth Crusade. Philadelphia, Pa. (UPP) 2000 (ohne Bedeutung für<br />

Euböa)<br />

Philippson, Alfred: Beiträge zur Morphologie Griechenlands. Stuttgart (Engelhorns) 1930 (nur grobe Morphologie)<br />

Philippson, Alfred: Die griechischen Landschaften, Bände I – IV, Frankfurt 1950 – 1959. Band I, Teil 1: Der Nordosten der<br />

griechischen Halbinsel. Frankfurt (Klostermann) 1950 (Geologie und Morphologie von Thessalien)<br />

Rechinger, Karl-Heinz: Die Flora von Euboea (Botanische Jahrbücher, Bd. 80), Stuttgart 1961<br />

(Auflistung aller Pflanzen und deren Standorte auf Euböa; interessant für Biologen, die des Lateins kundig sind.)<br />

Rose, Herbert Jennings: Griechische Mythologie, München (C.H.Beck) 8. Auflage 1992 (wichtig nur für mythologische<br />

Fragen)<br />

Schuller, Wolfgang: Die Herrschaft der Athener im Ersten Attischen Seebund, Berlin (de Gruyter) 1974 (zu speziell:<br />

Athen)<br />

Schuller, Wolfgang: Griechische Geschichte, München, 3.Auflage 1991 (nur alte Geschichte)<br />

Schweiger Lerchenfeld, Amand Freiherr von: Griechenland in Wort und Bild. Leipzig 1887 (Reprint: Kettwig (Phaidon)<br />

1992) (mehr Reisebericht als historisch informativ)<br />

Topping, Peter: Studies on Latin Greece, A.D. 1205 – 1715. London (Variorum Reprints) 1977 (Quellen und Kommentare<br />

zur politischen und juristischen Struktur der fränkischen Staaten in Griechenland, genauer: in Morea, also den<br />

fränkischen Staaten auf dem Peloponnes. )<br />

Xagorari, Maria: Untersuchungen zu frühgriechischen Grabsitten. Figürliche plastische Beigaben aus geschlossenen Grabfunden<br />

Attikas und Euböas des 10. bis 7. Jhs. v. Chr., Mainz (von Zabern) 1996 (zu speziell und Vorgeschichte)<br />

Zahrnt, M.: Olynth und die Chalkidiker, München (C.H.Beck) 1971 (ohne Bedeutung für Euböa)<br />

Zinkeisen, Johann Wilhelm: Geschichte Griechenlands vom Anfang geschichtlicher Kunde bis auf unsere Tage. Dritter<br />

Theil: Die Geschichte der griechischen Revolution während der Jahre 1821 und 1822. Vierter Theil: Die<br />

Geschichte der griechischen Revolution vom Jahre 1823 bis zur Thronbesteigung des Königs Otto im Jahre 1835.<br />

Leipzig (J. A. Barth) 1840 (sehr ausführliche und detailfreudige Darstellung des griechischen Freiheitskampfes)<br />

93


6. Nachtrag zu den „Historischen <strong>Geschichten</strong> 2005“<br />

1. Das Artemision<br />

In den „<strong>Geschichten</strong>“ des Jahres 2005 wurde auf den Seiten 46/47 ein Hinweis auf die ungefähre<br />

Lage des Artemis-Tempels gegeben, der seit der Antike der nördlichen Kap-Region Euböas seinen<br />

Namen gegeben hat. Dank der freundlichen Hilfe des Deutschen Archäologischen Instituts in<br />

Athen ist es inzwischen möglich geworden, Einblick in die schriftlich dokumentierten Ergebnisse<br />

der entsprechenden Ausgrabungen von H.G.Lolling zu nehmen und damit sowohl die Lage dieses<br />

Artemis-Tempels als auch sein wahrscheinliches Aussehen und seine Bedeutung genauer zu<br />

bestimmen.<br />

Nach der Karten-Skizze, die H.G. Lolling 1883 anfertigte, müssten die Reste des Artemision-<br />

Tempels und müssten die Ruinen der Kapelle des Agios Georgios eigentlich leicht zu finden sein,<br />

aber der Weg, den er als von Xerochori (heute Istiea) kommend in Richtung Guväs (Gouves)<br />

einzeichnete, folgt nicht mehr der heutigen Straßenführung. Die heutige Straße von Pefki nach<br />

Gouves führt weiter nördlich, also näher der Küste an dem Hügel vorbei, auf dem in der Antike<br />

das Artemision stand, ungefähr dort, wo auf Lollings Karte „Ai Giorgi“ eingetragen ist. Der<br />

winzige Ort „Potokki“ ist wohl die Keimzelle des heutigen Pefki. Aber gerade am östlichen und<br />

südöstlichen Rand der “Pevki Bucht“ sind heute, anders als zu Lollings Zeit, die Flächen nicht<br />

mehr unbebaut oder gar sumpfig, sondern gerade dort breitet sich seit einigen Jahren eine<br />

Vielzahl privater Häuser und touristisch genutzter Gebäude aus, zwischen denen die Spuren der<br />

Vergangenheit nur schwer zu entdecken sind.<br />

(Erste Karte von der Lage des Artemision-Tempels auf Nord-Euböa (1883), Quelle: Lolling (s.u.), S. 13)<br />

Der Hügel, auf dem in der Antike das Artemis-Heiligtum stand, erhebt sich, wenn man der Straße<br />

von Pefki nach Gouves folgt, rechts der Straße am Ortsausgang von Pefki, dort, wo nach links<br />

erneut ein Schild hinunter nach „Pefki“ weist. Genau an der letzten hohen stählernen Straßenlaterne<br />

von Pefki führt nach rechts eine kleine Stichstraße steil den „Artemisio-Hügel“ hinan.<br />

Dieser Betonweg endet zwar schon nach 50 m, aber von dort kann man sich zu Fuß einen müh-<br />

94


samen Weg hinauf auf den Hügel suchen. Man wird zwar Tempelreste vergeblich suchen, aber<br />

sicherlich finden, dass die Aussicht von dort droben bezaubernd ist.<br />

Folgt man nach glücklicher Rückkehr der Fahrstraße weiter in Richtung Gouves, so weist nach<br />

wenigen Metern ein Schild nach links zur Kirche „Agios Georgios“. Die Kirche ist ein moderner,<br />

unbedeutender Bau inmitten der lockeren Ortsbebauung von Pefki, aber 100 m weiter auf der<br />

Straße in Richtung Gouves, steht rechts, ziemlich versteckt, am Rande des „Artemisio-Hügels“<br />

eine kleine Kapelle, die ebenfalls dem Heiligen Georg geweiht ist und insofern Interesse verdient,<br />

als sie wohl als der Ort angesehen werden kann, an dem in christlicher Form die antike Verehrung<br />

der Göttin Artemis weitergeführt wird.<br />

Die wenigen, aber doch aussagekräftigen Funde, die H.G.Lolling bei seinen Grabungen am Fuße<br />

des Muskat-Hügel bei Pefki am Ende des 19. Jahrhunderts gemacht hat, lassen es als sicher erscheinen,<br />

dass in der Nähe der Stelle, auf der in neuerer Zeit eine Kapelle (und vielleicht noch eine<br />

Reihe weiterer kirchlicher Gebäude) stand, die dem Agios Georgios geweiht war, in alten Zeiten,<br />

vielleicht von 500 v.Chr bis 300 n.Chr., der bekannte Artemis-Tempel errichtet war, der der<br />

gesamten nordöstlichen Uferregion Euböas seinen Namen gegeben hat und in zahlreichen antiken<br />

Quellen erwähnt wird (z.B. von Herodot und Plutarch). Diese Lokalisierung des antiken Heiligtums<br />

unweit der Bucht von Pefki wird in der archäologischen und historischen Forschung durchgehend<br />

akzeptiert.<br />

Neben einigen Fundstücken aus Marmor, die erweisen, dass sie ursprünglich zu einem sorgfältig<br />

und aufwändig ausgeführten Bau gehörten, ist es vor allem das größere Bruchstück (ca. 50 x 50<br />

cm) einer von Lolling ausgegrabenen Marmor-Stele 22 , die den bezeichneten Ort unzweifelhaft als<br />

den ausweisen, auf dem das Artemis-Heiligtum gestanden hat. In den Marmor sind nämlich die<br />

Namen, Wohnorte und Geldbeträge von Spendern eingeritzt, die zur Erneuerung des Heiligtums<br />

der Artemis beigetragen haben. Einige orthographische Details verweisen dieses steinerne Dokument<br />

etwa in die Zeit um 150 v.Chr.<br />

Weitere größere Funde konnte H.G.Lolling nicht machen; er fand vor allem keine Überreste der<br />

Fundamente des Heiligtums und nahm an, dass die antike Anlage bei ihrer Zerstörung (vielleicht<br />

am Ende der Zeit, in der die Römer in Griechenland gewesen waren, also im 3. oder 4. Jahrundert<br />

n. Chr.) bis zum Grund weggerissen wurde und dass ihr Material zum großen Teil zu Kalk<br />

verbrannt oder für Neubauten an der Tempelstätte und in ihrer Umgebung weggeschleppt wurde.<br />

Aus den wenigen Kleinfunden schloss Lolling, dass der Tempel wohl im dorischen Stil errichtet<br />

gewesen sein müsse und dass seine Maße ihn als besonders klein hätten erscheinen lassen (Breite:<br />

6,5 oder max. 10,8 m, Länge: 13,0 oder max. 21,0 m).<br />

Sowohl die Funde als auch die schriftlichen Belege, in deren jeweiligen Zusammenhängen der<br />

Artemis-Tempel erwähnt wird, lassen erkennen, dass dem Artemis-Tempel in keiner Phase seiner<br />

Geschichte eine Bedeutung zukam, die über die lokalen Grenzen Nord-Euböas hinausgegangen<br />

wäre. Nirgends ist von einer eigenen Bedeutung diese Heiligtums die Rede, immer wird es nur im<br />

Zusammenhang mit den Erfolgen erwähnt, die die griechische Flotte hier in seiner Nähe im<br />

Kampf mit den Persern 480 v.Chr. errungen hat. Nur die oben erwähnte Marmor-Stele mit ihren<br />

Ortsangaben lässt erkennen, dass der Artemis-Kult wohl auch für die nord-euböische Nachbarschaft<br />

von Bedeutung war und er hier im Artemis-Tempel seinen religiösen Mittelpunkt hatte.<br />

Literatur:<br />

Frost, Frank J.: Plutarch´s Themistocles, A Historical Commentary. Princeton (PUP) 1980, S. 109 - 111<br />

Lolling, Habbo Gerhard: Das Artemision auf Nordeuböa. Mittelungen des deutschen Archäologischen Instituts in Athen,<br />

Bd. VIII 1883, S.7 – 23 und S.200 - 210<br />

22 Wo diese Marmor-Stele zur Zeit aufbewahrt oder gezeigt wird, konnte noch nicht ermittelt werden. Zu Lollings<br />

Zeiten hatte sie ihren Platz auf dem nahen Gehöft, das auf der Karten-Skizze als „Kurbatsi“ ausgewiesen wird.<br />

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2. Statue des Antinoos<br />

In den „Historischen <strong>Geschichten</strong> 2005“ wurde auf den Seiten 53 – 69 berichtet, welche griechischen<br />

Götter und welche römischen Imperatoren in Loutra Aidipsos besonders verehrt<br />

wurden oder dort gar Spuren hinterlassen haben. Von Sulla und Herkules wurde dort erzählt,<br />

von den römischen Kaisern, die in Loutra Aidipsos zur Kur waren, doch zwei Namen wurden<br />

dabei nicht erwähnt, die in diesem Zusammenhang aber unbedingt hätten auch genannt werden<br />

müssen, nämlich Hadrian und Antinoos, denn deren Namen sind mit einer schönen Statue<br />

verbunden, die, wenn auch nicht ganz vollständig, 1894 in den Resten einer römischen<br />

Badeanlage in Aidipsos gefunden wurde und von der man annimmt, dass sie im 2. Jahrhundert n.<br />

Chr. geschaffen wurde. Heute wird diese Statue an herausgehobener Stelle im Museum von<br />

Halkida gezeigt und bewundert (vgl. S. 51). Aidipsos selber aber wird wohl nie ein eigenes<br />

Museum besitzen, in dem all die Schätze, die mit seinem Namen und seiner Vergangenheit<br />

verbunden sind, präsentiert werden könnten.<br />

(Statue des Antinoos im Museum von Delphi)<br />

Die Statue des Antinoos zeigt einen jungen Mann, dessen Lockenkopf mit Efeu bekränzt ist. Von<br />

anderen Darstellungen ist bekannt, dass Antinoos, ähnlich wie Herakles, das Fell eines Raubtieres<br />

über einem seiner Unterarme trug, aber nicht ein Löwenfell, sondern das Fell eines Leoparden,<br />

und dass er sich auf einen hölzernen Stab stützte, der ebenfalls mit Efeu geschmückt war. Efeu<br />

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war ein geheiligtes Symbol für Dionysos, den Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase (vgl. S. 71).<br />

Antinoos war selber von seinem väterlichen Freund, dem römischen Kaiser Hadrian, in den Rang<br />

eines Gottes erhoben worden, und der Kult, der damit verbunden war, erfreute sich im gesamten<br />

Mittelmeerraum großer Beliebtheit. Zu dieser Beliebtheit trugen gewiss auch die sagen-hafte<br />

Schönheit des Antinoos bei und zudem die ungewöhnlichen Biographien von Hadrian und<br />

Antinoos, die oft über das historisch Verbürgte hinaus dazu reizten, der Phantasie und der Freude<br />

am Erzählen nachzugeben. Zu recht hat man also beanstandet, dass die beiden ausgerechnet in<br />

den „<strong>Geschichten</strong> 2005“ fehlten.<br />

(Kopf des Antinoos im Museum von Delphi)<br />

Historisch erwiesen ist, dass Hadrian der erste römische Kaiser war, der sich mit Bart abbilden<br />

ließ, und das wird was oft als ein Zeichen für seine Liebe zur griechischen Kultur gedeutet.<br />

Andere halten sehr viel nüchterner dagegen, dass er mit seinem Bart doch nur einen Makel in<br />

seinem Gesicht habe verbergen wollen. Andere Details aus Hadrians Biographie sind sehr viel<br />

weniger umstritten. Hadrian (Publius Aelius Hadrianus) wurde 76 n. Chr. in Italica (Süd-<br />

Spanien) geboren. Nach dem Tod seines Vaters übernahm Kaiser Trajan seine Erziehung, machte<br />

ihn mit griechische Kultur und Philosophie bekannt und adoptierte ihn. Im Jahre 100 n. Chr.<br />

heiratete Hadrian die Tochter einer Nichte Trajan, nämlich Vibia Sabina. Nach Trajans Tod im<br />

Jahre 117 n. Chr. riefen die römischen Soldaten Hadrian zum neuen Kaiser aus. In der<br />

Wahrnehmung seines kaiserlichen Amtes verzichtete Hadrian auf eine weitere kostspielige Expansion<br />

des Reiches und widmete sich statt einer Ausdehnung der Grenzen auf deren verstärkte<br />

Sicherung (Limes, Hadrianswall), dem inneren Ausbau des Reiches sowie der Neuordnung von<br />

Verwaltung und Heer. Durch seine kluge Staatsführung sicherte Hadrian dem Römischen Reich<br />

innerhalb stabiler Grenzen eine zwanzigjährige Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs. Von seiner<br />

Bautätigkeit zeugen u.a. das Pantheon und sein Mausoleum in Rom (die Engelsburg) sowie die<br />

Hadrians-Villa bei Tivoli.<br />

Die Ehe allerdings zwischen Hadrian und Sabina blieb kinderlos, wie überhaupt die Beziehung<br />

zwischen den Eheleuten war wohl eher als sehr distanziert bezeichnet werden muss, und so hatte<br />

auch Hadrian keine Scheu, seine außerehelichen Liebesverhältnisse öffentlich zu leben. Besonders<br />

der Jüngling Antinoos stand ihm nah und lebte bis zu seinem Unfalltod im Nil an seiner Seite.<br />

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Hadrian ließ den jungen Mann nach seinem Tod als Gott verehren. Die Nachfolge auf dem<br />

Kaiserthron regelte Hadrian in bewährter Weise; er adoptierte einfach den Antoninus Pius.<br />

Hadrian starb im Jahre 138 n. Chr. bei Baiae.<br />

Intellektuell wird Hadrian als brillanter Kopf geschildert; er soll künstlerisch sehr begabt gewesen<br />

sein, besonders in der Literatur und in der Malerei; er wird von antiken Autoren jedoch auch<br />

als sehr exzentrisch und als empfindlich gegenüber Kritik beschrieben.<br />

Antinoos, Hadrians Geliebter, war vor allem für seine Schönheit berühmt. Welches Schönheitsideal<br />

er verkörperte, ist an den zahlreichen Porträts und Statuen abzulesen, die über<br />

Jahrhunderte seine sanfte Männlichkeit zum Ideal (und zur Mode) menschlicher Vollkommenheit<br />

machten. Die Portraits und Statuen zeigen Antinoos meist als schönen Jüngling mit etwas<br />

molligen Zügen und reicher Lockenpracht. Sein Gesichtsausdruck scheint geistesabwesend und<br />

schwermütig zu sein. Offenbar galten gerade solche Züge an jungen Männern als besonders attraktiv.<br />

Antinoos wurde um 110 n. Chr. in Bithynien geboren. Als Jüngling wurde er sehr früh schon zum<br />

Favoriten, zum Geliebten und zum Begleiter Kaiser Hadrians. Auf einer Ägyptenreise, auf der er<br />

Hadrian um 130 n. Chr. begleitete, ertrank er unter ungeklärten Umständen in den Fluten des<br />

Nils. Man möchte sein Schicksal fast als ein romantisches bezeichnen.<br />

Die Ägypter verehrten im Nil Ertrunkene als Gottheiten, denn sie glaubten, dass ihre Seelen<br />

direkt zu den Göttern aufstiegen. Und so richtete Hadrian seinem Liebling einen Kult ein, ließ zu<br />

Ehren des Antinoos Statuen, Kultstätten und Monumente errichten und gründete am Nil sogar<br />

eine Stadt, die den Namen des Geliebten trug: Antinoopolis. Der Kult verbreitete sich über Kleinasien<br />

bis nach Italien und Griechenland. Die Statue, die in Aidipsos gefunden wurde, ist ein<br />

besonders schönes Beispiel für die weite Verbreitung des Antinoos-Kultus.<br />

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