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Franziskaner Mission 03/06 - Neue Provinzleitung der Deutschen ...

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<strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 3 | 20<strong>06</strong> — Information o<strong>der</strong> Illusion – Medien verän<strong>der</strong>n<br />

»Ah«, schrie wie<strong>der</strong> meine jüngste<br />

Enkelin, »das kenne ich aus dem<br />

Museum für Ur- und Frühgeschichte!<br />

Das war so ein Monstrum, bei dem<br />

man einen Kasten auf drei Beinen<br />

aufgebaut und sich ein schwarzes<br />

Tuch über den Kopf geworfen hat.«<br />

Ich musste lachen. »Nein«, sagte ich,<br />

»das ist viel länger her. Wir hatten<br />

ganz normale handgroße Apparate.«<br />

»Aber wenn ihr euch ganz dringend<br />

etwas sagen wolltet?« Meine älteste<br />

Enkelin kam wie<strong>der</strong> auf die Sache<br />

mit <strong>der</strong> Erreichbarkeit zurück. »Das<br />

ging dann doch nicht!«<br />

»Nee«, stimmte ich ihr zu. »Wir<br />

konnten uns nicht ständig sagen,<br />

was wir gerade in diesem Moment<br />

unbedingt sagen wollten. ›Ich stehe<br />

hier vor dem Kaufhof‹, zum Beispiel.«<br />

»Auch keine SMS schicken?«<br />

fragte nun mein ältester Enkel. Ich<br />

schüttelte den Kopf. Alle stöhnten auf<br />

vor Mitleid. »Ihr konntet euch nichts<br />

schreiben?« fragte meine älteste<br />

Enkelin mit Grabesstimme.<br />

»Ah, doch«, sagte ich, »schreiben<br />

konnten wir uns schon, aber das<br />

wurde dann mit <strong>der</strong> Post verschickt.«<br />

Post, das kannten sie nicht. Nicht<br />

einmal meine jüngste Enkeltochter<br />

aus dem Museum für Ur- und<br />

Frühgeschichte. »Man hat etwas<br />

auf Papier o<strong>der</strong> auf eine bunte Karte<br />

geschrieben, also mit einem Stift<br />

mit <strong>der</strong> Hand«. Die Kin<strong>der</strong> stöhnten<br />

wie<strong>der</strong> – das hatten sie mal für ein<br />

halbes Jahr im Geschichtsunterricht<br />

geübt, um mal zu spüren, wie es<br />

ihren Vorfahren gegangen war.<br />

Entsetzlich!<br />

»Also«, fuhr ich fort, »wir haben<br />

etwas auf Papier geschrieben, in<br />

einen Umschlag gesteckt und drauf<br />

geschrieben, an wen wir das schicken<br />

wollten. Und eine <strong>der</strong> vielen Personen,<br />

die bei <strong>der</strong> Post arbeiteten,<br />

brachte dann den Brief dorthin.«<br />

»Puh!« rief mein jüngster Enkel, »das<br />

hat dann ja Stunden gedauert!«<br />

»Tage«, sagte ich, »das dauerte<br />

mindestens einen Tag, manchmal<br />

länger.« Die Kin<strong>der</strong> johlten. »Ist ja<br />

irre!« schrieen sie, »einen Tag, haha,<br />

da kann man ja gleich persönlich<br />

hingehen!« Das wie<strong>der</strong>um kam ihnen<br />

so lustig vor, dass sie sich schier<br />

ausschütteten. »Stimmt«, sagte ich,<br />

»wir haben uns eigentlich regelmäßig<br />

persönlich getroffen.«<br />

»Huhu«, jaulte meine älteste<br />

Enkeltochter auf, »gleich wirst du<br />

uns erzählen, dass ihr in <strong>der</strong> Kneipe<br />

nicht telefoniert habt, son<strong>der</strong>n<br />

geredet!« Ich nickte. »Genau«, sagte<br />

ich. »Wir haben uns nicht gegenüber<br />

gesessen und telefoniert, son<strong>der</strong>n wir<br />

haben miteinan<strong>der</strong> gesprochen.«<br />

»Ui«, sagte mein ältester Enkelsohn<br />

mit schreckgeweiteten Augen.<br />

»Und was habt ihr gemacht, wenn<br />

die Person gegenüber blöd war o<strong>der</strong><br />

langweilig? Dann konntet ihr ja gar<br />

niemand an<strong>der</strong>s anrufen.« Die vier<br />

sahen mich mitleidig an. Langsam<br />

fragte ich mich schon selber, wie das<br />

damals alles gehen konnte.<br />

»Also, ich glaube, wir haben uns<br />

nicht mit blöden Leuten verabredet.«<br />

»Ihr habt vorher nachgedacht, was?«<br />

fragte mein jüngster Enkelsohn mit<br />

Blick auf die an<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>. Sie<br />

prusteten. »Jawohl«, sagte ich. »Ich<br />

denke mal, wir haben vorher darüber<br />

nachgedacht.«<br />

»Und wenn ihr auf dem Weg<br />

irgendwohin wart, was habt ihr denn<br />

dann gemacht, wenn ihr nicht telefonieren<br />

konntet? Nachgedacht?« Die<br />

an<strong>der</strong>en johlten. »O<strong>der</strong> einen Brief<br />

geschrieben, den ihr dann jemandem<br />

gleich mitbringen konntet, weil ihr<br />

euch ja eher getroffen habt, als dass<br />

ihr euch mit dem fest installierten<br />

Telefon erwischt habt?« Die an<strong>der</strong>en<br />

Enkelkin<strong>der</strong> wälzten sich inzwischen<br />

ausgelassen auf dem Boden.<br />

Es half nichts. Ich wollte ihnen gerade<br />

erklären, dass wir durchaus mal<br />

stolpern konnten, ohne das direkt<br />

am Telefon jemandem mitteilen zu<br />

müssen, dass wir an jemanden denken<br />

konnten, ohne eine SMS »Ich denk<br />

an dich« zu schicken, und dass es uns<br />

meist auch ohne Handy gelungen ist,<br />

uns miteinan<strong>der</strong> zu verabreden und<br />

uns während <strong>der</strong> Verabredungen gar<br />

nichts fehlte, wenn wir nicht gleichzeitig<br />

telefonieren konnten.<br />

Als ich sagte, »Manchmal hatte<br />

ich sogar Besuch und das Telefon<br />

klingelte. Dann bin ich natürlich nicht<br />

dran gegangen«, starrten mich meine<br />

auf dem Boden liegenden Enkelkin<strong>der</strong><br />

entgeistert an. »Da hattest du<br />

eh schon so eine geringe Chance,<br />

mit einem fest installierten Telefon<br />

angerufen zu werden«, rief mein<br />

ältester Enkelsohn, doch da klingelte<br />

das erste Handy. Und als würden die<br />

an<strong>der</strong>en davon angesteckt o<strong>der</strong> herausgefor<strong>der</strong>t,<br />

klingelten gleich danach<br />

alle an<strong>der</strong>en auch. Während alle<br />

telefonierten und dabei endlich wie<strong>der</strong><br />

einen entspannten Eindruck machten,<br />

ging ich mit meiner Tasse in die Küche<br />

und blickte aus dem Fenster. »Grad<br />

blicke ich aus dem Fenster, und du?«<br />

hätte ich als SMS an jemanden schreiben<br />

können. Blöd, ich habe einfach<br />

kein Handy.<br />

Daniela Böhle<br />

Daniela Böhle, geb. 1970, arbeitet als freie<br />

Autorin in Berlin. Die Geschichte stammt<br />

aus ihrem Erzählungenband »Amokanrufbeantworter«<br />

(Satyr-Verlag, 2005), <strong>der</strong><br />

auch über www.franziskanerbuch.de zu<br />

beziehen ist.

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