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Jüdischer bewaffneter Widerstand - Arbeit und Leben (DGB/VHS ...

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Zunächst waren die Brüder nur mit einigen Familienangehörigen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en in die <strong>und</strong>urchdringlichen<br />

Wälder Ostpolens geflohen. Sie wollten nicht den gelben Stern tragen, ins<br />

Ghetto gesperrt oder zur Zwangsarbeit abtransportiert werden. An ein Versteck bei polnischen<br />

<strong>und</strong> weißrussischen Nachbarn war nicht zu denken. Dort drohte Verrat <strong>und</strong> damit der sichere<br />

Tod. 1942 war die Gruppe bereits auf 200 Menschen angewachsen, im Sommer 1943 auf 600.<br />

Kurz darauf holten Tuvia Bielski <strong>und</strong> seine Leute H<strong>und</strong>erte Juden aus dem Ghetto in<br />

Nowogrodek <strong>und</strong> brachten sie in das „neue Jerusalem“. Dort gab es Holzhäuser, Ställe, Vorratskammern,<br />

eine Bäckerei <strong>und</strong> Großküche, eine Schule für 50 Kinder, eine Synagoge, ein<br />

Krankenrevier, ein Badehaus, ein Theater <strong>und</strong> zahlreiche Werkstätten. Denn die Bielski-<br />

Einheit mit den vielen Frauen <strong>und</strong> Kindern war keine reguläre Einheit, die den Kampf mit den<br />

deutschen Besatzern suchte. Sie unterstellte sich dem Schutz der sowjetischen Partisanen <strong>und</strong><br />

versorgte diese zum Dank mit <strong>Leben</strong>smitteln, Kleidung, Schuhen <strong>und</strong> instandgesetzten Waffen.<br />

Kurz nach dem Kinostart von Defiance in Polen räumten Zeithistoriker in einem langen Essay<br />

in der Tageszeitung Gazeta Wyborcza mit der Mär vom jüdischen Massaker in Naliboki auf.<br />

Nicht die Bielski-Einheit habe am 8. Mai 1943 das Dorf überfallen <strong>und</strong> ausgeraubt, sondern<br />

drei sowjetische Partisanen-Abteilungen der ebenfalls in den Wäldern stationierten Stalin-Brigade.<br />

Dies gehe aus Dokumenten hervor, die im Nationalarchiv Weißrusslands in Minsk lägen<br />

<strong>und</strong> den Fachhistorikern schon seit Längerem bekannt seien. So lobte General „Platon“<br />

(Wassili Tschernyschow) in einem Befehl vom 10. Mai 1943 den „überraschenden Angriff<br />

auf die deutsche Garnison der Selbstverteidigung in der Ortschaft Naliboki“ <strong>und</strong> brüstete sich<br />

damit, dass seine Leute „200 Angehörige der Selbstverteidigung getötet“ sowie Maschinengewehre,<br />

Granatwerfer, Patronen, Minen <strong>und</strong> Handgrananten vernichtet oder erbeutet hätten.<br />

Zudem seien etliche Gebäude niedergebrannt worden. Von jüdischen Partisanen ist keine Rede.<br />

Auch in einer späteren Zusammenstellung der „Kampf- <strong>und</strong> Sabotageakte“ der Stalinbrigade<br />

von Februar 1942 bis zum 10. Mai 1943 fehlt jeder Hinweis auf eine Beteiligung der<br />

Bielski-Leute an dem Massaker. Bei den Ermordeten handelte es sich nicht um eine „deutsche<br />

Garnison“, sondern um Polen, die von den Deutschen mit Waffen gegen die Sowjets ausgerüstet<br />

worden waren. In den „Selbstverteidigungs“-Stützpunkten fanden oft Mitglieder der<br />

polnischen Heimatarmee Unterschlupf, die ihre Befehle von der Exilregierung aus London<br />

empfingen. In den Augen der jüdischen wie sowjetischen Partisanen waren sie Kollaborateure,<br />

da sie mit den Nazis zusammenarbeiteten.<br />

Nach diesem Artikel verschwanden Schlagzeilen wie „Helden oder Mörder“ <strong>und</strong> „Die<br />

(un)wahre Geschichte der Bielski-Brüder“ oder „Geschichte – unter den Teppich gekehrt“ aus<br />

der polnischen Presse. Doch den Heldenstatus wollte man den jüdischen Partisanen dennoch<br />

nicht zugestehen. Sie hätten vor allem Raubzüge in die Umgebung unternommen, immer wieder<br />

unschuldige polnische <strong>und</strong> weißrussische Bauern überfallen, um sich mit <strong>Leben</strong>smitteln<br />

einzudecken. Im Lager habe eine allzu lockere Moral geherrscht. Männer hätten sich „Waldfrauen“<br />

genommen, unmäßig gegessen <strong>und</strong> getrunken. Tuvia Bielski habe sich gar einen ganzen<br />

„Harem schöner Frauen“ gehalten.<br />

Zu erklären sind diese Vorwürfe gegenüber Menschen, die in permanenter Todesgefahr <strong>und</strong><br />

Angst lebten, nur mit Polens schon vor Jahren zusammengebrochenem Geschichtsbild als<br />

„Helden <strong>und</strong> Opfer der Geschichte“. Nach den Debatten um die Pogrome in Jedwabne 1941<br />

<strong>und</strong> Kielce 1946 wollten die Kaczynski-Brüder zwar das Rad der Geschichte noch einmal zurückdrehen.<br />

Doch der Mythos ist endgültig zerstört. So sind die Polen noch immer auf der<br />

Suche nach einer neuen Identität.<br />

Für den amerikanischen Regisseur Edward Zwick ist der Film über die jüdischen Partisanen<br />

in den Wäldern Ostpolens <strong>und</strong> Weißrusslands auch ein persönliches Anliegen. Ein Teil seiner<br />

Familie kam im Holocaust um.<br />

Der Warschauer Tageszeitung Dziennik sagte er: „Mit dem Verlauf der Zeit ist es einfacher,<br />

Distanz zu gewinnen <strong>und</strong> manche Dinge klarer zu sehen. Als der Film fertig war, luden wir 18<br />

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