Jüdischer bewaffneter Widerstand - Arbeit und Leben (DGB/VHS ...
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Dieser Teil befaßt sich mit dem soziologischen, ökonomischen <strong>und</strong> kulturellen Hintergr<strong>und</strong><br />
der jüdischen Gemeinde in Litauen. Am Ende des Ersten Weltkrieges haben die Juden von Litauen,<br />
die zu der Zeit die größte nationale Minderheit des Landes (7,5 %) darstellten, zur<br />
litauischen Unabhängigkeit stark beigetragen. Sie besaßen anfänglich gleiche Rechte <strong>und</strong> sogar<br />
in großem Umfange soziale <strong>und</strong> kulturelle Autonomie. Das damals errichtete Bildungs-<br />
<strong>und</strong> Kultursystem, das sich auf nationale Werte <strong>und</strong> den Gebrauch von Hebräisch <strong>und</strong> Jiddisch<br />
gründete, umfaßte fast alle litauischen Juden, deren nationales Bewußtsein auf diese<br />
Weise gestärkt worden war, <strong>und</strong> denen die Kraft der kulturellen <strong>und</strong> bildungsmäßigen Erfahrung<br />
einen besonderen Charakter verlieh.<br />
Einige dieser besonderen Züge der litauischen Juden, die später die Form <strong>und</strong> den Gehalt ihres<br />
Kampfes gegen die Nazis bestimmen sollten, bezogen sich vorwiegend auf nationale <strong>und</strong><br />
kulturelle Eigentümlichkeiten. Jakob Lesheinski beschreibt sie folgendermaßen (4): „Ein litauischer<br />
Jude glich sich weniger an als andere, obwohl er nicht sehr stark religiös war. Er<br />
war unbeugsam in seinem Judentum <strong>und</strong> der nationalen Tradition ergeben ... In den großen<br />
<strong>und</strong> kleinen litauischen Städten wurde Hebräisch ebenso frei gesprochen wie Jiddisch. An<br />
keinem anderen Ort der Welt war ihre nationale jüdische Intelligenz dergestalt wie in Kaunas,<br />
Vilnius <strong>und</strong> anderen Städten in der Umgebung.“ Diesbezüglich fanden bis zum Zweiten<br />
Weltkrieg keine wesentlichen Veränderungen statt, während sich die Situation in Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Verwaltung, <strong>und</strong> demzufolge die Beziehung zu den Litauern, von Jahr zu Jahr verschlechterte<br />
(5), so daß man im Jahre 1940, als Litauen sowjetische Republik wurde, einer<br />
tiefgreifenden Krise gegenüberstand.<br />
Die Juden betrachteten im Vergleich zu der Herrschaft der Nazis die Sowjetherrschaft<br />
als das kleinere Übel. Die Litauer sahen darin einen Verrat <strong>und</strong> nach der deutschen Invasion<br />
in Litauen rächten sie sich, kollaborierten mit den Nazis <strong>und</strong> brachten Juden um.<br />
Auf der anderen Seite brachte die Sowjetisierung die litauischen Juden in eine Notlage, denn<br />
durch die Nationalisierung von Handel <strong>und</strong> Industrie wurden sie relativ stärker betroffen als<br />
die Litauer (6). Großes Unglück widerfuhr der jüdischen Gemeinde auch durch die Abschaffung<br />
fast all ihrer sozialen, religiösen <strong>und</strong> nationalen Institutionen, ebenso der politischen Parteien<br />
<strong>und</strong> Bewegungen. Eine Anzahl der zionistischen Jugendbewegungen ging in den Untergr<strong>und</strong>.<br />
Während die vorher eingesetzte Führerschaft sich als zu schwach erwies <strong>und</strong> sich zurückzog,<br />
nachdem sie die meisten ihrer Aktivitäten aus verschiedenen Gründen aufgegeben<br />
hatte, waren junge Kräfte herangewachsen, die sich zusammengeschlossen hatten. Sie sollten<br />
später im Kampf gegen die Nazis noch eine große Bedeutung gewinnen.<br />
Die Nazis besetzten im Zuge ihrer Invasion in die UdSSR im Juni 1941 Litauen innerhalb von<br />
zwei oder drei Tagen. Von der dort ansässigen Viertelmillion Juden (wobei die jüdische Bevölkerung<br />
des Landstreifens von Vilnius, der im Oktober 1939 von Litauen annektiert worden<br />
war, einbezogen ist) erreichten offensichtlich nicht mehr als 15.000 (7) erfolgreich die unbesetzten<br />
Teile der Sowjetunion, einige von ihnen mit Fahrzeugen, andere zu Fuß. Viele von<br />
denen, die zurückgeblieben waren, wurden von den Litauern verw<strong>und</strong>et oder umgebracht,<br />
auch bevor die Wehrmachttruppen erschienen.<br />
Unter diesen Umständen teilte der blinde Zufall die litauischen Judenfamilien oft in zwei Teile,<br />
die sich dann auf beiden Seiten der Front befanden. Nachdem die Deutschen einmarschiert<br />
waren, gab es häufig den Fall, daß zwei Mitglieder einer Familie aus einer bestimmten Stadt<br />
gegen die alte sowjetische Grenze vordrangen: einer von ihnen konnte sie erfolgreich überschreiten,<br />
begab sich zu der Nachhut in die UdSSR <strong>und</strong> schloß sich dort der regulären Armee<br />
an, während der zweite angehalten <strong>und</strong> zur Rückkehr gezwungen wurde. Wenn dieser<br />
zweite die ersten Wellen der Vernichtung überlebte, konnte er sich einer Untergr<strong>und</strong>organisation<br />
oder den Partisanen anschließen. Auf diese Weise geschah es unbeabsichtigt, daß<br />
Söhne derselben Familie auf beiden Seiten der Front in verschiedenen Reihen kämpften.<br />
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