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SOZIALES - Berliner Behindertenzeitung

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BBZ – September 2006 VERLUSTE<br />

Ein Urberliner aus Friedrichshain,<br />

geboren 1936, war ein<br />

Kämpfer bis zuletzt. Schon in seiner<br />

Kindheit hatte er in seinem Elternhaus<br />

einige Probleme. Sein Lebensmittelpunkt<br />

war damals schon seine<br />

Tante, die ihn viele Jahre seines Lebens<br />

unterstützte.<br />

Erst mit seiner Hochzeit mit Elfriede<br />

vor 44 Jahren war jemand für ihn<br />

noch wichtiger. Mit ihr gründete er<br />

eine Familie, sie haben eine Tochter<br />

und einen Sohn, später kamen dann<br />

noch 2 Enkelkinder dazu. Diese Familie<br />

gab ihm immer Rückenhalt<br />

und Unterstützung bei all seinen Aktionen<br />

und seinen gesundheitlichen<br />

Problemen. Was hätte er die ganzen<br />

Jahre ohne seine Elfriede gemacht.<br />

Und seine Enkeltochter Stefanie. Zu<br />

ihr hatte er ein ganz besonderes Verhältnis.<br />

Wie stolz berichtete er immer<br />

über ihre Erfolge bei ihrer Lehre<br />

als Sekretärin. Wie stolz war er, dass<br />

sie es geschafft hatte, im Sekretariat<br />

der Bundesjustizministerin tätig zu<br />

werden.<br />

Seine Erkrankung an Muskelschwund<br />

brachte schon etliche Komplikationen<br />

mit sich. Bereits 1978<br />

war er auf einen Rollstuhl angewiesen.<br />

Doch woher nehmen. Er hatte<br />

leider nicht so einen einflussreichen<br />

Job, der ihm eine ausreichende Versorgung<br />

mit einem E-Rolli bringen<br />

würde. Er war nur gelernter Tischler<br />

und konnte in seinem Beruf gar nicht<br />

arbeiten. Er jobbt mal bei der Versicherung,<br />

mal bei der Zeitung. Auf<br />

jeden Fall reichte es nicht, um den<br />

Rolli zu bekommen. Da half wieder<br />

seine Tante aus. Die Gute aus Westberlin<br />

schaffte es mit vielen bürokratischen<br />

Schwierigkeiten, ihm einen<br />

E-Rolli zu schenken. Damit war<br />

er wenigstens wieder flexibler. Aber<br />

die ewigen Probleme wurmten ihn<br />

immer. Nach der Wende Anfang der<br />

90er hatte er dann bessere Möglichkeiten,<br />

sich für seinen Stadtbezirk,<br />

für die Behinderten von ganz Ber-<br />

Die vielen Beileidsbriefe, die zahlreichen Blumen- und Geldspenden, die trostreichen<br />

Worte, der stille Händedruck zum Tode meines Mannes, unseren Vaters und Großvaters<br />

Horst Lemke<br />

* 25.02.1936 – † 25.07.2006<br />

haben uns gezeigt, wie sehr der Verstorbene über den Kreis seiner Tätigkeit hinaus<br />

Freunde gewonnen hatte. Wir danken allen für die aufrichtige Anteilnahme<br />

in ihrem Stillen Gebet.<br />

Elfriede Lemke<br />

Kinder und Enkelkinder<br />

Berlin, im August 2006<br />

Horst – ein Schelm vor<br />

dem Herrn<br />

lin einzusetzen. So wurde er auch<br />

Mitglied des BBV, wurde in den<br />

Vorstand gewählt und war seit 1995<br />

stellvertretender Vorsitzender. In<br />

ganz Berlin kennt man ihn, und seinen<br />

Sachverstand und seinen Humor.<br />

Er hat so viel bewegt. Er hat immer<br />

die Gradwanderung zwischen den jeweiligen<br />

Verantwortlichen im Senat<br />

oder Bezirk und den Betroffenen geschafft.<br />

Mit seiner Art der Klärung<br />

anstehender Probleme hat er immer<br />

allen die Möglichkeit gegeben, zufrieden<br />

zu sein.<br />

Wenn man an Horst denkt, fällt<br />

einem in erster Linie das Rathaus in<br />

Lichtenberg, seine Kranaktion und<br />

der jetzt dort befindliche Fahrstuhl<br />

ein. Eigentlich war es eine Schnapsidee<br />

von ihm. Wir saßen beide im LI-<br />

BEZEM in der Raucherecke und er<br />

erzählte mir von den Problemen im<br />

Rathaus. Ein historischer Bau, nur<br />

Treppen und der Bau eines Fahrstuhles<br />

Dank der Denkmalschützer nicht<br />

möglich. Dabei wollte der damalige<br />

Bürgermeister eigentlich auch gern<br />

einen Fahrstuhl. Nun die Idee: Man<br />

müsste sich mit einem Kran von außen<br />

an das Fenster der Bürgerberatung<br />

heben lassen. Denn die Bürgerberatung<br />

ist schließlich für alle da.<br />

Horst fehlte nur der Kran. Da sah ich<br />

ihn an und sagte ihm, dass ich ihn<br />

besorgen könnte. In der Firma, in der<br />

ich damals angestellt war, gab es diese<br />

riesigen Kräne. Ein positives Gespräch<br />

mit meiner Geschäftsleitung<br />

brachte die sogar kostenlose Lösung.<br />

Und der Erfolg zeigt es ja heute noch.<br />

Da diese Aktion sehr spektakulär<br />

war, fast alle Medien in Deutschland<br />

und sogar bis Australien davon berichtet<br />

wurde, konnten die Oberen<br />

gar nicht mehr anders, der Fahrstuhl<br />

wurde nach einer zwischenzeitlichen<br />

Notlösung im Hof des Rathauses gebaut.<br />

Die Betroffenen waren darüber<br />

zufrieden, der Bürgermeister und<br />

auch die Mitarbeiter im Rathaus waren<br />

es auch.<br />

Oder das Olympiastadion. Ohne<br />

Horst hätten die Hertha-Rollis und<br />

alle anderen Rollstuhlnutzer zu den<br />

Ligaspielen und vor allem auch zur<br />

WM 2006 nichts gesehen. Keiner hat<br />

sich so sehr für einen funktionierenden<br />

Bereich für Rollifahrer mit Blick<br />

auf die Spielfläche auch wenn die anderen<br />

Fans in den darrunterliegenden<br />

Reihen stehend ihren Club bejubeln.<br />

Das Traurige ist allerdings, Horst<br />

konnte seine glücklich erstandenen<br />

Karten zu zwei Spielen der WM nicht<br />

nutzen. Zu dieser Zeit lag er schon im<br />

Krankenhaus. Er hatte sich so sehr<br />

über die Karten gefreut. Nun hatte er<br />

nur noch den Fernseher. Als ich ihn<br />

dort gerade bei einem Spiel besuchte,<br />

spürte ich seine eigene Trauer. Er<br />

hatte so gar keine richtige Freude an<br />

der WM mehr.<br />

3<br />

Für Horst gab es immer etwas zu<br />

richten, für ihn war ein abgesenkter<br />

Gehweg, eine barrierefreie Straßenbahn<br />

oder das Olympiastadion gleich<br />

wichtig. Er war fast täglich in Berlin<br />

Foto: Fam. Lemke<br />

unterwegs. Ich will die ganzen Gremien<br />

gar nicht aufzählen, in denen er<br />

sich engagierte. Überall hinterlässt<br />

er eine riesige Lücke. Dies hat man<br />

auch bei seiner Beisetzung gesehen.<br />

Viele seiner Mitstreiter waren gekommen,<br />

um ihm das letzte Geleit zu<br />

geben. Mir wird er sehr fehlen. Und<br />

das meine ich nicht nur, weil jetzt sicher<br />

auch auf mich mehr Arbeit im<br />

BBV zukommt. Ich mochte ihn einfach<br />

sehr gern. Man konnte sich gegen<br />

seine liebe Art gar nicht wehren.<br />

Und man wollte es auch gar nicht.<br />

Angelika Möller<br />

Von dieser Nachricht sind alle<br />

Mitarbeiter sehr betroffen.<br />

Wir haben „unseren Horst“ über die<br />

Jahre als mutigen, nicht ruhenden<br />

Kämpfer für die Sache der Menschen<br />

mit Behinderungen in Berlin<br />

schätzen gelernt. Wir bedauern sehr<br />

sein Fortgehen. Er hinterlässt eine<br />

kaum zu füllende Lücke.<br />

Jörg Schirrmeister, BBV Tours

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