Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
heraus, locken die guten und starken und<br />
frommen Seiten in uns hervor. Sie sind Antrieb,<br />
an uns zu arbeiten, uns nicht zufrieden<br />
zu geben mit einem oberfl ächlichen Leben.<br />
Aber die Idealbilder brauchen als Ausgleich<br />
die Tugend, die der hl. Benedikt so sehr<br />
geschätzt hat: die Demut. Die Demut ist<br />
der Mut, hinabzusteigen in die Tiefen der<br />
eigenen Seele, auch in die dunklen Schattenseiten<br />
der Seele. Demut ist verwandt mit<br />
humilitas, was Erdverbundenheit, mit beiden<br />
Beinen auf dem Boden stehen, meint.<br />
Idealbilder, die uns begeistern, können uns<br />
verlocken, so wie sie den Ikarus im griechi<br />
Dr. Ruth Pfau<br />
Geboren 1929 in Leipzig.<br />
Studium der Medizin in Mainz und Marburg.<br />
Seit 50 Jahren als Lepra- und<br />
Tuberkulose-Ärztin in Pakistan tätig.<br />
schen Mythos verlockt haben. Ikarus war<br />
so fasziniert vom Licht der Sonne, der er<br />
entgegen fl og, dass er nicht merkte, wie<br />
die Sonnenstrahlen das Wachs an seinen<br />
Flügeln schmolz. So stürzte er jählings<br />
ab. Wir sollen keine Himmelsstürmer sein,<br />
sondern mit beiden Beinen auf der Erde<br />
stehen. Dann können wir uns herauslocken<br />
lassen von Idealbildern. Dann werden<br />
wir Schritte der Entwicklung machen,<br />
Schritte auf Gott zu. Wir werden unsere<br />
Wahrheit immer mehr vom Licht Christi erhellen<br />
und verwandeln lassen.<br />
Heilende Wirkung von Idealen<br />
Idealbilder wollen sich in uns einbilden,<br />
damit wir mit dem ursprünglichen Bild in<br />
Berührung kommen, das Gott sich von jedem<br />
von uns gemacht hat. Wenn wir mit<br />
dem einmaligen Bild Gottes in Berührung<br />
sind, dann empfi nden wir inneren Frieden,<br />
Freiheit, Liebe und Lebendigkeit. Wenn wir<br />
uns mit zu großen Bildern identifi zieren, werden<br />
wir blind für die eigenen Bedürfnisse<br />
und Schattenseiten. Daher geht es darum,<br />
sich von den Bildern der Ideale und Idole<br />
anregen zu lassen, ohne sich mit ihnen zu<br />
identifi zieren. Dann haben sie eine heilende<br />
Wirkung auf uns.<br />
Der Schweizer Psychologe C.G. Jung spricht<br />
von archetypischen Bildern, wie sie etwa<br />
im Bild des Heiligen uns begegnen. Diese<br />
archetypischen Bilder haben die Wirkung,<br />
uns zu zentrieren, uns in die eigene Mitte<br />
zu führen, zu unserem wahren Selbst. Sie<br />
sind Quellen innerer Kraft und Lebendigkeit.<br />
Und sie sind notwendig für unsere innere<br />
Heilung. Aber wenn sich jemand mit<br />
archetypischen Bildern identifi ziert, etwa<br />
mit dem Bild des Heilers oder Helfers, dann<br />
wird er bei seinem Helfenwollen blind für<br />
die eigenen Bedürfnisse, die er unter dem<br />
Deckmantel des Helfens ausagiert.<br />
Idealbilder unserer Zeit<br />
Die Menschen sehnen sich heute nicht nur<br />
nach den Idealbildern der Vergangenheit.<br />
Sie schauen aus, ob sie heute in der Kirche<br />
solche Idealbilder und Lichtgestalten<br />
sehen. Da bieten sich durchaus auch heute<br />
noch Menschen an, die überzeugen,<br />
wie etwa Bischof Kamphaus oder Sr. Lea<br />
Ackermann oder Dr. Ruth Pfau, die in Pakistan<br />
als christliche Ärztin und Ordensfrau<br />
wirkt. Allerdings gibt es nicht viele lebendige<br />
Vorbilder. In der Vergangenheit sehen<br />
wir mehr Ideale: Mutter Teresa, Thomas<br />
Merton, Roger Schutz, Erzbischof Helder<br />
Camara, Erzbischof Romero, der den Märtyrertod<br />
starb. Es ist eine Herausforderung<br />
an uns, authentisch unser Christsein zu<br />
leben. Wir können nicht mit dem Vorsatz<br />
antreten, für andere Vorbilder zu sein. Das<br />
wird nur zu einer IchAufblähung führen.<br />
Aber wir sollen unserer Verantwortung gerecht<br />
werden, uns vom Geist Jesu durchdringen<br />
zu lassen. Dann dürfen wir vertrauen,<br />
dass die Menschen auch in uns<br />
Bilder Jesu Christi erkennen, Ikonen, die<br />
etwas ausstrahlen von der Liebe und Freiheit<br />
Jesu C hristi. Nicht indem wir uns den<br />
jungen Menschen gegenüber als Vorbilder<br />
darstellen, wirken wir als Vorbilder, sondern<br />
wenn wir in aller Demut unser Leben<br />
authentisch leben, wenn wir immer durchlässiger<br />
werden für den Geist Jesu Christi.<br />
Dann wird dieser Geist Jesu auch heute<br />
durch Menschen hindurch die Menschen<br />
berühren und sie zu ihrem eigentlichen<br />
Bild hinführen, das Gott sich von ihnen<br />
gemacht hat.<br />
P. Anselm Grün OSB<br />
Geboren 1945 in Junkershausen •<br />
Profess 1965 • Priester 1971 • Seit<br />
1977 Cellerar der Abtei Münsterschwarzach<br />
• Geistlicher Begleiter<br />
und Bestsellerautor christ licher<br />
Spiritualität<br />
5