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Jahresgabe/Juli 2011

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heraus, locken die guten und starken und<br />

frommen Seiten in uns hervor. Sie sind Antrieb,<br />

an uns zu arbeiten, uns nicht zufrieden<br />

zu geben mit einem oberfl ächlichen Leben.<br />

Aber die Idealbilder brauchen als Ausgleich<br />

die Tugend, die der hl. Benedikt so sehr<br />

geschätzt hat: die Demut. Die Demut ist<br />

der Mut, hinabzusteigen in die Tiefen der<br />

eigenen Seele, auch in die dunklen Schattenseiten<br />

der Seele. Demut ist verwandt mit<br />

humilitas, was Erdverbundenheit, mit beiden<br />

Beinen auf dem Boden stehen, meint.<br />

Idealbilder, die uns begeistern, können uns<br />

verlocken, so wie sie den Ikarus im griechi­<br />

Dr. Ruth Pfau<br />

Geboren 1929 in Leipzig.<br />

Studium der Medizin in Mainz und Marburg.<br />

Seit 50 Jahren als Lepra- und<br />

Tuberkulose-Ärztin in Pakistan tätig.<br />

schen Mythos verlockt haben. Ikarus war<br />

so fasziniert vom Licht der Sonne, der er<br />

entgegen fl og, dass er nicht merkte, wie<br />

die Sonnenstrahlen das Wachs an seinen<br />

Flügeln schmolz. So stürzte er jählings<br />

ab. Wir sollen keine Himmelsstürmer sein,<br />

sondern mit beiden Beinen auf der Erde<br />

stehen. Dann können wir uns herauslocken<br />

lassen von Idealbildern. Dann werden<br />

wir Schritte der Entwicklung machen,<br />

Schritte auf Gott zu. Wir werden unsere<br />

Wahrheit immer mehr vom Licht Christi erhellen<br />

und verwandeln lassen.<br />

Heilende Wirkung von Idealen<br />

Idealbilder wollen sich in uns ein­bilden,<br />

damit wir mit dem ursprünglichen Bild in<br />

Berührung kommen, das Gott sich von jedem<br />

von uns gemacht hat. Wenn wir mit<br />

dem einmaligen Bild Gottes in Berührung<br />

sind, dann empfi nden wir inneren Frieden,<br />

Freiheit, Liebe und Lebendigkeit. Wenn wir<br />

uns mit zu großen Bildern identifi zieren, werden<br />

wir blind für die eigenen Bedürfnisse<br />

und Schattenseiten. Daher geht es darum,<br />

sich von den Bildern der Ideale und Idole<br />

anregen zu lassen, ohne sich mit ihnen zu<br />

identifi zieren. Dann haben sie eine heilende<br />

Wirkung auf uns.<br />

Der Schweizer Psychologe C.G. Jung spricht<br />

von archetypischen Bildern, wie sie etwa<br />

im Bild des Heiligen uns begegnen. Diese<br />

archetypischen Bilder haben die Wirkung,<br />

uns zu zentrieren, uns in die eigene Mitte<br />

zu führen, zu unserem wahren Selbst. Sie<br />

sind Quellen innerer Kraft und Lebendigkeit.<br />

Und sie sind notwendig für unsere innere<br />

Heilung. Aber wenn sich jemand mit<br />

archetypischen Bildern identifi ziert, etwa<br />

mit dem Bild des Heilers oder Helfers, dann<br />

wird er bei seinem Helfenwollen blind für<br />

die eigenen Bedürfnisse, die er unter dem<br />

Deckmantel des Helfens ausagiert.<br />

Idealbilder unserer Zeit<br />

Die Menschen sehnen sich heute nicht nur<br />

nach den Idealbildern der Vergangenheit.<br />

Sie schauen aus, ob sie heute in der Kirche<br />

solche Idealbilder und Lichtgestalten<br />

sehen. Da bieten sich durchaus auch heute<br />

noch Menschen an, die überzeugen,<br />

wie etwa Bischof Kamphaus oder Sr. Lea<br />

Ackermann oder Dr. Ruth Pfau, die in Pakistan<br />

als christliche Ärztin und Ordensfrau<br />

wirkt. Allerdings gibt es nicht viele lebendige<br />

Vorbilder. In der Vergangenheit sehen<br />

wir mehr Ideale: Mutter Teresa, Thomas<br />

Merton, Roger Schutz, Erzbischof Helder<br />

Camara, Erzbischof Romero, der den Märtyrertod<br />

starb. Es ist eine Herausforderung<br />

an uns, authentisch unser Christsein zu<br />

leben. Wir können nicht mit dem Vorsatz<br />

antreten, für andere Vorbilder zu sein. Das<br />

wird nur zu einer Ich­Aufblähung führen.<br />

Aber wir sollen unserer Verantwortung gerecht<br />

werden, uns vom Geist Jesu durchdringen<br />

zu lassen. Dann dürfen wir vertrauen,<br />

dass die Menschen auch in uns<br />

Bilder Jesu Christi erkennen, Ikonen, die<br />

etwas ausstrahlen von der Liebe und Freiheit<br />

Jesu C hristi. Nicht indem wir uns den<br />

jungen Menschen gegenüber als Vorbilder<br />

darstellen, wirken wir als Vorbilder, sondern<br />

wenn wir in aller Demut unser Leben<br />

authentisch leben, wenn wir immer durchlässiger<br />

werden für den Geist Jesu Christi.<br />

Dann wird dieser Geist Jesu auch heute<br />

durch Menschen hindurch die Menschen<br />

berühren und sie zu ihrem eigentlichen<br />

Bild hinführen, das Gott sich von ihnen<br />

gemacht hat.<br />

P. Anselm Grün OSB<br />

Geboren 1945 in Junkershausen •<br />

Profess 1965 • Priester 1971 • Seit<br />

1977 Cellerar der Abtei Münsterschwarzach<br />

• Geistlicher Begleiter<br />

und Bestsellerautor christ licher<br />

Spiritualität<br />

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