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POSTWESEN UND BRIEFKULTUR IM KÖNIGREICH ...

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halshs-00793224, version 1 - 1 Mar 2013<br />

40 Claudie Paye<br />

sars sei besonders bedauernswert, so habe er nach der Lektüre des Briefes<br />

gefragt: »Ceci doit il être bien vrai (Obs auch wohl wahr ist?) sur quoi il<br />

avoit en riant tourné la tête alternativement de coté et d’autre« 170.<br />

Solche Momente, in denen die enge Verzahnung von Mimik, Gestik und<br />

beiden Sprachen zur Sicherstellung der genaueren Wiedergabe einer Reaktion<br />

überliefert werden, stellen sprachhistorisch eine seltene Kostprobe der<br />

westphälischen Alltagspraxis dar.<br />

Boehmer ließ Christoph Dröder, den Vater des Soldaten, Regine Dröder,<br />

die Mutter, und Johann G. Schroeder, Schwiegervater von Dröder senior,<br />

über den Umlauf und den Verbleib des Briefes verhören. Die Befragungen<br />

ergaben, dass etliche Kopien des Briefes zur weiteren Verbreitung verfertigt<br />

worden waren, eine davon auf Hebräisch. Die Existenz einer Kopie des Briefes<br />

auf Hebräisch erscheint besonders interessant und erklärt sich unter anderem<br />

daraus, dass die Familie Dröder jüdischer Herkunft war 171. Die Tatsache,<br />

dass die Polizeibeamten sich den Inhalt der hebräischen Briefkopie von den<br />

jüdischen Lokalautoritäten übersetzen lassen mussten, lässt die Vermutung<br />

zu, dass Hebräisch für die Familie Dröder und die eingeweihten jüdischen<br />

Gemeindemitglieder Göttingens als Gegensprache verwendet wurde, die sich<br />

der Polizeiüberwachung entzog 172.<br />

Die deutschsprachige Version des Briefes sei ihrerseits öffentlich in einem<br />

Wirtshaus vorgelesen worden 173. Zunächst gaben die Verhörten an, es gebe<br />

den Brief nicht mehr, da er von ihnen, beunruhigt über das allgemeine Interesse<br />

am Brief ihres Sohnes, vernichtet worden sei 174. Nach einigen Ermittlungen<br />

tauchte das Original allerdings überraschend wieder auf: Regine Dröder<br />

räumte ein, den zunächst übersehenen Brief zufällig beim Zündholz<br />

170 Ibid., Nr. 3652–3653: Verhörprotokoll von J. G. Schroeder, 1.5.1812.<br />

171 Vgl. ibid., Nr. 3652–3653: Verhörprotokoll von R. Dröder, 1.5.1812; ibid.,<br />

Nr. 3654: Kopie des Briefes von G. Dröder auf Hebräisch.<br />

172 Über die Verwendung von Gegensprachen vgl. BURKE, Küchenlatein, S. 20.<br />

173 Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 7, Nr. 3649–3688, hier Nr. 3652–<br />

3653: Verhörprotokoll von J. G. Schroeder, 1.5.1812; ibid., Nr. 3681: Verhörprotokoll<br />

von C. Dröder, 1.5.1812. Die Verhörprotokolle sind erstaunlicherweise auf Französisch<br />

verfasst worden.<br />

174 Vgl. ibid., Nr. 3652–3653: Verhörprotokoll von R. Dröder, 1.5.1812. Die Mutter<br />

Dröders vernichtete ihre Abschriften des Briefes bis auf hebräische, weil diese ihr<br />

aufgrund der Fremdsprache als weniger problematisch erschien: Man könnte vermuten,<br />

dass Hebräisch in diesem Fall die Funktion einer Gegensprache gewann. Möglicherweise<br />

behielt Regine Dröder die hebräische Abschrift des Briefes, weil sie die<br />

Gefahr von Schwierigkeiten wegen dieser Abschrift geringer einstufte als bei der<br />

deutschen Version.

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