Nord & Süd | Nummer 2 | Energie - BLS
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neuer Technologien. Beispiel Verkehr: Es gibt bereits<br />
Autos, die von selbst fahren, und Netze, die es uns<br />
erlauben, auf der Suche nach einem Parkplatz keine<br />
Zeit und kein Benzin zu vergeuden. In Singapur haben<br />
wir ein Labor und ein Team, das sich im Rahmen<br />
des Projekts LIVE Singapore mit urbaner Mobilität<br />
beschäftigt. Es handelt sich um eine Open-Source-<br />
Software, die mit Echtzeitdaten arbeitet, um den<br />
aktuellen Zustand der Stadt zu analysieren. Die Daten<br />
werden mit einer Vielzahl von Kommunikationsapparaten,<br />
Mikroüberwachungssystemen und Sensoren<br />
im urbanen Lebensraum erfasst. Die so gesammelten<br />
Ergebnisse können dazu beitragen, das<br />
Leben in der Stadt besser zu gestalten, auch durch<br />
die Entwicklung neuer Anwendungen.<br />
A V — Die Menge der gesammelten oder verfügbaren<br />
Daten hat in den letzten Jahren unsere Fähigkeit, sie<br />
nutzbringend zu verwenden, deutlich überstiegen. Die<br />
Technik durchdringt bereits alle Aspekte des täglichen<br />
Lebens. Wie können wir sie nutzen, um besser zu leben?<br />
C R — Der Datenaustausch ist heute grundlegend<br />
und kann unter anderem einen sparsamen Umgang<br />
mit <strong>Energie</strong> und Ressourcen fördern. Sich der Verschwendung<br />
bewusst zu sein, kann ein sparsameres<br />
Verhalten auslösen. Wenn wir merken, wie und wie<br />
viel wir verschwenden, hören wir damit eher auf. Mit<br />
dem Projekt Trash Track („Dem Abfall auf der Spur“)<br />
wollten wir den Weg des Mülls verfolgen, nachdem<br />
wir ihn weggeworfen haben. Auf diese Weise haben<br />
wir entdeckt, dass der Zyklus keineswegs linear oder<br />
logisch ist und noch erheblich optimiert und verbessert<br />
werden kann, was in Zukunft auch deutliche<br />
wirtschaftliche Einsparungen ermöglicht. Zu wissen,<br />
dass die weggeworfene Plastikflasche, auch wenn<br />
wir sie aus dem Blick verloren haben, anderswo weiterlebt<br />
und nach einem Monat oder einem Jahr immer<br />
noch irgendwo herumliegt, schärft unser Bewusstsein<br />
und reduziert die Verschwendung. Diese<br />
Daten erstmals zur Verfügung zu haben, war für uns<br />
sehr wichtig. In anderen Fällen sind die Daten bereits<br />
vorhanden, man braucht sie nur noch innovativ zu<br />
nutzen. Mit dem Projekt Enernet zum Beispiel haben<br />
wir die Daten der Wi-Fi-Verbindungen als Parameter<br />
benutzt, der uns sagt, ob sich Menschen in einem<br />
Gebäude aufhalten. Damit kann man das Stromnetz<br />
in Echtzeit ausbalancieren. Diese Methode könnte<br />
mit sehr mäßigen Kosten an vielen Orten eingesetzt<br />
werden, um heute bereits faktisch verfügbare Informationen<br />
zu nutzen und ein so komplexes und dringendes<br />
Problem wie die effiziente Nutzung des<br />
Stromes anzugehen.<br />
A V — Ihre Forschungsergebnisse fanden Anwendung in<br />
der Architektur, aber auch bei Gütern des täglichen Bedarfs<br />
wie Fahrrädern, Küchenherden oder Mobiltelefonen<br />
98 Perspektiven Die intelligente Stadt<br />
und sogar bei künstlerischen Installationen. Wie kommt es<br />
zu dieser Vielseitigkeit?<br />
C R — Das Internet ist dabei, in den physischen<br />
Raum einzudringen, und diese Entwicklung hat unseren<br />
Alltag erfasst. Wir befinden uns heute zwischen<br />
der digitalen und der materiellen Welt, die<br />
unsere Lebensweise verändert. Nehmen wir Formel-<br />
1-Rennen, ein Beispiel, das mir am Herzen liegt,<br />
weil auch ich wie viele andere italienische Jungen in<br />
meinem Zimmer ein Poster von einem Rennwagen<br />
an der Wand hatte. Vor zwanzig Jahren reichten ein<br />
guter Motor und ein guter Fahrer aus, um zu ge winnen.<br />
Heute braucht es dazu ein System der Telemetrie,<br />
das auf der Erfassung von Daten durch Tausende<br />
von Sensoren am Auto und ihrer Auswertung<br />
in Echtzeit beruht.<br />
A V — Überwachungssysteme in Echtzeit kommen mittlerweile<br />
vielfach zum Einsatz. Wie finden sie Eingang in unser<br />
Leben?<br />
C R — Als Beispiel kann ich den Digital Water Pavilion<br />
nennen, ein Gebäude, das wir im Eingangsbereich<br />
zur Expo in Saragossa gebaut haben, praktisch<br />
nur mit einer Handvoll Sensoren und Wasser. Es gibt<br />
keine Türen oder Fenster, sondern nur Wasserfälle,<br />
die den Eindruck kompakter Oberflächen vermitteln<br />
und dazu verwendet werden können, um Bilder darauf<br />
zu projizieren oder darauf zu schreiben. Das Gebäude<br />
„öffnet sich“, wenn sich jemand nähert, lässt<br />
ihn ein und schließt die Wasserwand hinter ihm wieder.<br />
Wenn man das Dach absenkt, verschwindet die<br />
Architektur praktisch ganz, und wer den Pavillon<br />
besichtigt hat, fragt sich oft: Warum hat man ihn<br />
abgerissen? Aber das Schönste passierte, als eines<br />
Nachts die Sensoren ausfielen und in den Wänden<br />
Löcher und Öffnungen entstanden und sich nach<br />
dem Zufallsprinzip wieder schlossen. Nach ein paar<br />
Stunden waren alle jungen Leute von Saragossa da<br />
und spielten mit dem Wasser. Sie können sich vorstellen,<br />
wie groß unsere Überraschung war. Wir haben<br />
daraus gelernt, dass man alles erfinden kann,<br />
auch mit komplexester Technik, aber was die Leute<br />
dann damit machen, wird immer etwas völlig Neues<br />
und Kreatives sein.<br />
Ein bisschen so, als hätte Mose plötzlich angefangen,<br />
mit Michelangelo zu sprechen. Und ihm eine völlig neue<br />
Geschichte erzählt.<br />
Alessandra Viola (*1972), freie Print- und Fernsehjournalistin in<br />
Rom, unter anderem für „L’Espresso“, „La Repubblica“, „Il Sole<br />
24 Ore“ und RAI.<br />
Übersetzung: Walter Kögler