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KIller-Vorwürfe TrauerspIel In 7 aKTen KuTschen für ... - Die Gazette

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ergebe. hieraus habe sich – bei anerkennung<br />

des Korans, des hadith und der scharia – in der<br />

russischen geschichte die besondere form des<br />

tatarischen Islam entwickelt, der heute von<br />

Kasan aus über russland und auch in andere<br />

muslimische länder ausstrahle.<br />

Kasan, das muss hier noch einmal nachgetragen<br />

werden, ist nicht irgendein ort in russland.<br />

es ist der historische Knotenpunkt zwi -<br />

schen asien und europa, der sich zwischen asiatischer<br />

<strong>In</strong>vasion und europäischen Völkern,<br />

zwischen christentum und Islam, russen und<br />

Mongolen im Zentrum russlands herausgebildet<br />

hat. <strong>In</strong> diesem selbstverständnis nennt die<br />

stadt sich heute die heimliche islamische, die<br />

„dritte hauptstadt russlands” neben Moskau<br />

und st. petersburg.<br />

<strong>In</strong> Kasan hat der Islam eine lange<br />

geschichte der anpassung und <strong>In</strong>dividualisierung<br />

hinter sich, die ihn prädestiniert <strong>für</strong> eine<br />

Koexistenz mit anderen religionen, insonderheit<br />

mit dem orthodoxen christentum. die<br />

Tataren sind neben den slawischen russen heu -<br />

te die größte Bevölkerungsgruppe russlands.<br />

die republik Tatarstan selbst hat ihren namen<br />

von der Tatsache, dass die tatarischstämmige<br />

und die slawischstämmige Bevölkerung russlands<br />

dort in einem Verhältnis von ungefähr<br />

60:40 zusammenleben. (<strong>In</strong> der angabe enthalten<br />

sind noch versprengte anteile anderer aus<br />

asien kommender einwanderer). die Tataren<br />

als wichtigste nichtslawische Bevölkerungsgruppe<br />

sind nachkommen jener turkmongolischen<br />

eroberer, die Mitte des 13. Jahrhunderts<br />

aus asien nach west- und südeuropa vordrangen.<br />

ein Teil von ihnen gründete das Khanat<br />

Kasan an der wolga. nach der eroberung<br />

Kasans durch Iwan IV. 1552 wurden die Tataren<br />

Teil des russischen reiches und Kasan zum<br />

ausgangspunkt der russischen ostkolonisation.<br />

Iwan IV. wollte den Islam auslöschen, nachdem<br />

er Kasan hatte erobern lassen. Zweihundert<br />

Jahre danach legalisierte Katharina II. den<br />

Islam, nachdem der pugatschowsche aufstand<br />

von 1773/5 ihr hatte deutlich werden lassen,<br />

dass ein weiterhin unterdrückter Islam eine zerstörerische<br />

unruhequelle im herzen russlands<br />

sein würde. der aufstand war ja nicht nur ein<br />

Themen<br />

aufbegehren der Bauern, sondern auch der<br />

nichtslawischen Völker des reiches gegen das<br />

Moskauer Zentrum. Katharina versuchte, der<br />

unruhe „die Zähne zu ziehen”, indem sie den<br />

Islam als Bildungselement in den russischen,<br />

christlich-orthodoxen staat eingliederte. auf<br />

diese weise verschaffte sie sich zugleich freie<br />

hand <strong>für</strong> die von ihr betriebene expansionspolitik<br />

gegenüber den muslimischen Völkern des<br />

Kaukasus und gegenüber der Türkei.<br />

das ergebnis war die herausbildung des auf<br />

Koexistenz und westliche werte orientierten<br />

dschadidismus in Kasan, der von dort aus auf<br />

die übrigen nichtslawischen wolgavölker und<br />

die im lande verstreuten Tataren ausstrahlte.<br />

Im Kaukasus dagegen schmiedete ein militanter<br />

Islam die Völker im Kriegsbündnis gegen<br />

russland zusammen.<br />

die oktober-revolution von 1917 führte<br />

dann <strong>für</strong> alle Muslime russlands gleichermaßen<br />

zu vorübergehender größerer freiheit. <strong>In</strong><br />

der sowjetzeit war der Islam generell illegalisiert<br />

wie jede andere religion.<br />

<strong>für</strong> den tatarischen Islam erzwangen diese<br />

wechselnden Bedingungen schon in der<br />

Zarenzeit eine individuelle religionsausübung<br />

und ließen damit die Voraussetzungen <strong>für</strong> die<br />

säkularisierung entstehen, wie dr. chakimow<br />

sie be schreibt. der staatlich verordnete atheismus<br />

der sowjetzeit gab dem noch einen gewaltigen<br />

weiteren schub, welcher der wirkung<br />

der französischen revolution auf den christlichen<br />

westen in nichts nachstand, ja diese ge -<br />

wissermaßen duplizierte. die gemeinsam er -<br />

fahrene re pres sion ließ zudem eine solidarität<br />

der gläubigen gegen den staat entstehen –<br />

gleich wel cher religionszugehörigkeit und<br />

wel cher Kon fession.<br />

heute stehen nicht nur die Tataren, sondern<br />

alle Menschen des neuen russland vor der<br />

frage, wie eine nachsowjetische ethik aussehen<br />

kann, wenn sie nicht einfach den aus dem westen<br />

kommenden Konsumismus als ersatzreligion<br />

annehmen wollen. das gibt der von Ibn<br />

warraq aufgeworfenen frage „Verweltlichung<br />

des Islam oder Islamisierung der welt” eine<br />

dynamik, die über die restitution einer ein -<br />

zigen religion, Konfession, Kirche oder sek te<br />

ins offene feld einer zeitgemäßen allgemeinen<br />

ethik hinausführt.<br />

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