tadt gespräche - Stadtgespräche Rostock
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TITELTHEMA: STUDIE<br />
unterschiedlichen Vorstellungen konkurrieren seitdem in Abhängigkeit<br />
von der Stellung im politischen Wettbewerb. Die Entscheidungen<br />
resultieren nicht mehr aus korporativen Forderungen und dem<br />
Monopol des Staates. Die Politik konzentriert sich auf das Machbare<br />
und ist durch Realismus sowie Kompromisse gekennzeichnet.<br />
Wurden in Europa und in den USA im Kontext der Postmoderne<br />
mittels einer demokratischen Kultur neue kollektive Identitäten geschaffen,<br />
trat nach den Diktaturen in Lateinamerika die Frage nach<br />
dem Sinn demokratischer Verfahrensweisen und damit nach der Bedeutung<br />
von Institutionen in den Vordergrund. Dies trifft in gewissem<br />
Sinne auch auf die ostdeutschen Bundesländer zu.<br />
Das Unbehagen<br />
Im Gegensatz zum kulturellen Prozess der Moderne sind die sozialen<br />
Beziehungen in der Postmoderne nicht mehr in dem Maße an die<br />
Zugehörigkeit der Person zur Familie, zur sozialen Schicht, Generation<br />
und Religion gebunden. Bestimmte Traditionen, Verhaltensweisen<br />
und Normen werden nicht mehr überliefert. Die Privatisierung<br />
der öffentlichen Sphäre sowie das Intime des Privaten individualisieren<br />
soziale Bindungen und deren Auswahl durch die Menschen. Vor<br />
diesem Hintergrund ist die postmoderne Gesellschaft von Fragmentierung,<br />
Austauschbarkeit und adaptiver Flexibilität gekennzeichnet.<br />
Politik ist nicht mehr ganzheitlich, sondern einem ständigem Wandel<br />
unterworfen.<br />
Dem Bürger bleibt die Sensation einer Krise, wenn Politik als Krisenmanagement<br />
und auf Koordination beschränkt wahrgenommen<br />
wird. In postmodernen Gesellschaften kristallisieren sich daher die<br />
Kategorisierungen Apathie, Politikverdrossenheit, politische Indifferenz<br />
und desencanto heraus. Politische Apathie wird als Gleichgültigkeit<br />
gegenüber politischen und sozialen Institutionen verstanden,<br />
die von Desinteresse an politischer Willensbildung flankiert wird.<br />
Die Zivilgesellschaft ist dabei Teil der gesellschaftlichen Realität,<br />
aber nicht im Sinne einer De- oder Repolitisierung, sondern einer<br />
Stabilisierung.<br />
Die Jugend im Schlepptau? - Die Ergebnisse der Shell-<br />
Studie von 2002<br />
In einer Welt, in der Leistungsorientierung und Risiken individuell<br />
gemeistert werden müssen, hat die junge Generation vor diesem<br />
Hintergrund eine neue pragmatische Haltung entwickelt, schlussfolgert<br />
die Shell-Studie von 2002 aus den damaligen Befragungen. Aus<br />
einem Protest- bzw. „Null-Bock“-Verhalten ist größtenteils ein Mix<br />
aus Individualität und Sicherheitsdenken geworden. Eine Orientierung,<br />
die alte Werte mit neuen verknüpft, drängt sich als Alternative<br />
zur Selbstverwirklichung in den Vordergrund.<br />
Ordnung und Fleiß sind wieder Teil der Handlungsstrategien der<br />
Heranwachsenden, die sich damit weniger als früher von der Elterngeneration<br />
unterscheiden. Das für die Leistung notwendige Bildungsniveau<br />
erhält somit eine zentrale Bedeutung. Die Jugend von<br />
heute teilt sich auf der Gewinnerseite in selbstbewusste Macher als<br />
Leistungselite und pragmatische Idealisten als Engagementelite. Das<br />
pessimistische Pendant auf der Verliererseite bilden die robusten<br />
Materialisten und „Unauffällige“. Während erstere aus einer Demonstration<br />
der Stärke agieren, reagieren letztere mit Rückzug. Der<br />
skizzierte Wandel der Einstellungen und Verhaltensweisen mündet<br />
in einen unterschiedlichen Bezug zur Politik. Nicht nur ein größerer<br />
Anteil Desinteressierter, vor allem unter den „Kids“, sondern auch<br />
die Tatsache, dass Politik „out“ ist, führen zu einer Orientierung in<br />
Richtung gesellschaftlicher Mitte. Eine ideologisch untermauerte<br />
Skepsis vergangener Generationen findet sich heute nur noch in der<br />
Minderheit. 17% der heutigen Jugendlichen engagieren sich oft bzw.<br />
gelegentlich für soziale und politische Veränderungen in der Bundesrepublik<br />
(Vgl. Shell 2002: 201).<br />
Dennoch leben viele ostdeutsche Jugendliche weiterhin mit einer<br />
Doppelidentität. Zwar sehen sich 70% von ihnen als Bundesbürger,<br />
fühlen sich aber gleichzeitig noch als DDR-Bürger (Vgl. Förster<br />
2003). Die über 90% Sicherheit einer sorgenfreien Zukunft bei den<br />
Jugendlichen im Jahre 1989 mündete bis 1998 in eine um das Doppelte<br />
gewachsene Unzufriedenheit mit dem wirtschaftlichen und politischen<br />
System (ebd). Die zum Teil große Zustimmung zum Umbruch<br />
und der Vereinigung ist einer weit verbreiteten Skepsis gewichen.<br />
Wie in jüngsten Umfragen verschiedener Meinungsinstitute<br />
unter der Gesamtbevölkerung deutlich wird, hat sich auch bei den<br />
Jugendlichen der Zeithorizont, in dem sich beide Landesteile angleichen,<br />
deutlich verschoben. Vor 2015 wird dort nichts geschehen, eine<br />
ernsthafte Gemeinschaft folgt demnach erst nach 2020. Ein wenig<br />
paradox mutet hingegen die Aussage an, dass die Aufsteigerregionen<br />
vor allem im Osten zu finden sind. Gleichzeitig sei dort die<br />
Zufriedenheit mit dem nahen Umfeld bei über 50% anzutreffen.<br />
Danach sollen sich auch die Uckermark und Vorpommern gemausert<br />
haben (Vgl. www.perspektive-deutschland.de). Jedoch dürfte<br />
dies auf die Infrastruktur zurückzuführen sein. Verbesserte Lebensverhältnisse<br />
können aber nicht über die Sorgen im Bereich Arbeit<br />
und soziale Sicherheit hinwegtäuschen.<br />
Entgrenzung von Politik<br />
Daraus schlussfolgern junge Menschen jedoch nicht, dem Lauf der<br />
Dinge nur zu folgen. Jugendliche „orientieren sich an konkreten und<br />
praktischen Problemen, die für sie mit persönlichen Chancen verbunden<br />
sind“ (Shell 2002: 17). In diesem Sinne: „Nicht alles, was Jugendliche<br />
tun, ist politisch; aber vieles von dem, was sie tun, drückt<br />
Gemeinsinn aus und kann nur dann als nichtpolitisch gebrandmarkt<br />
werden, wenn man Politik dem Staat und den Parteien reserviert“<br />
(Shell 2002: 50). Diese jugendspezifische Form der Entgrenzung der<br />
Politik mündet also in eine anders politische Jugend, verglichen früheren<br />
Generationen. Ein wenig fühlt man sich dennoch an „Die<br />
skeptische Generation“ der 1950er Jahre erinnert. Heute, nach 1989<br />
und dem Rückzug der antagonistischen Ideologien in die Nischen,<br />
misstrauen die jungen Menschen primär den doktrinären Maßstäben.<br />
Dennoch, vor dem Hintergrund der Demokratieerfahrungen der<br />
letzten 15 Jahre, dürften die Zahlen des 2.Jugendsurveys, die 1997 eine<br />
gewisse Sympathie für sozialistische Ideen bereit hielten, gegenüber<br />
1992 nochmals gestiegen seien. Zwar hielten 2002 noch mindestens<br />
60% der jungen Menschen die Demokratie für die beste<br />
Form des Regierens (Vgl. Shell 2002: 103). Doch sagt die Längsschnittstudie<br />
Peter Försters, die 16 Befragungen der gleichen Jugendlichen<br />
seit 1987 vornahm, aus, dass im Zeitraum 1993 bis 2002<br />
ein Anstieg der Befürworter sozialistischer Ideale von 46 auf 53% zu<br />
verzeichnen ist. Trotz der doppelten Enttäuschung über den real<br />
existierenden Sozialismus und der Demokratisierung ist diese Tendenz<br />
steigend.<br />
Aus diesem Grund erhält das traditionelle, den staatlichen Institutionen<br />
und Organisationen angelehnte Politikverständnis einen Makel,<br />
der in Vertrauensverlust überführt wird. So genießen z.B. Gerichte<br />
und Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen eine höhere Akzeptanz,<br />
als die Bundesregierung und die Parteien. Im Ost-West-