tadt gespräche - Stadtgespräche Rostock
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Demokratie minus Zauber gleich ???<br />
In diesem Kontext verrichten die unzähligen Volunteers von Amerika<br />
eine andere Arbeit als die deutschen EhrenamtsinhaberInnen. Im<br />
Sinne des Soziologen Anthony Giddens konstruieren sie ihre Gesellschaft.<br />
Natürlich tun sie dies nicht allein, natürlich werden die Austauschverhältnisse<br />
in den U.S.A. von gigantischen Monopolen, Interessengruppen<br />
usw. bestimmt. Das Voluntariat aber richtet sich oft<br />
offen gegen diese schicksalhafte Fremdbestimmung durch das Profitstreben,<br />
und versucht, in weitverzweigten non-profit-Organisationen<br />
den Opfern des schrankenlosen Individualismus/Kapitalismus<br />
Recht und Würde zurück zu geben. Neben dieser spirituell motivierten,<br />
antikapitalistischen Freiwilligenarbeit gibt es volunteers, die in<br />
ihrer Arbeit schlicht ihre Interessen vertreten. Sie schützen S<strong>tadt</strong>teile,<br />
Natur, erklären Kindern das ABC (weil das nicht den ausgebrannnten<br />
LehrerInnen allein überlassen werden darf), Touristen das Kulturerbe,<br />
versuchen FremdarbeiterInnen zu integrieren, führen Volkszählungen<br />
durch, organisieren Tauschbörsen für gebrauchte Musikinstrumente,<br />
trainieren Kinder in allen Sportarten usw. Bei all dem<br />
geht es schwungvoll zu, neben der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens<br />
umgibt die Freiwilligen häufig die Fröhlichkeit der Gleichgesinnten.<br />
Der Frohsinn entsteht aus der Tatsache, dass die ‚volunteers’ ihre<br />
Tätigkeit als Teilhabe, und ihr ganzes Land als ERLEBNISDEMO-<br />
KRATIE begreifen. Und eben damit tut sich Deutschland schwer.<br />
Es mag gerechter in den Verteilungsformen sein. Mein amerikanischer<br />
Freund steht immer wieder staunend vor den sozialen Errungenschaften,<br />
die für ihn nicht nur gerecht, sondern auch christlich<br />
sind. Es fällt ihm jedoch genauso auf, dass sich niemand daran freut,<br />
dass wir uns 5 Millionen Arbeitslose leisten können und dass jemand<br />
den S<strong>tadt</strong>park sauber hält. Bürokratie dient eben nicht nur der<br />
Effektivität sozialer Prozesse (ja, immer noch), sondern sie reduziert<br />
auch das Erlebnis. Verwaltung turnt/törnt ab. Und damit entfremdet<br />
sie Volk und Macht. In Deutschland hat diese Entfremdung schon<br />
einmal ein schwarzes Loch geboren, das heißt noch immer Auschwitz.<br />
Die Entfremdung des Volkes von der Macht ging der Entfremdung<br />
des Homo Sapiens von seiner Art voraus. Die Macht diente<br />
dabei dem deutschen Volke, so steht es heute noch am Reichstag.<br />
Die „christlichen“ Errungenschaften aber, über die sich mein<br />
Freund so freut, Mutterschutz, Naturschutz, Familienschutz - all diese<br />
Schütze - wurden im Dritten Reich erfunden und nach dessen Ende<br />
beibehalten. Und diese staatliche Fürsorge wurde bei den Nazis<br />
durch einen Völkermord, nach dem Krieg durch hohe Steuern finanziert.<br />
Morgen freier Wille, irgendwann<br />
Heute steht die Bürokratie selbst auf der Abschussliste. Nicht weil<br />
sie versagt hätte, sondern einfach, weil sie zu teuer ist. Die Bürger<br />
sind immer schutzloser dem globalen Profistreben ausgesetzt, was<br />
auch ein Grund dafür ist, dass es einige von ihnen nach dem Dritten<br />
Reich zurück verlangt. Und die jungen Rechten wissen: die Republik<br />
steht am Scheideweg, denn sie wird unbezahlbar. Die Antwort der<br />
Republikverwaltung ist eine verwaltungstechnische - die Partei/Vereinigung<br />
wird verboten. Seither schießen die Verbände der ehrenamtlichen<br />
Rechtsausleger wie Pilze aus dem Boden. Die einzig mögliche<br />
Antwort darauf ist nicht eine Gegenpartei, sondern viele Bürgerinitiativen.<br />
Nicht die staatlich verordnete Würde des Ehren-Amtes,<br />
sondern Freiwilligenverbände, die nicht nur Versorgungslücken<br />
füllen, sondern die GESELLSCHAFT SELBST sein wollen.<br />
Die Gelegenheit ist günstig. Die Republik am Scheideweg verlangt<br />
Entscheidungen. Gleichzeitig verschwindet die bezahlte produktive<br />
Arbeit, so behaupten einige. Die Freie-Zeit-Gesellschaft ist schon da,<br />
millionenfach. Die Freie-Willen-Gesellschaft dagegen liegt noch in<br />
der Zukunft. Ein erster Schritt dahin könnte sein, den leidigen Begriff<br />
des Ehrenamtes in den semantischen Mülleimer zu werfen.<br />
Möglicherweise fällt es dem freien Willen leichter, sich zu entfalten,<br />
wenn er konkret als Selbst- und Mitbestimmung benannt wird.<br />
Wahrscheinlich jedoch steht auch hier die TAT am Anfang. Wenn<br />
Eltern Angst haben, der zu nette Lehrer würde nicht mit der Klasse<br />
ihrer Kinder „fertig“ werden, müssen sie sich eben in den Musikunterricht<br />
mit hinein setzen. Wenn Verkaufsstellen nicht aufgehalten<br />
werden können, Alkohol an Jugendliche zu verkaufen, muss in Eigenarbeit<br />
ein Pranger errichtet werden, an den die Verkäufer gestellt<br />
werden können. Überall gibt es dafür Anfänge, Gemeinnützigkeit,<br />
Verbraucherschutz und genug Vereine, die sich ohne Meierei bewegen.<br />
Nur, diese Partizipation gilt es zum Normalfall auszubauen.<br />
Damit wäre ein Gegengift gegen die Angstdrift nach ganz Rechts<br />
oder ganz Links gefunden. Und der Freie Wille mauserte sich vom<br />
Feuilletongespenst zur materiellen Gewalt - sobald er die Massen ergreift.<br />
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