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LITERARISCHE WINTERREISEN – JANINE CHRISTGEN

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<strong>LITERARISCHE</strong> <strong>WINTERREISEN</strong> <strong>–</strong> <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

20<br />

- <strong>JANINE</strong><br />

V<br />

<strong>CHRISTGEN</strong><br />

Thomas Mann „Zauberberg“<br />

In Thomas Manns Zauberberg zeigen sich vor allem in den Kapiteln „Schnee“ und „Fülle des<br />

Wohllauts Strukturen, die sich in den Diskurs der Winterreise einfügen. Daher wird sich die<br />

nachfolgende Analyse im Wesentlichen mit den beiden benannten Kapiteln beschäftigen,<br />

wenngleich, und dies soll im durch Verweise an den entsprechenden Stellen aufgezeigt<br />

werden, sich die Winterreisethematik in der Suche Castorps nach dem Sinn des Lebens und<br />

der Welt als Leitbild des Romans herauskristallisiert. Wenngleich der „Zauberberg“ kein<br />

typischer Bildungsroman ist, da die Bildung des Protagonisten außerhalb der<br />

gesellschaftlichen Sphäre stattfindet, ist es doch ein Aufbruch des „Helden“ in eine<br />

„Parallelwelt“, die sein Bewusstsein grundlegend verändern wird. Castorp reist in das<br />

Sanatorium in Davos, um seinen geliebten Vetter Joachim Ziemßen zu besuchen. Aus dem<br />

geplanten dreiwöchigen Aufenthalt, den der examinierte Ingenieur vor seinem geplanten<br />

Eintritt in eine Schiffsbauwerft bei Joachim verbringen will, werden schließlich sieben Jahre.<br />

Nach anfänglichen Schwierigkeiten sich in den Kurbetrieb und das Leben der „hier oben“<br />

einzufügen, entwächst er der Sphäre des Flachlands. Der Zauberberg lässt die Assoziationen<br />

an den Hardes der Antike, den Hexenberg in Goethes „Faust“ oder den Venusberg in Wagners<br />

„Tannhäuser“ auftauchen. Eine mystische, traumverlorene Welt erscheint als Gegenbild zum<br />

Flachland mit seiner Ordnung und Disziplin. Auch Castorp lernt die Vorzüge der Welt des<br />

Zauberbergs nach und nach kennen. Dem fait social der bürgerlichen Welt, die sich aus<br />

Vernunftgründen mit der Außenwelt versöhnt und die eigenen Bedürfnisse nicht reflektiert,<br />

wird die Autonomie der Menschen des Zauberbergs entgegengesetzt. Problematisch ist die<br />

Versöhnung dieser beiden Polaritäten. Gerade aber diese Polaritäten und das Außenseitertum<br />

verbinden den Roman Manns mit dem Diskurs der Winterreise. So lassen sich im Zauberberg<br />

auch explizite Verweise auf Winterreisestrukturen erkennen. Wird der Zauberberg zunächst in<br />

seinem sommerlichen Erscheinungsbild dargestellt, kann der Leser nachvollziehen, wie der<br />

Wintereinbruch nicht nur die Landschaft, sondern auch das Denken und Handeln Castorps<br />

beeinflusst. So zeigt die Sommerlandschaft, in der Castorp im Schneekapitel in Gedanken<br />

noch einmal wandert, eine Bergwelt, die er, wie Hänschen, mit „Stock und Hut“ erkundet. Er<br />

rastet in einer Lichtung mit rauschendem Bach, was den Leser sogleich die Assoziation des<br />

locus amoenus verleitet. Gerade diese Erinnerung ergreift Castorp während er im<br />

Schneegestöber durch die Winterlandschaft zieht, wodurch die Idylle der Sommerlandschaft<br />

deutlich kontrastiert wird. Der locus amoenus wird mit dem Bild des locus desertus<br />

kontrastiert, der kalt und unwirtlich ist.

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