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LITERARISCHE WINTERREISEN – JANINE CHRISTGEN

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<strong>LITERARISCHE</strong> <strong>WINTERREISEN</strong> <strong>–</strong> <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

24<br />

- <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

Schuberts explizit angesprochen und so ein intertextueller Verweis gezogen. Was hat es mit<br />

dieser Winterreise Thematik im Zauberberg auf sich? Verfolgt man zunächst Castorps<br />

Wanderung im Schnee weiter, so trifft der Leser beständig auf Anspielungen, die den<br />

Themenkomplex der Heimat aufrufen. Castorp hat die Orientierung verloren und Sucht den<br />

Weg in die Heimat. Was aber ist die Heimat? Ist es der banale Weg zurück ins Sanatorium?<br />

Es ist zu bedenken, daß Castorp alleine „wandert“. Er hat sich, wie bereits erwähnt, von<br />

seinem Lehrer Settembrini gelöst, dieser kann und will ihn nicht begleiten, weil seine<br />

physischen Fähigkeiten ihm dies nicht erlauben. Castorp steht auf diesem Weg folglich kein<br />

Lehrer zur Seite. Dies führt zunächst zur Orientierungslosigkeit, denn obwohl er sich<br />

wissentlich auf sich selbst stellt und während des Wanderns seine Stellung zu Settembrini und<br />

Naphta reflektiert, ist in ihm noch keine konsistente weltanschauliche Position gewachsen. Er<br />

irrt folglich noch heimatlos umher. Zwar ist das Sanatorium inzwischen zu seiner geistigen<br />

Heimat geworden, doch gilt es auch sich eine eigene Weltanschauung zu erwerben, die nicht<br />

blind von den Lehrern übernommen wird. Dennoch ist Castorp in die Welt der Menschen auf<br />

dem Zauberberg integriert. Diese ist der Welt des Flachlands nicht nur real geographisch,<br />

sondern auch durch ihre gedankliche Vorstellungswelt entzogen. Catorp spricht dies in einer<br />

Unterhaltung mit Chauchat an, indem er formuliert, er sei der Welt abhanden gekommen.<br />

Dies bringt nicht allein zum Ausdruck, daß Castorp außerhalb der Gesellschaft steht, welche<br />

durch die Bewohner des Flachlands symbolisiert wird. Hinzu kommt, daß diese Aussage ein<br />

Zitat aus dem von Mahler vertonten Rückert Gedicht ist. Es bezeichnet den Versuch der Welt,<br />

die den eigenen Ansprüchen nicht genügt, zu entfliehen, einem Zustand der sich als negativ<br />

darstellt, etwas positiv anderes entgegenzusetzen. Diese Aussage Castorps nimmt somit in<br />

gewisser Weise bereits das „Lindenbaumerlebnis“ im Musikkapitel vorweg. Für Castorp stellt<br />

sich die Winterlandschaft nun auch als Existenzbedrohung dar und die Suche nach dem<br />

rechten Weg wird zu einem Davonkommen müssen. Er kann nicht rasten, aber die Müdigkeit<br />

und die Hoffnungslosigkeit stellen ihn immer mehr die Verlockungen der Ruhe vor Augen.<br />

Die Richtung des Wanderns wird ihm gleichgültig und es bedarf erhöhter Anstrengung sich<br />

nicht der Lockung hinzugeben sich hinzulegen. Doch so sehr er sich auch müht, er wandert im<br />

Kreis. Wie Müllers Wanderer, der den „Irrlichtern“ folgt irrt er umher und findet doch wieder<br />

nur die gleiche Hütte. Deren Türen jedoch sind verschlossen und die „unbarmherzge<br />

Schenke“, wie es für den Müllerschen Wanderer in das „Wirtshaus“ heißt, „weist ihn ab“. So<br />

lehnt er sich an die Hütte in einem windgeschützten Winkel und sinnt nach. Auch die<br />

Gedanken an Settembrini füllen kurzzeitig sein Bewusstsein. Das Bild des Drehorgelmannes,

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