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LITERARISCHE WINTERREISEN – JANINE CHRISTGEN

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<strong>LITERARISCHE</strong> <strong>WINTERREISEN</strong> <strong>–</strong> <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

38<br />

- <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

konstituieren kann. Alleine durch die rein räumliche Dimension der Reise ist, wie sich dies<br />

an der Person des Protagonisten zeigt, nichts gewonnen. Der äußeren Reise muß eine<br />

innerliche Bewusstseinsreise, der äußeren eine innere Progression folgen. In dem Faktum das<br />

bereits das Ziel der Reise kontingent war, zeichnete sich bereits eine Verfehlung des Sinns ab,<br />

den diese gerade zu erzeugen versprach. Somit ist nicht verwunderlich, daß der Protagonist<br />

sich schließlich für eine Weiterreise ins ewige Eis Alaskas entscheidet. Sinnlosigkeit steht<br />

somit an Anfang und Ende der Winterreise Roths, die den Protagonisten in die existentielle<br />

Hoffnungslosigkeit entlässt und dem Leser das Schicksal der modernen Gesellschaft vor<br />

Augen führt. Eine Gesellschaft, die an Kommunikationslosigkeit krankt, an der Polyvalenz<br />

von Erkenntnis- und Sinnmöglichkeiten, die jedoch allesamt nicht vermögen das Sinndefizit<br />

zu schließen, welches von der Absage der Gesellschaft an jegliches sinnstiftende autoritative<br />

System entstanden ist. Das Individuum ist auf sich zurückgeworfen, vereinzelt, solipsistisch.<br />

Roths Protagonist vermag einzig durch den Schmerz noch zu spüren, daß er lebt. Er fühlt sich<br />

in Situationen wohl, in welchen er Schmerz ausgeliefert ist. Hölderlin hat in einem seiner<br />

Gedichte geschrieben: „Schmerzlos sind wir und haben fast die Sprache in der Fremde<br />

verloren“. Hölderlin empfand die Schmerzlosigkeit als Mangel, indem die Schmerzlosigkeit<br />

in Abhängigkeit von Betäubung erreicht wird. Wie der Mensch in der Gesellschaft und der<br />

Arbeit „ruhiggestellt“ ist, empfindet er keinen Schmerz, kein Defizit. Aber nur wer den<br />

Schmerz spürt, kann ihm auf den Grund gehen, nur be-gründeter Schmerz kann be-hoben,<br />

auf-gehoben werden und muß nicht betäubt und verdrängt werden. Nagel geht demnach den<br />

richtigen Weg, wenn er sich aus der normativen Kraft der Gesellschaft befreit, welche die<br />

Ausübung eines Berufes von ihm einfordert, welche er nicht in Einklang zu seinem eigenen<br />

Wesen setzten kann. Den Ausweg aber kann er nicht finden, da er keinen Bewusstseinswandel<br />

vollzieht und somit in seinen eigenen Projektionen gefangen bleibt, aus dem jahreszeitlichen<br />

Winter wird ein existentiellen Winter, der das Ich entfremdet und Isoliert im ewigen Eis<br />

enden lässt.

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