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LITERARISCHE WINTERREISEN – JANINE CHRISTGEN

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<strong>LITERARISCHE</strong> <strong>WINTERREISEN</strong> <strong>–</strong> <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

25<br />

- <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

welches er gleich beim ersten Erscheinen Settembrinis mit diesem Verband, erscheint. Auch<br />

hier liegt eine Verbindung zur Winterreise Müllers nah. Der Drehorgelmann verbindet sich in<br />

der Assoziation des Lesers wie selbstverständlich mit dem Leiermann. Settembrinis Leier<br />

steht Castorp nimmer still und so sucht er sich vor ihm zu emanzipieren. Dennoch ist es der<br />

„Lehrer“ der ihn am meisten beeinflusst hat und der einzige „Lehrer“ der vier „Lehrere“<br />

Castorps, der überlebt und sich auch nicht örtlich in unbekannte Gegenden entzieht. Ganz ihm<br />

Gegensatz zu Naphta, der stirbt, Chauchat, die wegzieht und Peeperkorn, der ebenfalls stirbt.<br />

Settembrini ist also Castorps Begleiter, wie der Leiermann in der Müllerschen Dichtung zum<br />

„Gefährten“ des Wanderers wird, wenngleich nicht letztendlich geklärt ist, ob der Leiermann<br />

als Gleichgesinnter dem Wanderer zur Seite stehet und der Zyklus so mit einem positiven<br />

Aufbruch ins Zukünftige beginnt, oder ob er den personifizierten Tod darstellt. Auch<br />

Settembrini verkörpert prinzipiell diese beiden Prinzipien. Er ist Leher Castorps und erweitert<br />

somit sein Bewusstsein und unterstützt seinen Entwicklungsprozeß, das Wissen aber, welches<br />

er Castorp zuteil werden lässt zeigt sich als inkompatibel mit der Gesellschaft, so daß Castorp<br />

an der Wiederbegegnung mit der Welt des Flachlands schließlich scheitert. Was aber auch<br />

darauf zurückzuführen sein wird, daß die Gesellschaft noch nicht bereit ist der geistigen<br />

Entwicklung zu folgen, welche Castorp auf dem Zauberberg erfahren hat.<br />

An diese Gedanken an Settembrini schließt sich ein träumerisches Vorstellen eines<br />

Sommerspaziergangs an. Dieser Spaziergang entwirft das Gegenbild des Locus desertus und<br />

Kontrastiert die Winterlandschaft mit der blühenden Landschaft des Sommers. Mann<br />

beschreibt einen Park, der in üppigem Grün erstrahlt, in dem ein lauer Wind weht und in<br />

welchem Vögel zwitschern. Hinzutreten ein Regenbogen, welcher durch den warmen<br />

Reganschauer ausgelöst wurde und Musik der Harfen, Geigen und Flöten. Auf diese Weise<br />

werden alle Charakteristika des Topologie des Locus amoenus aufgerufen, was den Leser das<br />

„Sommerglück“ in besonders scharfem Kontrast zum Winter erfahren lässt. Es ist, wie der<br />

Leser kurze Zeit später erfährt, der Ort der Sonnenleute. Dieser Ausflug erinnert an den<br />

„Frühlingstraum“ des Wanderers in Müllers Winterreise. Auch hier werden Sommer und<br />

Winter miteinander kontrastiert, das hier und jetzt des Wanderers in einer träumenden<br />

Frühlingsvision überwunden. Die Sonnenleute tanzen und sind höflich und gut zueinander.<br />

Dies wird kontrastiert durch das Ende des Traums, den Opferritus. Die Sonnenleute scheinen<br />

Leben und Tod, Frieden und Grausamkeit ausgesöhnt zu haben. Dies wird Castorp vorerst<br />

jedoch nicht bewusst. Ihm graut es nur vor den schrecklichen Bildern der Opferung.

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