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LITERARISCHE WINTERREISEN – JANINE CHRISTGEN

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<strong>LITERARISCHE</strong> <strong>WINTERREISEN</strong> <strong>–</strong> <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

36<br />

- <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

Austritt aus der Kulturellen Umgebung lässt die Triebe des Menschen erneut hervortreten,<br />

gerade auch, weil die fehlende Sinndimension, welche durch die Arbeit gesetzt wurde, in<br />

Nagels Existenz nicht sublimiert werden konnte. Nagels Leben hat die soziale Bedeutung<br />

verloren, dies korrespondiert mit dem emotionalen und sexuellen Verhalten des Menschen.<br />

Auch dies wird von Roth in der „Winterreise“ thematisiert. Der verschwundene Sinn soll<br />

durch die Sexualität eine Ersatzbefriedigung erfahren. Doch auch hier kann Nagel keine<br />

Sinnerfahrung gelingen. Dies resultiert aus seiner Unfähigkeit zur sozialen Kommunikation.<br />

Es ist Nagel nicht möglich ein normales Verhalten gegenüber seiner Umwelt zu entwickeln.<br />

Sein Ausbruch aus der Gesellschaft ist radikaler als seine „Winterreise“ zunächst anmuten<br />

mag, sie zeigt eine existentielle Erfahrung der Fremdheit der Menschen. Der Ausbruch aus<br />

der Kultur misslingt, da das Individuum nicht in der Lage ist kommunikativ in das Verhältnis<br />

zu den anderen Subjekten zu treten und die Umwelt neu zu definieren. Die Individuen<br />

scheitern an den Normsetzungen der Gesellschaft.<br />

Nagel und seine Beziehung zu Anna stehen prototypisch für das Versagen der<br />

Kommunikation in der zwischenmenschlichen Beziehung der modernen Gesellschaft. Ziel<br />

Roths ist es die Wortlosigkeit zwischen den Menschen im Antagonismus zwischen Attraktion<br />

und Fremdheit darzustellen, womit das Leidwesen der reinen Sexualität dargestellt ist.<br />

Das Verhältnis Nagels zu Anna ist, wie auch Nagels Verhältnis zur Welt, welches später noch<br />

erläutert werden soll, dichotomisch. Im Entzug fühlt er sich ihr nah und wünscht sie in seiner<br />

Nähe. Ist sie aber bei ihm, begleitet sie ihn, findet keine Kommunikation zwischen ihnen statt.<br />

Der Leser erfährt nicht viel von Anna, außer daß er sie, als ehemalige Freundin, sehr spontan<br />

für seine Reisepläne begeistern und zum Mitkommen bewegen konnte. Sie tritt mehr als<br />

Objekt auf. Wird lediglich durch ihre erotische Attraktion gekennzeichnet. Nagel verhält sich<br />

zu ihr, wie zu allen anderen Menschen teilnahmslos und gefühlskalt. Die an den<br />

pornographischen Jagon angelehnte Schilderung der Liebesszenen verdeutlicht dem Leser um<br />

so mehr die Kälte und den Abstand der beiden Menschen zueinander. Am Ende steht wie bei<br />

jeder Annährung Nagels an die selbstgewählten Objekte seiner Erkenntnis, die Ent-täuschung.<br />

Die Hoffnung in der „Liebe“ zu Anna Sinn konstituieren zu können, scheitert. Wie der<br />

Wanderer in Müllers „Winterreise“ muß Nagel weiterziehen auf der Suche nach<br />

Sinnpotentialen. Auch dem Müllerschen Wanderer blieb die Liebe als Sinn- und<br />

Zielkonfiguration verwehrt. Im Zyklus Müllers wird die enttäuschte Liebe durch die<br />

Todessehnsucht abgelöst. Auch bei Nagel findet sich hier eine Entsprechung, wenngleich hier<br />

keine Ablösung der „Liebes“- durch die Todesthematik stattfindet. Der gesamte Roman Roths

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