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LITERARISCHE WINTERREISEN – JANINE CHRISTGEN

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<strong>LITERARISCHE</strong> <strong>WINTERREISEN</strong> <strong>–</strong> <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

7<br />

- <strong>JANINE</strong> <strong>CHRISTGEN</strong><br />

Folgenden ebenso entwickelt werden wie die signifikanten Merkmale einer solchen Reise und<br />

ihre Überzeitlichkeit.<br />

3 Von aufkeimendem Subjekt- zum Selbst-bewusstsein<br />

Die „Winterreisen“ nehmen literarisch betrachtet ihren Ausgangspunkt mit dem Gedicht<br />

„Galathee“ von Martin Opitz, das 1625 in dem Buch der „Oden und Gesänge“ seiner<br />

Deutschen Poemata erschien. Dieses poetische Regelwerk leitet er mit jenem Gedicht ein. Es<br />

handelt sich dabei inhaltlich um die Liebesklage des Hirten Coridon. Von besonderem<br />

Interesse ist hier jedoch nicht jenes Sujet, sondern die Art und Weise, wie dieses exponiert<br />

wird. Schon in den ersten Versen, in denen Ort und Gegenstand seiner Betrübnis exponiert<br />

werden, zeigen sich Merkmale, die für spätere Winterreisen grundlegend sein werden:<br />

„Coridon, der ging betrübet / An der kalten Cimbersee / Wegen seiner Galathee“ 21 . Dieses<br />

Zitat weist bereits auf zwei konstitutive Merkmale hin: zum einen auf den Zustand des<br />

Wanderns eines lyrischen Ichs, zum anderen auf die kalte und unwirtliche Landschaft. Hinzu<br />

tritt noch eine weitere Besonderheit, welche sich in späteren Versen offenbart: „Also sang er /<br />

dass die Wellen / Und das Ufer an der See / Galathee / O Galathee / Sämptlich [sic!] muste<br />

wiederschellen“ 22<br />

Hier zeigt sich, dass der Schmerz des Hirten einen Konterpart in der Natur findet. Die triste<br />

Landschaft spiegelt seine Gefühlslage. War es besonders in der mittelalterlichen Dichtung<br />

üblich, Erquickung und Ruhe mit dem Topos des Locus Amoenus zu verknüpfen, so scheint<br />

sich hier jener Ort in sein Gegenteil verkehrt zu haben, zum Locus Desertus geworden zu<br />

sein. Für diese Konfiguration lassen sich jedoch Vorbilder finden. „Der rhetorische Rahmen,<br />

die Topothesie einer Landschaft, die zur Gemütslage des Sängers passt, und die<br />

Schäfernamen der beteiligten Personen sind der Tradition der bukolischen Liebesklage<br />

entnommen.“ 23<br />

Ungewöhnlich erscheinen hingegen „die recht genauen geographischen<br />

Angaben, die dem Leser den Nachvollzug der winterlichen Reise ermöglichen; wie die lokale<br />

und jahreszeitliche Situation sind sie nur aus biographischen Umständen verständlich.“ 24<br />

Diese Umstände sollen hier jedoch nicht weiter erörtert werden. Ziel ist es, nicht Opitz´<br />

individuelle Motivationen zur Entstehung einer Winterreisesituation zu klären, sondern<br />

festzustellen, dass „die Produktion literarischer Winterreisen von den Empfindungen eines<br />

21 Opitz, Martin: Gesammelte Werke. Bd.II, 2, S. 654-659.<br />

22 Opitz, Martin: Gesammelte Werke. Bd.II, 2, S. 654-659.<br />

23 Drux, Rudolf: Des Dichters Winterreise, S. 231.<br />

24 Drux, Rudolf: Des Dichters Winterreise, S. 231.

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