Feministischer Wissenstransfer - Verband Wiener Volksbildung

Masterlehrgang
"Internationale Genderforschung und Feministische Politik"
Viersemestriger Lehrgang universitären Charakters
Jänner 2005 bis Dezember 2006
MASTER - THESIS
Grundlagen feministischer Politikberatung
Feministischer Wissenstransfer in die Politik
Petra Unger
Erstbegutachtung: Univ.Prof. in Dr. a Birgit Sauer
Zweitbegutachtung: Univ.Lekt. in Dr. a Ursula Kubes-Hofmann
Abgabetermin: 30.Mai 2007
Rosa - Mayreder - College
Wien

2
Inhalt
1. Vorwort ________________________________________________________ 5
2. Einleitung _____________________________________________________ 10
3. Fragestellung und Zielsetzung _____________________________________ 13
4. Aufbau der Arbeit _______________________________________________ 15
4.1. Frauenbewegung und Frauenforschung – eine wechselvolle Geschichte______ 15
4.2. Wechselwirkung Bewegung - Theorie _________________________________ 16
4.3. Postmoderne - Postfeminismus ______________________________________ 18
4.4. Sex – Gender – Queer_____________________________________________ 20
4.5. Zusammenfassung _______________________________________________ 23
5. Anwendbarkeit feministischen Wissens – Geschlechterkonstruktionen______ 25
5.1. Alltagswissen versus wissenschaftliches Wissen ________________________ 26
5.2. Doing Gender____________________________________________________ 27
5.3. Die Schwierigkeit der Anwendung ____________________________________ 29
6. Parteipolitikerinnen in Österreich – eine Annäherung ___________________ 33
6.1. Der Weg ins Parlament - Die ersten Schritte ____________________________ 34
6.2. Fortschritte und Rückschläge _______________________________________ 35
Exkurs: Frau - sein ist kein politisches Programm ___________________________ 37
7. Im und gegen den Staat __________________________________________ 38
7.1. Der geschlechtslose Staat?! ________________________________________ 38
7.2. Repräsentation von Frauen _________________________________________ 41
Exkurs: Das Parlament als Spiegel der Gesellschaft?_________________________ 42
7.3. Zusammenfassung _______________________________________________ 45
8. Politik(en) _____________________________________________________ 46
8.1 Verknüpfte Kategorien _________________________________________ 46
Exkurs: Junge Politikwissenschaft________________________________________ 47
8.2 Politische Prozesse – politisches Handeln _____________________________ 50
9. Frauenpolitik ___________________________________________________ 53

3
9.1. Implikationen und Themen__________________________________________ 54
9.2. Feministische Frauenpolitik _________________________________________ 55
9.3. Frauenpolitikerinnen - Parteifrauen ___________________________________ 59
9.4. Frauenbilder_____________________________________________________ 62
9.4.1. Das Frauenbild der Sozialdemokratischen Partei ______________________ 62
9.4.2. Das Frauenbild der Österreichischen Volkspartei ______________________ 63
9.4.3. Das Frauenbild der Grünen Alternativen _____________________________ 65
9.4.4. Das Frauenbild der Freiheitlichen Partei _____________________________ 67
9.4.5. Das Frauenbild Bündnis Zukunft Österreich __________________________ 67
9.5. Zusammenfassung _______________________________________________ 68
10. Politikberatung _______________________________________________ 69
10.1. Problemfelder wissenschaftlicher Politikberatung ________________________ 70
10.2. Verschiedene Modelle der Politikberatung _____________________________ 72
11. Empirischer Teil: Methode und Forschungsverlauf____________________ 76
11.1. Methodenwahl ___________________________________________________ 76
11.2. Auswahl der Interviewpartnerinnen ___________________________________ 78
11.3. Transkription ____________________________________________________ 81
11.4. Ergebnisse der empirischen Untersuchung _____________________________ 82
11.4.1. Kategorie Frauenpolitik __________________________________________ 82
11.4.2. Kategorie Feminismus ___________________________________________ 85
11.4.3. Kategorie Wissen_______________________________________________ 87
11.4.4. Kategorie Politikberatung_________________________________________ 89
11.4.5. Praxis feministischer Politikberatung ________________________________ 92
12. Beantwortung der Forschungsfrage und Schluss _____________________ 98
13. Anhang ____________________________________________________ 102
13.1. Interviewleitfaden für politische Akteurinnen ___________________________ 102
13.2. Interviewleitfaden Politikberatung ___________________________________ 102
13.3. Interviews Frauenpolitikerinnen _____________________________________ 103
13.4. Abkürzungen ___________________________________________________ 103
13.5. Tabellenverzeichnis ______________________________________________ 104
13.6. Abbildungsverzeichnis ____________________________________________ 104

4
13.7. Frauenvolksbegehren ____________________________________________ 105
13.8. Literaturliste Master Thesis ________________________________________ 112
13.9. Linkliste _______________________________________________________ 116

5
1. Vorwort
Mein Beruf als Kunst- und Kulturvermittlerin hat mich gelehrt, von meinem Publikum
kein Vorwissen zu erwarten. Historisches oder kunsthistorisches Wissen, Wissen
über lokale Eigenheiten und Begebenheiten ist Spezialwissen. Der Anspruch an
Allgemeinbildung sowie der Wissensgesellschaft an alle, Spezialwissen aus
möglichst vielen Bereichen möglichst lebenslang anzuhäufen, steht im Raum und
schafft Hierarchien. Hierarchien zwischen den Wissenden und den Nicht-Wissenden,
zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen, Arbeits- und Berufswissen,
Erfahrungswissen, Faktenwissen und emotionalem Wissen. „Es ist wissenschaftlich
erwiesen...“ gerät in dieser Wissenskultur zu einem Totschläger-Argument. Jede
damit verknüpfte Aussage erhält Verkündigungscharakter, den Nimbus
unumstößlicher Wahrheit. Die Orte der wissenschaftlichen Wissensproduktion haben
eigene Regeln und Abläufe entwickelt, um Glaubwürdigkeit und Legitimation zu
sichern. 1 Wissenschaftliches Wissen ist „hochgradig institutionalisiert und organisiert“
(Weingart, In: Falk/ Rehfeld et. al. 2006:35) Doch der Wahrheitsanspruch hat sich
relativiert und wurde als eine Form von Wahrheitskonstruktion entlarvt - auch durch
feministische Wissenschaftskritik, die Mechanismen der Wissensproduktion als
vergeschlechtlicht identifiziert hat. Wissen ist Macht und wird machtvoll eingesetzt.
Welches Wissen, das hängt wiederum von der jeweiligen Definitionsmacht ab. Auch
in feministischen Kreisen. In den Anfängen der Zweiten Frauenbewegung wurde
nicht-wissenschaftliches Erfahrungswissen von Frauen zur Handlungsmotivation und
damit aufgewertet. Wechselseitiger Austausch und ständige Reflexion war der hohe
Anspruch. Ein Anspruch, der in der realen Auseinandersetzung nicht immer
konfliktfrei und reibungslos erfüllt werde konnte. Dennoch war diese
Auseinandersetzung in höchstem Maße fruchtbar. Feministisch –
wissenschaftliches Wissen verbunden mit Alltags- und Praxiswissen führte zu einer
starken Professionalisierung der Frauenbewegung und ihren institutionalisierten
Organisationen, aber auch zu einer feministischen Professionalisierung der
politischen Akteurinnen in den verschiedenen Parteien.
1 Vgl. Bourdieu 1992b

6
Funktioniert dieser Wissensaustausch noch? Wissen die aktuellen politischen
Akteurinnen und Praktikerinnen von den neuesten Erkenntnissen der mittlerweile mit
eigenen Instituten und Lehrgängen etablierten feministischen Forschung? Mein
Eindruck in meinen verschiedenen Arbeitsfeldern war: Nein, sie wissen nicht. Mein
nächster Gedanke dazu war: Neue, andere Formen der Wissensvermittlung müssen
geschaffen werden. Während der Recherchen zu dieser Arbeit habe ich die
umgekehrte Frage gestellt: Wissen die feministischen Wissenschafterinnen von den
Realitäten der politischen Akteurinnen? Welches Wissen brauchen
Wissenschafterinnen von den politischen Akteurinnen, um die richtigen Fragen in
ihren Forschungen stellen zu können? Meine Überzeugung, dass dieser Austausch
nur auf Augenhöhe in gegenseitiger Anerkennung des unterschiedlichen Wissens
Früchte tragen kann, bildet den Hintergrund dieser Arbeit. Politische Akteurinnen
brauchen feministische Theorien, um nicht in die eigenen, ständig mit neuem
Gewand verkleideten, alten Fallen zu tappen. Feministische Wissenschafterinnen
brauchen die Praktikerinnen, um die wichtigen, aktuellen Themen außerhalb ihrer
homogenen Community aufgreifen zu können und um ihre Theorien an der Praxis zu
messen. Es gibt das feministische Wissen nicht. Ebenso wenig wie es das Wissen
um die richtige Frauen- oder Geschlechterpolitik gibt. Aber es gibt die Möglichkeit der
Annäherung und des Austauschs. Und nicht zuletzt der Versuch der Vermittlung
zwischen zwei Kulturen.
Für mich als Praktikerin, als Kunst- und Kulturvermittlerin, als feministische
Stadtführerin und Vortragende, Workshop- und Seminarleiterin ist dieser Anspruch
der wechselseitigen Fragestellungen und des damit verbundenen Austausches Teil
meiner Arbeits- und Berufsethik. Wissensinhalte werden nur dann zu Erkenntnis und
können Veränderungen im Denken und Handeln hervorrufen, wenn es an schon
vorhandenes, persönlich - emotionales Alltags- und Erfahrungswissen und/oder
schon erworbenes Fakten- und inhaltliches Wissen – sei es wissenschaftlich oder
nicht – anknüpfen kann. Wenn es etwas mit den Personen zu tun hat und wenn ihr
eigenes Wissen Anerkennung und Wertschätzung erfährt. Wenn Fragen stellen nicht
dazu führt, als „Nicht-Wissende“ entlarvt und bloß gestellt zu werden. Meinem
Publikum das Vertrauen geben, Fragen stellen zu können und die Sicherheit, dass
alle Fragen willkommen sind, dass ihr Wissen gleich – wert mit meinem
Spezialwissen ist, ist ein weiterer Bestandteil meiner Arbeitsweise. Im daraus
entstandenen Austausch habe auch ich viele Fragen gestellt und viel gelernt. Von
den Teilnehmer/innen meiner Frauenstadtspaziergänge, den Feministinnen aus der

7
Autonomen Frauenbewegung und den Parteifrauen unterschiedlichster
Zugehörigkeit, von Studentinnen und Professorinnen, Touristinnen und Touristen, die
an meinen Stadtrundgängen teilgenommen haben. Diese Erfahrungen anzuwenden
in der Konzeption einer feministischen Politikberatung ist eines der praktischen Ziele
dieser Arbeit. Ein weiteres Ziel ist es, erneut und wieder grundsätzliche
Überlegungen anzustellen, die eigenen Methoden kritisch in den Blick zu nehmen,
die jene Vermittlung zwischen unterschiedlichen Sprach- und Wissenskulturen
ermöglichen.
Feministische Politikberatung könnte auch – soviel sei vorweg genommen - wieder
Anregung zu Solidarisierung über alle Parteigrenzen und institutionellen Grenzen
hinweg bedeuten. Der Energieverlust im Streit darum, wer das bessere
Frauenprogramm hat, wer die meisten Stimmen für die eigene Partei damit gewinnen
kann, ist enorm und dient vor allem den Männern. Besonders dann, wenn „Politik mit
Frauen“ gemacht wird, in dem Sinne, dass Frauenpolitik nur dazu dient, politisches
Kleingeld zu zählen und Wahlen zu gewinnen, aber nicht, um die Situation von
Frauen realiter zu verbessern. Hier stellt sich die Frage, ob es nicht wieder Gebot der
Stunde ist, Frauensolidarität – oder nennen wir es lieber „Vernetzung“, nachdem der
Solidaritätsbegriff rückblickend eher als kurzlebiger Glücksfall während der Zweiten
Frauenbewegung und heute als utopisch empfunden wird - zu üben. In meiner
teilnehmenden Beobachtung während meines Forschungspraktikums, während
meiner Interviews mit Frauenpolitikerinnen der verschiedenen Parlamentsparteien
und im Zuge meiner vergleichenden Analyse der jeweiligen Frauenprogramme,
stellte sich mir immer wieder die Frage, warum die Querschnittsmaterie „Frau“ nicht
quer über alle Parteigrenzen hinweg, verhandelbar und durchsetzbar ist. So
unterschiedlich sind die Konzepte in vielen Bereichen dann doch wieder nicht.
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, bessere Ausbildung und ein besseres Netz an
Kinderbetreuungseinrichtungen fordern alle Parteien, selbst jene rechts außen. Bei
„Abtreibung auf Krankenschein“ wird noch gestritten werden müssen und bei der
Anerkennung anderer, migrantischer, religiöser oder nicht heterosexueller
Lebensformen ebenso. Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen brauchen
den Streit darum, um sich verändern zu können. Was spricht gegen diesen Streit?
Und was spricht gegen eine Frauenpolitik, die wieder vermehrt von den Männern
spricht? Darüber, was sie (in Frauen schädigender Weise an-) tun und darüber was
sie ( in ebenso schädigender Weise) nicht tun? Aktuelle Frauenpolitik spricht nicht
mehr von Männern. Ständig hören wir, was Frauen tun, was sie tun sollten und was

8
für sie getan werden sollte. Die „Spezies Mann“ steht nicht mehr im Kreuzfeuer der
Kritik. Die Spezies „Parteikollege“ oder „Parlamentskollege“ scheinbar noch weniger.
So als hätte Erfolg und Scheitern von Frauenpolitik oder frauenpolitischen
Forderungen nichts mit den Männern zu tun. Vielleicht sollten im Nationalrat
provokante, polemische Fragen gestellt werden. Vielleicht dieser Art: „ Meine Herren!
Was haben Sie in den letzten Jahren konkret getan, um den Frauenanteil in den
Ausschüssen zu erhöhen und ihren Parteikolleginnen die besseren Listenplätze zu
verschaffen? Haben Sie heute schon Ihre Hausarbeit geleistet und sich um
Betreuung und Erziehung Ihrer Kinder gekümmert? Wissen Sie schon, wie Sie die
Pflege Ihrer alten Eltern mit Ihrem Beruf vereinbaren werden? Haben Sie bei Ihren
männlichen Freunden und Kollegen in letzter Zeit Bewusstseinsarbeit geleistet?
Betonen Sie, dass richtige Männer ihre Frauen nicht schlagen, sexistische Witze
nicht lustig sind und beim Besuch einer Prostituierten darauf zu achten ist, ob sie
unter menschenwürdigen, existenzsichernden Umständen arbeiten kann? Haben Sie
über Ihr Männerbild heute schon nachgedacht? Was Sie zum Mann macht? Ob sie
einer sind? Was die Konstruktion von Geschlecht bedeuten könnte? Wann haben Sie
zuletzt ein Buch über Geschlechterforschung gelesen?“
Die Reihe der Fragen lässt sich noch lange fortsetzen. Derartige Fragen zu stellen,
könnte die gelangweilten (oder nicht anwesenden) Abgeordneten bei Diskussionen
um Frauenthemen, Gender Mainstreaming oder Gender Budgeting ein wenig
interessierter werden lassen und würde vermutlich heftige Diskussionen hervor rufen.
Dringend notwendige Diskussionen. Derartiges überhaupt zu denken, könnte auch
Teil einer feministischen Politikberatung sein. Anregung zur Widerständigkeit geben.
Im neu-modernen „Gendersprech“ wird viel von Empowerment gesprochen.
Ermächtigung. Politikerinnen zu ermutigen und zu ermächtigen, Machtstrukturen zu
kritisieren. Sie auch darin zu bestärken, sich mit den eigenen Verstrickungen mit der
(Männer-) Macht auseinander zu setzen. 2 Solange Politikerinnen loyaler zu ihren
Parteikollegen stehen als zu ihren Parteikolleginnen, Männer immer berücksichtigen
und „mitnehmen“ wollen, kommt Frauenpolitik nur als „...ein (sehr kleines, Anm. u.p.)
Beet im Paradiesgarten Politik“ vor (Rosenberger 1991: 47) und wird nicht die
2 Christina Thürmer-Rohr schreibt dazu: „...dass diese Welt, deren Unordnung und Ordnung wir
anklagen, ohne die Mitwirkung der Frau als aktive und passive Würdigerin des Mannes nicht wäre wie
sie ist; dass auch Frauen nicht wären, wie sie sind, wenn sie nicht den Hauptschub ihrer Kraft, Zeit
und Fähigkeiten der Machtermächtigung des Mannes widmen würden.“ (Thürmer-Rohr 1989: 87)

9
Querschnittsmaterie, die es werden sollte. In diesem Sinne plädiere ich für
Empowerment, Widerständigkeit, Vernetzung und intensivem Wissen- und
Erfahrungsaustausch. Und ich plädiere dafür, dissident zu sein, auch in den eigenen
Lebens- und Berufsfeldern, auch wenn es Mut erfordert. Oder, um es mit anderen
Worten zu formulieren, die Rolle der „integrierten Außenseiterinnen“ in Betracht zu
ziehen. 3 Barbara Holland – Cunz schreibt dazu: „Der einzig sichere Lohn, den es für
diese harte Arbeit gibt, ist nicht der Erfolg, sondern die Würde.“ (ebd)
3 Vgl. Harding 1994

10
2. Einleitung
Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Was ist Gender Mainstreaming und womit
beschäftigen sich Gender Theorien? Ist Feminismus „out“ oder stehen wir schon
mitten in der Dritten Frauenbewegung? Das sind einige der vielen Fragen, die heute
wieder und/oder immer noch in Zusammenhang mit dem Geschlechterverhältnis
gestellt werden. Seit es der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking gelungen ist,
Gender Mainstreaming als politische Strategie für die Arbeit der Vereinten Nationen
zu verankern und 1999 die Mitgliedstaaten der EU mit dem Amsterdamer Vertrag die
gesetzliche Verpflichtung zur Umsetzung von Gender Mainstreaming festgeschrieben
haben, ist der umfangreiche Themenkomplex der Geschlechtergerechtigkeit
zumindest vordergründig in den Mainstream der Politik gelangt. Gender
Mainstreaming scheint die „Verstaatlichung der Frauenpolitik“ (Hark 2005: 22) mittels
Gesetzen, Verordnungen und Gleichstellungsbeauftragten voranzutreiben, auch
wenn nicht allen politischen Akteur/innen Herkunft und Bedeutung dieser Strategie
geläufig ist. Gleichzeitig werden im universitären Raum Gender Theorien und
feministische Ansätze in den verschiedensten Disziplinen diskutiert. Seit der
Veröffentlichung des Buches „Gender Trouble – Feminism and the Subversion of
Identity“ von Judith Butler sind nicht nur Vorstellungen zur „Kategorie Frau“ ins
Wanken geraten. Auch die dominante Norm der Heterosexualität findet sich im
Kreuzfeuer der Kritik wieder. So manche Aktivistin der Zweiten Frauenbewegung der
70er und 80er Jahre lehnt derartige feministisch - akademische Ansätze als zu
intellektuell und zu wenig praxisorientiert ab, Andere finden gerade darüber ihren
Zugang zu feministischem Gedankengut. Sabine Hark stellt hierzu die Frage: „Was
folgt aus der Tatsache, dass gegenwärtig (junge) Frauen und Männer Feminismus
womöglich eher in ihrer akademischen Ausbildung kennen lernen als in politischen
(Bewegungs-) Zusammenhängen?“ (Hark 2005: 64)
In den aus der Zweiten Frauenbewegung entstandenen Frauenorganisationen findet
zunehmend ein Generationenwechsel statt, in dessen Verlauf mitunter das
feministische „Bewegungswissen“ verloren geht. Nicht selten kommt damit auch der
feministisch – politische Impetus der Gründerinnen abhanden. Es stellen sich auch
hier die Fragen: Was ist Feminismus? Was können Gender Theorien leisten und
welche Vorteile bringt Gender Mainstreaming? Auch unter Akteurinnen der
parlamentarischen Parteipolitik gehen die Meinungen zu diesen Fragen auseinander.
So manche Grüne und Sozialdemokratische Parteifrau scheut sich nicht, sich selbst

11
in Verbindung mit feministischem Gedankengut zu bringen, während auf der
Homepage der ÖVP Frauen der Begriff „Opferfeminismus“ zu lesen ist. 4 Frauen der
Freiheitlichen Partei verwenden Begriffe, die eng mit der Zweiten Frauenbewegung
verbunden sind, wie „selbstbestimmt“ oder „partnerschaftlich“, und setzen sie gegen
den Sinn der Erfinderinnen für ein Frauenbild ein, das vor allem die Mutterrolle ins
Zentrum stellt. 5
Abseits der Debatten in den Parteien, an den Universitäten oder den
Frauenorganisationen sind viele Frauen und Männer in den westlichen Ländern der
Ansicht, dass Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern längst verwirklicht ist.
Von der Diskriminierung der Frauen zu sprechen ist „out“. „Frauen haben mittlerweile
echte Chancen- und Wahlfreiheit“, ist eine weit verbreitete Meinung 6 . Männer seien
zunehmend bereit, sich aktiv an Hausarbeit und Kindererziehung zu beteiligen, wird
eifrig versichert.
Statistische Zahlen sprechen jedoch eine deutlich andere Sprache: „Erwerbstätige
Frauen verbringen im Schnitt 35 Wochenstunden am Arbeitsplatz. Für den Haushalt
wenden sie wöchentlich 18 Stunden, für Kinderbetreuung 11 Stunden auf. In Summe
ergibt das 64 bezahlte und unbezahlte Arbeitsstunden. Bei erwerbstätigen Männern
macht die wöchentliche Gesamtbelastung nur 48 Stunden aus. Davon entfallen 41
Stunden auf bezahlte Erwerbsarbeit, 4 Stunden auf Hausarbeit und 3 Stunden auf
die Betreuung der Kinder. Am größten ist die zeitliche Belastung berufstätiger Mütter.
Sie leisten im Schnitt 32 Stunden bezahlte und 40 Stunden unbezahlte Arbeit. Dies
sind in Summe 72 Stunden pro Woche. Ähnlich hoch ist mit 69 Stunden die
4 Maria Rauch-Kallat: „Diese Theorie des alten Feminismus ist negativ und destruktiv und trifft nicht
das neue Lebensgefühl von Frauen. Die Klagen über die Opferrolle der Frau nehmen den Frauen
Kraft und Mut. Ja, es gibt Probleme. Aber nicht alle Frauen haben „frauenbedingt“ ein trauriges
Schicksal! Nicht alle Frauen sind von ihren Müttern falsch erzogen und von ihren Vätern schlecht
behandelt worden. Quelle: ÖVP Frauenbewegung
http://www.frauenoffensive.at/frauenpolitik/artikel.aspx?where=006208
5 Monika Mühlwerth: „Die FPÖ versteht unter Frauenpolitik vor allem auch Familienpolitik und steht für
ein partnerschaftliches Miteinander der Geschlechter und Generationen. Wichtig ist ein
selbstbestimmtes Leben von Frauen, das die Wahlfreiheit von Familie, Beruf oder beidem miteinander
möglich macht. Durch wirtschaftliche Zwänge müssen sich Frauen oft früher von ihren Kindern
trennen, als es ihnen lieb ist. Dies ist eine Folge feministischer Frauenpolitik, die Kinder als
Karrierehindernis sieht (...).“ (Monika Mühlwerth ist Abgeordnete zum Bundesrat, Anm. u.p.), Quelle:
Freiheitliche Frauen
http://www.freiheitlichefrauen.at/index.php?id=3771&backPID=3768&tt_news=12873
6 Welche Wahlfreiheit damit gemeint ist, wird in der Regel selten ausgeführt.

12
Gesamtbelastung alleinerziehender berufstätiger Frauen.“ 7 Ein weiteres Beispiel aus
dem Themenbereich Gewalt gegen Frauen sei angeführt: „Etwa jede 2. bis 3. Frau
erleidet körperliche Übergriffe in ihrem Erwachsenenleben. Etwa jede 7. Frau erfährt
sexuelle Gewalt durch bekannte oder unbekannte Personen. Nicht wie bisher
angenommen jede 5., sondern jede 4. Frau erlebt körperliche und/oder sexuelle
Gewalt durch ihren Beziehungspartner. “ (Schröttle/ Glammeier: 2005) Die Zahlen
widersprechen demnach deutlich dem Alltagsverständnis der meisten Frauen und
Männer in bezug auf ihr Verhältnis zueinander. Alltagswissen allein reicht also nicht
aus, um das Geschlechterverhältnis in seinen zahlreichen Facetten erfassen zu
können. 8
Selbst als Jugendliche in der Zweiten Frauenbewegung sozialisiert und vielfach
konfrontiert mit geschlechtsspezifischer Diskriminierung, begleitet mich die Frage
nach der Konstitution des Geschlechterverhältnisses und die Möglichkeit einer
Geschlechterdemokratie seit mittlerweile Jahrzehnten. Meine vielfältigen beruflichen
Tätigkeitsfelder bringen den Kontakt mit den verschiedensten gesellschaftlichen
Gruppen mit sich. (Privatpersonen, Mitarbeiterinnen von Frauenorganisationen,
Parteipolitikerinnen und Wissenschafterinnen etc.) Damit ist auch die
Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zugängen und Meinungen zu den Fragen
des Geschlechterverhältnisses Teil meiner Arbeit. Eine meiner Beobachtungen ist,
dass eine - wie ich es nenne - „heillose Begriffsverwirrung“ im Umgang mit diesem
komplexen Themenfeld zu konstatieren ist. Die Begriffe werden „in einer Vielzahl von
Bedeutungen und Verwendungsweisen“ (Hark 2005: 256) in den Diskussionen
eingesetzt. Teile unterschiedlicher Erklärungsmodelle und Theorien werden aus dem
Zusammenhang gerissen, verschiedene Zugangsweisen werden gegeneinander
ausgespielt oder abgewertet. Ob diese Begriffsverwirrung in dieser angenommenen
Form existiert und wie dieser „Begriffsverwirrung“ begegnet werden könnte, ist eine
der Grundfragen dieser Arbeit. Weitere „große“ Fragen standen ganz zu Beginn
meiner Arbeit im Raum: Was ist Politik? Was kann Politik im neoliberalen Mainstream
bedeuten? Was bedeutet Frauenpolitik oder feministische Politik oder feministische
7 Die präsentierten Ergebnisse stammen aus den Mikrozensus-Erhebungen September 2001 („Fragen
zur Familie") sowie September 2002 („Pflegeleistung – Haushaltsführung – Kinderbetreuung"). Befragt
wurden dabei jeweils rund 55.000 Personen in privaten Haushalten, deren Antworten auf die
österreichische Bevölkerung hochgerechnet wurden. Quelle: Statistik Österreich www.statistik.at
Mikrozensus
8 Vgl. Stiegler: 2002

13
Frauenpolitik? Oder müssen wir im „Gender Mainstreaming – Mainstream“ von
„Geschlechterpolitik“ sprechen? Wie könnte eine geschlechtergerechte
Demokratietheorie aussehen? Und wie können politische Akteurinnen darin
unterstützt werden, Frauenpolitik und Geschlechterdemokratie voranzutreiben?
Im postmodernen Bewusstsein um die Unmöglichkeit, „wahre“ Antworten zu finden,
verstehe ich die folgende Arbeit als Annäherung an diese Begrifflichkeiten und
Problemstellungen, ohne jedoch darauf zu verzichten, klare Standpunkte
einzunehmen.
3. Fragestellung und Zielsetzung
Grundlegende Fragestellungen meiner Arbeit lauten:
Welche Wissensinhalte sind Voraussetzung, um eine gültige Aussage zum
Geschlechterverhältnis machen zu können und fundierte Ansätze zur Veränderung
dessen präsentieren zu können? Welche Personen können diese Veränderungen in
Gang setzen? Wie muss dieser Wissenstransfer sinnvoller Weise gestaltet sein?
Angesichts der schon angemerkten „Vielzahl von Bedeutungen und
Verwendungsweisen“ (Hark 2005: 256) feministischer Begriffe halte ich die
Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung der feministischen
Terminologie mit besonderem Fokus auf die Entwicklung seit der Zweiten
Frauenbewegung für eine wesentliche Voraussetzung zur Beantwortung meiner
Fragen. In logischer Konsequenz und mit Blick auf die beabsichtigte Richtung des
Wissenstransfers – vom universitären Bereich in das parlamentarisch -
parteipolitische Feld – wird die Verbindung zwischen Frauenforschung,
Frauenbewegung und „Parteifrauen“ beleuchtet. Die Zielgruppe des beabsichtigten
Wissenstransfers wird mit parteipolitisch organisierten Akteur/innen definiert. Sie
nehmen eine Stelle im aktuellen politischen System ein, die meiner Ansicht nach
feministische Bildung unabdingbar macht. Ziel und Forschungsfrage dieser Arbeit ist
demnach:

14
Wie kann feministische Politikberatung konzipiert werden, um dem Ziel eines
„feminist turn“ 9 näher zu kommen? D.h. feministisch orientierte
Transformationsprozesse in politischen Feldern mittels Wissenstransfer
anzustoßen und zu fördern?
9 Vgl. Nickel, Zit. in: Hark 2005: 76)

15
4. Aufbau der Arbeit
Die Arbeit nähert sich schrittweise an das Thema „Feministische Politikberatung“ an.
Der erste Schritt beschäftigt sich auf Basis der Diskursanalyse Sabine Harks mit dem
Begriff „Feminismus“ in Verbindung mit Frauenbewegungsgeschichte. Anhand des
Theoriestrangs der Geschlechterkonstruktionen wird einer der zahlreichen
feministischen Ansätze mittels einer Analyse von Andrea Leitner exemplarisch auf
Möglichkeiten und Grenzen der Anwendbarkeit feministischer Erkenntnisse überprüft.
Der nächste Schritt wendet sich Geschichte, Repräsentation und Verortung von
Frauen im österreichischen Staat zu. Unterschiedliche Kategorien der Annäherung
an den Politikbegriff werden anschließend in ihren Grundzügen erläutert, um sie in
Beziehung mit feministischen Politikbegriffen setzen zu können. Was unter
Frauenpolitik und Frauenpolitikerinnen verstanden werden kann, welche (un-)
ausgesprochenen Zuschreibungen und Erwartungen festzustellen sind, ist Thema
des 6. Kapitels. Parteieigene Darstellungen von frauenpolitischen Zielsetzungen in
den jeweiligen Frauenprogrammen untersucht eine Textanalyse in Kapitel 9. Damit
wurden alle erforderlichen Schritte und Begriffsklärungen getätigt, die in die
Auseinandersetzung mit Politikberatung einfließen können. Im letzten empirischen
Teil werden die theoretischen Überlegungen in Beziehung gesetzt mit den
Ergebnissen der Expertinneninterviews. Den Schluss bildet die Zusammenfassung
grundsätzlicher Überlegungen zur Konzeption institutionalisierter, feministischer
Politikberatung in Österreich.
4.1. Frauenbewegung und Frauenforschung – eine wechselvolle Geschichte
„Feminismus muss (...) als historisches Projekt verstanden werden – und zwar nicht nur in
dem Sinne, dass er als eine Kraft in der Geschichte zu verstehen ist, dass Feminismus
Geschichte macht, also auf geschichtlich gewordene Prozesse einwirkt und als Teil dieser
Verhältnisse begriffen werden muss; vielmehr ist Feminismus selbst historisch gemacht und
damit kontingent. Insofern ist die Zukunft von Feminismus tatsächlich eine stets offene
Frage.“ (Hark 2005: 33)
Dieses Zitat aus Sabine Harks Werk „Dissidente Partizipation. Eine
Diskursgeschichte des Feminismus“ steht am Anfang dieses Kapitels als
Begründung für den historischen Rückblick, in dem es um Begriffsdefinitionen von

Feminismus und die Beleuchtung einiger Aspekte der wechselvollen Geschichte des
Begriffes gehen soll.
16
4.2. Wechselwirkung Bewegung - Theorie
Der Begriff Feminismus ist historisch entstanden, hat sich verändert, wurde
ideologisch aufgeladen, diffamiert und negativ besetzt, aber auch immer wieder
rehabilitiert und neu definiert. Dieser Prozess über Jahrhunderte ist zudem von der
Rede über das Ende des Feminismus begleitet worden. Wann hat die
Frauenbewegung und Feminismus begonnen? In welcher Zeit ist die Entstehung zu
verorten? Um diese Frage zu beantworten, erscheint es sinnvoll einen kurzen Blick
in das 18. Jahrhundert der Französischen Revolution zu werfen. Charles Fourier
(1772 - 1837) Sozialphilosoph, Frühsozialist und Sozialutopist prägt in einer seiner
Schriften erstmals den Feminismusbegriff und definiert ihn folgendermaßen:
„Feminismus ist die Anstrengung zur Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen (...).
Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche lässt sich immer aus dem Verhältnis des
Fortschritts der Frauen zur Freiheit bestimmen (...) Der Grad der weiblichen Emanzipation ist
das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.“ (Fourier, Zit. in: Andel 1997)
Im Laufe der Entwicklung erhält Feminismus eine umfassendere Definition:
„Feminismus lässt sich als Ensemble von Debatten, kritischen Erkenntnissen, sozialen
Kämpfen und emanzipatorischen Bewegungen fassen, das die patriarchalen
Geschlechterverhältnisse, die alle Menschen beschädigen, und die unterdrückerischen und
ausbeuterischen gesellschaftlichen Mächte, die insbesondere Frauenleben formen,
begreifen und verändern will.“ (Hennessy, Zit. in: Haugg 2003: 155ff)
Diese Definition stellt bewusst die Verbindung zwischen Frauenbewegung und
Frauenforschung her. Hark meint dazu:
„ >Frauenforschung< versteht sich von Anfang an auch als Reflexionsraum für die
unbegriffene Praxis der Frauenbewegung.“ (Hark 2005: 253)

17
Zur Veranschaulichung zitiert Hark aus der Einleitung zum ersten Heft der Beiträge
zur feministischen Theorie und Praxis, Zeitschrift der autonomen Frauenbewegung“
1978:
„Eine der wesentlichen Ursachen (für die Unfähigkeit zur Strategiebildung, Anm. Hark) (...)
dürfte der Mangel an theoretischer Arbeit sein. Dieses Theoriedefizit der Frauenbewegung ist
keinesfalls das Ergebnis einer spezifischen weiblichen Schwäche, sondern ist die Folge der
bewussten Ablehnung von Theorie überhaupt durch große Teile der Frauenbewegung, weil
die heute herrschende technokratische Theoriebildung und Analyse als etwas Männliches,
gleichzeitig aber auch als die einzig mögliche Form von Theorie überhaupt angesehen wird.
Heute beginnen mehr und mehr Frauen zu verstehen, dass die unhistorische und
undialektische Umkehrung und Umwertung der gesellschaftlichen Spaltung in weibliche und
männliche >Rollen< der Verzicht auf >KopfarbeitBaucharbeitneuen Weiblichkeit< geradezu stabilisiert.
Diese Erkenntnis macht das Bemühen um theoretische Klarheit zu einer dringlichen
Forderung der Bewegung.“ (Hark 2005: 253)
Interessant an diesem Zitat ist nicht nur das Plädoyer für Frauenforschung und der
damit verbundenen Theoriearbeit, sondern auch der angedeutete Richtungsstreit
innerhalb der Frauenbewegung entlang der Fragen, welche Art von Weiblichkeit
Frauen in einer selbstbestimmten Formulierung definieren wollen und inwieweit diese
neue Definition Geschlechterstereotype eher verfestigt als auflöst. Vor allem aber
zeigt dieses Zitat, dass sowohl die Debatten um Weiblichkeit als auch die
Erarbeitung feministisch-wissenschaftlicher Theorie von Anfang an Teil der
Diskussionen innerhalb der Frauenbewegung waren. Der Austausch zwischen
Theoretikerinnen an den Universitäten und Praktikerinnen der Bewegung sollte es
ermöglichen, wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen.
Gleichzeitig sollte feministische Praxis mittels wissenschaftlicher Theorien reflektiert
werden können. Diese Beziehung zwischen feministisch - wissenschaftlicher
Erkenntnis und feministisch - politischer Praxis ist selten konfliktfrei verlaufen.
Dennoch oder gerade deshalb zeichnet sich feministische Theorie durch einen hohen
(Selbst-) Reflexionsgrad aus:
„ Die feministische Kritik, die durch die radikale Infragestellung tradierter Geschlechterrollen
ausgelöst wurde und in Fortführung ihrer Wissenschaftskritik ihre eigenen Prämissen und

18
Denkvoraussetzungen im Hinblick auf die Kategorie >Frau< und >Geschlecht< in Frage stellt
oder überprüft, zeugt zunächst einmal von einem hohen Grad an Souveränität und
Selbstreflexion.“ (Gerhard, Zit. in: Hark 2005: 91)
Anders formuliert beschreibt Gudrun-Axeli Knapp die Debatten als einen Diskurs, der
sich durch ein
„vergleichsweise hohes Maß an theoretischer Sensibilität gegenüber Generalisierungen als
auch durch Reflexivität in bezug auf die eigenen Aussagebedingungen (auszeichnet).“
(Knapp 1998: 2ff)
4.3. Postmoderne - Postfeminismus
Nicht nur Selbstreflexivität zeichnet die Diskursgeschichte des Feminismus aus,
sondern auch die Beschäftigung mit anderen Theorien, u.a. der Kritischen Theorie
der Frankfurter Schule, Marxismus, Psychoanalyse, Diskurstheorie,
Poststrukturalismus oder postkolonialen Theorieansätzen. Feministisches Denken
zeigt sich hier vor allem anschlussfähig an postmodernes Gedankengut. 10 Der
daraus entstandene Begriff des Postfeminismus „verwischt (...) allzu oft die Grenze
zwischen diesen kritischen Verwendungsweisen und der affirmativen Behauptung
vom >Ende des Feminismus

19
Trotz der Widerstandsfähigkeit feministischen Gedankengutes – entgegen aller
Diffamierungen und Unkenrufe von außen (d.h. von Seiten der patriarchalen,
heterosexuellen Normgesellschaft) – und auch trotz des hohen Maßes an
Selbstreflexion und der äußerst fruchtbaren Auseinandersetzung mit anderen
Theorien der Postmoderne lassen sich Hegemonien und Ausgrenzungen – begrifflich
wie praktisch – auch innerhalb der feministischen Gruppen nicht leugnen. Schon in
der Ersten Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts weisen heftige
Auseinandersetzungen zwischen bürgerlichen und proletarischen Feministinnen auf
bedeutende Auffassungsunterschiede hin, die erkennen lassen, dass „Frau-sein“
kein politisches Programm ist. Die Zweite Frauenbewegung setzt die Debatte um die
vielfältigen Auswirkungen der Unterdrückungszusammenhänge zwischen Klasse und
Geschlecht fort und erweitert sie um weitere Dimensionen von Diskriminierung. In
den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt – angestoßen von afro -
amerikanischen Feministinnen in den Vereinigten Staaten - die Auseinandersetzung
mit dem so genannten „weißen Mittelschichtfeminismus“. Ignoranz und Ausgrenzung
gegenüber schwarzen Frauen, Migrantinnen und Andersgläubigen werden in den
Blick genommen. Damit wird die Aufmerksamkeit auf die Vieldimensionalität von
Machtverhältnissen gelegt. Im deutschsprachigen Raum führt Birgit Rommelspacher
hierzu den Begriff der „Dominanzkultur“ (1995) ein. Sie beschreibt kulturelle
Dominanz als bedeutend für das Selbstverständnis der jeweils herrschenden
Gesellschaft und entlarvt die Funktion von Rassismus, Antisemitismus,
Antiislamismus, Antislawismus etc. als wesentlichen Bestandteil einer praktizierten
Selbstvergewisserung der eigenen Lebensweise. Rommelspacher verweist hierzu
darauf, dass jede/r zugleich Subjekt und Objekt der jeweiligen Machtverhältnisse ist
– auch Frauen. Christina Thürmer-Rohrs analysiert weibliche Mittäterschaft(en) mit
Blick auf die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus. 12 Zudem kritisiert sie die
„Definition aller Frauen als kollektive Opfer historischen Geschlechterskandals und
struktureller Gewalt.“ (Thürmer-Rohr, Zit. in: Becker/Kortendiek 2004: 85)
„Frauen werden nicht nur unterdrückt, missbraucht und in ein schädigendes System
verstrickt, sondern steigen auch eigentätig ein, gewinnen Privilegien, ernten fragwürdige
Anerkennung und profitieren von ihren Rollen, sofern sie sie erfüllen.“ (ebd)
12 Vgl. dazu Christina Thürmer-Rohr, 1983 und 1989

20
Damit widerspricht Thürmer-Rohr dem Mythos der „friedfertigen Frau“, formuliert von
Margaret Mitscherlich, die generalisierend von „den Frauen“ spricht und sie
durchwegs als Opfer des patriarchalen Systems beschreibt. Auch Mittäterschaft von
Frauen im Nationalsozialismus relativiert sie mit diesem Ansatz ihres gleichnamigen
Buches. (Mitscherlich: 1989) Im Verlauf der Diskussion wird in logischer Konsequenz
der Blick auf heutige, weiße, eurozentristische Rassismen gelenkt. Thürmer-Rohr
kommt zu dem Schluss:
„Heute wendet die Forschung sich gegen Abstraktionen und begriffliche Verkürzungen, die
die vielfältigen Lebensrealitäten der verschiedenen Frauen verstellen, und es herrscht
weitgehender Konsens darüber, dass die eindeutige Zuordnung zum Entweder-Oder der
Opfer-Täter-Kategorie den Realitäten kaum gerecht wird.“ (Thürmer-Rohr, Zit. in:
Becker/Kortendiek 2004: 87) 13
4.4. Sex – Gender – Queer
Einfache Antworten sind im feministischen Diskurs auch zum Thema weiblicher
Sexualität nicht zu erwarten. Essentialistisch Konzepte, die versuchen auf eine
„unveränderliche Weiblichkeit“, die „wahre Frau“ zurück zu greifen, werden radikal
verworfen. Vor diesem Schritt steht jedoch die Erkenntnis, dass die Zuschreibungen
zu dem „Konstrukt Frau“ über Jahrhunderte von Männern vorgenommen wurden
bzw. in Anlehnung an die männliche Norm: Mann = Mensch und Frau = das
Andere. 14 Zuschreibungen und Einschreibungen in den weiblichen Körper werden
Gegenstand der feministischen Analyse: Was bedeutet es für jede Einzelne einen
weiblichen Körper zu haben? Wer gibt diesem Körper welche Bedeutung? Mit
welchen Mitteln und warum wird der weibliche Körper diszipliniert? Eigene
Definitionen von Weiblichkeit mussten (und müssen immer) wieder oder neu
gefunden werden. Einer der Auslöser für diese Überlegungen war die heftige
öffentliche Diskussion um die Abschaffung der Abtreibungsparagraphen in
Frankreich, Deutschland und Österreich, womit auch der Beginn der Zweiten
Frauenbewegung datiert wird. Mit Slogans wie „Ob Kinder oder keine, entscheiden
13 Mit dem Wissen um diese Debatte und ihren Ergebnissen können die eingangs zitierten
Behauptungen der Vertreterinnen der Österreichischen Volkspartei und der Freiheitlichen Partei
widerlegt werden.
14 Vgl. Beauvoir: 1987 (1949)

21
wir alleine“ oder „Mein Bauch gehört mir“ reklamieren Feministinnen das Recht auf
Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Sexualität. Die Durchsetzung der
Abschaffung des § 144 und die Einführung der Fristenlösung ist in Österreich als
einer der größten Erfolge in die Geschichte der Frauenbewegung eingegangen. Es
bleibt jedoch innerhalb der Frauenbewegung nicht bei der Diskussion um die „Folgen
der Sexualität“, der Schwangerschaft. Es geht schließlich auch um die Frage einer
selbstbestimmten und/oder genuin weiblichen Sexualität. Es kommt zu intensiven
Debatten über lesbische Sexualität und den damit verbunden Lebensformen. Im
lesbischen Feminismus wird der Slogan „Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus
die Praxis“ ausgegeben. Lesbische Feministinnen kritisieren den Heterosexismus
ihrer feministischen Mitstreiterinnen und deren mangelnde Solidarität im Kampf um
die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Lebensform abseits „männlich identifizierter
Räume“ (Thiessen, Zit. in Becker/Kortendieck 2004: 39) Lesbisch - sein als bewusst
gewählte Lebensform und politische Praxis definiert, wird zuweilen auch mit
essentialistischen Argumenten begründet, die wiederum auf Kritik stoßen. Die
lesbische Kritik und die damit einhergehende Distanzierung lesbischer Feministinnen
wird schließlich von vielen heterosexuellen Feministinnen als weitere, andere Form
von Ausgrenzung wahrgenommen, für deren Abschaffung Feminismus unter
anderem angetreten war. In diese Debatten um Homosexualität und
Heterosexualität, geht schließlich der Begriff „Heteronormativität“ ein, den Judith
Butler mit ihrem bis heute viel diskutierten Buch „Gender Troubles“ einführt und der
in enger Beziehung mit dem Theoriestrang der Queer Theory steht, die eine
analytische Dekonstruktion essentialistischer Konzepte vorantreiben wird. Judith
Butler kann mit ihrem konstruktivistischen Ansatz durchaus in der Tradition Simone
de Beauvoirs gesehen werden, die schon 1949 in ihrem Werk „Le deuxième sex“ 15
mit dem Satz:
„Wir werden nicht als Frauen geboren, sondern zu Frauen gemacht“ 16
auf die Konstruiertheit von Geschlecht hingewiesen hat. 17 Vor allem aber steht Judith
Butler in enger Verbindung mit poststrukturalistischen und postmodernen Ansätzen
15 Die deutsche Übersetzung mit „Das andere Geschlecht“ beinhaltet andere Konnotationen, daher
führe ich hier den Originaltitel an.
16 Vgl. Beauvoir 1987 (1949)

22
von Lyotard, Derrida und Foucault. Judith Butler kommt in ihrer Abhandlung zu dem
Schluss, dass sowohl das biologische (sex) als auch das soziale Geschlecht
(gender) als gesellschaftliches Konstrukt zu verstehen ist und lehnt generell
Geschlecht als Einheit, um Menschen zu klassifizieren, ab. „Gender Trouble“
radikalisiert nun diese Kritik an der sex/gender - Differenz, 18 insofern Butler hier
konsequent mit der Vorstellung bricht, Geschlecht sei eine natürliche Eigenschaft von
Körpern, die wiederum die Grundlage einer wie auch immer natürlich gegebenen
Geschlechterdifferenz oder einer in Natur verbürgten sozialen Ordnung der
Geschlechter bilden. Alle Aussagen über Identität und das „natürliche“ Geschlecht
würden, so Butler, letztlich durch kulturelle und wissenschaftliche Diskurse erst
ermöglicht.
„ (...) dass Heterosexualität in diesem Sinne der Zweigeschlechtlichkeit vorausgeht, es die
>heterosexuelle Matrix< ist, die die Einheit von Geschlecht, Identität, Begehren und
Sexualität organisiert und aufrechterhält, ist wohl Butlers – und das die feministische Theorie
am meisten verstörende – Argument in Gender Trouble.“ (Hark 2005: 28)
Die kontinuierliche Ablehnung, Unterdrückung und häufig auch Verfolgung anderer
sexueller Praktiken und Lebensformen (außer jener der Heterosexualität zwischen
Frauen und Männern) wie Homosexualität, Transvestie, Transsexualität und
Intersexualität ist damit benannt. 19 Mit ihrer Theorie ermöglicht Judith Butler eine frei
gestaltete Identität - unabhängig von biologischem Geschlecht und gesellschaftlichen
Zwängen - zu denken. Nachdem Butler, so argumentieren in der Folge viele
Feministinnen, mit ihrer Theorie auch die politische Dimension des Weiblichen
17 Als österreichische Vordenkerin ist an dieser Stelle Rosa Mayreder zu erwähnen, die in ihrer
Essaysammlung „Zur Kritik der Weiblichkeit“ unter anderem schreibt: „Das Weib als Abstraktion, als
Objekt des Denkens existiert nur im Kopfe des denkenden Subjektes und ist so abhängig von diesem,
wie es in der Natur des Denkens liegt; das Weib als Individuum besteht für sich, und ist so edel oder
so gemein, so begabt oder so dumm, so schwach oder stark, so gut oder so böse, so ähnlich dem
Manne oder ihm so entgegengesetzt, kurz so verschiedenartig, als es in der Natur der menschlichen
Gattung liegt (...) Gegen das Weib als Idol müssen sie kämpfen, wenn sie als reale Personen ihr
Recht in der Welt erobern wollen.“ (Mayreder 1998/1905: 226)
18 Vgl. Lauretis 1987
19 Mit dem Begriff Intersexualität sind Menschen gemeint, die mit uneindeutigem Geschlecht geboren
und als Säuglinge operativ einem der beiden Geschlechter zugewiesen werden. Siehe hierzu: Eva
Matt: http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/intersexualitat-und-recht/65/neste/3.html

23
dekonstruiert hat, stellt sich die Frage, wie sich für die politisch - feministische
Bewegung ein politisches Subjekt (bisher war es das angenommene politische
Subjekt „Frau“) formulieren lässt, wenn es die Kategorie „Frau“ nicht mehr zu geben
scheint. Wie sollen/ können frauenpolitische Forderungen noch gestellt werden,
wenn es „die Frauen“ nach Butler nicht mehr gibt?“, ist die häufig gestellte Frage.
Judith Butler hat den anti-essentialistischen und dekonstruktivistischen Gedanken zu
Ende gedacht und schlägt Performance, Maskerade, Parodie und Subversion als
neue Form politischer Kultur vor und sie betont, dass die Abschaffung der Kategorie
„Frau“ nicht die Abschaffung von Politik bedeutet.
4.5. Zusammenfassung
Ziel dieses kursorischen Überblicks zu feministischer Diskursgeschichte war es, die
Kontinuität der Verbindung zwischen universitär - akademischer Wissensproduktion
und feministischer Praxis aufzuzeigen sowie wesentliche Strömungen und
Themenbereiche feministischer Debatten darzustellen, um eine mögliche Bandbreite
für einen Wissenstransfer dieser Inhalte zu skizzieren. Feministische Aktivistinnen
und im universitären Raum verortete Frauenforscherinnen standen und stehen in
intensiven Kontakt mit diesen Themen und Diskursen, wobei sich die Themenfelder
zunehmend ausweiten. Feministische Erkenntnisse erreichen „langsam, aber sicher“
nahezu alle Forschungsfelder. Gerhard fasst zusammen:
„In den Fächern und zwischen den Fächern (ist) es zu einer Verbreiterung und zu
Ausdifferenzierungen gekommen, die es verbieten, von der Frauenforschung oder
generalisierend von einer feministischen Perspektive auf die Wissenschaft zu sprechen.“
(Gerhard, Zit. in: Hark 2005: 91)
Was den Begriff Feminismus anbelangt, hält Hark fest:
„Unübersehbar ist zunächst die Ausdifferenzierung der Benennungen. Statt
>Frauenforschungfeministischer Wissenschaftfeministischer Studien< finden
sich gegenwärtig immer häufiger – und diese Benennungen ersetzend – die Bezeichnungen
>Frauen- und GeschlechterforschungGeschlechterforschungGeschlechterstudienGender Studien< (...) Allerdings sind bis dato fließende Übergänge in der Verwendung
all dieser Benennungen festzustellen, und auch das Wort Feminismus ist nicht gänzlich
verschwunden. Dabei wird die Bezeichnung Gender Studies insbesondere dann genutzt,

24
wenn es gilt wissenschaftliche Dignität zu demonstrieren oder eine im Unterschied zur
Frauenforschung oder feministischen Wissenschaft größere analytische Reichweite, aber
auch einen umfassenderen Gegenstandsbereich der „Gender Studies“ zu behaupten.“ (Hark
2005: 256)
Zu ergänzen ist an dieser Stelle der häufig zu beobachtende strategische Umgang
mit dem Feminismus-Begriff, der sowohl Vermeidung als auch Betonung des
Begriffes bedeuten kann. Durch die Jahrhunderte lange Diffamierung und negative
Konnotation des Wortes Feminismus werden vorurteilsbehaftete Abwehrhaltungen
schnell aktiviert, so dass ein differenzierter Meinungsaustausch unmöglich bzw.
erschwert wird, sobald das Wort „Feminismus“ ausgesprochen ist. Gleichzeitig kann
die Betonung der eigenen feministischen Verortung in anderen Kontexten
Voraussetzung für eine Auseinandersetzung sein. Es ist also in verschiedenen
Situationen durchaus angezeigt, entsprechend des Kontextes strategisch mit den
Begriffen umzugehen, um nicht von vornherein Türen zuzuschlagen, die eine
Öffnung dringend nötig hätten.
Als Ausdruck meiner persönlichen und politischen Haltung bevorzuge ich den
Feminismus – Begriff gegenüber anderen Benennungen nach wie vor. Um noch
einmal mit Sabine Hark zu sprechen: Ich verstehe feministisches Wissen nicht
„(...) in einer Version, in der wir das Dunkel der Wirren und Irrwege feministischer
Wissenschaft hinter uns gelassen haben und (endlich) im Licht der aufgeklärten Gender –
Forschung angekommen sind“ (Hark 2005: 266)
Sondern vielmehr als:
„Geschichte eines umstrittenen Wissens (...) als Geschichte eines spannungs- und
konfliktreichen, heterogenen und unabschließbaren Wissens“ (ebd)
Und ich schließe mich zudem jenem widerständigen Moment an, das Joan Scott
„die Weigerung (...) den Status quo zu bedienen“ (ebd)
genannt hat. Bleibt noch abschließend hinzuzufügen: Zentrales Thema des
Feminismus-Begriffes ist und bleibt über alle unterschiedlichen Zugangsweisen
hinweg, die Kritik an Herrschaftsmechanismen, Unterdrückungs- und

25
Ausgrenzungsstrukturen, verbunden mit einem mehr oder weniger starken
politischen Impetus und der Zielsetzung der Veränderung unterdrückender
Geschlechterverhältnisse.
5. Anwendbarkeit feministischen Wissens – Geschlechterkonstruktionen
Im Folgenden stellt sich die Frage: Welches Wissen brauchen nun politische
Akteur/innen, um eine Veränderung in feministischem oder
geschlechterdemokratischem Sinne zu unterstützen oder diese in verschiedenen
Bereichen in Gang zu setzen? Oder anders formuliert: Welche Bereiche oder Teile
des feministischen Wissens nützt politischen Akteur/innen?
Exemplarisch wende ich mich nun dem Konzept der Geschlechterkonstruktionen zu.
Ich habe dieses Konzept aus der Fülle feministischer Ansätze aus verschiedenen
Gründen als Beispiel für den Wissenstransfer von feministischer Forschung zu
politischen Akteur/innen gewählt:
Erstens handelt es sich hier um ein Erklärungsmodell mit langer
sozialwissenschaftlicher Tradition und einer Serie empirischer Belege. Dieser Faktor
lässt die Theorie in der politischen Praxis einfacher argumentierbar und an schon
vorhandene Meinungsdispositionen anknüpfbar werden. Die Theorie beinhaltet
zudem Anknüpfungspunkte an das allgemeine Alltagswissen über Geschlechter, das
auch das Handeln politischer Akteur/innen wesentlich beeinflusst.
Zweitens werden zahlreiche andere, bedeutsame Aspekte angesprochen, wie
beispielsweise der Einsatz von geschlechtsbezogenen Symbolen (Sprache,
Kleidung, Körperhaltung etc.), wobei auch diese Erfahrung Teil des Alltagswissens
ist. Es ist auch hier der Anschluss an vorhandenes Lebenswissen möglich, um
weiterführende feministische Erkenntnisse zu vermitteln. 20
Drittens beinhaltet die Theorie eine Fülle von Veränderungspotential: Die Erkenntnis,
nicht einer unveränderbaren Naturhaftigkeit ausgeliefert zu sein, innovativ und
phantasievoll mit der Ausgestaltung der eigenen Geschlechterrolle umgehen zu
können. Damit ist auch die Chance zu einem respektvollen und konstruktiven
Umgang mit der Minderheit der Transsexuellen, Transgender und Transvestiten
20 z.B. Konzepte aus der Linguistik für eine geschlechtergerechte Sprache, Habitus-Theorie des
Soziologen Pierre Bourdieu, welche ebenfalls intensiv von der feministischen Forschung rezipiert
wurden.

26
gegeben. Ein derartiger Umgang erlaubt es, in diesem „Mut zum Anderssein“ eine
wertvolle gesellschaftliche Ressource zu erkennen.
Viertens und nicht zuletzt bieten die Erkenntnisse der konstruktivistischen
Geschlechtertheorie eine Fülle von Argumentationshilfen und –material an, um in der
konkreten politischen Praxis der Rekonstruktion der binären Geschlechterordnung
entgegen wirken zu können.
5.1. Alltagswissen versus wissenschaftliches Wissen
„Ich weiß wie Frauen/Männer sind – ich bin selbst eine/r“.
„Ich kenne meine Frau/ meinen Mann – ich weiß was sie brauchen“.
„Das ist typisch Frau/Mann“ oder Frauen/Männer sind nun mal so“.
Hinter diesen Aussagen steht die Annahme, die Menschheit ließe sich in zwei
Geschlechter einteilen und an den entsprechenden körperlichen Merkmalen
erkennen. Zu dieser Auffassung gehört auch die Vorstellung, dass dies zu allen
Zeiten bei allen Völkern der Erde so gewesen sei und nach wie vor so ist. Hinzu
kommt, dass Geschlecht als naturgegeben, nicht beeinflussbar und nicht
veränderbar wahrgenommen wird. Diese Aussagen und Annahmen kennzeichnen
das Alltagsverständnis der Mehrheit der Bevölkerung – auch der Mehrheit der
politischen Akteur/innen. Die Erkenntnisse der konstruktivistischen
Geschlechterforschung jedoch stehen diesen Selbst- und Fremdbildern der
Geschlechter diametral gegenüber und sind mittlerweile durch zahlreiche Studien in
verschiedensten Anwendungsbereichen bestätigt.
Wissenschaftsgeschichtlich gehen die Wurzeln der konstruktivistischen Theorie auf
die Erkenntnisse von Margaret Mead zurück, die Ende der 50er Jahre während ihrer
Studien in Samoa feststellt, dass es Gesellschaften gibt, die „institutionalisierten
Geschlechtswechsel oder mehr als zwei Geschlechter kennen“ (Wetterer, Zit. in:
Becker/ Korteniek 2004: 122) Ein weiterer wesentlicher Schritt in der Entwicklung der
Theorie der Geschlechterkonstruktionen sind die Studien Harold Garfinkels, der
anhand der Erfahrungen der „Mann – zu – Frau –Transsexuellen“ Agnes nachweisen
konnte, wie sehr gesellschaftliche Zuschreibungen von Eigenschaften wirken und
ständig reproduziert werden. In der Folge wird dem Prozess der
Geschlechterkonstruktion in der Forschung vermehrt Beachtung geschenkt.

27
5.2. Doing Gender
„Doing gender“ wird zum Schlüsselbegriff feministischer Geschlechterforschung.
Candice West und Don Zimmermann prägen diesen Begriff 1987 in ihrem
vielbeachteten Artikel mit dem selben Titel. Von den Erkenntnissen Meads,
Garfinkels, West und Zimmermanns ausgehend entwickeln sich mehrere
konstruktivistische Strömungen in der Geschlechterforschung. Leitner erwähnt
exemplarisch den ethno - methodologischen Konstruktivismus von West und
Zimmermann, den Ansatz der diskurstheoretischen Dekonstruktion von Judith Butler
und den systemtheoretischen Zugang „Luhmannscher Prägung“ von Ursula Pasero.
Sie bezieht sich im Zuge ihrer im Folgenden aufgegriffenen Abhandlung v.a. auf die,
wie sie es bezeichnet, „Klassiker des Doing Gender Ansatzes“ West und
Zimmermann, sowie Regine Gildemeister und Angelika Wetterer, die diese Ansätze
für den deutschsprachigen Raum bearbeitet haben. West und Zimmermann führen in
Anlehnung an Garfinkels Studie zu Agnes drei grundsätzliche Faktoren des Doing
Genders ein:
1. Sex als das körperliche, biologische Geschlecht,
2. Sex Category als die soziale Zuordnung zu Geschlecht und
3. Gender als das soziale Geschlecht.
Diese drei Faktoren stehen ständig in Beziehung zueinander und bedingen einander.
So wird das biologische Geschlecht an bestimmten körperlichen Merkmalen
festgemacht. Dadurch dass sie im Alltag nicht sichtbar sind, werden sie durch ein
ausdifferenziertes System von Attributen, Kleidung und Körperhaltungen symbolisch
sichtbar gemacht. Über diese Symbole findet in der Folge die Zuordnung zu dem
einen oder anderen Geschlecht – mit West und Zimmermann gesprochen - zu einer
bestimmten Geschlechterkategorie statt. Diese Zuordnung wiederum bestimmt das
Verhalten der einzelnen Akteurinnen zueinander und die geschlechtsspezifische
Bewertung dieses Verhaltens. Hier werden sämtliche Vorurteile und verinnerlichten
Vorstellungen, wie ein Mann oder eine Frau ist, wirksam. Diese drei Faktoren -
miteinander und abwechselnd wirksam - bestätigen die Beobachtung, dass
Geschlecht „getan“ werden muss, um es als Bestandteil der Identität zu „haben“.
West und Zimmermann stellen in der Folge die Frage, ob es möglich ist außerhalb
dieser Mechanismen zu agieren: „ Can we ever avoid doing gender?“ und kommen

zu dem Schluss: „...doing gender is unavoidable“ (West/ Zimmermann Zit. in:
Myers/Anderson/ Risman et al.1998: 177)
28
„It is unavoidable because of the social consequences of sex-category membership: the
allocation of power and resources not only in the domestic, economic, and political domains
but also in the broad arena of interpersonal relations” (ebd. 187)
Oder um es mit Gildemeister und Wetterer zu sagen:
„Auch wenn es scheint, dass die konkrete Ausgestaltung – die „performance“ in Goffmans
Sinn - der persönlichen Gestaltung des Einzelnen gegenüber offen ist, so ist das Tun selber
doch unvermeidlich – es ist unmöglich, sich nicht in irgendeiner Form auf die soziale
Geschlechtszuordnung (sex category) und das soziale Geschlecht (gender) zu beziehen. Wir
haben i.d.R. nicht die Wahl, ob wir von anderen eher als Frau oder eher als Mann
wahrgenommen werden wollen, auch wenn sich in den letzten Jahrzehnten vor allem in
subkulturellen Milieus Gestaltungsspielräume eröffnet haben“ (Gildemeister/ Wetterer, Zit. in:
Knapp/Wetterer 1992: 235)
Leitner führt an dieser Stelle Joan Acker an, die Gender – Prozesse in fünf Punkten
zusammenfasst:
1. Konstruktion von Trennungen entlang der Geschlechtergrenzen zur
Aufrechterhaltung der Strukturen von Familie, Staat und Arbeitsmarkt (z.B.
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung)
2. Konstruktion von Symbolen und Bildern, die diese Teilungen erklären,
ausdrücken, verstärken und manchmal entgegentreten (z.B. Sprache,
Ideologie, Medien)
3. Interaktionen zwischen Frauen und Männern, Frauen und Frauen, Männern
und Männern mit allen Mustern der Dominanz und Unterwerfung
4. Geschlechtliche Bestandteile der individuellen Identität, die auf den ersten
drei Prozessen basieren (z.B. Wahl der passenden Kleidung, Beruf,
Darstellung des Selbst als geschlechtszugehöriges Mitglied der
Organisation)
5. Gender als konstitutives Element organisationaler Logik zur Erzeugung und
begrifflichen Fassung sozialer Strukturen (Leitner 2005: 15)

29
Geschlecht prägt also nicht nur individuelle Identitäten und zwischenmenschliche
Interaktion, sondern beeinflusst auch gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische
Strukturen auf allen Ebenen und hierarchisiert diese Ebenen. Es kann demnach von
einer Omnipräsenz des Wirkungsfaktors „Geschlecht“ gesprochen werden. Gerade
diese Omnipräsenz und die Auswirkungen auf die individuelle Selbstwahrnehmung,
die soziale Stellung, der Lebensmöglichkeiten insgesamt, erschweren es, Geschlecht
als Konstruktion zu durchschauen und als politische Veränderungspotential zu
erkennen – oder anders formuliert: Es wird dadurch erleichtert, Geschlecht als
naturgegeben und unveränderbar anzunehmen. Mit dem Wissen um die
Geschlechterkonstruktionen allerdings ist diese Interpretation nicht mehr möglich:
„Betrachtet man Geschlecht in dieser Radikalität als ein generatives Muster, das aus
sozialen Abläufen heraus entsteht, diese reproduziert und darin eine der grundlegenden
Differenzierungen der Gesellschaft bildet und legitimiert, so wird es möglich „Geschlecht“ als
machtvolle ideologische Ressource zu begreifen – als ideologische Ressource, die
Wahlmöglichkeiten und Grenzen herstellt, welche allein aufgrund einer bloßen sozialen
Zuordnung zu einer (sozialen) Kategorie bestehen und keineswegs aufgrund einer wie auch
immer unverrückbar gedachten Natur (...)“ (Gildemeister/ Wetterer, Zit. in: Knapp/ Wetterer
1992: 237)
Diese Erkenntnis kann demnach Grundlage und Voraussetzung für einen kreativen,
spielerischen und transformatorischen Umgang mit Geschlecht,
Geschlechterattributen und Zuschreibungen umzugehen. Wie schwierig und
vielschichtig der Prozess der Anwendung dieses Wissen jedoch ist, zeigt Andrea
Leitner am Beispiel einer kurzen Analyse der Hindernisse in politischen Institutionen
und Organisationen.
5.3. Die Schwierigkeit der Anwendung
Wie schon zuvor erwähnt, sind auch politische Institutionen und Organisationen
„vergeschlechtlicht“. Leitner beschreibt dies folgendermaßen:
„ (Sie) reproduzieren geschlechtsspezifische Ungleichheiten, indem sie den Verlauf sozialer
Interaktionsprozesse durch das Festlegen von Rahmenbedingungen beeinflussen. (...) Durch
diese Wechselwirkung zwischen Individuum und Sozialem kommt den politischen
Institutionen eine besondere Relevanz im sozialen Wandel zu. Sie können den

30
gesellschaftlichen Wandel vorantreiben, zugunsten der Frauen eingreifen, können aber auch
in überholten Strukturen verharren. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich wird von
verschiedenen Autorinnen eine Ungleichzeitigkeit in der Entwicklung der Politik festgestellt.“
(Leitner 2005: 18)
Leitner unterteilt in der Folge politische Institutionen in jene, die mit Akteur/innen
ausgestattet sind, wie z.B. Parlament, Regierung, Gerichte,
Verwaltungseinrichtungen etc. und jene „ohne Akteur/innen“, wie die Normsysteme
der Verfassung oder der Gesetze. Diese Normsysteme regeln den normativen
Rahmen für Handlungsspielräume. Institutionen mit Akteur/innen sind „immer auch
Organisationen, die sowohl durch Organisationskultur als auch durch die Handlungen
der Akteur/innen geprägt sind.“ (ebd) Können diese Akteur/innen die umzusetzenden
Maßnahmen nicht nachvollziehen oder stehen sie entgegen gesetzt zu ihren eigenen
Meinungen, können noch so gut gemeinte Gleichstellungspolitiken an dieser Stelle
der Umsetzung scheitern. 21 Hinzu kommt, dass die meisten Organisationen aus
Menschen einer mehr oder weniger homogenen Gruppe der Gesellschaft bestehen
und daher das Verständnis für Maßnahmen zugunsten benachteiligter
Gesellschaftsgruppen, die außerhalb ihres sozialen Umfelds leben, häufig fehlt.
Gleichstellungsangebote oder –möglichkeiten werden mitunter aus diesem Grund
nicht angeboten. Weiter erwähnt Leitner in Anlehnung an Ostendorf 22 :
„Politische Institutionen wie Parteien, Verbände, Verwaltungen oder Gerichte sind in Phasen
der politischen Rechtlosigkeit der Frauen entstanden und waren bzw. sind heute noch
immer, auf männliche Interessen und Lebenserfahrungen ausgerichtet. Damit wird es noch
schwieriger, die Denkwelt und das Handeln der Institutionen zu verändern, zumal Frauen
auch heute von Entscheidungspositionen weitgehend ausgeschlossen bleiben und
männerbündisches Handeln ein konstitutives Element der Organisation darstellt. 23 Selbst
wenn Frauen in Gremien einbezogen werden, wird von ihnen ein bisherigen Denkwelten und
Routinen konformes, weibliches Verhalten erwartet.“ (Ostendorf: 1996)
21 Vgl. Interview Politikberatung 1 und 2
22 Helga Ostendorf, Überlegungen zur Geschlechterpolitik staatlicher Institutionen – Die Chancen der
Implementation frauenfördernder Bildungsprogramme. In: Zeitschrift für Frauenforschung 3/96, 23-38
23 Vgl. Kreisky 1995

31
Bedeutsam für Arbeitsmarktpolitiken stellt Leitner zudem fest:
„Politische Maßnahmen verfolgen mehrere, unter Umständen widersprüchliche Ziele. Je
weniger die Konkretisierung bzw. Prioritätenfestlegung in den oberen Hierarchieebenen der
Arbeitsmarktpolitik passiert, desto mehr sind die mit der unmittelbaren Umsetzung befassten
Akteur/innen gezwungen, dies zu tun.“ 24 (ebd)
Trotz dieser (und zahlreicher anderer struktureller) Hindernisse verliert meiner
Ansicht nach „Geschlechterpolitik als Gleichstellungspolitik“ keineswegs seine
Relevanz. Es soll und kann mit dem Wissen um die Konstruiertheit der Geschlechter
genau darauf geachtet werden, welche Maßnahmen gesetzt werden und welche
Vorarbeiten zur Umsetzung dieser Maßnahmen erforderlich sind. Unauflösbar ist
jedoch das dieser Theorie immanente Dilemma: Einerseits ist die Konstruktion der
Kategorie „Frau“ als politisch – homogenes Subjekt und als einheitliche Gruppe, für
die es gilt, politische Initiativen zu ihrer gesellschaftlichen Besserstellung zu setzen,
notwendig. Um politisch handlungsfähig sein zu können, ist die Konstruktion der
Gruppe „Frauen“ immer wieder erforderlich. Gesellschaftsverändernde Initiativen zur
Gleich- und Besserstellung von Menschen weiblichen Geschlechts können nur auf
diesem Wege auch wirklich umgesetzt werden. Gleichzeitig muss diese Konstruktion
von „Frau“ oder „Mann“ entsprechend der neueren feministischen Erkenntnisse
hinterfragt, dekonstruiert und verabschiedet werden. Es gibt - an dieser Stelle
schließe ich mich der Meinung Leitners und anderer konstruktivistischer
Theoretiker/innen an - keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Dennoch bleibt dieser
theoretischen Sichtweise ihr Veränderungspotential. Naturhaftes beinhaltet immer
den lähmenden Aspekt des Unveränderbaren. Konstruiertes beinhaltet im Gegensatz
dazu die Möglichkeit der Dekonstruktion, der Veränderung. Wie diese
Veränderungen in Zukunft aussehen können, ohne dass sie althergebrachte
Geschlechternormen erneut konstruieren und zementieren, wird sich zeigen. Das zu
diesem Zweck von Feministinnen erdachte strategische Instrument des Gender
Mainstreamings weist hier einige Vorteile auf, die der Umsetzung dienen könnten.
24 Ich füge an dieser Stelle hinzu, dass nicht nur Eindeutigkeit in den Anweisungen höherer
Hierarchiestellen eine wesentliche Rolle für das Gelingen der Umsetzung von
Gleichstellungsmaßnahmen spielt, sondern auch eine entsprechende Schulung bzw. Weiterbildung
der an diesen operativen Stellen Beschäftigten zum Thema Geschlechterrollen wünschenswert wäre.
Auch dieses Feld lässt sich für feministischen Wissenstransfer öffnen.

32
Häufig jedoch wird das Instrument in den meisten Fällen ohne Bezug auf die
Erkenntnisse der feministischen Theorie verwendet oder mit unangemessenen
Erwartungen überfrachtet. 25 Der Erfolg des Instruments wird wesentlich davon
abhängen, wer dieses Instrument, in welchem Kontext und zu welchem Zweck
einsetzt.
25 Vgl. Interview Politikberatung 1: 124-140

33
„...der Ausschluss der Frauen von der Macht...
ist ein grundlegendes Kennzeichen unserer Demokratien.“ 26
„Der Ausschluss der Frauen aus öffentlichen Einrichtungen
hat zu keiner Zeit den Verlust der Etikette „demokratisch“ bedeutet.“ 27
6. Parteipolitikerinnen in Österreich – eine Annäherung
Die Entscheidung feministischen Wissenstransfer in Form von Politikberatung zu
untersuchen, brachte die Entscheidung für die Beschäftigung mit Parteipolitikerinnen
mit sich. Frauen in der Politik werden häufig automatisch mit Frauenpolitik in
Verbindung gebracht. Die damit verbundenen Erwartungen und Implikationen werden
in den folgenden Abschnitten erläutert.
Unabhängig von der Frage, ob und wie Frauen in der Politik emanzipatorischfeministisch
orientierte Politik umsetzen oder nicht, verfügen sie in jedem Fall
entsprechend ihrer Position über bestimmte Formen von Öffentlichkeit und
Definitionsmacht in den verschiedenen gesellschaftlichen Öffentlichkeiten. Als
Abgeordnete zum Parlament können sie an Debatte um und Gestaltung von
Gesetzen mitwirken. Sie können Brücken- und Vermittlungsfunktionen zwischen
verschiedenen Organisationen und Frauengruppen einnehmen oder als
Multiplikatorinnen frauenpolitischer Forderungen und Ansätze
außerparlamentarischer, gesellschaftlicher Bereiche fungieren. Parteipolitikerinnen
sind in ihren verschiedenen Positionen Ansprechpartnerinnen auf staatlicher Ebene
für autonome Frauenorganisationen. Nicht zuletzt sind sie auch Auftraggeberinnen
für Studien von Wissenschafter/innen an den Universitäten zu frauenpolitisch
relevanten Themen. In all diesen möglichen Zusammenhängen kann feministisches
Wissen nutzbringend und von Bedeutung sein. Der Annäherung an dieses
soziokulturelle Feld der Parlamentsabgeordneten stelle ich zunächst die Frage nach
der historischen Entwicklung der Partizipation von Frauen im österreichischen
Parlament voran. Im Hinblick auf feministische Politikberatung halte ich es für
notwendig, die strukturellen Behinderungen und Diskriminierungen von
26 Zit. in: Rosenberger 1992: 36
27 ebenda

34
Parlamentarierinnen sowohl in ihrer historischen als auch aktuellen Perspektive in
den Blick zu nehmen. Das Wissen, um diese Hindernisse, aber auch die darin
enthaltenen Möglichkeiten sind meiner Ansicht nach wesentliche Voraussetzungen
für feministische Beratung und hat unter Umständen grundlegende Auswirkung auf
die Ergebnisse feministischer Expertisen.
6.1. Der Weg ins Parlament - Die ersten Schritte
Katastrophale Lebensbedingungen der durch die Industrialisierung entstandenen
Arbeiter/innenklasse sowie der umfassende Ausschluss bürgerlicher Frauen von
Bildung, Berufstätigkeit und Öffentlichkeit sind wesentliche Gründe für die
Entstehung der „Frauenfrage“ und der sich daraus entwickelnden
Frauenstimmrechtsbewegung im ausgehenden 19.Jahrhundert und beginnenden
20.Jahrhundert. Frauen der Unterschicht leben in einer Situation extremer Not und
Ausbeutung. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind verheerend. Die Kinderund
Müttersterblichkeit ist außerordentlich hoch. Epidemien wie Typhus, Cholera,
Tuberkulose sind an der Tagesordnung, Mutterschutz- und Arbeitsgesetze fehlen
völlig. Frauen der Mittel- und Oberschicht sehen sich indes mit einer nahezu völligen
Ausgrenzung aus der Öffentlichkeit konfrontiert. Die staatsbürgerliche Rechtlosigkeit
betrifft auch sie. Ausgeschlossen von Bildung und Berufstätigkeit werden sie in den
privaten Raum verwiesen. Die Vorstellungen des neuen bürgerlichen Liebesideals
beginnen zu greifen. Frauen sollen ihr Leben den Kindern und ihrem Ehemann
widmen - aufopfernd und hingebungsvoll. Der öffentliche Bereich von
Erwerbstätigkeit und politischer Aktivität sollte den Männern vorbehalten bleiben.
Unabhängig von ihrer Schichtzugehörigkeit sind Frauen von offener Misogynie,
häuslicher Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung betroffen. Die zuletzt angeführten
Themen sind zu diesem Zeitpunkt als solche (noch) nicht thematisierbar. Die im 20.
Jahrhundert als posttraumatische Syndrome identifizierten Auswirkungen dieser
Gewalterfahrungen werden noch als „typisch weibliche“ Hysterie „behandelt“ oder
fehl- und uminterpretiert. Angesichts dieser Realitäten beginnen Frauen 1848 sich
auf unterschiedlichste Weise zu wehren und zu verschiedenen Themen zu äußern.
Während Erdarbeiterinnen gegen die Herabsetzung ihrer Löhne protestieren,
gründen bürgerliche Frauen die ersten politischen Frauenvereine - immer wieder in
Reaktion auf die Situation der jeweils Anderen und in gegenseitiger Unterstützung.
So hatte die Demonstration der Erdarbeiterinnen in der „Praterschlacht“ mit 282

35
Verwundeten und 18 Toten durch die gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen
Arbeiterinnen und Nationalgarde ihr blutiges Ende gefunden. In Reaktion darauf
initiiert Karoline von Perin – Gradenstein (1808-1888) empört über diese Ereignisse
wenige Tage danach den „Wiener Demokratischen Frauenverein“ und versammelt
am 28. August 1848 bürgerliche Frauen und einige Arbeiterinnen im Volksgarten, um
als einziger, damaliger Frauenverein explizit politische Gleichberechtigung zu
fordern. 28 Noch während der Gründungsveranstaltung des demokratischen
Frauenvereines, der sich in Reaktion auf diese Ereignisse zudem zur Aufgabe
machen wollte „das demokratische Prinzip in allen weiblichen Kreisen zu verbreiten“
(Perin, Zit. in: Rosenberger 1992: 43), stürmen empörte Männer die Sitzung. Wenige
Wochen später werden mittels Kriegsrecht alle Frauenvereine, die in der Zeit
zwischen März und November 1848 gegründet worden waren, wieder aufgelöst und
verboten. Die Sanktionen für ihr politisches Engagement und ihre Weigerung das
bürgerliche Frauenideal zu erfüllen, treffen Karoline von Perin besonders hart. Sie
wird verhaftet und muss wenig später emigrieren. Nachdem ihr das Sorgerecht für
ihre Kinder entzogen, ihr Vermögen von staatlicher Seite konfisziert wird und sie
psychisch erkrankt, widerruft sie ihre politischen Aussagen und kann erst dann aus
dem Exil zurückkehren. Dennoch: die Entstehung der Ersten Frauenbewegung war
nicht aufzuhalten. Bürgerliche Frauenvereine, die sich unter diesen politischen
Bedingungen nach außen als karitativ und unpolitisch deklarieren, kämpfen um den
Zugang zu Bildung und um die Möglichkeit eigener Erwerbstätigkeit. Die
proletarische Frauenbewegung stellt neben den Forderungen nach Arbeitsrechten
von Anfang an auch die Forderung nach politischem Mitspracherecht ins Zentrum
ihrer Aktivitäten.
6.2. Fortschritte und Rückschläge
Die ersten Wahlen zum österreichischen Reichstag werden schon im Juni 1848
abgehalten. Die Voraussetzungen, um daran Teil nehmen zu können, sind jedoch
beschränkt - vor allem für besitzlose Frauen. Nur jene sollten an politischen
Prozessen gestaltend Teil nehmen können, die über Besitz und Bildung verfügen.
Das aufsteigende Besitzbürgertum hatte damit seinen ersten Erfolg erzielt. Dieser
28 Die Angaben in der Literatur zur Anzahl der beteiligten Frauen schwanken zwischen 150 und 500
Personen.

36
Schritt bedeutet jedoch Einschluss und Ausschluss von Frauen zugleich. Sind
vermögende Frauen aufgrund ihres Haus- und Grundbesitzes oder weil sie über ein
Gewerbe verfügen entsprechend der ersten Wahlrechtsordnung in Gemeinden, bei
Landtagen und dem Reichstag wahlberechtigt ( die Stimmabgabe hatte jedoch durch
einen männlichen Vertreter der Frauen zu erfolgen), werden Arbeiterinnen völlig von
aktiver, politischer Beteiligung ausgeschlossen. Zu „einer schrittweisen
Demokratisierung bzw. Erweiterung des Männerwahlrechts (...) paradoxerweise mit
einer Einschränkung des Frauenwahlrechts.“ (Schefbeck 2005: 15) kommt es
zwischen 1861 und 1907. Mit Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts
für Männer erfolgt der völlige Ausschluss aller Frauen, auch derjenigen, die bisher
aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse ein - wenn auch eingeschränktes - Wahlrecht
hatten. Andere Formen politischer Tätigkeit und Organisation sind Frauen zudem seit
1867 mit § 30 des Vereinsgesetzes erschwert, der Frauen, Ausländern und
Minderjährigen die Mitgliedschaft in politischen Vereinen untersagt. Es gelingt den
Frauen aller sozialen Schichten dennoch, sich für das Frauenwahlrecht einzusetzen.
So beschließt die „Allgemeine Frauenversammlung“ am 14. Mai 1891 im Alten
Rathaus in Wien, eine Petition mit der Forderung nach einem allgemeinen, gleichen
und direkten Wahlrechts. Obwohl Ferdinand Kronawetter, Demokrat und
Abgeordneter des Reichsrates, die Petition dem Abgeordnetenhaus überreicht, bleibt
sie zunächst folgenlos. Die sozialdemokratische Frauenbewegung ihrerseits stellt die
Forderung nach dem Wahlrecht schon ab 1893 in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten,
v.a. bei den Maiaufmärschen ihrer Bewegung und den jährlich abgehaltenen
Demonstrationen ab 1911 zum Internationalen Frauentag. Sie sehen sich jedoch mit
„Bremsversuchen“ ihrer Parteigenossen konfrontiert, die weibliche Unterstützung im
Kampf um mehr Rechte gerne entgegen nehmen. Wenn es jedoch um die Rechte
ihrer Parteigenossinnen geht, vor allem ihre eigenen Interessen im Blick haben:
„Wir müssen bei jeder Gelegenheit erklären, dass wir für das Frauenwahlrecht sind, dass wir
auch den ersten Schritt auf diesem Gebiete machen wollen, aber dass der letzte Schritt erst
gemacht werden kann, wenn der erste Schritt gemacht ist, und der ist: Die Erkämpfung des
Wahlrechtes für die Männer.“ (Viktor Adler, Zit. in: Rosenberger 1992: 45)
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der kriegsbedingten Abwesenheit der Männer
und dem vermehrten Eintreten von Frauen in Wirtschafts- und Berufsleben ändert
sich die gesellschaftliche und politische Bedeutung von Frauen grundlegend.

37
Angesichts der Leistungen von Frauen während der Jahre 1914 - 1918 und den völlig
veränderten politischen Rahmenbedingungen gelingt schließlich auch der
Durchbruch im Bereich des Wahlrechtes: 1919 ziehen die ersten acht Frauen in die
Nationalversammlung ein.
Zusammenfassend veranschaulicht die folgende Tabelle die einzelnen Schritte in
Richtung Wahlrecht für Frauen:
Tabelle 1 29 Die schrittweise Einführung des Wahlrechtes für Frauen
1848 Reichstagswahlen (nur Männer)
1849 Gemeindewahlrecht für Besitzende (auch Frauen)
1861 Landtagswahlrecht für Besitzende (auch Frauen)
1873 Direkte Wahl des österreichischen Abgeordnetenhauses zum Reichsrat (Zensus-,
Kurienwahlrecht: nur in der Kurie der Großgrundbesitzer/innen gibt es auch einige
wahlberechtigte Frauen)
1888 Entzug des den steuerpflichtigen Frauen Niederösterreichs bis dahin zustehenden
Gemeinde- und Landtagswahlrechts
1896 Allgemeines Männerwahlrecht (Zensuswahlrecht)
1907 Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer (Ausschluss aller
Frauen)
1918 Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts für alle
Staatsbürger/innen ohne Unterschied des Geschlechts
1919 Wahl zur österreichischen Nationalversammlung (Frauen haben erstmals das aktive und
passive Wahlrecht)
Quelle: Überblickstafel Website Österreichische Nationalbibliothek, Projekt „Frauen wählet!“ 30
Exkurs: Frau - sein ist kein politisches Programm
Am 4. März 1919 ziehen sieben Sozialdemokratinnen und eine Christdemokratin in
das österreichische Parlament ein: Maria Tusch, Amalie Seidel, Therese Schlesinger,
Gabriele Proft, Emmy Freundlich, Anna Boschek und Adelheid Popp für die
Sozialdemokratische Partei. Hildegard Burjan ist die erste Christdemokratin im
Nationalrat. Schon in den ersten Debatten zeigt sich, dass „Frau - sein“ kein
politisches Programm ist und Frauen je nach politischer Einstellung sehr
29 Zusammengestellt von P. Unger nach:
Überblickstafel Website Österreichische Nationalbibliothek, Ariadne, Projekt „Frauen wählet!“
http://www.onb.ac.at/ariadne/projekte/frauen_waehlet/nebRaum02a.html
30 http://www.onb.ac.at/ariadne/projekte/frauen_waehlet/nebRaum02a.html

38
unterschiedliche Lösungsansätze entwickeln können. Während Adelheid Popp im
Parlament die Meinung vertritt, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für
Dienstmädchen müsse gesetzlich verankert werden, widerspricht die
christdemokratische Abgeordnete Hildegard Burjan dieser Auffassung und meint, es
sei ausreichend einen Appell an die bürgerlichen Haushalte zu richten, ihrer
Verpflichtung zur Wohltätigkeit nachzukommen. Einen Rechtsanspruch auf die
Begrenzung der Arbeitszeit der Dienstmädchen will Hildegard Burjan nicht
festschreiben. Die Konfliktlinien in den Auseinandersetzungen darüber, wie die
Situation von Frauen verbessert werden soll, verlaufen an den schichtspezifischen
Unterschieden der jeweiligen Gruppen. Die Forderungen der proletarischen
Frauenbewegung stimmen häufig nicht mit jenen der bürgerlichen Frauenbewegung
überein. Dies spiegelt sich in den Debatten der ersten Parlamentarierinnen wieder.
Wenngleich es dennoch immer wieder gelingt über alle Grenzen hinweg, die Kräfte
zu bündeln und Forderungen zur Gleichstellung von Frauen gemeinsam
durchzusetzen. Politische Auffassungsunterschiede, divergierende Strategieentwürfe
einerseits und Koalitionen über alle ideologischen, parteipolitischen und sozialen
Grenzen hinweg anderseits kennzeichnen die Debatten der ersten
Parlamentarierinnen und Frauenpolitikerinnen.
7. Im und gegen den Staat 31
In welchem soziokulturellen Feld der Gesellschaft finden sich die ersten
Parlamentarierinnen wieder - mit ihrem Einzug in die gesetzgebenden Gremien des
Staates? Welche Strukturen finden sie hier vor? Was ist dieser Staat überhaupt? Wer
ist der Staat? Für wen ist der Staat? Wie sollen emanzipatorische Veränderungen im
staatlichen Bereich umgesetzt werden? Sich in den Staat mit seinen Institutionen
hinein begeben oder gegen den Staat feministische Forderungen durchsetzen?
7.1. Der geschlechtslose Staat?!
Staat ist zunächst „ein abstraktes Konzept“ (Kreisky, Zit. in: Becker-Schmidt/Knapp
1995: 85ff) und ein männliches Konzept. Feministische Wissenschafterinnen heben
in ihren Analysen hervor, dass der Mann als Maßstab für diese Konzeption
31 Original: „in and against the state“ (Zit. in: Rosenberger 1992: 47)

39
angenommen wird. Auch hier wird die Frau je nach Betrachtungsweise entweder als
das Andere konstruiert oder als nicht – existent definiert. Die politischen Theorien
und ihre (lange Zeit männlichen) Theoretiker gehen von einem männlichen,
politischen Subjekt aus. Darüber hinaus sprechen nahezu alle Theoretiker, und auch
hier über Jahrhunderte, Frauen - so sie das weibliche Geschlecht überhaupt
erwähnen - die Fähigkeit zu politischem Denken und Handeln ab. Die private Sphäre
wird den Frauen zugeordnet, als nicht - politische Sphäre bestimmt und erhält damit
in politischer Theorie und Praxis den entsprechenden Stellenwert. Im Laufe der
Entwicklung feministischer Erklärungsansätze zur Benachteiligung von Frauen und
die Unterdrückungsmechanismen einer männlich dominierten Gesellschaft, kommen
auch feministisch orientierte Politikwissenschafterinnen zu dem Schluss, es sei ein
prinzipieller Denkfehler, anzunehmen, dass „zwei Geschlechter als naturgegebener
Ausgangspunkt menschlichen Seins gesetzt werden“ (Krause 2003: 42) Auch hier
setzt sich die Auffassung von der Konstruiertheit der Geschlechter durch. In
Verbindung mit dem Konstrukt „Staat“ bedeutet dieser feministisch -
wissenschaftlichen Konsens:
„Staatlichkeit entsteht aus Geschlechterverhältnissen und Zweigeschlechtlichkeit wird an
unterschiedlichen Schauplätzen und mit unterschiedlichen Mitteln durch den Staat
produziert.
32
(...) Staat und Geschlecht bilden also sich gegenseitig konstituierende
diskursive Formationen, Praktiken und Institutionen.“ (Frevert, Zit. in: Krause 1995: 14)
Sauer konkretisiert den „feministischen Staatsbegriff“:
„ (...) Staat (...) als >Verdichtetes Geschlechterverhältnis< : Staatlichkeit zeichnet sich durch
die Macht aus, Phänomene und Personen zu vergeschlechtlichen – und zwar in explizit
geschlechtlicher oder geschlechtsneutraler Weise -, indem sie gesellschaftliche Räume
öffnet und schließt, etwa männliche Interessen aus der sogenannten Privatsphäre
heraushebt und weibliche in ihr verschwinden lässt.“ (ebd)
Hierzu lässt sich folgendes, konkretes Beispiel anführen:
„Die wohlfahrtsstaatliche Philosophie westlicher Demokratien beruht darauf, a) die
Erwerbsarbeit als zentralen Anknüpfungspunkt zu betrachten und b) die Ernährerrolle des
32 Vgl. Sauer 2005

40
männlichen Verdieners zu untermauern. Hausarbeit und Familienarbeit schaffen in dieser
Denk- und Politikkonzeption keinen "Wert" und kommen folglich im System sozialer
Sicherung als Anspruchsgründe für eigenständige Sozialleistungen nicht oder kaum in
Frage; das System der sozialen Sicherheit setzt aber diese privaten Arbeiten von Frauen
voraus. Pensionsansprüche, Leistungen im Krankheitsfalle, Mutterschutzleistungen etc.
werden immer erst dann gewährt, wenn eine außerhäusliche Berufstätigkeit vorliegt bzw.
vorlag. Nicht berufstätige Frauen kommen — mit Ausnahme der Sozialhilfe — nur als
Angehörige von (berufstätigen) Männern, nämlich als Ehefrauen, als Witwen oder als
Töchter in den Genuss von Sozialleistungen, nicht jedoch als Personen mit eigenständigen
sozialen Sicherheitsansprüchen.“ (Rosenberger 1992: 33)
Die Ausrichtung an „der männlichen Erwerbsbiographie“ (ebd) entwertet damit
einerseits Reproduktionsarbeit, Kindererziehung und Pflegearbeit als „Nicht-Arbeit“ 33 ,
andererseits werden Einkommensunterschiede durch das staatliche System nicht
ausgeglichen, sondern im Gegenteil: Es wird Armut von Frauen produziert,
fortgesetzt und verstärkt. Aus dieser Erkenntnis heraus formuliert Johanna Dohnal,
erste österreichische Frauenministerin, die Forderung:
"Um die Unabhängigkeit für Frauen zu gewährleisten, brauchen wir ein
Sozialversicherungssystem, das vom Familienstand unabhängig ist, und wo für alle
Menschen - für Männer und Frauen - ein eigener, grundlegender Pensionsanspruch
besteht." 34
Rosenberger konkretisiert in ihren Arbeiten die Ambivalenz des Staates:
„Staatliche Politik soll einerseits weibliche Benachteiligung mindern bzw. aufheben und
andererseits ist sie selbst Teil einer politischen Topographie, die auf der Basis von
Geschlechterhierarchien funktioniert.“ (ebd)
Der Staat ist damit Adressat für Forderungen nach Veränderung und zugleich
Hindernis für die Umsetzung dieser Veränderungen.
Was bedeutet es nun, Politikerin in einer von patriarchalen Strukturen geprägten
Demokratie zu sein? Inwiefern sind emanzipatorische, feministische Veränderungen
in einem patriarchal organisierten, politischen System überhaupt möglich? Ist es
33 Hier zeigt sich die nachhaltige Wirkung des bürgerlichen Liebesideals.
34 Johanna Dohnal, Podiumsdiskussion , 1. Dezember 1988, Institut für Wissenschaft und Kunst Wien.

41
überhaupt erstrebenswert, Teil einer männlich orientierten Struktur zu werden? Die
Zweite Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, und hier vor
allem der autonome Teil der Bewegung, stellt offen diese kritischen Fragen. Die
Antworten darauf fallen unterschiedlich aus. Sie reichen von utopischen
Vorstellungen der völligen Unabhängigkeit vom Staat und seinen Institutionen bis hin
zu der pragmatischen Feststellung, dass der demokratische Staat nun einmal
ambivalent sei, ein „wachsamer Umgang“ mit dieser Tatsache Frauen dennoch
zumindest rechtliche Besserstellung bringen könne. Wie steht es nun konkret um die
Frauen im Staat? Wie sind sie repräsentiert in den wesentlichen gesetzgebenden
Gremien des Staates? Welche Positionen konnten Sie bisher konkret einnehmen?
Die nachfolgenden Zahlen geben eine Antwort darauf.
7.2. Repräsentation von Frauen
Es war ein langer Weg und ein harter Kampf bis Frauen trotz des heftigen
männlichen Widerstandes den Einzug in das österreichische Parlament geschafft
haben. Rückblickend ist es dennoch nur ein erster, kleiner, wenn auch nicht zu
verachtender Schritt in Richtung Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse. Hat
es 70 Jahre von der Forderung des Wahlrechts bis zur Umsetzung gedauert, sind
mittlerweile 89 Jahre seit dem Einzug der ersten Frauen in den Nationalrat
vergangen, ohne, dass von einer adäquaten Repräsentation von Frauen
entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung die Rede sein kann. Die in der
folgenden Tabelle markierten Zeilen weisen auf Ausgangspunkt und
„Entwicklungssprünge“ im prozentuellen Anteil von weiblichen Abgeordneten im
österreichischen Parlament hin:

42
Tabelle 2: Frauenanteil im Nationalrat
Gesetzgebungsperiode Beginn Anzahl Frauen %
Provisorische Nationalversammlung 21.10.1918 208 0 0,0
Konstituierende Nationalversammlung 04.03.1919 159 8 5,0
I. Gesetzgebungsperiode 10.11.1920 175 9 5,1
XVII. Gesetzgebungsperiode 17.12.1986 183 21 11,5
XVIII. Gesetzgebungsperiode 05.11.1990 183 36 19,7
XIX. Gesetzgebungsperiode 07.11.1994 183 40 21,9
XX. Gesetzgebungsperiode 15.01.1996 183 47 25,7
XXI. Gesetzgebungsperiode 29.10.1999 183 49 26,8
XXII. Gesetzgebungsperiode 20.12.2002 183 62 33,9
XXIII. Gesetzgebungsperiode 30.10.2006 183 57 31,1
Quelle: Entwicklung des Frauenanteils im Nationalrat, Stichtag: Beginn der jeweiligen
Gesetzgebungsperiode 35
Bei einem Bevölkerungsanteil von 52% sind Frauen mit 31,1% der Abgeordneten im
Parlament 2007 nach wie vor unterrepräsentiert. Die Steigerung des Anteils von
Frauen ist außerordentlich langsam fortgeschritten. So wird die 10% Marke erst 67
Jahre nach Einzug der Frauen in den Nationalrat erreicht. Die 20% und 30% Marken
werden schneller überschritten: nach jeweils acht Jahren. Zu beobachten ist jedoch
auch, dass der Frauenanteil immer wieder auch gesunken ist: In der aktuellen
Gesetzgebungsperiode im Vergleich zur vorangegangenen Periode um 2,8%. 36
Exkurs: Das Parlament als Spiegel der Gesellschaft?
Pointiert formuliert lässt sich das österreichische Parlament als ein Männerparlament
41 - 60jähriger, zumeist katholischer Akademiker beschreiben. Nicht nur Frauen sind
hier unterrepräsentiert. Entsprechend der Altersstruktur der Abgeordneten liegt das
Durchschnittsalter der Parlamentarier/innen um etwa 10 Jahre über jenem der
35 http://www.parlament.gv.at/portal/page?_pageid=907,860158&_dad=portal&_schema=PORTAL
36 Weitere statistische Daten siehe auch: Zwischen Konflikt und Konsens: Frauen im politischen
System Österreichs, Barbara Steininger, In: Handbuch politische Partizipation von Frauen in Europa,
Beate Hoecker (Hg.in), Leske und Budrich Verlag, Opladen, 1998

43
Gesamtbevölkerung. Als besonders unterrepräsentiert weist die Statistik des
österreichischen Parlaments Pensionist/innen aus: während ihr Anteil bei einem
Viertel der Bevölkerung liegt, werden sie von lediglich 1,1 % der Abgeordneten
vertreten. Die Gruppe der unter 19jährigen - immerhin mehr als ein Fünftel der
Bevölkerung - ist aufgrund der Wahlalterbeschränkung gar nicht vertreten. In
großem Gegensatz zu diesen Zahlen steht der Akademiker/innenanteil der
Abgeordneten. Ihr Anteil mit 42,6% im Parlament liegt weit über jenem von 5,5% der
Bevölkerung. 37 Inwieweit Repräsentation im Parlament entsprechend ihres
prozentuellen Anteils in der Bevölkerung den Interessen verschiedener
gesellschaftlicher Minderheiten (diverse Volksgruppen, Gruppen mit nichtheterosexuelle
Orientierung, Menschen mit besonderen Bedürfnissen etc.) oder als
Minderheit behandelte Mehrheiten (Frauen) zu besserer Interessensvertretung mit
emanzipatorischen Effekten führen könnte, wäre Gegenstand einer weiteren
Analyse. Ich schließe mich an dieser Stelle der Auffassung von Kate Millet an, die die
Ansicht vertritt, dass:
“ (...) gerade weil in verschiedenen Strukturen gewisse Gruppen keine Vertreter haben, (ist)
ihre Position so stabil, ihre Unterdrückung so wirkungsvoll.“ (Millet 1985: 38)
Neben dem sehr langsam steigenden Anteil von Frauen im Nationalrat ist auch der
Aufstieg in parlamentsinterne Gremien oder Regierungspositionen von Frauen erst
spät und entsprechend des Bevölkerungsanteils ebenfalls als zu gering zu
betrachten. 38 Abgesehen von Olga Rudel-Zynek, die schon 1927 den Vorsitz im
Bundesrat übernimmt, dauert es Jahrzehnte bis Frauen Schlüsselpositionen
einnehmen:
37 Vgl. Schefbeck 1996.
38 Vgl. Neyer 1991.

44
Tabelle 3 Frauen in politischen Funktionen
1927/28 Olga Rudel-Zynek, Christlich-Soziale Partei, Erste Vorsitzende des Bundesrates,
1932 ein weiteres Mal Bundesratsmitglied
1949 Ferdinanda Flossmann, SPÖ, Erste Frau, die den Vorsitz eines
Nationalratsausschusses übernimmt
1966 Grete Rehor, ÖVP, Erste Angelobung einer Frau als Ministerin, Bundesministerin für
soziale Verwaltung,
1986-1990 Marga Hubinek, ÖVP, Erste Frau am Nationalratspräsidium als Zweite Präsidentin
2000 Susanne Riess-Passer, FPÖ, Erste Vizekanzlerin
2006 Barbara Prammer, SPÖ, Erste Frau am Nationalratspräsidium als Erste Präsidentin
Quelle: Tabelle nach den Daten aus Rösslhumer/Appelt 2001, Zusammenstellung u.p.
Bisher konnte noch keine Frau die Position der Kanzlerin einnehmen, ebenso wenig
wie das höchste Amt im Staat, jenes der Bundespräsidentin. Kandidatinnen hierzu
stellten sich schon mehrmals – bisher ohne Erfolg. Barbara Steininger führt in ihrem
Artikel zu Frauen im politischen System Österreichs dazu den Begriff der „politischen
Legitimation“ ein:
„Reformen, die den Zugang für Frauen verbessern (z.B. Quotenregelung) entspringen nicht
zuletzt einem Bedarf nach politischer Legitimation. War es vor 78 Jahren noch möglich,
sämtlichen Frauen das Wahlrecht zu verweigern, so ist es 1996 undenkbar Frauen aus ihren
Machtzentren auszuschließen.“ (Steininger, Zit.in: Hoecker 1998: 294)
Damit ist der Bereich gesellschaftlicher Bewusstseinsbildung angesprochen. Um
Veränderungen umsetzen zu können, ist ein gewisses Maß an gesellschaftlichem
Konsens bzw. gesellschaftlichem Verständnis für die Problematik Voraussetzung.
Politische Bildung, Agenda – Setting, mediale Öffentlichkeit zu bestimmten Themen
sind hier im Vorfeld der Umsetzung notwendig, um diese „politische Legitimation“
herzustellen. Steiniger konstatiert hier zwar eine „Aufwärtsbewegung“, hält aber
zugleich fest, dass nach wie vor daran gearbeitet werden muss, diesen Prozess
fortzusetzen.

45
7.3. Zusammenfassung
Herrschaftsmechanismen und vor allem Ausgrenzungsstrukturen behindern auch
(und nach wie vor) Frauenpolitikerinnen in ihren Handlungsmöglichkeiten.
Frauen mussten sich den Zugang zum Parlament lange erkämpfen und übernehmen
nur langsam wichtige Positionen. Verschiedene Faktoren werden hierfür
verantwortlich gemacht: Sei es die schon erwähnte, sich v.a. im Bewusstsein der
Männer langsam entwickelnde „politische Legitimation“, das österreichische
Listenwahlrecht 39 oder die korporatistische Verfasstheit der österreichischen
Demokratie, d.h. aus körperschaftlichen bzw. berufsständischen Gruppierungen
(Gewerkschaften, Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung)
bestehende Sozialpartnerschaft. Auch hier sind Frauen unterrepräsentiert. Im
parlamentarischen Arbeitsfeld wirken besonders die an männlichen Bedürfnissen
ausgerichteten Strukturen: Der Handlungsspielraum von Frauen im Parlament wird
vor allem dadurch eingeschränkt.
„Frauen waren in der Politik ursprünglich nicht vorgesehen. Es waren ausschließlich Männer,
die der Politik Form, Struktur und Regeln gaben. Sie waren es, die die Institutionen,
Verfahrensweisen und Spielregeln entwarfen. Als Frauen das Recht gegeben wurde, sich
daran zu beteiligen, waren politische Einrichtungen und Regeln bereits etabliert. Die Struktur
des politischen Systems ist historisch auf männliche Bedingungen und Interessen
ausgerichtet. Frauen, die sich politisch engagieren wollen, haben sich nach wie vor dem
politischen System, welches männlich geformt und geprägt ist, anzugleichen.“
(Rösslhumer/Appelt 2001: 19)
39 „Von der Zahl der abgegebenen Stimmen für eine Partei in einem Wahlkreis hängt es im
wesentlichen ab, wie viele Grundmandate eine Partei in diesem Wahlkreis zu erringen vermag und
damit auch, wie viele Kandidat/innen der betreffenden Liste im ersten Ermittlungsverfahren als
gewählt gelten. Mit der Platzierung der Kandidat/innen auf den Wahllisten wird somit eine wichtige
Vorentscheidung für die Wahl in den Nationalrat getroffen (...) Frauen haben (...) nicht nur eine
geringere Chance, in eine Liste aufgenommen zu werden; sofern sie Berücksichtigung finden, werden
sie häufiger als Männer auf aussichtslosen Listenplätzen gereiht.“ (Neyer, Zit. in: 1991: 58ff)

46
8. Politik(en)
„Niemand wird erwarten, dass der Begriff 'Politik' knapp, klar und einmütig definiert werden
könnte. Was Politik sei und was sie nicht sei, ja schon, was eine Definition von >Politik<
überhaupt solle und was sie nicht solle, darum wird seit jeher gestritten. Feste Konturen sind
in diesem Streit nicht zu erkennen. Die Auseinandersetzung füllt Bibliotheken und leert deren
Etats. Einen kurzen, gut ausgeschilderten und einhellig empfohlenen Weg zum Verständnis
von 'Politik' gibt es also nicht" (Alemann 1994: 12)
Im Sinne dieses Zitats verstehen sich die folgenden Abschnitte als notwendige
Annährung an den Begriff „Politik“, in keinem Fall jedoch als letztgültige Definition.
8.1 Verknüpfte Kategorien
Mit dem Begriff Politik lassen sich einige Begriffe verbinden, die wesentlich mit
Bereichen, die Politik beeinflusst bzw. von denen Politik beeinflusst wird, verknüpft
sind. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht jenes Netz, mit dessen Hilfe ein Blick
auf die unterschiedlichen Perspektiven, unter denen das politische Feld betrachtet
werden kann, sichtbar wird:
Abbildung 1 Verknüpfte Kategorien
Ethnien
Interessen
Staat
Politik
Gewalt
Soziale
Klasse
Geschlecht
Herrschaft
Macht

47
Quelle: Protokoll der Vorlesungseinheit vom 05. Nov. 2002, Einführung in das Studium
Politikwissenschaft, Eva Kreisky, Birgit Sauer 40
Politische Theorien und politikwissenschaftliche Analysen knüpfen an die hier
dargestellten Bereiche an. Macht, Herrschaft und Gewalt. sind die wesentlichen
Bereiche, die in der Regel mit Politik verbunden werden: Wo ist Macht verortet? Wer
übt sie aus? Wodurch erhält eine Person oder ein kollektives Gefüge die
Legitimation, Macht und Herrschaft auszuüben? Mit welchen Mitteln wird Macht
durch- bzw. umgesetzt? Welche Art von Gewalt gibt es in einem Staatsgefüge? Wie
ist die Staatsgewalt verfasst? Wie werden Entscheidungen und Maßnahmen
legitimiert (z.B. Gesetze)? Unterschiedliche Disziplinen nähern sich diesen Fragen
an: Philosophie, Soziologie, Rechtswissenschaft und nicht zuletzt die relativ junge
akademische Disziplin der Politikwissenschaft. 41
Exkurs: Junge Politikwissenschaft
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert sich diese Studienrichtung im
deutschsprachigen Raum. In Österreich steht Politikwissenschaft in enger
Verbindung mit den verschiedenen Demokratiebewegungen der 60er Jahre. Erst
1965 kann nach Erweiterung der Lehrkanzel für Rechts- und Staatsphilosophie in
Salzburg durch den Bereich „Politische Wissenschaft“ Politologie als Haupt- und
Nebenfach studiert werden. 1968 wird eine Lehrkanzel in Wien mit dem Titel
„Philosophie der Politik und Ideologiekritik“ 42 geschaffen und 1970 am Institut für
Höhere Studien in Wien eine Abteilung „Politologie“ eingerichtet. In der Folge
erhalten auch Graz, Innsbruck und Linz politikwissenschaftliche Lehrkanzeln, wobei
diese in Innsbruck mittlerweile Fakultätsstatus einnimmt. Die Ausrichtung der
Forschungstätigkeit war lange Zeit normativ. Die Frage danach, wie menschliches
Zusammenleben am Besten geregelt werden könnte, beschäftigt
Politikwissenschafter/innen damals wie heute, wenn auch heute der normative
Anspruch wiederholt kritisch hinterfragt wird. Als normative Wissenschaft versteht
sich Politikwissenschaft insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg und hier vor
allem mit dem Fokus auf Demokratiewissenschaft. Stark beeinflusst von den
40 http://evakreisky.at/2002-2003/powi/protokolle/aproto051102.doc
41 Vgl. Bleek 2001.
42 Vgl. http://www.fvhus.at/view.php?name=politikwissenschaft und http://evakreisky.at/2002-
2003/powi/protokolle/22102002protokoll.html

48
Ergebnissen der Geschlechterforschung findet eine Verlagerung der
Forschungsansätze in Richtung emanzipatorischer und partizipatorischer Ansätze
statt.
Politik ist mit der Aushandlung von Interessen verknüpft, wobei hier nicht individuelle
Interessen gemeint sind, sondern Interessen als kollektive Kategorie, die in
Organisationen gebündelt werden und in mehr oder weniger konfliktreichen
Prozessen durchgesetzt werden (z.B. Gewerkschaften). Interessen sind in ihrer
Durchsetzungskraft vielfältig und nicht gleichwertig. Im Kontext aktueller Debatten ist
hier der „Interessensbereich“ Wirtschaft zu nennen. Die wirtschaftliche Organisation
eines Gesellschaftssystems produziert unterschiedliche soziale Klassen mit
Handlungs- und Durchsetzungsspielräumen. Wie entstehen Klassen? Welche
Klassen entstehen? Und wie werden Klassenkonflikte ausgetragen? Seit den
politischen Veränderungen des Jahres 1989 und ihren Folgen gerät die Rolle der
Ökonomie mit ihren machtvollen Mechanismen wieder in den Blick. Kapitalismuskritik
bzw. Kritik an neoliberalen Wirtschaftspraktiken wird wieder geübt. Die Frage der
Umverteilung und der sozialen Gerechtigkeit wird heute in den aktuellen Diskursen
zusätzlich mit der Frage der kulturellen Anerkennung verschiedenster
Identitätspolitiken 43 verknüpft. Die zentrale Fragestellung, welchen Einfluss haben
Wirkungsweisen der Ökonomie auf politische Prozesse, rückt daher wieder in den
Vordergrund. Das Problemfeld Ökonomisierung politischer Prozesse (z.B.
Unterwerfung politischer Entscheidungsfindungsprozesse unter das Effizienz-
Kriterium, konsumistische Haltung der Bevölkerung gegenüber Politiker/innen etc.)
fließt in die kritische Reflexion feministischer Politikwissenschaft ein.
„Eine (...) wichtige Aufgabe ist die Formulierung eines Politikbegriffes in Auseinandersetzung
mit der Sphäre der Ökonomie und deren Herrschaftsmechanismen und
Ausschließungsstrukturen“ (Sauer: 2005)
Seit den Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts gilt auch Geschlecht als
politische Kategorie, die Aussagen über die Verfasstheit und den Zustand eines
politischen Systems ermöglicht. Nicht nur Demokratiequalität lässt sich an diesem
Parameter messen. 44 Wie schon erläutert lassen sich sämtliche Politikbereiche einer
43 Vgl. Fraser 1997
44 Vgl. Fourier, Zit. In: Andel: 1997

49
Geschlechteranalyse unterziehen. Mit dem Begriff „Politikbereiche“ sind folgende
Felder gemeint: Der Bereich der institutionellen Verfassung des politischen
Gemeinwesens (polity), die Inhalte politischer Programme zur Gestaltung
gesellschaftlicher Verhältnisse (policy) und der Prozess der politischen
Auseinandersetzung um Machtanteile und Machtpositionen (politics) 45 . Der Prozess
der politischen Auseinandersetzung um Machtanteile und Machtpositionen weist
eindeutig männliche Strategien, Diskussionsformen und männerdominierte Orte des
Diskurses auf. Ausschluss- und Ausgrenzungsmechanismen begünstigen Männer
und benachteiligen Frauen.
Inklusionen und Exklusionen eines politischen Systems oder eines politischen
Feldes, lassen sich weiter mit der Analyse der Rolle von Ethnien untersuchen.
Welche Personengruppen werden aufgrund ihrer Ethnizität ausgeschlossen,
marginalisiert oder integriert? Wer erhält unter welchen Bedingungen (z.B.
Staatsbürgerrecht) Zugang zu politischen Handlungsfeldern? Mit diesen Fragen eng
verknüpft ist die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des „zoon
politikon“ (griech.: der Mensch als staatenbildendes Wesen) Welche Menschen
werden als staatenbildende Wesen definiert und anerkannt? Damit eng verknüpft ist
die Frage nach dem „demos“( griech.: das Volk, die Gemeinde). Wie setzt sich ein
Volk, eine Gemeinde zusammen? Wer gehört dazu? Nicht zuletzt muss auch der
Begriff der „pólis“ (griech.: die Stadt, im Übertragenen: die Gemeinschaft von
Bürgern) angeführt werden. Wer kann Teil dieser „pólis“ werden und Politik
gestalten? Vermögende, gebildete, weiße Männern der gesellschaftlichen Eliten
erheben über Jahrhunderte den Anspruch, diese Definitionen zu formulieren mit dem
Ziel des eigenen Machterhalts. Untere oder versklavte Bevölkerungsschichten und
Migrant/innen werden Jahrhunderte lang dezidiert von der Möglichkeit des politischen
Handelns ausgeschlossen, wenn auch nicht widerstandslos. Der Ausschluss der
Frauen wird mit deren Zuordnung zum Raum des Privaten und damit zum Bereich
der Reproduktionsarbeit schon in der Antike festgelegt. Der Ausschluss armer
Bevölkerungsteile findet mit dem Argument des fehlenden Vermögens bzw. fehlender
Staatsbürgerschaft statt. Bei beiden Gruppen, die meist zahlenmäßig die Mehrheit
bilden, stellt zudem die weiße, männliche Elite, um die eigene Vormachtstellung zu
begründen, deren Vernunftbegabung regelmäßig in Frage. Diese Beispiele zeigen,
45 An der englischen Begrifflichkeit zeigt sich die starke Anlehnung an anglo-amerikanische
Entwicklungen von Politikwissenschaft

50
dass sämtliche in der Abbildung dargestellten Bereiche nicht nur mit dem zentralen
Begriff Politik verbunden sind. Sie stehen auch untereinander in ständiger
Wechselwirkung. Macht, Herrschaft und Gewalt stehen in ständiger Beziehung zu
Geschlecht, sozialer Klasse und Ethnizität und den damit verbundenen vielfältigen
Interessenskonstellationen.
8.2 Politische Prozesse – politisches Handeln
Eine weitere Form der Annäherung an Politikbegriffe ermöglicht die
Kategorisierungen entsprechend der Kriterien der folgenden Grafik:
Abbildung 2 Aspekte eines Politikbegriffs
ent
Enger
Weiter
Normativer
Deskriptiver
Politikbegriff
Gouvernementaler
Emanzipativer
Konfliktorientiert/ Konsensbezogen
Quelle: Protokoll der Vorlesungseinheit vom 05. Nov. 2002, Einführung in das Studium
Politikwissenschaft, Eva Kreisky, Birgit Sauer 46
Zur Erläuterung dieser Abbildung lassen sich drei gegensätzliche Begriffspaare
formulieren. 47 Der Gouvernementale Politikbegriff sieht Politik vor allem in
Institutionen verankert. Parteien, Parlament, Exekutive und verschiedene organisierte
Interessensverbände- und -vertretungen werden als Orte politischen Handelns
definiert. Politik wird hier ausschließlich in Bezug auf das Staatsgefüge verstanden.
Diese Politikauffassung ist jene, die im Alltagswissen der Bevölkerungsmehrheit am
meisten verbreitete. Demgegenüber steht die Auffassung der emanzipatorischen
Begrifflichkeit. Sie geht davon aus, dass es auch andere politische Handlungsfelder
46 http://evakreisky.at/2002-2003/powi/protokolle/aproto051102.doc
47 Vgl. Lang, Zit. in: Rosenberger/ Sauer 2004: 69ff

51
gibt, die wesentlichen Einfluss auf politische Prozesse haben können. In der Tradition
der kritischen Theorie stehend werden politische Handlungsräume auch außerhalb
der „systemisch vorgegebenen Orte“ angenommen und mit einbezogen:
„(...) politisches Handeln manifestiert sich überall da, wo Menschen mit ihrem
bürgerschaftlichen Engagement selbst definierte Ziele verfolgen.“ (Lang, Zit. in:
Rosenberger/ Sauer 2004: 69ff)
Die Auseinandersetzung mit dem gouvernementalen Politikbegriff durch
emanzipatorische Ansätze führt dazu, dass sämtliche als bisher traditionell politische
Institutionen mit ihren Prozessen einer kritischen Analyse unterzogen werden und
darauf hin untersucht werden, inwiefern Strukturen, Akteur/innen und interne
Mechanismen der traditionellen Institutionen Ausschluss und Marginalisierung
bestimmter Bevölkerungsgruppen praktizieren. In logischer Konsequenz entwickeln
Vertreter/innen emanzipatorischer Zugänge theoretische Konzepte, die Einschluss
und Partizipation marginalisierter Bevölkerungsgruppen (in der feministischen
Politikwissenschaft z.B. von Frauen) denkbar werden lassen. Normative
Politikbegriffe definieren bestimmte gesellschaftliche Ideale, die es durch politisches
Handeln zu erreichen oder zu sichern gilt. Normative Zugänge beinhalten in der
Regel auch Vorstellungen von „richtigem politischen Handeln“ und in einer
bestimmten Weise geprägte Vorstellungen vom Menschen an sich. Die Dichotomie
der Konzepte homo oeconomicus versus zoon politikon werden daraus entwickelt.
Verkürzt erläutert meint der Begriff des homo oeconomicus, die
Handlungsmotivation von Menschen bestehe darin, Nutzen zu maximieren und
Kosten zu minimieren. Im Gegensatz dazu steht die Auffassung des zoon politikon:
Der Mensch sei ein durch und durch politisches Wesen, das seine Natur erst dann
erfüllt, wenn es sich politisch beteiligt. Menschen sind Bürger/innen, die sich gerne
und freiwillig an den Belangen des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens
beteiligen und das gemeinwohlorientierte Handeln in den Vordergrund stellen.
Diese individuellen Handlungsweisen, aber auch daraus entwickelte politische
Funktionsweisen versucht der deskriptive Politikbegriff zu beschreiben.
Ein weiteres wesentliches Begriffspaar für politische Analyse stellen die Begriffe
„konfliktorientiert“ und „konsensorientiert“ dar.
Der konfliktorientierte Begriff geht davon aus, dass Menschen immer in
Konkurrenz zueinander stehen, unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben

52
und diese in konflikthafter Weise ausleben. Hauptaufgaben für die Politik ist
demzufolge die Analyse und Organisation der Konflikte. Je nach Position gilt es dann
Instrumente der Konfliktvermeidung oder der Kanalisierung zu finden. Damit kann
eine gewaltfreie Konfliktlösung gemeint sein oder aber auch kriegerische Handlungen
als für notwendig erklärtes Mittel („Krieg als friedenserhaltende Maßnahme“).
Konsensorientierte Begriffe gehen zwar ebenso von Konflikten aus, legen aber
den Schwerpunkt auf die friedliche Lösung zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher
und zwischenstaatlicher Konflikte.
Abschließend wird die Unterscheidung zwischen engem und weitem Politikbegriff
eingeführt, die v.a. in der feministischen Politikwissenschaft aufgegriffen und
diskutiert wird. In der Auffassung des engen Begriffs geht es vor allem um staatliche
Macht und deren Erhalt. Politik wird hier ausschließlich staatlichen Organisationen
zugestanden. Sie findet an klar definierten Orten (z.B. Parlament) statt und zu
bestimmten Zeiten (Sitzungen und Wahlen). Zahlreiche Politikwissenschafter/innen
sind mittlerweile der Ansicht, dass dieser Begriff im 21. Jahrhundert mit den sich
verändernden Formen politischen Handelns nicht mehr zu halten ist. Vielmehr
scheint ein weiter Politikbegriff zeitgemäßer zu sein, der soziale Bewegungen,
NGOs etc. in den politischen Prozess mit einbezieht und andere politische Räume
außerhalb traditioneller Orte erlaubt. Die klare Trennung zwischen öffentlich und
privat wird in dieser Konzeption zudem aufgehoben, womit die Möglichkeit der
Anknüpfung an die feministische Behauptung „Das Private ist Politisch“ gegeben ist.
Private (Familien, Lebensgemeinschaften etc.) und semi-private Räume
(Vereinslokale etc.) werden damit zu Orten politischer Aushandlungsprozesse. In
einer postmodernen Gesellschaft haben sich Strukturen, Institutionen,
Organisationen, aber auch zwischenmenschliche Beziehungen, Lebensläufe und
Lebensentwürfe damit zu beschäftigen, dass sie mit ihren Mustern, Prozessen und
Verfasstheiten hinterfragbar, verhandelbar, konstruierbar oder dekonstruierbar - in
jedem Fall gestaltbar geworden sind. Sämtliche Lebensbereiche und menschliche
Handlungsformen werden damit grundsätzlich politisierbar mit allen damit
verbundenen Risken, Gefahren, aber auch Vorteilen. 48
48 Vgl. Dahl: 1984, Beck: 1986 und Greven: 1994.

53
„Im Politischen zeigen sich die unterschiedlichen Sichten auf die Welt, und die können sich
nur eröffnen, wenn handelnde und sprechende Menschen in all ihrer Pluralität dafür Sorge
tragen, einen Handlungs-, Urteils-, und Erinnerungsraum zu gründen und zu bewahren, der
den weltbezogenen menschlichen Fähigkeiten Raum gibt, ja der es den Menschen
ermöglicht, als politische Wesen in Erscheinung treten.“ (Arendt, Zit. in: Grunenberg: 2000)
Dieser „Handlungs-, Urteils-, und Erinnerungsraum“ lässt sich nicht mehr auf
traditionelle politische Orte und Akteur/innen beschränken. Auch darin liegt die
Anschlussmöglichkeit an feministische Ansätze. Breite und vielfältige Partizipation
bisher ausgeschlossener Gruppen (Ethnien, Frauen etc.) ist hiermit wesentlicher
Bestandteil des Diskurses.
Politikbegriffe, die für feministische Politikberatung in Betracht gezogen werden
müssen, lassen sich demnach entlang folgender Begrifflichkeiten verorten:
1. emanzipatorisch, im Sinne vielfältiger politischer Handlungsfelder
2. normativ, im Sinne klarer Zielformulierungen
3. konsens- und konfliktorientiert, im Sinne einer gewaltfreien, konstruktiven
Konfliktbewältigung
4. weit, im Sinne einer Inklusion von sozialen Bewegungen, NGOs sowie
alternativer Handlungsorte
9. Frauenpolitik
Was bedeutet nun dieser Politikbegriff für so genannte Frauenpolitik? Wie kann unter
diesen Aspekten Frauenpolitik umgesetzt werden? Was bedeutet Frauenpolitik in
Berücksichtigung dieser Unterscheidungen?
Der Begriff „Frauenpolitik“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen mit
unterschiedlichen Implikationen verwendet. Vielfältige Bedeutungen werden mit
transportiert bzw. assoziiert und dahinter stehende (nicht immer emanzipatorische
oder feministische) Politik- und Geschlechterkonzeptionen werden (meist
unausgesprochen) weiter gegeben. Aus diesem Grund sollen hier einige dieser
„mitgelieferten“ Annahmen von Frauenpolitik dargestellt werden.

54
9.1. Implikationen und Themen
Zunächst suggeriert der Begriff „Frauenpolitik“, dass für die Mehrheit der
Bevölkerung eine spezielle Politik erforderlich ist, die unabhängig und ohne in
Verbindung zu „Männerpolitik“ umsetzbar ist. Die Interdependenzen des
Geschlechterverhältnisses werden mit der Fokussierung auf Frauen erneut
ausgeblendet. Politik, die versucht, die Situation von Frauen zu verbessern, bedeutet
immer auch Veränderung der Bedingungen für Männer.
"Mehr Frauen in der Politik bedeutet gleichzeitig weniger Männer...“ 49
Die Erweiterung des Begriffs „Frauenpolitik“ um jenen der „Geschlechterpolitik“
erscheint demnach sinnvoll. Ein weitere Aspekt ist wesentlich: Der Begriff
„Frauenpolitik“ nimmt Frauen als homogene Gruppe an, für die Politik gemacht
werden kann und blendet Vielfalt und Differenzen unter Frauen begrifflich aus. Vor
allem Judith Butler wendet sich gegen die Konstruktion eines „Frauen-Wir“s.
Frauenpolitik setzt bestimmte Themen auf die Agenda, z.B. Zielsetzungen wie
Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Chancengleichheit und Anerkennung.
Auch die Anerkennung von Frauen in ihren Leistungen als Hausfrau und Mutter.
Gerade im ambivalenten Mutterbegriff steckt jedoch für jede Frauenpolitikerin die
Gefahr der Verfestigung von Stereotypen, mit Forderungen nach einem Müttergehalt
beispielsweise, welches die Teilnahme von Männern an Kindererziehung und
Haushalt von vorneherein ausschließt. Anerkennung von Frauen in ihren Leistungen
als Hausfrau und Mutter als Ziel frauenpolitischer Maßnahmen bleibt in der
Abgrenzung von Frauenpolitik und Familienpolitik begrifflich wie inhaltlich unscharf.
Auch wenn es sinnvoll erscheint, unsichtbar gemachte Leistungen von Frauen
sichtbar zu machen, beinhaltet Anerkennung allein noch keine politische
Verbesserung oder Veränderung. Anerkennung mag ein erster Schritt sein, dem
jedoch konkrete Taten der Umverteilung von Macht, ökonomischen Mitteln (sprich
Geld und Vermögen) sowie eine Neubewertung und Neuverteilung von Erwerbs- und
Reproduktionsarbeit folgen müssen.
49 Johanna Dohnal, Festsitzung "70 Jahre Frauenstimmrecht", 1. März 1989.

„Diese Politik der Wertschätzung kostet die Männergesellschaft nichts, sie bringt ihnen aber
viel ein.“ (Rosenberger 1992: 70).
55
Frauen werden in dieser Konzeption zudem nicht als eigenständige Personen
betrachtet, sondern immer als tatsächliche oder potentielle Mütter adressiert. 50
Gleichberechtigung und Gleichstellung (oder österreichisch: Gleichbehandlung) sind
weitere frauenpolitische Anliegen. Maßnahmen, die Gleichstellung herbeiführen,
müssen untersucht und reflektiert werden, entsprechend der Fragestellungen,
inwieweit sie tatsächlich die Situation der Frauen verbessern, Geschlechterrollen
verändern helfen und ob mit der Gleichbehandlung Ungleicher Benachteiligungen
nicht noch verstärkt werden. Im Umgang mit Gleichheitsbegriffen müssen zudem
grundsätzlich drei Zugangsweisen unterschieden werden:
1. Verfahrensgleichheit ( alle sollen gleich behandelt werden)
2. Zielgleichheit ( Ziel für alle definieren und die Benachteiligten mit
Empowerment-Strategien 51 unterstützen)
3. Ausgangsgleichheit (gleiche Startbedingungen)
Die unterschiedlichen Zugänge mit ihren unterschiedlichen Auswirkungen sollten
explizit formuliert und kommuniziert werden. Was die Umsetzung verschiedener
Gleichstellungsmaßnahmen durch institutionalisierte Geschlechterpolitik betrifft,
handelt es sich meist um ein „Top – Down – Prinzip“. Selbst wenn Anregungen und
Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung von nicht institutionalisierten,
gesellschaftlichen Gruppen kommen, handelt es sich in der Realisierung um
„Gesetzgebungspolitik von oben“.
9.2. Feministische Frauenpolitik
Was kann in einem weiteren Schritt der Konkretisierung des Begriffes Frauenpolitik
feministische Frauenpolitik bedeuten? Welche Aspekte und Ziele werden hier ins
Zentrum gerückt?
Eine feministische Interpretation von Frauenpolitik stellt zunächst die Forderung nach
Selbstbestimmung ins Zentrum. Dementsprechend versucht feministisch orientierte
50 Vgl. Rosenberger 1992
51 dt.:Ermächtigung

56
Frauenpolitik Rahmenbedingungen zu schaffen, die Selbstbestimmung unabhängig
von heterosexuellen, patriarchalen Normen ermöglichen und Frauen ohne Blick auf
ihre potentielle Mutterschaft in ihrer Vielfalt und Differenz versucht, wahrzunehmen.
Feministische Frauenpolitik bedeutet dieser Definition nach auch Herrschaftskritik
mit dem Bewusstsein von damit möglicherweise einhergehenden Konflikten.
Herrschaftskritisch ist in diesem Zusammenhang nicht im Sinne von Ablehnung
staatlicher Institutionen zu verstehen. Es bedeutet Machtverhältnisse zu sehen,
immer wieder zu benennen und in die Analyse mit einzubeziehen. Machtverhältnisse
zwischen den Geschlechtern existieren nach wie vor, auch wenn sie vielfach
geleugnet oder nicht als solche benannt werden. Den Diskurs darüber aus
konsenspolitischen Überlegungen nicht zu führen, kann frauenpolitischen Stillstand
bedeuten. Feministische Frauenpolitik lässt sich als partizipatorisch verstehen und
meint damit, die vielfältigen Möglichkeit von aktiver Beteiligung innerhalb des
demokratischen Systems. Auch wenn „ (...) den Institutionen der Formal- bzw.
Realdemokratie keine partizipatorische Erweiterung, schon gar keine emanzipative
Potenz im Sinne einer Erreichung feministischer Politikziele wie Autonomie und
Solidarität, Freiheit und Fürsorge, weiblicher Subjektivität und Handlungsfreiheit
sowie Gewaltfreiheit zuerkannt wird“ (Sauer, Zit. in: Abels/Sifft 1999: 83), muss doch
festgehalten werden, dass beide Frauenbewegung mit ihren Forderungen nach
Partizipation durchaus erfolgreich waren. Sauer nennt hier beispielsweise die dank
der Frauenbewegung neu entstandene Gleichstellungspolitik, die
„ (...) zur Professionalisierung von Frauenpolitik mit der Chance kompetenter Durchsetzung
von Fraueninteressen (führte). (...) Frauenpolitische Arbeit vor Ort – in semistaatlichen
Einrichtungen der Frauenbewegung wie Frauenhäusern, Frauennotrufen oder
Mädchenzentren – (ist) heute ohne kommunale Gleichstellungsstellen nicht mehr denkbar“.
(ebd)
Feministische Frauenpolitik bedeutet somit intensive Kooperation zwischen
politischen Akteurinnen in staatlichen Institutionen und Akteurinnen der (mittlerweile
ebenfalls institutionalisierten) bzw. „semistaatlichen“ Frauenbewegung. Rosenberger
beschreibt rückblickend die Erfolge der österreichischen Frauenbewegung mit der
„ (...) politische(n) Notwendigkeit des sich Aufeinanderbeziehens der Bewegungsfrauen und
der professionellen Politikerinnen (...) Erfolgreich war Frauenpolitik immer dann, wenn sich
beide Flügel abgestimmt haben, wenn sie sich gegenseitig ihrer Unterstützung versicherten

(...) Umgekehrt gilt, dass für die institutionelle Frauenpolitik die autonome Frauenbewegung
Rückendeckung leistete.“ (Rosenberger 1992: 61)
57
Feministisch - partizipatorische Frauenpolitik meint in diesem Sinne die Möglichkeit
der gestaltenden Teilnahme an politischen Prozessen und das Bewusstsein von
unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Zusammenhängen.
Demnach ist der ständige Austausch unerlässlich, um Forderungen und gegenseitige
Erwartungen angemessen formulieren zu können. In diesem Sinne sind auch
verschiedene Formen frauenpolitischer Argumentation anzuerkennen und nicht
gegen einander auszuspielen: Defizitargumentation gegen geschlechterpolitische
Argumentation. Sowohl der Hinweis auf vorhandene Defizite ist wertvoll und in der
Anwendung strategisch notwendig, als auch der Verweis auf die Auswirkungen für
beide Geschlechter. Zuguterletzt bedeutet feministische Frauenpolitik auch die Kritik
an der Ökonomisierung von Politik mit den negativen Auswirkungen v.a. auf
Frauen. Demokratie, die sich neoliberalen Marktprinzipien wie Effizienz, Konkurrenz
und Profitmaximierung unterwirft, bedeutet ein Ende sozialstaatlicher Regelungen 52 ,
Entsolidarisierung und das Ende des politischen Diskurses. Feministische
Frauenpolitik braucht Handlungsräume, Ressourcen und Zeit, um wichtige Debatten
ausführlich und öffentlich führen zu können. Effizienzkriterien sind hier fehl am Platz.
Mit den Worten Birgit Sauers:
„Gefährdungen der Demokratie liegen (...) derzeit nicht in zuviel Staat, sondern in zuwenig
Staat (...) Somit erfordert gesellschaftliche Demokratisierung (...) Frauenpolitik >mit dem<
Staatsapparat >gegen< den Staatsapparat (...), d.h. gegen die Ökonomisierung der Politik
und gegen die Dominanz der Ökonomie.“ (Sauer, Zit. in: Abels/Sifft 1999 : 98)
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass feministische
Frauenpolitik einen weiten Politikbegriff vertritt. Nicht nur im normativen Bereich
findet somit Frauenpolitik statt, sondern auch – wie erwähnt - in privaten, semiprivaten
und als Frauenorte institutionalisierten Organisationen
(Frauenberatungsstellen, Büros von Gleichbehandlungsbeauftragten, Frauenhäuser,
feministischen Bildungseinrichtungen und Lehrgängen etc.). Feministisch - politische
Handlungsformen verstehen sich somit als emanzipatorisch, partizipatorisch und
52 Vgl. Sauer

konsens- und konfliktorientiert, im Sinne einer friedlichen Lösung vorhandener
Konflikte zwischen den Geschlechtern.
58

59
„Eine radikale Feministin darfst du da herinnen nicht sein,
sonst müsstest du ihnen jeden Tag eins drüberziehen.“
Zitat einer Abgeordneten 53
Auch unsere Genossen sind Patriarchen,
Männer, die vom Männersystem profitieren
und es deshalb erhalten wollen.
Helga Konrad 54
9.3. Frauenpolitikerinnen - Parteifrauen
Feministische, emanzipatorische Frauenpolitik braucht Frauen. Das biologische
Geschlecht ist zwar kein Garant für feministische Politikkonzepte und Strategien 55 ,
das Bewusstsein des sozial – konstruierten Geschlechts mit der entsprechenden
Sozialisation und den jeweiligen Diskriminierungserfahrung kann handlungsleitend
sein. Persönliche Betroffenheit von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen ist
nicht selten die Motivation für Frauen, in die Politik zu gehen. Der Wunsch nach
Veränderung und aktiver Gestaltung dieser Veränderungsprozesse leitet alle
Politikerinnen. Nicht alle sind Frauenpolitikerinnen oder wollen Frauenpolitik
umsetzen, aber alle werden aufgrund ihres Geschlechts immer auch als
Interessensvertreterinnen von Frauen gesehen oder behandelt. Allein aufgrund ihres
Geschlechts stehen ausgesprochene und unausgesprochene Erwartungen von
Frauensolidarität, Engagement für die verschiedensten Fraueninteressen und
emanzipatorisches Bewusstsein im Raum. Gerade letztere Erwartung wird immer
wieder enttäuscht, nicht zuletzt durch divergierende Vorstellungen von Emanzipation
bzw. was Engagement für Frauen beinhalten könnte. Bothfeld beschreibt politische
Akteur/innen als „Träger kollektiver Identitäten“ und Politik u.a. auch als einen
„Prozess der Formierung von Identitäten“. (Bothfeld 2005: 112) Womit auch eine
gewisse Vorbildwirkung angesprochen ist. Männliche Politiker werden, auch wenn sie
beabsichtigen, frauenpolitische Maßnahmen umzusetzen, nicht unter diesen
53 Zit. in: Rossmann 1995
54 Zweite Frauenministerin Österreichs, Zit. In: Rösslhumer 2001
55 Vgl. Kap. 6

60
Aspekten wahrgenommen und akzeptiert. „Frau – sein“ stellt in diesem
Zusammenhang demnach ein konstitutives Element dar.
Wie kommen Frauen nun in machtvolle Positionen, um stellvertretend für andere
Frauen Politik machen zu können? In der Struktur der österreichischen Demokratie
gelangen Frauen in der Regel nur über ihre Parteizugehörigkeit in politische
Positionen. Als niederschwellige Zugangsmöglichkeit sind regionale Parteigruppen
auf Bezirks- oder Landesebene anzusehen. Trotz oder gerade wegen des
unmittelbaren Kontaktes ist die Beteiligung von Frauen an Politik auch hier noch
äußerst gering. Das fehlende Engagement von Frauen auf Gemeindeebene lässt
sich mit traditionellen Rollenmustern erklären. Auch größere Teilorganisationen vor
allem der Großparteien SPÖ und ÖVP, wie Gewerkschaften, Arbeiterkammer,
Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer etc. können Zugangsmöglichkeiten
bieten. Diese grundsätzliche Möglichkeit ist jedoch nicht gleichbedeutend mit
Aufstiegschancen innerhalb dieser vorparlamentarischen Organisationen. Auch hier
ist die Anzahl von Frauen in machtvollen, hohen Positionen gering. 56 In den beiden
Großparteien Sozialdemokratische Partei (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) können
Politikerinnen auf ihre jeweiligen Frauenorganisationen zurückgreifen, die beide 1945
gegründet wurden: die „Bundesfrauenorganisation“ der SPÖ – Frauen und die
„Österreichische Frauenbewegung“ der ÖVP – Frauen. Die momentan
oppositionellen Kleinparteien verfügen nicht über diese jahrzehntelange Tradition der
internen Frauenorganisationen. Die Frauen der Freiheitliche Partei gründeten erst
1995 unter Ursula Haubner die „Initiative Freiheitliche Frauen im Parlament“, mit
Landessprecherinnen in jedem Bundesland und dem Ziel weiter Mitglieder zu
gewinnen sowie interne Weiterbildung weiblicher Parteimitglieder zu ermöglichen.
Die Frauen der Grünen Partei besitzen nach wie vor keine formal festgelegte
Frauenorganisation. Auf Landesebene existieren jedoch kleinere und größere
Gruppen, die zweimal jährlich thematische Netzwerktreffen unter der
Schirmherrschaft der jeweiligen Bundesfrauensprecherin organisieren. Unter dem
Titel „Bundesfrauenkonferenz“ ist für diese Frauengruppen trotz der fehlenden
Organisationsstruktur von Seiten der Bundespartei ein fixes Budget für deren
Tätigkeiten vorgesehen. Dennoch merkt eine ihrer Vertreterinnen in einem Interview
kritisch an, dass selbst bei den Grünen, frauenpolitische Agenden eher geduldet als
56 Vgl. S. 80

aktiv unterstützt werden. 57 Rosenberger beschreibt dies als “gegebene Macht”, wobei
auffallend sei,
61
„ (...) dass sich Frauen an die von Männern vorgegebenen Besitzstände und Grenzen
halten.“ (Rosenberger, Zit. in: Rösslhumer/ Appelt 2001: 66)
Die Tatsache, dass diese grünen Frauennetzwerke nicht hierarchisch organisiert
auftreten, ermöglicht es ohne regulär vorgeschriebenem Weg politisch aktiv werden
zu können und auch parteiintern aufzusteigen. Parteimitgliedschaft ist im Gegensatz
zu den Großparteien keine Voraussetzung für aktive politische Tätigkeit innerhalb der
Grünen Partei. Unkonventionelle Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen hat in den letzten
Jahren auch die Freiheitliche Partei geboten. Der allgemeine politische Trend der
„Quereinsteiger/innen“ ermöglichte einigen Frauen „Blitzkarrieren“ 58 , wobei sich so
manche sehr bald im politischen Widerspruch mit der männlich Parteiführung
wiederfanden - vor allem dann, wenn sie ihren eigenen politisch-inhaltlichen Weg
gehen wollten bzw. sich liberaler als ihre Parteispitze äußerten. Nicht zuletzt führten
diese Widersprüche zu Parteiaustritten der Politikerinnen und 1993 sogar zur
Gründung einer neuen Partei unter der Führung von Heide Schmidt mit dem
Liberalen Forum.
Es lässt sich demnach festhalten, dass in Parteistrukturen engagierte Politikerinnen
unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten und –beschränkungen in den jeweiligen
Parteien vorfinden. Verschieden sind auch ihre parteiinternen Frauenorganisationen.
Frauenpolitische Programme werden in allen Parteien in unterschiedlichem Umfang
formuliert. Über die Frauenorganisationen werden Fortbildungen für
Nachwuchspolitikerinnen organisiert, Austausch untereinander und inhaltliche
Abstimmung miteinander gepflegt. Sie können auch generell als innerparteiliche
Lobby gesehen werden, die Rückhalt in der Umsetzung politischer Forderungen
bietet. Zudem gelten vor allem die Organisationen der Großparteien als
„Rekrutierungskanäle für aufstiegsorientierte Kandidatinnen“. (Steininger, Zit. in:
Hoecker 1998: 276). Der Weg über die Partei in die Politik bedeutet Sozialisation als
Politikerin mit den jeweiligen Normen und Wertesystemen der Partei sowie den darin
enthaltenen Frauenbildern. Daraus entwickelt sich in der Regel eine starke Loyalität
gegenüber der Partei und ihren männlichen Repräsentanten.
57 Vgl. Interview 2: 313
58 Vgl. Rösslhumer/ Appelt: 1992

62
„Eine Loyalität, die selbst dann noch, wenn diese offen gegen Fraueninteressen handelt,
aufrechterhalten wird. Das ominöse Parteiinteresse tritt an Stelle von Parteilichkeit im
Interesse von Frauen.“ (Rosenberger, Zit. in: Rösslhumer/Appelt 2001: 66).
9.4. Frauenbilder
Welche Frauenbilder entstehen nun während einer „Sozialisation durch die Partei“
bzw. welche Bilder werden von den Akteurinnen hinein getragen, verändert oder
verfestigt? Ein Blick in die Geschichte der Parteien und die frauenpolitischen
Programme ermöglicht eine Annäherung. Frauenprogramme werden im vorliegenden
Zusammenhang sowohl unter dem Aspekt von Zielformulierungen als auch im Sinne
einer Konzeption des politischen Subjekts „Frau“ verstanden. Die in Umfang, Inhalt
und Gestaltung sehr unterschiedlichen Frauenprogramme werden im Folgenden
hinsichtlich ihres „Agenda Settings“ von frauenrelevanten Themen, ihrer Abgrenzung
zu Familienpolitik und ihrer angebotenen politischen Lösungsstrategien untersucht.
Aspekte der historischen Entwicklung und zentralen Zielsetzungen werden mit
berücksichtigt.
9.4.1. Das Frauenbild der Sozialdemokratischen Partei
Die Forderungen nach Gleichberechtigung, Bildung und „Gleicher Lohn für gleiche
Arbeit“ finden sich von Anfang an in den Programmen der sozialdemokratischen
Parteifrauen. Auch wenn Berufstätigkeit von Frauen als ökonomische
Unabhängigkeit und Voraussetzung für Gleichberechtigung angesehen wird, sind
sich die sozialdemokratischen Frauen in den restaurativen Jahren der Nachkriegszeit
nicht so sicher, ob Mütter nicht doch verstärkt zu Hause bleiben sollten. Den „Luxus“
„Nur-Hausfrau“ zu sein, konnten sich seit der Industrialisierung nur die wenigsten
Arbeiterinnen leisten. Bei der Mehrheit der Arbeiter/innenfamilien reichte das
Einkommen des Mannes nicht aus, um die gesamte Familie ernähren zu können. Mit
zunehmendem Wohlstand und der damit einher gehenden „Verbürgerlichung“ der
sozialdemokratischen Familie wird es auch für den überzeugten Sozialdemokraten
ein Zeichen von gelungenem Lebensentwurf, tatsächlich Alleinernährer sein zu
können. Frauen sollten und mussten auf eigenes Einkommen und die damit
verbundene Unabhängigkeit verzichten. Berufstätigkeit von Frauen und die
Vereinbarkeit bleibt dennoch zentrales Thema der Sozialdemokratinnen. Das

63
Frauenbild hat sich in den letzten Jahrzehnten umfassend erweitert. Nicht zuletzt
auch durch den engen Kontakt mit der autonomen Frauenbewegung. Die enge,
politische Zusammenarbeit der sozialdemokratischen Frauen in den 70er und 80er
Jahren im Kampf um das Recht auf Abtreibung, Selbstbestimmung,
Familienrechtsreformen etc. mit der Autonomen Frauenbewegung führt trotz vieler
Meinungsunterschiede über Vorgangsweisen, Strategien und Zugeständnisse an das
vorhandene politische System zu zahlreichen frauenpolitischen Erfolge. Die
Erweiterung des sozialdemokratischen Frauenbildes um diese Konzeptionen kann
durchaus in direkter Verbindung mit dem Einfluss der Ideen und Konzepte der
autonomen Frauenbewegung gesehen werden. Das aktuelle, sehr umfangreiche
Frauenprogramm trägt der Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe Rechnung und benennt
Diskriminierung von Frauen in allen Gesellschaftsschichten und in den
verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen. Angesprochen werden Mädchen und
Frauen aller Altersgruppen, Alleinerzieherinnen, Frauen in homosexuellen
Lebensgemeinschaften, Transsexuelle und Transgender ebenso wie
Unternehmerinnen oder Frauen im ländlichen Raum. Aktive Anti-
Diskriminierungsmaßnahmen finden sich in dem Programm ebenso als Strategie
wieder wie jene des Gender Mainstreamings oder Frauenförderprogramme.
Erkenntnisse aus verschiedenen feministischen Theorierichtungen sind hier
offensichtlich eingeflossen – auch jene der Queer Theory, wenn auch nur kurz
angesprochen und nicht so detailliert kommentiert wie andere Bereiche.
Maßnahmen, wie alternative Lebensgemeinschaft unterstützt werden können,
werden vorgeschlagen und damit eine Erweiterung des klassischen Familienbegriffs
vorgenommen.
9.4.2. Das Frauenbild der Österreichischen Volkspartei
Auch hier zeigt sich historische Kontinuität in den Forderungen. Bildung steht schon
bei der Bürgerlichen Frauenbewegung der Jahrhundertwende zum 20.Jahrhundert
als eine der wesentlichsten Forderungen im Zentrum und stellt auch im aktuellen
„Leitantrag Frauen.Zukunft.Österreich“ 59 der ÖVP - Frauenbewegung aus dem Jahr
2006 eine zentrale Forderung dar. Mädchen und Frauen sollen in ihrer Aus- und
59 Auszugsweise nachzulesen bzw. per Email zu bestellen unter www.frauenoffensive.at

64
Weiterbildung gefördert und animiert werden, technische Berufe mit höheren
Einkommenschancen zu wählen. Berufstätigkeit von Frauen gehört mittlerweile als
fester Bestandteil zum christlich-konservativen Frauenbild der ÖVP – Frauen.
Berufstätigkeit und die Vereinbarkeit von Beruf mit Familie waren jedoch nicht immer
Programm der christlich-konservativen Frauen. Vor allem in den Jahren nach 1945
stehen Mütterlichkeit und Familienarbeit im Zentrum des Frauenbildes. Frauen
sollten die Resozialisierung ihrer Männer nach dem Krieg übernehmen und sich, so
meint Lola Solar, eine der führenden ÖVP Politikerinnen, der ersten Nachkriegsjahre
„...mit ihrer tiefen mütterlichen Verantwortung und Sorge um die Gesundung und das Leben
des schwergeprüften Volkes (kümmern).“ (Rösslhumer/Appelt 2001: 104)
Kinder, Küche, Kirche – die „drei K’s“, die schließlich von der Zweiten
Frauenbewegung als abzulehnender Lebensentwurf kritisiert werden – stehen lange
Zeit im Mittelpunkt dieses Frauenbildes. Mutterschutz, Unauflösbarkeit der Ehe zur
Versorgung der Ehefrau und Mutter durch den Ehemann, Kampf gegen
„familienzerstörende Tendenzen in Literatur, Film, Theater und Presse“
(Rösslhumer/ Appelt 2001) etc. werden als Ziele der christlich-sozialen
Frauenbewegung formuliert. Weibliche Berufstätigkeit wird als unfreiwilliger,
wirtschaftlicher Zwang interpretiert. Die „Freiheit“ bei den Kindern bleiben zu können,
sollte garantiert werden. Mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Veränderungen der 60er und 70er Jahre ändert sich diese Auffassung. Erwerbstätige
Frauen werden fester Bestandteil der gesellschaftlichen Realität, auch erwerbstätige,
bürgerliche Frauen. Der damals entstandene Begriff der Wahlfreiheit – Beruf
und/oder Mutterrolle – findet sich bis heute im frauenpolitischen Programm. Das
neue Leitbild einer selbstständigen, selbstbewussten Frau setzt sich durch.
Partnerschaftlichkeit soll das Geschlechterverhältnis bestimmen. In der Analyse des
aktuellen Leitbildes finden sich Vorstellungen von Ansätzen aus dem in der
feministisch-wissenschaftlichen Forschung mittlerweile als überholt geltendem
Differenzansatz, der von einer grundsätzlichen Verschiedenheit der Geschlechter
ausgeht und dem jeweiligen Geschlecht entsprechende, besondere Eigenschaften
zuschreibt. Frauen werden hier „spezielle weibliche Fähigkeiten“ wie „Flexibilität,
Ausdauer, Koordinationsfähigkeit, Intuition, soziale Kompetenz u.v.m“ 60
60 Siehe unter www.frauenoffensive.at

65
zugeschrieben. Andererseits werden ansatzweise die Debatten der 80er und 90er
Jahre um die Verschiedenheit von Frauen und die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe
aufgegriffen. Diese Vielfalt soll anerkannt werden. Welche Lebensentwürfe hier mitgemeint
sind, wird nicht genauer ausgeführt. Homosexuelle Lebensformen oder
Transgender werden hier nicht erwähnt. Explizit werden lediglich Anliegen der
„Unternehmerinnen“, „Frauen mit Kindern im Berufsleben“, „Frauen im ländlichen
Raum“ und „aktive Seniorinnen“ angesprochen. Der Begriff „Gleichheit“ wird
verworfen und durch „Gleichwertigkeit“, „Gerechtigkeit durch gleiche Chancen“ und
„Leistungsgerechtigkeit“ ersetzt. Um diese herzustellen werden flächendeckend
Kinderbetreuungseinrichtungen gefordert, „Bewusstseinsbildende Initiativen und
entsprechende Rahmengesetze durch die Politik, verpflichtende Karrieregespräche
vor der Babypause, Wiedereinstiegsplanung und Weiterbildungsaktivitäten während
der Kindererziehungszeiten(...)“ 61 vorgeschlagen. Um „einen Fuß in der Tür des
Unternehmens zu lassen“ schlagen die ÖVP Frauen „Telearbeit von zu Hause“ vor.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich das Frauenbild der ÖVP Frauen
um die berufstätige Frau und die Unternehmerin erweitert hat und damit das Thema
„Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft“ ebenfalls eine zentrale Rolle einnimmt.
„Entscheidungsfreiheit“ und „Wahlfreiheit“ werden als frauenpolitische Ziele
formuliert. Anleihen aus unterschiedlichen feministischen Theorieansätzen bzw.
Debatten lassen sich erkennen, von denen einige jedoch im wissenschaftlichen
Diskurs kritisch diskutiert bzw. als widerlegt angesehen werden.
9.4.3. Das Frauenbild der Grünen Alternativen
Vorab erscheint es notwendig festzuhalten, dass die Grüne Partei als relativ junge
Partei der österreichischen, politischen Landschaft anzusehen ist. Entstanden aus
den zahlreichen sozialen Bewegungen der 1970er und 80er Jahre
(Frauenbewegung, Friedensbewegung, Dritte Welt Bewegung,
Alternativschulbewegung, Anti-Atomenergiebewegung, Ökologiebewegung etc.) zieht
die Partei 1986 erstmals in den Nationalrat ein. Von Anfang an ist „die
Gleichberechtigung der Frau im Beruf, Politik und in der Gesellschaft“
(Rösslhumer/Appelt 2001: 158) Teil ihres Wahlprogramms. Frauen sind schon in der
61 „Frauen.Zukunft.Österreich“, Leitantrag der Österreichischen Frauenbewegung zum 19. o.
Bundestag am 16. September 2006.

66
Gründungsphase eine starke, politisch aktive Gruppe innerhalb der Partei.
Dementsprechend sind Parteistrukturen entstanden, die nicht ausschließlich an den
Bedürfnissen der männlichen Parteimitglieder orientiert sind. Besonders positive
Wirkung zeigt die schon knapp nach der Gründung selbstauferlegte 50% Quote. So
ist die Partei der Grünen Alternative die einzige parlamentarische Gruppierung mit
einem konstanten Frauenanteil von über 50% 62 . Frauen verfügen parteiintern über
eine starke Stimme, frauenpolitische Anliegen sind fester Bestandteil des
Grundsatzprogramms. Unter der Überschrift „Frauenpolitik – Genderpolitik“ beginnen
die frauenpolitischen Forderungen des Grünen Programms mit der Feststellung
patriarchaler Herrschaftsstrukturen und der Zielformulierung:
„Ziel Grüner Genderpolitik ist eine geschlechterdemokratische Gesellschaft, in der
selbstbestimmtes Leben für alle Frauen und Männer ebenso wie feministisches Handeln
Realität ist und bestehende geschlechtsspezifische Diskriminierungen, wie etwa Sexismus
beseitigt.“ 63
Frauenpolitik wird als Anti - Diskriminierungs- und Gleichstellungspolitik definiert.
Neben Maßnahmen, die auch in anderen Konzepten zu finden sind, z.B. Bildung von
Mädchen und Frauen, ergänzen Forderungen nach der Umsetzung des
Frauenvolksbegehrens 64 , Quotenregelungen und damit verbundene „angemessene
Sanktionen“ oder kritische Männerforschung und Männerpolitik mit den Zielen
Überforderung der Männer durch die Alleinerhalterrolle oder schädliches Verhalten
(Gewaltausübung, Alkoholismus etc.) abzubauen, den Forderungskatalog. Aktive
Anti-Diskriminierungspolitik wird auch in Zusammenhang mit Homosexuellen,
Transsexuellen und Transgender gefordert. Die Vielfalt von Lebens- und
Beziehungsformen wird explizit angesprochen und mit politischen Forderungen
verknüpft. Die Auseinandersetzung mit Gender Theorien und Queer Theory ist hier
offensichtlich gegeben. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch der bewusste
Einsatz der Begriffe „Selbstbestimmung“ und „Feminismus“. Wie schon erwähnt,
kann Feminismus als Hindernis für politische Auseinandersetzung aufgrund negativer
62 53% lt. Grüner Frauenbericht 2006
63 Grünes Grundsatzprogramm beschlossen am 20. Bundeskongress der Grünen in Linz, 2001
64
Das Frauenvolksbegehren wurde 1997 abgehalten und von 644.977 Menschen unterzeichnet. Die
Forderungen wurden bis heute nicht umgesetzt. Details siehe Anhang.

Konotierungen betrachtet werden oder als Programm gezielt eingesetzt werden.
Zweites trifft hier zu.
67
9.4.4. Das Frauenbild der Freiheitlichen Partei
Frauenpolitik bedeutet in der Geschichte des Frauenbildes der Freiheitlichen Partei
vor allem Familienpolitik. Dementsprechend findet sich im freiheitlichen
Parteiprogramm kein eigenes Kapitel, das frauenpolitische Themen oder
Problemfelder des Geschlechterverhältnisses behandelt. Dem Bereich Familie wird
unter dem Titel „Familie – Gemeinschaft der Generationen“ ein eigenes Kapitel
gewidmet, welches sich ausschließlich auf das traditionelle Familienmodell bezieht
und den Schutz der „Autonomie der Familie“ sowie Kindererziehung in den
Vordergrund stellt. Andere Familienformen werden in diesem Programm nicht
erwähnt. 65 Ebenso wenig wie Frauen und Männer als Akteur/innen in den Familien
explizit erwähnt werden. Auf der Website der Initiative Freiheitliche Frauen finden
sich frauenpolitischen Ansätze, die jedoch trotz der Formulierungen
„partnerschaftliches Miteinander der Geschlechter und Generationen“ oder
„selbstbestimmtes Leben von Frauen, das die Wahlfreiheit von Familie, Beruf oder
beidem miteinander möglich macht“ Frauen hauptsächlich über Mutterschaft
definieren. Forderungen wie „Grundsicherungsmodell für Mütter“ oder
„Erziehungsgehalt“ veranschaulichen dies. Trotz Verwendung von Vokabular aus
feministischen Kontexten (z.B. Selbstbestimmung) bleibt das freiheitliche Frauenbild
an den klassischen Mütter- und Familienbildern orientiert. Neben traditionellen
Mutterbildern (möglichst viele Kinder) findet sich seit der Zeit des schnellen Aufstiegs
der Partei in den 90er Jahren auch das Bild der erfolgreichen, in die Partei
quereinsteigende Karrierefrau.
9.4.5. Das Frauenbild Bündnis Zukunft Österreich
Im April 2005 spaltete sich die Freiheitliche Partei zum zweiten Mal. Aus dieser
Spaltung heraus entsteht das Bündnis Zukunft Österreich unter Jörg Haider. Ein
ausformuliertes frauenpolitisches Programm dieser neuen Partei scheint nicht
65 Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei Österreichs vom 27.ordentlichen Bundesparteitag in
Salzburg, 2005

68
vorzuliegen. Das Prospekt mit dem Titel „Politik für Frauen“ zählt schlagwortartig
einige Themen und Lösungsansätze auf. Neben Forderungen wie „Gleicher Lohn für
gleichwertige Arbeit“, „Bessere Beschäftigungschancen“ und „gut ausgebildete
Frauen“ findet sich mit dem Ziel der Vermeidung von Frauenarmut die Forderung
nach einer „ >Mütterpension< für alle Frauen, die älter als 60 Jahre sind, mindestens
ein Kind großgezogen haben und keine eigene Pension haben.“ Auch hier dominiert
die Thematik „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“. Auch hier werden Frauen
werden hauptsächlich als Mütter oder potentielle Mütter angesprochen. Alternative
Lebensentwürfe scheinen nicht auf.
9.5. Zusammenfassung
Forderungen der Zweiten Frauenbewegung, Erkenntnisse der feministischen
Forschung, Gender Studies und Queer Theory finden in unterschiedlichster Form
Eingang in die frauenpolitischen Programme der einzelnen Parteien. Die Bandbreite
reicht von der floskelhaften Verwendung feministischer Formulierung aus
frauenbewegten Zusammenhängen bis zu differenzierter Beschreibung einzelner
Themenbereiche der Geschlechterforschung in Verbindung mit entsprechenden
Lösungsansätzen und Forderungen. Das Themenfeld „Vereinbarkeit von Beruf und
Familie“ wird in allen Programmen behandelt, in nahezu allen an zentraler Stelle. Das
Frauenbild der einzelnen Parteien ist ebenso unterschiedlich und reicht von
„ausschließlich an der Mutterrolle orientiert“ bis hin zu vielfältigen Lebensentwürfen,
die lesbische, transsexuelle, transgender Lebensweisen mit einschließen. Inwieweit
die Inhalte der jeweiligen Frauenprogramme parteiintern und bei Wählerinnen und
Wählern bekannt sind, wäre durchaus von Interesse und könnte Inhalt zukünftiger
Untersuchungen sein. Im Anschluss an diese ausführliche Analyse der Repräsentanz
von Frauen, frauenpolitischen Ansätzen und Frauenbildern der einzelnen
Parlamentsparteien stellt sich nun die Frage, wo und wie feministische
Politikberatung ansetzen könnte bzw. ob feministische Politikberatung in der sehr
österreich - spezifischen, politischen Landschaft überhaupt ein geeignetes Instrument
zur Beförderung einer emanzipatorisch – feministischen Politik geeignet ist. In
Annäherung an diese Form der Wissensvermittlung folgt in einem ersten Schritt eine
Annäherung an den Begriff der Politikberatung.

69
10. Politikberatung
„Die moderne Gesellschaft erzeugt in einem hohen Maße das Phänomen der Beratung.
Zumindest in den Kern- und Schlüsselzonen funktionaler Differenzierung wird kaum jemand
den Beratungsfunktionen entkommen, die von Ernährungs- und Gesundheitsberatung über
Klimakteriumsproblemberatung für Männer in den Endvierzigern, von Ehe- und
Partnerschaftsberatung bis hin zu Unternehmens- und Politikberatung reichen und insofern
längst reflexiv geworden ist, als die Beratung ihrerseits beraten werden kann durch eigens
dafür installierte Beraterberatungen (...) Unter diesen Bedingungen lässt sich die moderne
Gesellschaft, wenn man auf summarische Kennzeichnung Wert legt als
Beratungsgesellschaft beschreiben.“ (Fuchs/ Mahler, Zit. in: Falk et al. 2006: 59)
Die Welt der westlichen Industrie- und Informationsgesellschaft ist hochkomplex
geworden. Es gibt keine einfachen Antworten, keine Eindeutigkeiten und vor allem
keine dauerhaften Wahrheiten. Weder erklären ehemals klare Dichotomien von „Gut“
und „Böse“, Westen und Osten, Kapitalismus versus Sozialismus die Welt der Politik,
Frau und Mann, noch sind die wissenschaftlichen Wahrheiten unumstößlich. Es ist
noch nicht alles erklärt und erforscht, alte Theorien müssen revidiert und neu
interpretiert werden oder überhaupt neuen Ansätzen weichen. Neue Techniken und
geopolitische Konstellationen, die vielkommentierte Globalisierung und die damit
einhergehenden Veränderungen der Gesellschafts- und Arbeitsstrukturen lässt es
notwendig erscheinen sich in den einzelnen Problemfeldern Rat und Beratung
einzuholen.
Beratungssituationen zwischen politischen Akteur/innen und Wissenschafter/innen
erweisen sich jedoch selbst als komplex und vielschichtig. Peter Weingart bringt es
zunächst mit der Formulierung auf den Punkt, es handle sich um eine
„ (...) potentiell konfliktträchtige Machtkommunikation zwischen wahrheitsorientierten
Experten und machtorientierten Entscheidern (...) “ (Weingart, Zit. in: Falk et al. 2006: 42)
und beschreibt die
„(...) unterschiedlichen institutionellen Konfigurationen der Politikberatung auf einem
Kontinuum (...), das von hoher Autonomie der Berater am einen Ende, bis zu deren
politischer Abhängigkeit am anderen Ende reicht.“ (ebd)

70
Inhaltlich wird Politiker/innen einerseits vorgeworfen, sie seien beratungsresistent,
andererseits wird kritisch kommentiert, sie würden keine politischen Haltungen
vertreten, sondern nur mehr in „Sachzwangterminologien“ 66 verhaftet und
Handlanger einer „Expertokratie“ sein. Die Kommunikation zwischen Expert/innen,
Wissenschafter/innen und Politiker/innen zeigt sich dementsprechend kompliziert,
ambivalent und ist geprägt von zu hohen Erwartungen mit den vorprogrammierten
Enttäuschungen. Enttäuschungen, die häufig ihre Ursache in den widersprüchlichen
Vorstellungen, die beide Teile – Wissenschaft und Politik – voneinander haben,
finden. Die Tatsache, dass beide Bereiche unterschiedlichen Funktionslogiken folgen
und dies den beteiligten Akteur/innen nicht immer bewusst ist, bezeichnet eine
weitere Quelle für Kommunikationsschwierigkeiten. Im Folgenden werden einige
Faktoren dieser verschiedenen Logiken mit ihren Auswirkungen auf die Praxis der
Politikberatung sowie Ansätze der traditionellen Politikberatung erläutert.
10.1. Problemfelder wissenschaftlicher Politikberatung
„Unter wissenschaftlicher Beratung der Politik im weiteren Sinne kann man die Beratung
durch Personen verstehen, die wissenschaftliche Methoden und Denkweisen anzuwenden
verstehen (...) die hauptberuflich in der Forschung stehen und auf Grund (neuer)
wissenschaftlicher Erkenntnisse politische Instanzen beraten.“ (Lompe, Zit. in: Falk et al.
2006: 59)
Was ist nun mit „wissenschaftlichen Methoden und Denkweisen“ gemeint, die diese
Produktionsform von Wissen von anderen Entstehungsformen von Wissen und auch
dessen Bewertung unterscheidet? Weingart führt hierzu vier Grundkategorien an, die
wissenschaftlichem Wissen mehr Glaubwürdigkeit und höheres Ansehen
verschaffen: Zunächst ist die Grundausbildung von Wissenschafter/innen jene
Voraussetzung, die neben der Begründung ihres Status und der Zugehörigkeit zu
wissenschaftlichen Institutionen auch die erforderlichen Grundlagen für
wissenschaftliches Arbeiten vermittelt. Die formalen Ausbildungswege schließen mit
den entsprechenden Zertifizierungen, die wiederum – wie Bourdieu es bezeichnet –
66 Vgl. Wirtschafts– und Weltmarktmechanismen, die immer wieder als unveränderbarer Zwang
präsentiert werden.

71
„symbolisches Kapital“ 67 darstellen, ab. Durch „methodisch angeleitete Recherche
und Forschung“ gelangen Forschende zu ihren Ergebnissen und Erkenntnissen, die
schließlich durch „selbstbezügliche Qualitätssicherung“ (peer review) hinterfragt,
überprüft, bestätigt oder verworfen werden. Wissenschaft und Forschung lebt
demnach von Diskurs, offener Auseinandersetzung und gegenseitiger – positiver wie
negativer - Kritik.
„Es wird von Kommunikationsgemeinschaften entwickelt und getragen (...), deren Einfluss
sich (...) aus der Kraft ihrer Argumente ergibt.“ (Weingart, Zit.in: Falk et al. 2006: 36)
Entsprechend dieser Produktionsweisen und „Methoden der Wissenssicherung“ wird
wissenschaftlich produziertem Wissen höhere Glaubwürdigkeit und Autorität zu
geschrieben.
Die Funktionslogik der Politik bezieht sich in demokratischen Systemen auf
Mehrheitsverhältnisse und die damit einhergehende politische Legitimität. In seinem
Politikanalyseansatz setzt Pierre Muller „ (...) politische Probleme nicht als gegeben
voraus, sondern betrachtet sie als ein Konstrukt der Akteure, die das Verhältnis
zwischen Politiksektor und Gesamtgesellschaft interpretieren und dabei
möglicherweise die Notwendigkeit politischer Interventionen ableiten oder auch
nicht.“ (Muller, Zit. in: Bothfeld 2005: 83 ). Bothfeld interpretiert:
„Politische Probleme entstehen erst durch die Interpretation der gesellschaftlichen,
politischen und ökonomischen Verhältnisse durch die politischen Akteure (...) Politische
Probleme sind ohne diese Konstruktionsleistung nicht denkbar.“ (ebd)
Was nun die Ziele die Politik in der Praxis angelangt, so können kurzfristige politische
„sektorielle“ (ebd) Ziele in einzelnen Teilbereichen genannt werden bzw. das
Idealziel des Gemeinwohls generell angeführt werden. Der Handlungsspielraum
politischer Akteur/innen in der Umsetzung dieser Ziele ist durch die Struktur der
politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse beschränkt
(Mehrheitsverhältnisse, gesellschaftspolitische Legitimation bestimmter Themen,
67 Das symbolische Kapital ist ein Begriff aus der Soziologie. Nach Pierre Bourdieu umfasst es u.a.
folgende Merkmale: Es verleiht den Eigentümer/innen in engem und weitestem Sinne Reputation,
Ehre und "soziale Macht", so dass sich Überschneidungen mit sozialem Kapital ( Sozialkapital )
ergeben. Vgl. Bourdieu 1992

72
Wirtschaftskrisen etc.). Auch das „soziale Beziehungsgeflecht“ wie Bothfeld es nennt,
spielt eine wesentliche Rolle in den Entscheidungsprozessen von Politikerinnen.
Wissen um bestimmte Problemfelder, und politische Interessen sind demnach
„organisatorisch und analytisch nicht zu trennen“. (ebd) Strategien des „Agenda-
Settings“, d.h. Aufmerksamkeit und Bewusstsein schaffen in der Bevölkerung für eine
bestimmte Problemlage und die entsprechend angebotenen Problemlösungen,
stehen häufig in enger Verbindung mit politischen Interessen bzw. in Abhängigkeit
potentieller politischer Umsetzbarkeit. Wissenschaftliches Wissen kann in diesem
komplexen Beziehungsgeflecht zu reiner Legitimationsbeschaffung für politische
Interessen „verkommen“. Umgekehrt jedoch kann die Relativität des Wissens, die
prinzipiell ständig vorhandene Widerlegbarkeit von Wissen auch zu
Legitimitätsverlusten der politischen Akteur/innen führen. Einerseits vertrauen
Politiker/innen und Bürger/innen dem „gesicherten Wissen“ der Wissenschaft
andererseits erweist sich dasselbe Wissen immer wieder als unsicher.
Wissenschaftliches Wissen ist demnach ebenso kontextgebunden, abhängig von den
jeweiligen Fragestellungen der Akteur/innen wie politisches Wissen an der
Schnittstelle zwischen Erkenntnis und Interesse. Weingart nennt dies die
„relativistische bzw. konstruktivistischen Wende“ .“ (Weingart, Zit. in: Falk et al. 2006:
39). Damit gehört auch diese Behauptung, wissenschaftliches Wissen würde
Wahrheiten produzieren, der Vergangenheit an. Zusammenfassend gesprochen ist
die Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens, seine Kontextgebundenheit, die
interpretative Flexibilität und nicht zuletzt das Wissen um Nichtwissen eine Quelle
von Verunsicherung und neuen Ambivalenzen in der Kommunikation zwischen
Politik und Wissenschaft. Wie kann dieser Verunsicherung in der Praxis der
Politikberatung begegnet werden?
10.2. Verschiedene Modelle der Politikberatung
In der traditionellen Politikberatung gibt es mehrere Modelle mit unterschiedlichen
Vorannahmen, was Form, Ziel und Bedeutung der Beratung anbelangt.
Unterschieden werden hier technokratische, dezisionistische, pragmatistische und
partizipatorische Modelle. Einige gelten als überholt, andere werden in Verbindung
mit aktuellen Demokratietheorien in Verbindung gesetzt und weiter entwickelt.
Technokratische und dezisionistische Politikmodelle gelten in vielen Bereichen der
Politikberatung als überholt. Das technokratische Modell behauptet ein Primat der

73
Forschung gegenüber der Politik, d.h. Forscher/innen und ihren Ergebnisse wird
eher die Fähigkeit zugestanden, komplexe Probleme zu beschreiben, sie zu
analysieren und Lösungen zu entwickeln, als Politiker/innen. Diese Vorrangstellung
der Forschung, die noch in den 1960er und 70er Jahren vor allem in Bereichen neuer
Technologien verstärkt zu beobachten war, ist mit der „konstruktivistischen Wende“
der Wissenschaft in Frage gestellt. Die Behauptung eines Sachzwanges aus dem
Bereich meist technisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, der die politischen
Entscheidungen vorgibt, hat an Glaubwürdigkeit verloren - wenngleich hier in den
letzten Jahren immer wieder in den Argumentationen der Interessensvertreter
dominanter Wirtschaftszweige eine „Renaissance der Sachzwanglogiken“ zu
beobachten ist 68 . Das dezisionistische Modell geht von einer klaren Trennung der
Bereiche Wissenschaft und Politik aus und bezieht sich auf die Idee der Wertfreiheit
von Wissen:
„Orientiert an Max Webers Wissenschaftsideal der Wertfreiheit geht man davon aus, dass
nur den Politikern die Kompetenz zu Werturteilen zugesprochen wird, nicht jedoch den
Wissenschaftlern, die nur dazu beitragen können, die jeweiligen Ziele effizient zu erreichen.“
(ebd)
Wissenschaft wird in dieser Konstellation „ (...) zum Dienstleistungsgewerbe einer
wie auch immer gearteten Politik“ ( Lompe, Zit.in: Falk et al. 2006: 29). Neben der
behaupteten Wertfreiheit von Wissen lässt sich jedoch auch die angenommenen
Linearität in der Entstehung der Entscheidungen: „Problemwahrnehmung –
Expertenrat – politische Entscheidung“ (ebd) nicht mehr aufrecht erhalten. Aus dieser
Erkenntnis heraus entsteht schließlich das pragmatistische Modell. 69 In einer
Wechselbeziehung, die ständig von beiden Seiten kritisch reflektiert wird, entsteht
eine Kommunikationsform der Beratung von Wissenschafter/innen im Diskurs mit
den Politiker/innen über ihre Praxis und deren Notwendigkeiten. Im Idealfall lernen
beide voneinander und „lehren einander“ in einem langfristigen Austausch. Das
partizipatorische Modell weist mit seiner großen Anbindungsfähigkeit an
68 Verallgemeinernde Formulierungen wie „ Die Wirtschaft kann sich höhere Löhne nicht leisten.“,
lassen „die Wirtschaft“ undefiniert und rufen die Assoziation hervor, einer unveränderbaren Situation
gegenüber zu stehen.
69 Vgl. Habermas 1963, Lompe 1966/1972

74
feministische, weite Politikbegriffe und deliberative Demokratiemodelle 70 eine weitere
Komponente auf, die es für diese Arbeit relevant erscheinen lässt. Mit dem
partizipatorischen Modell soll der Hierarchie zwischen Alltagswissen und
wissenschaftlichem Wissen ebenso begegnet werden wie jener zwischen
Wissenschaft, Politik und Bürger/innen. Ein möglichst hohes Maß an Beteiligung aller
wird hier angestrebt mit dem Ziel, dass
„ >wir alle< für politische Entscheidungen unter Unsicherheit verantwortlich (gemacht)
werden: Wissenschaftler, Politiker und Laien gleichermaßen sind ,als Bürger' gefragt.“
(Weingart, Zit. in: Falk et al. 2006: 43)
Ergänzend hierzu Bettina Lösch:
„Es bedarf einer sich in der Öffentlichkeit bewahrheitenden Vernunft, die zwar universell,
allerdings nicht endgültig und absolut ist, sondern die Einsicht in die Revidierbarkeit von
Entscheidungen aufgrund gemeinsamer Beratschlagung und besseren Wissens impliziert.“
(Lösch, 2004: 69)
Hier ist eine Anbindung an Konzepte feministischer Geschlechterforschung möglich.
Nicht nur in der durch die Frauenbewegung praktizierten Aufwertung von
Alltagswissen und Erfahrungswissen, sondern auch und vor allem in der Forderung
nach Partizipation und Inklusion möglichst vieler Teile der Gesellschaft in politische
Diskurse und Prozesse.
„Diese stärkere Beteiligung der politischen Praxis an Forschung und Beratung setzt nicht nur
am nachträglichen Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis an, sondern
70 Deliberative Demokratie: Deliberare heißt erwägen, abwägen, argumentativ einschätzen.
Kennzeichnend für das Modell der deliberativen Demokratie sind neue Formen der Partizipation, bei
denen nicht nur Teilnahme und Abstimmung stattfindet, sondern praktisch-politische Vernunft in
Argumentationsprozessen betätigt wird. Politische Entscheidungsprozesse werden auf
Argumentationsvorgänge umgestellt. Von den am Diskurs Beteiligten werden Begründungen
gefordert, die zur Transparenz der politischen Absichten und zur Abwägung (Deliberation)
verpflichten.: http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/47558/ Universität Bielefeld 1999

ezieht die politisch Handelnden bereits bei der Konzeption des Forschungs- bzw.
Beratungsdesigns ein.“ (Lepperhoff, Zit.in: Falk et al. 2006: 119)
75
Dieser Auffassung liegt die Überzeugung zu Grunde, dass
„ (...) Politik nicht (geschieht), sondern von handelnden Akteurinnen gemacht (wird)“ (ebd)
Exkurs: Das österreichische Gewaltschutzgesetz
Ein einmaliges Beispiel für diese partizipatorische Vorgangsweise in
frauenpolitischen Zusammenhängen findet sich in Österreich in der Entstehung des
Gewaltschutzgesetzes. Im Anschluss an die von Frauenministerin Johanna Dohnal
einberufene Enquete „Frauen und Recht“ im Justizministerium 1993 wurde einerseits
eine interministerielle Arbeitsgruppe mit Fachfrauen aus verschiedenen Ressorts
eingerichtet, andererseits wurden Expertinnen aus der Praxis hinzu gezogen.
Sozialarbeiterinnen, Pädagoginnen, Psychotherapeutinnen und Juristinnen der
Frauenhausbewegung lieferten ihre wertvollen Erfahrungen und Vorschläge aus der
Praxis zum Schutz geschlagener und misshandelter Frauen und Kinder, die in ihren
Frauenhäusern Zuflucht gesucht hatten. Bei dem auf diese Weise entstandenen
Gesetz handelt es sich um eines der erfolgreichsten gesetzlichen Maßnahmen. Auch
aufgrund der Tatsache von gleichzeitig initiierten exekutivrechtliche Reformen, die
Polizist/innen mit erweiterten Handlungskompetenzen ausstatteten. Zudem wurden
Schulungen von Exekutivbeamt/innen durch Mitarbeiter/innen der Frauenhäuser
durchgeführt – mit dem Erfolg, dass die Opfer häuslicher Gewalt effektiv geschützt
und unterstützt werden. Trotzdem die Entwicklung dieser gesetzlichen Grundlagen
idealtypisch in partizipatorisch - deliberativem Sinne stattfinden konnte, trat das
Gesetz nicht sofort in Kraft. Männliche Politiker verzögerten das Inkrafttreten des
Gesetzes um zwei Jahre (statt 1994 erst 1996), damit – wie eine hochrangige Juristin
kommentiert - „Gewalttäter sich orientieren können“: ein „unausgesprochener
Männerkonsens“.

76
11. Empirischer Teil: Methode und Forschungsverlauf
Als Voraussetzung für die abschließende Annäherung an eine detaillierte Konzeption
feministischer Beratungsinhalte stehen im Folgenden Auswertung und Interpretation
der gewählten qualitativen Forschungsmethoden im Mittelpunkt. Entsprechend des
sehr komplexen Politikfeldes wurde in Anlehnung an den Begriff der Triangulation
nach Denzin (Zit. in. Flick, 2006: 330) eine Kombination aus mehreren Methoden
gewählt. Die Entwicklung der Methodik bzw. der daraus entstandene
Forschungsablauf lässt sich mit den folgenden Schritten nachzeichnen.
11.1. Methodenwahl
Ausgangspunkt war zunächst die eigene beruflichen Erfahrung im Bereich
Wissensvermittlung, die von einer intensiven Auseinandersetzung bezüglich der
Grenzen und Möglichkeiten in verschiedenen Vermittlungssituationen und
angewandter methodischer Vielfalt in der beruflichen Praxis geprägt ist. Darin
enthalten ist auch die regelmäßige theoretische und reflexive Auseinandersetzung
mit der eigenen Tätigkeit. Wesentlich in diesem Zusammenhang waren zudem
subjektive Beobachtungsergebnisse während verschiedenster Vermittlungsmethoden
bezüglich des Umgangs der Teilnehmer/innen mit Begriffen wie Politik, Feminismus,
Gender Studies, Gender Mainstreaming etc. In einem nächsten Schritt wurden die
eigenen Erfahrungen und Beobachtungen während eines ausführlichen
Literaturstudium zu den in der Thematik enthaltenen weiten Feldern Feminismus,
Politik, Frauen in der Politik, Wissen und Beratung überprüft. Viele Erkenntnisse aus
der persönlichen Arbeitspraxis konnten in den verschiedenen Theorien, v.a. in der
Diskursanalyse von Sabine Hark zum Begriff „Feminismus“ wiedergefunden und
bestätigt werden. Einer der ersten Schlüsse aus der Lektüre lautete: Es existieren
einerseits vielfältige Annäherungsformen an die Begriffe „Feminismus“, „Politik“ und
„Frauen- bzw. Geschlechterpolitik“, andererseits lässt sich bei allen Begriffen
Mehrdimensionalität feststellen. Um den eigenen Wissensstand zu dieser ersten
Erkenntnis auszuloten, wurden in der Folge Fragestellungen formuliert und die
Begriffsfelder weiter eingegrenzt, um in einem weiteren Schritt mit konkreten Fragen
an die Protagonistinnen des Feldes zur Überprüfung meiner Hypothese herantreten
zu können.

77
Die ersten Fragestellungen lauteten: Von welcher Definition von Feminismus wird im
Zuge der Arbeit ausgegangen? Welcher Politikbegriff soll die Arbeit leiten? Welche
Politikfelder werden in den Blick genommen? Welche (politischen) Akteurinnen
könnten zur Klärung der Frage in Betracht gezogen werden? Entsprechend des
schon erwähnten methodischen Ansatzes von Denzin der „Daten-Triangulation“
habe ich die Entscheidung gefällt, die Untersuchung der in den Blick genommenen
Phänomene „zu verschiedenen Zeitpunkten, an verschiedenen Orten“, mit
„verschiedenen Personen“ (ebd) anzulegen. Dementsprechend wurde eine gezielte
Auswahl der Personengruppen und „lokalen Settings“ für die Untersuchung getroffen,
um „ (...) in Richtung der Anreicherung und Vervollständigung der Erkenntnis und der
Überschreitung der >immer begrenzten< Einzelmethoden“ (Flick 2006: 331)
möglichst vielfältige Perspektiven in den Erkenntnisprozess mit einbeziehen zu
können. Als geeignete Methode der Datenerhebung wurden Expertinneninterviews in
Betracht gezogen. Entsprechend der Ansätze von Meuser und Nagel (Meuser,
Nagel, Zit. in Flick 2006: 139) sind die Befragten „ (...) weniger als >ganze< Person
denn in seiner Eigenschaft als Repräsentant einer Gruppe (...) in die Untersuchung
einbezogen.“ (ebd). Dementsprechend haben die Informationen, die „der Befragte
>liefern< soll“ (ebd) einen anderen Umfang und dem Interviewleitfaden kommt eine
„stärkere Steuerungsfunktion“ zu. Hinzu kommt, dass die/der Interviewer/in selbst
aufgrund notwendiger Vorbereitungsarbeiten für die Erstellung des Leitfadens
Fachkompetenz erwerben: „Die in der Entwicklung eines Leitfadens eingehende
Arbeit schließt aus, dass sich der Forscher als inkompetenter Gesprächspartner
darstellt (...)“ und „Die Orientierung an einem Leitfaden schließt aus, dass das
Gespräch sich in Themen verliert, die nichts zur Sache tun, und erlaubt zugleich dem
Experten, seine Sache und Sicht der Dinge zu extemporieren.“ (Meuser/ Nagel, Zit.
in: Flick 2006: 140). Diese methodischen Überlegungen haben sich in der
Umsetzung als äußerst hilfreich erwiesen. Unter den „Varianten des Misslingens“, die
von Meuser und Nagel angeführt werden, konnte eine Variante besonders oft
beobachtet werden: „Der Experte wechselt häufig die Rollen zwischen Experte und
Privatmensch (...)“. (ebd) Dieser Wechsel konnte während der Durchführung der
Interviews immer wieder beobachtet werden, wurde jedoch aufgrund des
eingenommenen feministischen Standpunktes nicht als Misslingen interpretiert. Im
Gegenteil: persönliches Erfahrungswissen ist hier ein nicht zu vernachlässigender
Bestandteil des Expertinnentums der Interviewpartnerinnen. Nicht mit einbezogen
wurden die subjektiven Eindrücke einer „teilnehmenden Beobachtung“ an

78
Plenarsitzungen des österreichischen Nationalrats zur Budgetdebatte 2007 im
Zeitraum zwischen 19.04. und 03.03.2007. Diese Methode wurde in Erwägung
gezogen, um einen klareren Blick auf die Arbeitsfelder und -formen von Politikerinnen
zu bekommen. Sowohl Zeitrahmen, als auch Ort erwiesen sich für dieses
Erkenntnisziel als unzureichend. Die komplizierten Regeln und Abläufe
parlamentarischer Debatten, die dazu schriftlich festgelegte Geschäftsordnung des
Parlaments, Statistiken zu Redezeiten und Präsenz der Abgeordneten (differenziert
nach weiblich und männlich), Diskursanalysen der Debattenbeiträge, Orte formeller
und informeller politischer Entscheidungsprozesse etc. hätten bei ernsthafter
Umsetzung mit einbezogen werden müssen. Unter diesen Aspekten stellte sich sehr
bald die Erkenntnis ein, dass dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen
würde, nichtsdestotrotz für weitere Forschungsvorhaben interessant bleiben kann.
Trotzdem diese methodische Vorgangsweise verworfen wurde, konnte doch
zumindest ein „atmosphärischer Eindruck“ parlamentarischer Arbeit gewonnen
werden.
11.2. Auswahl der Interviewpartnerinnen
Als Expertinnen zu den erwähnten Feldern „Feminismus“, „Politik“, „Frauen- und
Geschlechterpolitik“ wurden Parteipolitikerinnen ausgewählt. Die Definition und damit
die Auswahl der Personen nach dem Kriterium „Frauenpolitikerin“ erfolgte unter den
Aspekten, dass die betreffenden Personen Mitglieder einer der aktuell im
österreichischen Parlament vertretenen Parteien sind, sich in ihrer politischen
Tätigkeit schwerpunktmäßig mit Frauen- und Geschlechterthemen befassen
und/oder eine entsprechende Position dazu in ihrer Partei einnehmen. Für die
Auswahl der Interviewpartnerinnen war somit ihre klare innerparteiliche und/oder
thematische Positionierung relevant. Die Auswahl war nicht von der subjektiven
Zuschreibung frauenpolitischer Kompetenzen aufgrund des biologischen Frau-Seins
beeinflusst. Bis auf die Vertreterinnen der Freiheitlichen Partei erklärten sich
Politikerinnen aller momentan im Parlament vertretenen Parteien bereit, als
frauenpolitische Expertinnen Auskunft zu geben. Das Alter der Interviewpartnerinnen
beträgt zwischen 38 und 61 Jahren. Zwei weitere Interviews wurden mit Expertinnen
des Themenbereiches Politikberatung geführt. Ausgewählt wurden hier zwei
politikberatende Institutionen in Berlin mit ihren jeweiligen Expertinnen.
Schwerpunktsetzung, Methodik und Arbeitsweise ihrer politikberatenden Tätigkeiten

79
stellten sich als sehr unterschiedlich heraus und erweiterten die Erkenntnisse in
Bezug auf praktische Erfahrungen feministisch orientierter Politikberatung. Ähnliche
Institutionen konnten in Österreich nicht ausfindig gemacht werden. Die als
vergleichbar in Betracht gezogenen Institute in Wien stellten sich zum Einen als
Institut der sozialwissenschaftliche Auftragsforschung heraus, ohne Anspruch auf
Politikberatung. Das zweite ausgewählte Institut distanzierte sich ebenfalls von
diesem Aufgabenbereich und fokussiert seine Arbeit vor allem auf politische Bildung.
Auf die Transkription dieser Interviews wurde demnach verzichtet, da sie sich als
nicht relevant für die Forschungsfrage weder in ihrer Organisationsauffassung noch
entsprechend ihrer Inhalte als Orte feministischer Politikberatung erwiesen. Die aus
diesen Schritten heraus entwickelte, leitende Forschungsfrage sei an dieser Stelle
nochmals in Erinnerung gerufen:
Wie kann feministische Politikberatung konzipiert werden, um dem Ziel eines
„feminist turn“ 71 näher zu kommen? D.h. feministisch orientierte
Transformationsprozesse in politischen Feldern mittels Wissenstransfer
anzustoßen und zu fördern?
Entsprechend dieser Fragestellung wurden zwei Interviewleitfäden 72 mit klaren
Themenfeldern ( vgl. Flick 2006: 128) entwickelt. Der Interviewleitfaden für politische
Akteurinnen enthielt folgenden Themenbereiche:
1. Fragen zu Frauenpolitik
2. Fragen zu Feminismus
3. Fragen zu relevantem Wissen
4. Fragen zu Politikberatung
Der Interviewleitfaden für Expertinnen politikberatender Institute enthielt folgenden
Themenbereiche:
1. Fragen zu Politikberatung
2. Fragen zu Feminismus
3. Fragen zu Wissenstransfer
71 Nickel, Zit. in: Hark 2005: 76
72 Vgl. Detaillierte Fragebögen im Anhang.

80
Die Interviews mit den politikberatenden Expertinnen fanden im Zeitraum von 11.12.-
15.12.2006 in Berlin in den Büros der jeweiligen Organisationen statt. 73 Die
Interviews mit Politikerinnen fanden v.a. in der Zeit von 19.04. und 03.03.2007, meist
in Pausen zwischen den Budgetdebatten im Nationalrat in den jeweiligen Parteibüros
bzw. Nebenzimmern des Plenarsitzungssaales oder der Parlamentscafeteria statt.
Der Zeitrahmen für die Interviews schwankte zwischen 25 Minuten und einer Stunde,
elf Minuten. Bei den Interviewpartner/innen der Beratungsinstitutionen war die
Bereitschaft zu einem einstündigen langem Interview höher als bei den
Politikerinnen. Lange Vor- und Nachgespräche wurden neben den erklärenden,
einführenden Worten nicht geführt. Mehrheitlich erwähnten die Politikerinnen ihren
dichten Terminkalender und das sich daraus ergebende enge Zeitkorsett. Insgesamt
wurden zehn Interviews durchgeführt, davon sechs Interviews mit Politikerinnen, zwei
mit politikberatenden Institutionen, eines mit einem sozialwissenschaftlichen
Auftragsforschungsinstitut. Ein weiteres Interview wurde mit einer Einrichtung für
politische Bildung, 74 geführt. Die beiden letztgenannten Interviews wurden, wie
bereits erwähnt, nicht transkribiert und in die Analyse mit einbezogen. Zwei
Interviews konnte aufgrund von Terminschwierigkeiten nicht durchgeführt werden.
Ein Interviewleitfaden wurden als Ersatz für das nicht zustande gekommene
Interview schriftlich beantwortet und in die Analyse integriert. Die
Pressesprecherinnen der zweiten Interviewpartnerin teilte über mehrer Tage hinweg
mit, dass der Leitfaden zwar ausgefüllt, jedoch von der betreffenden Person noch
nicht frei gegeben wurde. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Antworten nicht
von der angefragten Person selbst stammen. Die Überlegung diese Vermutung auch
bei dem erstem eingelangten, schriftlichen Leitfaden anzustellen und ihn daher
unberücksichtigt zu lassen, wurde verworfen, angesichts der Tatsache, dass es sich
hier um Vertreterinnen einer der großen Parlamentsparteien handelt und zumindest
diese Aussagen im Sinne der Repräsentation möglichst vieler Parteien mit
berücksichtigt werden sollte. Bei einem Interview konnte aufgrund technischer
73 Die Teilnahme an einer Tagung zum Thema „Geschlechterpolitiken in der Europäischen Union“
wurde damit verbunden.
74 Erläuternd hierzu ein Auszug aus der Selbstdefinition der Organisation: „(...) Grundfragen der
politischen Kultur und des politischen Systems Österreichs im europäischen Kontext,
Demokratisierungsprozesse und ihre historische Entwicklung, aktuelle gesellschaftspolitische
Debatten, die Mediengesellschaft (..) sowie die IT-Transformation und die Wissensgesellschaft“
beschäftigt“

81
Probleme nicht das gesamte Interview mit einem Aufnahmegerät (wie bei allen
anderen, mit Einwilligung der Interviewpartnerinnen) aufgezeichnet werden. Die
fehlende Aufnahme wurde durch handschriftliche Aufzeichnungen ersetzt.
Anhand der im Leitfaden definierten thematischen Bereiche wurden die Interviews
jeweils mit einer offenen Frage eingeleitet. Im Verlauf variieren je nach
Interviewpartnerin die zusätzlich gestellten Verständnisfragen sowie
Detailnachfragen zur Ausdifferenzierung der Aussagen. Zwischen den einzelnen
Fragen wurden die getroffenen Aussagen von mir zusammengefasst , wiederholt und
damit „zurück gespiegelt“. Konfrontationsfragen wurden nicht gestellt. Die Fragen
lassen sich nach Flick (Flick 2006: 136) v.a. als theoriegeleitete,
hypothesengerichtete Fragen definieren. Die Atmosphäre war in allen
Interviewsitzungen wohlwollend und freundlich, meist geprägt von der Überraschung
in mir keine junge Studentin vorzufinden. Bei einigen Interviewpartnerinnen war
Verunsicherung spürbar – jedoch nur tendenziell - sobald in den Detailfragen meine
bisherige intensive Beschäftigung mit feministischer Theorie spürbar wurde. Den
Interviewverlauf hat das meiner Einschätzung nach nicht beeinträchtigt.
Abschließend wurde den Interviewpartnerinnen nochmals die Anonymisierung ihrer
Aussagen versichert. Die meisten zeigten reges Interesse an den Fragestellungen
und den Ergebnissen dieser Arbeit.
11.3. Transkription
Die Interviews wurden eigenhändig transkribiert. Angesichts der stark
theoriegeleiteten Fragen erwies sich dies als fruchtbar, da viele Fragen sehr
spezifisch und mit den entsprechenden Formulierungen einer fachlichen
Terminologie 75 beantwortet wurden. Nicht verbale Äußerungen und Sprechpausen
wurden nicht transkribiert. Mit dem Ziel der „Handhabbarkeit“, „Lesbarkeit“ und
„Interpretierbarkeit“ 76 wurde in Schriftdeutsch und Standardorthographie transkribiert.
Unverständliche Textpassagen mit Klammerzeichen (...) markiert und ausgelassen.
Kürzel der Codierung zum Zweck der Anonymisierung sind unmittelbar am Ende der
jeweiligen Transkriptionen eingefügt.
75 In diesem Sinne lassen sich die Antworten als tatsächliche Expertinnenaussagen einstufen.
76 Vgl. Bruce, Zit. in: Flick 2006: 253

82
Zur Auswertung wurde der Gesamttext unter dem Aspekt der Fragebeantwortung auf
die aussagekräftigen Antworten reduziert. Parallel dazu erste persönliche
Anmerkungen mit Blick auf Theorie und mögliche Interpretation der Aussagen. Im
nächsten Schritt wurden die Antworten einander vergleichend gegenüber gestellt.
Schließlich wurden die Aussagen entsprechend der zur Auswertung erstellten
Kategorien beurteilt, in den Kontext der theoriegeleiteten Ansätze dieser Arbeit
transferiert und interpretiert.
11.4. Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Mit dem Ziel der besseren Lesbarkeit wird auf die Aufzählung der einzelnen, im
Zwischenschritt der Analyse entwickelten Kategorien und Antworten verzichtet. Um
eine ermüdende Aneinanderreihung der Interviewaussagen zu vermeiden, greife ich
die wesentlichen Punkte der Ergebnisse heraus und hebe wesentliche Positionen
hervor. Die Auswertung orientiert sich an den zentralen Themenstränge der
Interviewleitfäden. Für die Interviews mit den politischen Akteurinnen sind dies die
Kategorien Frauenpolitik, Feminismus, Wissen und Politikberatung. Für die
Interviews mit den Politikberaterinnen werden die Ergebnisse in Form einer
Zusammenschau präsentiert.
11.4.1. Kategorie Frauenpolitik
Gleichstellung von Frauen und Männern, Chancengleichheit, bessere
Rahmenbedingungen für Frauen, eigenständige ökonomische Absicherung und der
Abbau von Benachteiligungen werden als Ziele engagierter Frauenpolitik genannt.
Die Akteurinnen verstehen sich dabei durchwegs als Vertreterinnen von Frauen
generell. Die Heterogenität von Frauen als behauptete Gruppe wird jedoch nur von
einer Interviewpartnerin dezidiert in den Blick genommen, (weil)
„ (...) strukturelle Benachteiligungen für Frauen als Gruppe und individuelle
Benachteiligungen einzelner Frauen oder Frauengruppen im Konkreten politisch
Aufgabengebiet sein müssen.“ (I6: 8-10)
Mit dieser Aussage werden die unterschiedlichen Ebenen der Diskriminierungen
aufgrund einer Geschlechtszugehörigkeit angedeutet. Frauen können als Einzelne,

83
als Gruppe „Frauen“ generell und als Gruppe mit mehreren gemeinsamen
Eigenschaften, die zu Diskriminierungserfahrungen führen (z.B. Frau und Muslima),
gesehen werden. Dieselbe Interviewpartnerin erwähnt ausdrücklich die Gruppe der
Migrantinnen:
„ (Ein Thema) (...) ist die Situation von Frauen mit nicht – österreichischem Hintergrund, vor
allem dort, wo es besonders schlechte Lebenssituationen gibt. Das ist (...) die Situation von
Migrantinnen (...), die ganzen Themenkomplexe geschlechtsspezifische Verfolgung bis hin
zu Genitalverstümmelung und Frauenhandel, v.a. in der Prostitution.“ (I6: 28-33).
Die Interviewpartnerin nennt zudem als Einzige förderpolitische Maßnahmen zur
Unterstützung von NGOs als wichtigen Bestandteil ihrer frauenpolitischen Arbeit:
„ (...) was leider dauernd notwendig ist, ist zu schauen, wie geht es der Autonomen
Frauenbewegung, den NGOs, den Projekten in diesen Bereichen, die ich für unabdingbar
und wichtig halte und die finanziell und strukturell ausgehungert, und immer wieder
bürokratisch schikaniert werden.“ (I6: 34-37)
Dieser Aussage lässt sich eindeutig ein weiter Politikbegriff entnehmen. 77 Im
Gegensatz zur Differenziertheit dieser Aussagen, sprechen die übrigen Akteurinnen
von den Frauen und erwähnen die politische und finanzielle Unterstützung für NGOs
nicht, auch wenn sie sich auf diese Organisationen beziehen und sie als wertvolle
Wissensquellen für politischen Austausch nennen. Als weitere Aufgabengebiete
werden bei fünf von sechs Interviewpartnerinnen Bewusstseinsbildung genannt. Eine
Politikerin bezeichnet Bewusstseinsbildung als eine der Voraussetzungen für reale
Frauenpolitik:
„Wenn ich ein Ziel überhaupt erreichen will und ich habe die Bewusstseinslage nicht
aufbereitet, dann renne ich irgendwie in den Nebel.“ (I3: 36-37)
Frauenpolitisches Agenda-Setting wird mit Bewusstseinbildung in enge Beziehung
gesetzt. „ (...) im Vorfeld eine gesellschaftliche, eine politische Stimmung
aufzubauen“ (I6: 69-70), meint eine Interviewpartnerin und beschreibt, wie lange es
in Österreich gedauert hat, Bewusstsein und Sensibilität für ein Anti-Stalking-Gesetz
77 Vgl. S. 50

84
zu schaffen. Als überraschend stellte sich die klare Abgrenzung der Begriffe
Frauenpolitik und Familienpolitik voneinander durch die Vertreterinnen der
konservativen Partei heraus:
„ (...) dass wir in die eigene Falle laufen ständig, sofort als zweiten Satz Familie nennen und
Kinder und Betreuung usw.“ (I3: 22-24)
In meinen Vorannahmen hätte ich den Exponentinnen dieser Partei eher eine
unscharfe Trennung bzw. Gleichsetzung von Frau und Familie unterstellt. Eine
dieser Politikerinnen erwähnt in diesem Zusammenhang, dass gewisse Themen nicht
ohne Berücksichtigung von Männern abgehandelt werden können:
„Da muss man zwar eine klare Grenze oder - klare Grenze wird man nicht ziehen können –
man muss hier abgrenzen voneinander, aber sie sind nicht getrennt voneinander zu sehen.
Es ist das Eine unmittelbar mit dem Anderen verbunden. Gleichstellung, gleicher Lohn für
gleiche Arbeit wird nur dann möglich sein, wenn wir auch tatsächlich eine Väterbeteiligung in
der Familienarbeit haben.“ (I5: 24-28)
Im Gegensatz dazu vertritt eine andere Akteurin die Ansicht, als Frauenpolitikerin
nicht immer die Männer „mitdenken“ zu wollen:
„Ich habe eindeutig Schwerpunkt Frauen. Den Kopf der Männer zerbreche ich mir nicht. Ich
bin keine der Feministinnen, die immer sagen, wir müssen uns den Kopf der Männer auch
zerbrechen (...) wir müssen schauen, dass die Männer nicht allzu schlecht aussteigen. Die
bin ich nicht. Die sind mir völlig wurscht. Ich bin eine Lobby für Frauen.“ (I2: 59-63)
Abschließend ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass herrschaftskritische Aspekte
von Frauenpolitik nur von einer Interviewpartnerin – ähnlich überraschend erneut aus
dem konservativen Lager - erwähnt wurden:
„Frauenpolitik ist ein Machtthema für mich. (...) Wie weit schauen wir, was wir haben wollen,
was wir noch nicht haben, was uns zusteht, wie wir es haben wollen usw. Das ist ein
Machtthema.“ (I3: 29-32)

85
11.4.2. Kategorie Feminismus
Keine der Interviewpartnerinnen distanzierte sich völlig vom Begriff Feminismus. Alle
brachten den Begriff mit der Frauenbewegung 78 in Verbindung, nur vereinzelt wurde
Feminismus auf den akademischen Bereich bezogen und die dort verorteten
feministischen Ansätze als „Theorie zur praktischen Arbeit “ ( I5: 72) bezeichnet. Nur
bei einer Befragten wurde Feminismus als eventuell veraltet bezeichnet. Sie
ergänzte:
„Vielleicht verwendet man auch eine andere Begrifflichkeit, um mehr Leute, mehr Männer ins
Boot zu holen. Gerade Männer. Das ist meine Erfahrung. (Es sind Männer, die), mit dem
Begriff Feminismus, oder „das ist eine Feministin“ sehr viele Abwehrhaltungen verbunden
(haben).“ (I1: 76-79)
Kaum bekannt waren die verschiedenen feministisch-theoretischen Zugänge.
Lediglich von einer Interviewpartnerin wurden Namen wie Judith Butler und
feministische Ansätze in Verbindung mit französischen Poststrukturalisten bzw.
Queer Theory genannt. In ihrem „eigentlichen“ Beruf im universitären Umfeld tätig, ist
dieses Wissen um feministische Theorie präsent, während bei den anderen
Interviewpartnerinnen eher der Bezug zu Frauenbewegung im Vordergrund stand. In
diesem Zusammenhang lässt sich festhalten, dass einst als radikal empfundenes
Vokabular wie „Autonomie“ oder „Selbstbestimmung“ von allen Befragten
unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit mit größter Selbstverständlichkeit verwendet
und als persönliche Ziele formuliert werden konnten. Feministische Begrifflichkeiten
scheinen also bei Frauenpolitikerinnen über alle Parteigrenzen hinweg keine
Abwehrhaltungen mehr hervorzurufen. Im Gegenteil: Feminismus wird als
Bestandteil der eigenen Frauenpolitik im Sinne von Sensibilisierung,
Bewusstseinsbildung und Stärkung von Frauen, aber auch als theoretische Wissensund
Arbeitsgrundlage aufgefasst. Entsprechend der Aussage:
„Der Überbegriff ist für mich die Autonomie, also sozusagen dieses selbstständige Denken,
selbstständiges Handeln (...) dieses Sich-selbst-entwerfen-können.“ (I3: 48-51)
78 Es ist anzunehmen, dass sich alle Interviewpartnerinnen auf die Zweite Frauenbewegung in den
1970er und 1980er Jahren beziehen.

86
bedeutet die Auseinandersetzung mit Feminismus offensichtlich auch ein Wirken der
Ideen auf der Ebene der eigenen, emanzipatorischen Lebensentwürfe – über alle
Parteigrenzen hinweg. Für eine Interviewpartnerin stellt Feminismus einen
wesentlichen Bestandteil der persönlichen Identität dar:
„Ich sehe mich als Feministin und auch als linke Feministin. Ich betone das auch immer, weil
das für mich eine starke Identitätsfrage ist und ich meine politische Ansätze und Haltungen
daraus ableite.“ (I2: 12-14)
Aspekte einer Feminismus – Definition wie Feminismus als Analyseinstrument, als
Herrschaftskritik, Forschungsmethode und –perspektive werden zudem von
verschiedenen Interviewpartnerinnen angesprochen. In einer Aussage findet sich der
Ansatz von Feminismus als Parameter für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen
wieder:
„Die Beschreibung der Bemühungen, wie man dazu kommt, dass Frauen in allen
Lebensbereichen und Lebensmöglichkeiten gleichgestellt sind und gleichzeitig schwingt aber
auch in der Definition mit, ein gesamtemanzipatorischer Begriff betreffend die
gesellschaftliche Weiterentwicklung. Also feministisch nicht nur: >so wie Männer – gleiche
Rechte und Möglichkeiten und Chancen

87
11.4.3. Kategorie Wissen
Persönliches Erfahrungswissen, Wissen um Lebensformen verschiedener „Milieus“,
Geschichten und Literatur, Studien der empirischen Sozialforschung, Frauen-,
Sozial- und Familienberichte sowie statistische Daten und Fakten werden
gleichberechtigt als erforderliche und mögliche Wissensquellen zur Umsetzung von
Frauenpolitik genannt. Es wird in keinem der Interviews eine Hierarchisierung der
unterschiedlichen Zugänge vorgenommen. Dass die Fokussierung auf nur ein
Wissensfeld nicht zielführend ist, auch darin waren sich alle Politikerinnen einig.
Möglichst viele Wissensquellen sollten verwendet werden. Dennoch zeigt sich ein
deutlicher Schwerpunkt auf dem Gebiet des klassischen Instrumentariums von
„Daten und Fakten“. Eine Interviewpartnerin moniert, es würden „wirklich fundierte
Studien und Analysen konkret zu Auswirkungen bestimmter gesetzlicher
Maßnahmen (fehlen).“ (I6: 149-150) Als Wissensproduzent/innen wurden neben
Universitäten und wissenschaftlichen Instituten auch Expertinnen von Nicht-
Regierungsorganisationen respektive Vertreterinnen von Frauenorganisationen
genannt. Zweifel am Wahrheitsgehalt gewisser Daten bzw. die Kontextabhängigkeit
von Wissen wurde lediglich von einer Politikerin angemerkt:
„Ich brauche das Wissen um Daten, Statistiken und Fakten, ohne sie überbewerten zu
wollen, weil man kann jede Statistik so drehen, wie man sie braucht.“ (I2: 119-120)
Auch das Wissen über die Auseinandersetzung um die Interpretation von Daten führt
sie in diesem Zusammenhang an:
„Ich brauche das Wissen um die Debatte über diese Daten und Fakten in der Community/
Netzwerk, die mir wichtig sind.“ (I2: 124-125)
oder
„Da bin ich sehr daran interessiert, in meine Arbeit, meine Lösungsvorschläge einfließen zu
lassen, was gerade die aktuellen Debatten, Paper, Diskurse in der Community sind (...)“. (I2:
128-130)
Selbstkritisch wird an dieser Stelle auch die selektive Auswahl und Bewertung der
Wissens- und Informationsinhalte kommentiert:

88
„Wir bewerten Expertisen vom z.B. Institut für Familienforschung anders als von der
Arbeiterkammer oder anderen Arbeitsmarktexpertinnen, wo wir wissen, wie sie sich verorten,
wo wir wissen, wie ihr Hintergrund ist, wie feministisch der Zugang ist.“ (I2: 301-303)
Und:
„Da wird schon ganz bewusst (...) ungleich bewertet. Das gebe ich offen zu. Obwohl es
wahrscheinlich total ungerecht ist, von einem objektiven, wissenschaftlichen Standpunkt, falls
es den überhaupt gibt. Das gebe ich voll zu, dass wir schon die einen Meinungen öfter
anschauen, wo wir von vorneherein glauben, dass sie unseren politischen Haltungen
entsprechen.“ (I2: 304-309)
Im Bewusstsein der eigenen Kontextbezogenheit wird hier der parteipolitische
Umgang mit Information dargestellt. Es ist durchaus realistisch, anzunehmen, dass
die Vertreterinnen der anderen Parteien ebenso mit Informationen und
„Wissenspaketen“ umgehen, auch wenn sie dies nicht explizit erwähnen. Im
Gegensatz zu eigenem Erfahrungswissen und kompakt präsentierten Studien wie
Frauenberichte wird in Bezug auf wissenschaftliche Studien mehrmals der Wunsch,
sich damit beschäftigen zu können, geäußert. Gleichzeitig wird jedoch bedauert,
angesichts des ständigen Termindrucks und Zeitmangels darauf meist verzichten zu
müssen. Die Auswahl der jeweiligen Informationen scheint ebenfalls schwierig.
Einladungen von Wissenschafter/innen zur Präsentation ihrer Studien, ständig neue
Daten, Fakten und Berichte lassen das Gefühl einer „Informationsflut“ oder wie es
eine Interviewpartnerin formuliert einer „Vernewsletterung“ entstehen:
„Ich habe z.B. das Gefühl ich werde überhäuft mit Newsletters. Das sind
Wissenschaftssprecher, das sind (...) sämtliche wissenschaftliche Forschungsinstitutionen,
(die) Newsletters, Veranstaltungen, Plattformen (machen). Ich kriege von den Verlagen
Neuerscheinungen zugeschickt. Ich schicke selber Newsletters. Also das ist die
„Vernewsletterung“ der Gesellschaft.“
Um dieser Fülle an Information begegnen zu können, wurde von einer Akteurin
vorgeschlagen:
„ (...) synthetisieren. Also so eine Art von Zusammenschau-Leistung, Fazit, Simulationen, auf
ganz bestimmte Perspektiven hin“ (I3: 315-316)

89
11.4.4. Kategorie Politikberatung
Wissenstransfer kann nach Aussagen der interviewten Politikerinnen auf vielfältigste
Weise statt finden: Im Dialog mit persönlichen Netzwerken, Parteifreund/innen und
Vertreter/innen eigener oder anderer Organisationen. In Seminaren, Schulungen,
Gender Trainings, Mentoring-Programmen und Gender Lehrgängen an den
Universitäten. Auch Plattformen und Diskussionsveranstaltungen werden erwähnt.
Politikberatung als Instrument feministischen Wissenstransfers kommt jedoch in
diesen Aufzählungen nicht vor. Viele Interviewpartnerinnen fragen nach, was denn
damit gemeint sei oder ob sie angesichts ihrer langjährigen Berufserfahrung selbst
als Beraterinnen angesprochen seien. Einige Interviewpartnerinnen assoziieren
Markt- und Meinungsforschungsinstrumente mit Politikberatung:
„Politikberatung ist in meinem Verständnis üblicherweise das, wo strategische und
marktforschungs- oder meinungsforschungsabgesicherte Inputs von mehr oder weniger
kompetenten Experten - in selteneren Fällen Expertinnen - vor allem in Wahlkampfzeiten
oder bei der Positionierung politischer Akteure und Akteurinnen beigezogen werden und hat
im Regelfall zum Inhalt, wie bringe ich das Produkt – nämlich meine politische Idee an Mann
oder Frau. Oder aber, wie platziere ich mich selbst bei Auftritten. Also die ganze
Selbstvermarktungsgeschichte.“ (I6: 202-209)
Sie ergänzt:
„Bei den ganzen Consultants bin ich etwas zurückhaltend, weil die im Regelfall eher ja nur
wiedergeben können, (...) was nachgefragt wird, d.h. sie produzieren im seltensten Fall
eigenständig oder kombinieren zu etwas Eigenständigem, Neuem.“ (I6: 276-279)
Eine Interviewpartnerin „riecht“ Lobbyismus hinter Politikberatung und stellt eine
Reihe kritischer Fragen:
„ (...) Es gibt für mich unabhängige Expertinnen/Experten nicht. (...) Wer ist denn schon
unabhängig? Wer ist den schon unpolitisch? Wer ist denn schon ganz aus einem Netzwerk
heraus gelöst, unabhängig und führt jetzt aus hehrem Altruismus ein politikberatendes
Gespräch?“ (I2: 261-264)

Eine andere Interviewpartnerin unterscheidet klar zwischen Wissen und Entscheiden.
Sie würde sich von einer Politikberatung erwarten
90
„ (...) dass sie voraus sind. Also sie sollen die Entscheidung nicht vorweg nehmen. Sie sollen
die Entscheidung aufbereiten. Durch dieses Voraus-Sein. Das wäre schon ganz hilfreich.“
(I3: 313-317)
Durch die unklaren bzw. skeptischen Aussagen in Bezug auf den Begriff der
Politikberatung wurde die Frage aufgeworfen: Warum haben österreichische
Frauenpolitikerinnen kaum konkrete Vorstellungen von Politikberatung? Der folgende
Exkurs erläutert dieses spezifisch österreichische Phänomen.
Exkurs: Politikberatung auf österreichisch
„Politikberatung (ist) in ihrer vielfältigen methodischen, theoretisch-konzeptionellen und
institutionellen Ausprägung ein wesentliches Element des politischen
>Problemverarbeitungsprozesses< in funktional differenzierten Gesellschaften, in denen
Wissen eine elementare Voraussetzung für Steuerungsfähigkeit zukommt.“ (Abels/ Leitner,
Zit. in: Femina Politica, 2/1997: 39-45)
(Noch) nicht in Österreich. Das spezifisch österreichische System der
Sozialpartnerschaft hat die Entwicklung eines freien und relativ unabhängigen
Marktes für Politikberatung bisher verhindert. Auch wenn durch den Beitritt
Österreichs zur Europäischen Union 1995 ein gewisser Kompetenzverlust 80 der
sozialpartnerschaftlichen Gremien eingetreten ist, sich einige der traditionellen
Sozialpartner (Gewerkschaften und Kammern) in der einen oder anderen
Legitimationskrise 81 befinden und unter Mitgliederschwund leiden, fallen die
wesentlichen Entscheidungen nach wie vor in den Beiräten und Institutionen dieser
Organisationen: Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Österreichischer
Gewerkschaftsbund und Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer. In
diesen Gremien ist entsprechend der Zahlen aus den 1990er Jahren eine eklatante
Unterrepräsentation von Frauen festzustellen 82 : Zwischen 1986 und 1990 waren in
80 Vgl. Lederer/ Neugschwandtner, Zit. in: Rehfeld et al. 2006
81 Vgl. ebd.
82 Die Situation dürfte sich nicht wesentlich gebessert haben.

91
den existierenden Beiräten, Kommissionen und beratenden Gremien der jeweiligen
Ministerien nur 6,6% der Mitglieder dieser Gruppen Frauen. Im Österreichischen
Gewerkschaftsbund sind nur knapp 7% der Vorstandsmitglieder weiblich, bei einem
Frauenanteil von 30% bei den Gewerkschaftsmitgliedern. Ähnlich gering sind die
Prozentzahlen in der Arbeiterkammer und lediglich 3% der 409 Funktionen in der
Bundeswirtschaftskammer wurden mit Frauen besetzt. In der Landwirtschaftskammer
waren die Männer überhaupt noch unter sich. 83 Auch wenn Lederer und
Neugschwandtner die Ansicht vertreten, es könnte in den nächsten Jahren zu einer
Veränderung der politischen Strukturen in Österreich kommen, zählen sie dennoch
eine Reihe von Hindernissen auf, die eine „alternative, pluralistische
Beratungsstruktur“ 84 behindern könnte:
„Ressourcen für wissenschaftliche Politikberatung (werden) lediglich vom Staat und
politischen Akteuren bereitgestellt, (...) die Mehrzahl der Gesetzgebungsprozesse findet (...)
nach wie vor in kleinen, relativ geschlossenen Netzwerken aus Interessensvertretern, aus
Experten, die einzelnen Interessen und Parteien zuordenbar sind und aus
Beratungsgremien, proporzmäßig (d.h. durch alle Interessen beschickt sind) statt. (...) dabei
kann es auch vorkommen, dass in manchen Gremien kein wissenschaftlicher Berater sitzt:
(...) >Wir haben da keine Wissenschafter gebraucht, weil es um politische Entscheidungen
gegangen ist< (...).“, so die Aussage eines Funktionärs. (Lederer, Neugschwandtner, Zit. in:
Rehfeld et al. 2006: 577)
Auch auf parlamentarischer Ebene gibt es durch die strenge Fraktionsdisziplin kaum
eine Möglichkeit gegen die Parteilinie zu agieren. 85 Wissenschaftliche Expertisen
werden laut einer Studie erst zuletzt konsultiert:
„Politiker lassen sich demzufolge am häufigsten von Institutionen der Sozialpartnerschaft
beraten, gefolgt von Fraktion, Unternehmen, Mitarbeitern, Kollegen und Medien. Erst an
siebenter und letzter Stelle werden wissenschaftliche Institute genannt.“ (Hochegger, Zit. in:
Rehfeld et al. 2006: 578)
Die Interviewergebnisse dieser Arbeit bestätigen dies. Was Frauenagenden und
feministische Politikberatung anbelangt,
83 Vgl. Appelt: 1993 sowie Abels/ Leitner, Zit. in: Femina Politica, 2/1997: 39-45.
84 Vgl. Lederer/ Neugschwandtner, Zit.in: Rehfeld et al. 2006
85 Ein Faktum, das vor allem frauenpolitische Initiativen behindert.

92
„ (kann) zusammenfassend (festgehalten werden), dass diese Formen institutionalisierter
Politikberatung von feministischen Politologinnen sowohl als wichtiges Feld von
Gleichstellungspolitik als auch als Anwendungsfeld für gleichstellungspolitische Analysen
erst noch zu entdecken ist.“ (Abels/ Leitner, Zit. in: Femina Politica, 2/1997: 41)
Das Feld unkonventioneller, respektive feministischer Politikberatung ist demnach in
Österreich ein unbekanntes und zugleich neues. Eine Interviewpartnerin meinte
dazu:
„Man müsste erst einmal den Wunsch danach und den Bedarf schaffen.“ (I6: 221)
11.4.5. Praxis feministischer Politikberatung
Dieser Abschnitt behandelt die Auswertung der Interviews mit feministischen
Politikberaterinnen. Die Kategorien des Interviewleitfadens Politikberatung,
Feminismus und Wissenstransfer werden an dieser Stelle nicht in einzelnen
Abschnitten, sondern in einer vergleichenden Zusammenschau abgebildet.
Arbeitsweise und Struktur der ausgewählten Organisationen sind sehr
unterschiedlich. Während ein Institut mit eingeschränkteren finanziellen und
personellen Ressourcen arbeitet, ist die zweite Institution eingebettet in eine größere
Organisation mit internationalen Kooperationspartner/innen. Strukturen und
Arbeitsweisen sind dementsprechend unterschiedlich. Gendertrainings, feministische
Beratungsarbeit in überschaubaren Settings mit verschiedensten Auftraggeber/innen
sind v.a. die Betätigungsfelder der kleineren Institution (im Folgenenden P1 genannt).
Expertisen und Gutachten gehören ebenso zu den Arbeitsbereichen wie
mehrmonatige Projektbegleitungen. Die zweite größere Organisation (im Folgenden
P2 genannt) organisiert Tagungen, Fachgespräche und sieht neben
Öffentlichkeitsarbeit vor allem Politikberatung im Kontext „allgemeiner politischer
Bildungsarbeit“ (IP 2: 10). Ein weiter Politikbegriff ist wesentliche Grundlage für die
theoretischen und praktischen Zugangsweisen beider Institutionen. Die
Interviewpartnerin von P1 führt konkret „ (...) Verwaltung und Politik oder auch
andere Lobbygruppen, NGOs, Gewerkschaften, Bildungseinrichtungen, der ganze
zivilgesellschaftliche Bereich (...)“ (IP1: 17-26) an. Ihren Politikbegriff definiert sie
klar:

93
„Ich will jetzt da keinen engen politischen Begriff anlegen im Sinne von Berufpolitikerinnen
und Politiker, sondern natürlich der ganze Apparat (von) Verwaltung, Zivilgesellschaft,
Lobbygruppen.“ (ebd)
Feministische, politikberatende Arbeit gemeinsam mit diesen Gruppen versteht sie
als Unterstützungsleistung in der Vorbereitung von Entscheidungen:
„Beratung ist für mich Mal eine Wissensgrundlage zu schaffen, um zu besseren Ergebnissen
und Entscheidungen zu kommen.“ (IP1: 18-19)
Eine der wesentlichen Aufgaben feministischer Politikberatung besteht darin
„ (...) dass eben wissenschaftliche Erkenntnisse so aufbereitet werden, dass Menschen, die
das in Handlung umsetzen müssen, Verwaltung, Politik etc. (und) nutzbar machen können,
(...) fundiertere Entscheidungen (...) treffen. Also eine wissenschaftlich fundierte Arbeit und
der Transfer von komplexen und teilweise für andere Akteurinnen und Akteure
undurchschaubares Wissen in die Praxis.“ (IP 1: 41-47)
In der Organisation P2 findet die Vermittlung von Wissen weniger durch
Politikberaterinnen selbst statt, sondern vielmehr durch Wissenschafter/innen und
Politiker/innen, die zu Fachgesprächen eingeladen werden. In möglichst heterogen
zusammengesetzten Gruppen kleinerer Teilöffentlichkeiten werden politische
Diskurse geführt, die einerseits als Agenda – Setting bezeichnet werden können,
andererseits eine Plattform für Wissensaustausch bilden. Trotz zahlreicher positiver
Ergebnisse dieser Plattformen, v.a. im „Setzen“ feministischer Themen geht die
Interviewpartnerin von einer gewissen Beratungsresistenz vieler Politiker/innen auch
in diesen gezielt zusammengestellten Settings aus. Auf die Frage, wie sie die Rolle
der Politikberatung einschätzt, antwortet sie:
„Ganz ambivalent, (...) Vorstände, Vorsitzende, Parteifunktionäre, Abgeordnete, also wirklich
Funktionsträger/ Funktionsträgerinnen der Parteien, (sind) (...) ein Stück weit
beratungsresistent, muss man sagen. Das hat was mit diesem Alltagsgeschäft, in dem die
stecken und das ja sehr fordernd ist, und es hat auch was damit zu tun, dass sie sich leider,
viel zu wenig, finde ich, systematisch vertieft in die Dinge dann reinbegeben.“ (IP2: 40-46)

94
Nicht nur Zeitmangel und fehlendes Vertiefen in relevante Themen werden an dieser
Stelle als Grenzen feministischer Politikberatung gesehen, sondern auch die
Selbstwahrnehmung von Politiker/innen als Expert/innen:
„ (...) dass die Funktionsträger/ Funktionsträgerinnen (...) überall als Experten/Expertinnen
eingeladen werden, die sitzen ja unheimlich viel auf Podien und machen quasi
Bildungsarbeit, auch politische Agitation und glauben, sie wissen immer schon ganz viel zu
diesen Themen.“ (IP 2: 46-51)
Die Selbstwahrnehmung als Expertin im Politikfeld, d.h. als professionelle/r
Politiker/in und zusätzlich als Angehörige/r eines Geschlechts mit den
entsprechenden Alltags- und Lebenserfahrungen kann zu einem doppelten
erkenntnisbehindernden Effekt führen. Das Bewusstsein darüber, dass dieses
Erfahrungswissen nicht ausreicht, um emanzipatorische Geschlechterpolitik machen
zu können und der Vielfalt weiblicher (und männlicher) Lebensentwürfe zu
entsprechen, muss auch bei politischen Akteur/innen erst geschaffen werden. Aus
diesem Grund muss „Raum für Reflexion und Selbstreflexion“ als wesentlicher
Bestandteil feministischer Politikberatung betrachtet werden. Nicht zuletzt auch
deshalb, weil es immer wieder starke Widerstände gegen feministische Erkenntnisse
gibt. Wie schon mehrmals erläutert, ruft allein der Begriff „feministisch“ zahlreiche
Widerstände hervor, „weil der Begriff „feministisch“ extrem negativ gelegt ist (...)“,
kommentiert eine der Interviewpartnerinnen (IP1: 89). Statt dessen mit dem Begriff
„Gender“ zu arbeiten, bringt ihrer Meinung nach einige strategische wie praktische
Vorteile mit sich, u.a. auch im Sinne internationaler Vernetzungsarbeit und
Kooperationen:
„ Die Genderberatung hat ja den Vorteil, dass durch diesen neuen Begriff Gender durchaus
feministische Inhalte (...) dann zu Tage kommen, aber mit einem anderen Wort belegt
(werden), was weniger Widerstände hervorruft (...), deswegen auch andere Türen noch Mal
öffnet. Und man sich auch im internationalen Diskurs (darauf) beziehen kann oder auch EU
oder andere internationale Institutionen, die ja sehr viel mehr mit dem Wort Gender arbeiten
als da feministisch draufschreiben.“ 86 (IP1: 93-99)
86 Vgl. Hark 2005

95
In der konkreten Beratungspraxis gelingt es dieser Interviewpartnerin sehr gut mit
den verschiedensten persönlichen Widerständen konstruktiv umzugehen, auch wenn
sie anmerkt, dass es durchaus Personen gibt, „ (...) die überzeuge ich schlicht und
einfach nicht.“ (IP1: 309-310) Starke Widerstände verortet auch die zweite
Interviewpartnerin:
„Und zwar sicherlich gerade in Kreisen, die sich selber als gesellschaftspolitisch progressiv
verstehen. Also dazu gehört sicherlich die linke Partei insgesamt (...) die gleichzeitig
Bedeutungen von Geschlechterpolitiken nicht wirklich in ihre Themen zu integrieren
verstehen.“ (IP2: 76-80)
Als Erklärung werden männliche Organisationsstrukturen und die Infragestellung
dieser Strukturen durch feministische Kritik angeführt:
“Teilweise verstehen sie immer noch nicht, was damit gemeint ist und teilweise ist es auch,
also das hat natürlich auch etwas mit Strukturen zu tun, wie Parteien funktionieren. Sehr von
einer bestimmten Form von Männlichkeit oder Machtdenken bestimmt sind. Und damit
werden ja auch Positionen in Frage gestellt immer wieder auch Geschlechterrollen in Frage
gestellt, wie natürlich auch das gesamte System erst Mal funktioniert. Also sicherlich
massiver Widerstand.“ (IP2: 80-85) 87
Trotz dieser Widerstände und dem daraus resultierenden strategischen Umgang mit
Begrifflichkeiten feministischer Zugänge verorten sich beide Interviewpartnerinnen
sowohl in der Frauenbewegung als auch in feministisch-theoretischen Kontexten.
Beide betonen die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit feministischtheoretischen
Diskursen. In den konkreten Feminismus-Definitionen unterscheiden
sich die Interviewpartnerinnen durchaus, jedoch ohne sich auf eine einzelne Richtung
festlegen zu lassen. So beschreibt die Interviewpartnerin der Organisation P1 ihre
Position mit den Worten:
„Ich oszilliere zwischen dekonstruktivistischen Feminismus, der aber weiterhin Geschlecht
als Strukturkategorie Ernst nehmen kann. Deswegen kann ich kein eindeutiges Labeling
verpassen. Manche würden wahrscheinlich sagen, ich bin Postfeministin. Wobei ich dann
Postfeministin nicht so verstanden haben möchte, dass (...) wir in einer nach-feministischen
87 Vgl. I2: 313ff

96
Ära leben, sondern postfeministisch (...) im Sinn einer erkenntnistheoretischen Bewegung,
die dahinter steht, nämlich eine Hinterfragung von früheren feministischen Gewissheiten.“
(IP1: 164-172)
Die zweite Interviewpartnerin betont sowohl den Bewegungs- als auch den
Veränderungscharakter des feministischen Begriffes:
„Also den Feminismus gibt es für mich nicht. Feministische Ansätze sind für mich was, das
ist eigentlich immer >Work in progressDoing Gender< nicht nur auf einer individuellen Ebene abläuft, sondern eben auch
institutionell verankert ist (...) Und das hängt natürlich nicht nur von individuellen
Verhaltensweisen ab, sondern das sind natürlich strukturpolitische Dinge, die dahinter
stehen (...).“ (IP1: 200-217) 89
88 Vgl. S.14: Hark 2005: 33
89 Vg. Kap.5

97
Beide Interviewpartnerinnen argumentieren im Sinne konstruktivistischen Denkens
als Methode, um soziale, geschlechtspezifische Wirklichkeiten interpretieren und im
Sinne der damit verbundenen Prozesshaftigkeit von Erkenntnisprozessen
Veränderungen in Gang bringen zu können. Als notwendige Voraussetzung für diese
Zugangsweisen und in der Umsetzung die Entwicklung vielfältiger Tätigkeitsbereiche
nennt die Interviewpartnerin der Organisation P1:
„Die wissenschaftliche Fundierung, im Sinn von (...) theoretische Debatten kennen, aber
auch die fachlichen Inhalte jeweils kennen oder sich aneignen und dann diese ganze Frage
von Vermittlung, pädagogische Kompetenzen, die Palette von didaktischen Instrumenten
auch zu haben und adäquat einzusetzen.“ (IP1: 422-431)
Wissenschaftliche Fundierung und sorgfältiger Umgang mit Zielformulierungen
empfiehlt auch die zweite Interviewpartnerin, die sie mit „emanzipativ, progressiv und
zukunftsweisend im Bereich Feminismus“ umschreibt. Für die Praxis empfiehlt diese
Interviewpartnerin u.a. auch die Methode der gezielten Provokation, um Themen „zu
setzen“ und „Stachel im Fleisch“ zu sein (IP2: 348):
„Also auch eine Provokation zu starten und dann auch gleichzeitig zu wissen, da können wir
auch provozieren und es kann auch ankommen. Das gehört ja auch dazu. Und das setzt
auch voraus zu wissen: was provoziere ich damit.“ (IP2: 348-351). 90
Zusammenfassend sind bei beiden Institutionen trotz ihrer unterschiedlichen
Arbeitsweisen ein weiter Politikbegriff sowie differenzierte, mitunter strategisch
gesetzte Feminismus- und Genderbegriffe festzustellen. Beide zeichnet ein hoher
Grad an Reflexivität, Professionalität und feministischem Engagement auf
unterschiedlichen Ebenen aus, sei es in Form von „Mikropraktiken, die schon
politisch sind“ (IP1: 459) oder mittels Durchsetzung frauenpolitischer Aspekte bei
UN-Resolutionen. Methodenvielfalt und die Genauigkeit im Umgang mit Theorie und
Praxis sind Grundlage beider feministisch-professionell arbeitender
Politikberaterinnen.
90 Anm. u.p.: Agenda Setting durch Provokation wird von keiner der im Rahmen dieser Arbeit
interviewten Frauenpolitikerinnen in Betracht gezogen.

98
12. Beantwortung der Forschungsfrage und Schluss
Die eingangs formulierte These, Politikerinnen bräuchten dringend feministischwissenschaftliches
Beratung kann derart allgemein formuliert nicht gehalten werden.
Die Differenzierung der Begrifflichkeiten „Politik“, „Frauenpolitik“, „Feminismus“ und
„Politikberatung“ im Zuge dieser Arbeit führen zu der Erkenntnis, dass die
Vielschichtigkeit der Begriffe in der praktischen Umsetzung berücksichtigt werden
muss. Ebenso wie die Vielfalt der politischen Akteurinnen in den Blick genommen
werden sollte. Die feministische Politikberatung gibt es demnach nicht, ebenso wenig
wie die Frauenpolitikerin existiert oder der Feminismus. Die Analyse der
Frauenprogramme der jeweiligen Parteien und die Auswertung der Interviews mit
den politischen Akteurinnen ergeben, dass feministisches Theoriewissen
ansatzweise bei allen Politikerinnen vorhanden ist und einige feministische Ansätze
mittlerweile Teil des politischen Mainstreams geworden sind. Politische Akteurinnen,
die selbst in universitären Zusammenhängen verankert sind bzw. den Kontakt zu
wissenschaftlichen Netzwerke pflegen, verfügen über fundierteres feministisches
Wissen als jene deren Arbeitsbereich vor allem von der politischen Praxis mit der
entsprechenden Funktionslogik geprägt ist. In einigen Programmen und Aussagen ist
der aktuelle Stand der universitär-feministischen Debatte lediglich ansatzweise
vorhanden, in anderen wiederum zentraler Bestandteil der politischen Analyse und
Strategieentwicklung. Die Wissensstände bzw. der Grad an Informiertheit der
jeweiligen politischen Akteurinnen variieren stark, auch innerhalb ein und derselben
Partei. Diese Beobachtung bezieht sich sowohl auf das grundsätzliche Interesse als
auch auf die Themenbereiche und Theorierichtungen. Bereitschaft, sich mit diesem
Wissen zu beschäftigen und die Einschätzung, welche Wissensbereiche für die
eigene politische Tätigkeit nutzbar gemacht werden könnte, sind unterschiedlich. Um
beurteilen zu können, welcher aktuelle Diskurs politisch umsetzbar werden könnte,
bedarf es des Wissens darum. In welcher Form die Vermittlung dieses Wissens statt
finden kann und soll, darüber gibt es auf Seiten der Akteurinnen nur unklare
Vorstellungen. Klare Definitionen von und Erfahrung mit Politikberatung existieren bei
den Frauenpolitikerinnen nicht. Die Erklärung hierfür liegt in der spezifisch
österreichischen Struktur des politischen Systems, welches trotz einiger
Veränderungen und Akzeptanzverluste, nach wie vor auf Basis der Entscheidungen
der sozialpartnerschaftlichen Gremien funktioniert und die Etablierung unabhängiger
Politikberatung bisher nicht als notwendig erscheinen ließ bzw. eine

99
Institutionalisierung externer Expert/innen verhindert hat. Entsprechend dieser
Erkenntnis muss der Bedarf externer 91 Politikberatung durch feministische
Expert/innen erst geschaffen werden. Dass Bedarf an individuell aufbereitetem,
vielfältigem und aktuellem feministischen Wissen vorhanden ist, steht am Ende
dieser Analyse außer Zweifel. Dafür sprechen die Zahlen der Unterrepräsentation der
Frauen in den Entscheidungsgremien des Staates ebenso wie die Aussagen der
politischen Akteurinnen. Aber auch das durch die Frauenbewegung initiierte und
mittlerweile bei allen Frauenpolitikerinnen vorhandene feministische Bewusstsein. An
dieser Stelle sind feministisch-politische Denkweisen, Strategien und
Handlungsmodelle integrierbar. Das persönliche wie berufliche Erfahrungswissen,
feministisches Grundverständnis in unterschiedlichster Ausprägung und vor allem die
prinzipielle Bereitschaft frauenpolitische Initiativen mit den Zielen Gleichstellung und
Selbstbestimmung zu setzen, sind über alle Parteigrenzen hinweg festzustellen und
können damit als Anknüpfungspunkt und Ausgangsbasis für feministische
Wissensvermittlung gesehen werden. In der Umsetzung kann feministische
Politikberatung nur offenes Aushandeln der jeweiligen Bedürfnisse und Interessen
bedeuten. Die sich daraus entwickelnden Handlungsfelder und –möglichkeiten
können vielfältig sein: Feministische Politikberatung kann Anregungen bieten, das
Geschlechterverhältnis über konventionelle Sichtweisen hinaus dekonstruktivistisch
zu denken, kann Initiativen und Themen setzen, kontroversielle Diskussionen und
Diskurse in Gang bringen, (auch mit gezielt gesetzter Provokation), den Austausch
darüber in verschieden zusammengeführten Settings initiieren. Bisher nicht
berücksichtigte Faktoren oder Material zu konkreten Themenbereichen kompakt
und/oder kritisch aufarbeiten, um unter Umständen auch unorthodoxe Empfehlungen
abzugeben – unorthodox im Sinne von widerständig-kritisch. Kaum eine
Frauenpolitikerin äußerte sich kämpferisch in Richtung Männer, womit eine starke
Konsensorientierung festzustellen ist. Direkte, schärfere Kritik an Männern und/ oder
an Parteikollegen, die wesentlich verantwortlich für die Benachteiligung von
Frauenpolitikerinnen innerhalb der parteipolitischen und parlamentarischen
Strukturen sind bzw. regelmäßig wichtige feministische Anlegen bremsen oder
verhindern, wurde kaum geleistet. Feministische Politikberatung kann und soll nicht
nur unkonventionelle Lösungsvorschläge entwickeln, sondern auch Anregung zu
91 Anm.u.p: Mit „extern“ ist hier „außerhalb der partnerschaftlichen Gremien“ gemeint.

100
dissidenter Partizipation 92 in den eigenen politischen Kreisen und den etablierten
Strukturen zu pflegen. Vorraussetzung hierfür ist allerdings Organisationskompetenz
auf Seiten der Beratenden, d.h. Wissen über die Funktionsweisen politischer
Parteien oder Gremien, in denen Frauenpolitikerinnen verankert sind. Damit ist eine
weitere Voraussetzung für erfolgreiche feministische Politikberatung angeführt.
Neben einem bewussten Umgang mit den unterschiedlichen Funktionslogiken von
Politik und Wissenschaft ist feministisch-theoretisch gut fundiertes Wissen
Voraussetzung. In der praktischen Umsetzung ist die souveräne Handhabung
modernen Methoden der Wissensvermittlung, die partizipatorisches,
prozessorientiertes, gleichberechtigtes Miteinander in den Mittelpunkt stellen und die
Wechselseitigkeit des Lernprozesses betonen, eine wesentliche Arbeitsgrundlage.
Der persönliche Bezug, die Möglichkeit zur Anbindung an die eigenen Lebens- und
Berufserfahrungen muss darin gewährleistet sein, nur so ist „politisches Lernen“
möglich. 93 Feministische Politikberatung lässt sich als normativ im Sinne klar
definierter Ziele, die erreicht werden sollen, bezeichnen und erhebt in keinem Fall
den Anspruch scheinbarer oder versuchter Neutralität. Differenziert denken, mehr als
eine Position in den Blick nehmen, auf Vereinfachungen verzichten, möglichst viele
Aspekte und handelnde Personen mit einbeziehen, aktiv partizipieren lassen und
Lösungen gemeinsam aushandeln - darin liegt meiner Ansicht nach die Chance zur
Veränderung im Sinne einer friedlichen, geschlechtersensiblen Demokratisierung der
Gesellschaften. Eine Garantie gegen Beliebigkeit der Konzepte ist das hohe Maß an
kritischer Selbstreflexion der feministischen Denkweisen. Neudefinitionen sind
gefragt und möglich. An diesen Neudefinitionen gemeinsam mit den politischen
Akteurinnen arbeiten, ist eine weitere Aufgabe feministischer Politikberatung. Die
Hürden in der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Politik lassen sich
überwinden, wenn die Systemzwängen, denen die „zu Beratenden“ ausgesetzt sind,
kritisch-reflexiv in gegenseitigem Austausch und in klarer Kontroverse darüber, wie
damit umgegangen werden könnte, berücksichtigt werden. Daran entscheidet sich
nicht zuletzt auch wie feministisch-politische Empfehlungen inhaltlich gestaltet sind
und ob diese Empfehlungen überhaupt realisierbar sind.
Abschließend und zusammenfassend lässt sich festhalten: Es gibt zahlreiche
Argumente und Motive, um feministische Politikberatung in Österreich anzudenken,
92 Vgl. Hark: 2005
93 Vgl. Bothfeld: 2005

101
zu konzipieren und zu institutionalisieren. Auch wenn diese Form der Politikberatung
in Österreich noch nicht einmal am Anfang ist, plädiere ich in meiner Auffassung von
politischem Handeln und im Sinne Hannah Arendts dafür das Neue zu beginnen:
„Was den Menschen zu einem politischen Wesen macht, ist seine Fähigkeit zu
handeln; sie befähigt ihn, sich mit seinesgleichen zusammenzutun, gemeinsame
Sache mit ihnen zu machen, sich Ziele zu setzen und Unternehmungen zuzuwenden,
die ihm nie in den Sinne hätten kommen können, wäre ihm nicht diese Gabe zuteil
geworden: „ etwas Neues beginnen (...)“. (Arendt, Zit. in: Breier 2001: 47)

102
13. Anhang
13.1. Interviewleitfaden für politische Akteurinnen
Fragen zu Frauenpolitik
Wie definieren Sie die Aufgaben von Frauenpolitik?
Welches Ziel sollte Ihrer Meinung nach Frauenpolitik verfolgen?
Fragen zu Feminismus
Wie definieren Sie Feminismus?
Welche Bedeutung haben feministische Inhalte für Ihre frauenpolitische Arbeit?
Fragen zu relevantem Wissen
Welches Wissen brauchen Sie, um Frauenpolitik betreiben zu können?
Welche Inhalte der Geschlechterforschung brauche Ihrer Meinung nach politische
Akteur/innen, um im Sinne einer fortschrittlichen Gender-Politik agieren zu können?
Wer soll Ihrer Meinung nach frauenpolitisch relevantes Wissen produzieren?
(NGOs, Universitäten, Unabhängige Institute etc.)
Fragen zur Politikberatung
Welche Methoden der Vermittlung würden Sie bevorzugen?
(Tagungen, Workshops, Briefings, Gender Trainings etc.)
Was würden Sie von einer geschlechtersensiblen Politikberatung erwarten?
13.2. Interviewleitfaden Politikberatung
Fragen zu Politikberatung
Wie definieren Sie Politikberatung?
Wie schätzen Sie die Rolle bzw. Funktion der Politikberatung ein?
Wo sehen Sie die Grenzen der Politikberatung?

103
Fragen zu Feminismus
Wie definieren Sie Feminismus?
Inwieweit sind Ihrer Meinung nach feministische Erkenntnisse in der heutigen
Politikberatungspraxis relevant?
Welche Inhalte der feministischen Forschung brauchen Ihrer Meinung nach politische
Akteur/innen , im Sinne einer fortschrittlichen Gender-Politik agieren zu können?
Fragen zu Wissenstransfer
Wie kann feministisches Wissen Ihrer Erfahrung nach an politische Akteur/innen
weitergegeben werden?
Wie gestaltet Ihre Organisation/ wie gestalten Sie diesen Wissenstransfer?
Worauf kommt es Ihnen dabei besonders an?
Welche Methode der Wissensvermittlung halten Sie für den Zweck des Transfers von
feministischem Wissen für am besten geeignet?
Wo sind Ihrer Erfahrung nach die Grenzen dieser Vermittlung?
13.3. Interviews Frauenpolitikerinnen
I 1: Politikerin der Partei Bündnis Zukunft Österreich vom 25.04.07
I 2: Politikerin der Grünen Partei vom 19.04.07
I 3: Politikerin der Österreichischen Volkspartei vom 27.04.07
I 4: Politikerin der Sozialdemokratischen Partei, schriftlich beantwortet am 9.Mai 2007
I 5: Politikerin der Österreichischen Volkspartei 25.04.07
I 6: Politikerin der Grünen Partei vom 03.05.07
IP 1: Politikberaterin aus Berlin vom 14.12.07
IP 2: Politikberaterin aus Berlin vom 14.12.07
13.4. Abkürzungen
I
Interview
IP Interview Politikberatung
u.p. Unger Petra

104
13.5. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 :Die schrittweise Einführung des Wahlrechtes für Frauen ___________ 33
Tabelle 2 : Frauenanteil im Nationalrat __________________________________ 37
Tabelle 3 : Frauen in politischen Funktionen ______________________________ 39
13.6. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 : Verknüpfte Kategorie _____________________________________ 41
Abbildung 2 : Aspekte eines Politikbegriffs _______________________________ 45

105
13.7. Frauenvolksbegehren
Volksbegehren 94
Frauen – Volksbegehren
Die UnterzeichnerInnen des Frauen – Volksbegehrens fordern den Beschluss folgender
bundesgesetzlicher Maßnahmen:
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist im Bundes-Verfassungsgesetz zu
verankern. Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) verpflichtet sich
damit zum aktiven, umfassenden Abbau der Benachteiligungen von Frauen.
Die tatsächliche Gleichberechtigung ist insbesondere durch folgende gesetzliche
Maßnahmen herzustellen:
1. Unternehmen erhalten Förderungen und öffentliche Aufträge nur, wenn sie
dafür sorgen, daß Frauen auf allen hierarchischen Ebenen entsprechend
ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten sind.
2. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist anzustreben. Deshalb ist ein
Mindesteinkommen von 15 000 S brutto, das jährlich dem Lebenskostenindex
angepaßt wird, zu sichern.
3. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung sind arbeits- und sozialrechtlich
der vollen Erwerbstätigkeit gleichzustellen.
4. Keine Anrechnung des PartnerIneinkommens bei Notstandshilfe und
Ausgleichszulage.
5. Die Gleichstellung der Frauen muß auch durch staatliche
Bildungsmaßnahmen gefördert werden. Die Bundesregierung hat
geschlechtspezifische Statistiken zu den Themen Beruf und Bildung zu
erstellen und jährlich zu veröffentlichen.
6. Jeder Mensch hat das Recht, Beruf und Kinder zu vereinbaren. Daher hat der
Gesetzgeber für die Bereitstellung ganztägiger qualifizierter
94 Nummer 716 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP

106
Betreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersstufen zu sorgen. Tagesmütter
sind auszubilden und arbeits- und sozialrechtlich abzusichern.
7. Zwei Jahre Karenzgeld für alle AlleinerzieherInnen.
8. Gesetzlich garantierter Anspruch auf Teilzeitarbeit für Eltern bis zum
Schuleintritt ihres Kindes mit Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit.
9. Ausdehnung der Behaltefrist am Arbeitsplatz nach der Karenzzeit auf
26 Wochen.
10. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Grundpension, die nicht unter dem
Existenzminimum liegen darf. Wenn ein/e Lebenspartner/in nicht erwerbstätig
ist, hat der/die andere dafür Pensionsbeiträge zu zahlen. Kindererziehung und
Pflegearbeit wirken pensionserhöhend.
11. Keine weitere Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen, bevor nicht
die tatsächliche Gleichberechtigung in allen Bereichen gegeben ist.
Erläuterungen zu den elf Punkten: siehe Beiblätter.
Beiblätter zum Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens:
Erläuterungen zum Frauen-Volksbegehren
Durch die ausdrückliche Aufnahme der Gleichstellung von Frauen und Männern in das
Bundes-Verfassungsgesetz wird der Gleichheitsgrundsatz konkretisiert. Diese
Staatszielbestimmung verpflichtet Gesetzgebung und Vollziehung zur Herbeiführung der
tatsächlichen Gleichberechtigung. Daraus ergibt sich auch, daß Frauen einen
subjektiven Rechtsanspruch auf volle Gleichbehandlung und entsprechende
unterstützende Maßnahmen durch den Staat haben.
Soweit die angeführten Maßnahmen keine durch Bundesgesetz zu regelnden
Maßnahmen betreffen, ist durch Bundesverfassungsgesetz eine diesbezügliche
Kompetenz des Bundes in Gesetzgebung und Vollziehung zu schaffen. Jedenfalls aber
ist die Verpflichtung der Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden festzulegen,
mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf deren Verwirklichung hinzuwirken
Die gesetzlichen Maßnahmen, durch die diese tatsächliche Gleichberechtigung erreicht
werden soll, sind im Text des Volksbegehrens bloß beispielhaft aufgezählt. Sie sind –

107
entsprechend dem einzuführenden Verfassungsprinzip der Gleichstellung von Frauen
und Männern – je nach Notwendigkeit zu ergänzen.
Zu 1.:
Es hat sich herausgestellt, daß das Gleichbehandlungsgesetz nicht ausreicht, um
Frauen tatsächlich gleiche Aufstiegsmöglichkeiten im Erwerbsleben zu sichern.
Leitungsfunktionen sind weiterhin fast ausschließlich Männern vorbehalten. Noch immer
gibt es die „gläserne Decke“, durch die Frauen trotz bester Qualifikation kaum dringen
können, noch immer werden Männer Frauen trotz gleicher Qualifikation vorgezogen. Um
das zu ändern, sollen Förderungen und öffentliche Aufträge nur mehr an solche private
oder öffentliche Unternehmen vergeben werden, die nachweislich dafür sorgen, daß
Frauen in allen hierarchischen Ebenen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung
vertreten sind. Dafür sind entsprechende Pläne und Etappenziele vorzulegen, deren
Eignung vor Erteilung des Auftrages oder der Förderung geprüft wird. Förderungen und
öffentliche Aufträge sind demnach zu vergeben, wenn entweder bereits
Geschlechterparität herrscht oder wenn zumindest geprüfte Pläne und Etappenziele
vorliegen, die diese Parität anstreben.
Zu 2.:
1996 betrug der Unterschied zwischen den Frauen- und den Männerlöhnen in
Österreich noch immer ein Drittel. Studien zeigen, daß gleicher Lohn für gleichwertige
Arbeit noch immer eine Illusion ist. Insbesondere werden Tätigkeiten, die als „typische“
Frauenberufe gelten, niedriger bewertet, als typische Männerberufe. Das führt dazu, daß
es traditionell in den Branchen mit überwiegend weiblichen Beschäftigten sehr niedrige
Kollektivverträge gibt. Ein Mindesteinkommen von 15 000 S brutto würde dazu
beitragen, die Kluft zwischen Frauen- und Männerlöhnen zu verringern. Um häufige
gesetzliche Anpassungen zu vermeiden, soll dieser Mindestlohn entsprechend dem
Lebenskostenindex jährlich angepaßt werden. Herbeizuführen ist dieses
Mindesteinkommen beispielsweise durch staatliche Ausgleichszahlungen an alle, die
weniger als 15 000 S brutto verdienen.
Zu 3.:
Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen werden vor allem von Frauen ausgeübt.
Derzeit gibt es bis zur Regelarbeitszeit keine Überstundenzuschläge; das ist
entsprechend der sozial- und arbeitsrechtlichen Gleichstellung mit voller

108
Erwerbstätigkeit zu ändern. Wer über die vertraglich vereinbarten Stunden Mehrstunden
leistet, ist zuzüglich aller Zuschläge zu entlohnen.
Geringfügig Beschäftigte sind bloß unfallversichert. Auch bei mehreren derartigen
Arbeitsverhältnissen nebeneinander erwerben Frauen und Männer also keinen
Anspruch auf Arbeitslosengeld, auf Pension, auf Karenzgeld und Krankenversicherung.
Die sozial- und arbeitsrechtliche Gleichstellung bewirkt die volle Einbeziehung dieser
ArbeitnehmerInnen in das Sozialversicherungssystem.
Zu 4.:
Das Individualbesteuerungssystem ist eine der Säulen eines selbstbestimmten Lebens
von Frauen. Keine Steuerleistung darf nach dem Familieneinkommen berechnet
werden. Sie hat ausschließlich an der Leistung der Person anzuknüpfen. Zur Zeit ist
dieses Prinzip an zwei Stellen wesentlich durchbrochen: Ab einer gewissen
Einkommenshöhe des Partners wird keine Notstandshilfe bezahlt. Die Ausgleichszulage
zur Pension wird ebenfalls nach dem gemeinsamen Einkommen der Partner berechnet.
Beides ist zu ändern, so daß auch Notstandshilfe und Ausgleichszulage ausschließlich
an das Einkommen der entsprechenden Person gebunden sind. Ein steuerfreies
Existenzminimum für Hausfrauen und Kinder oder ein Familiensplitting im Steuerrecht
widersprechen hingegen dem Prinzip der Individualbesteuerung.
Zu 5.:
Niemand soll sich auf mangelnde Qualifikation von Frauen ausreden können.
Entsprechende Qualifikationsmöglichkeiten sind vom Gesetzgeber und von der
Verwaltung zu schaffen und zu fördern. Das betrifft Programme zur Berufsausbildung
junger Frauen ebenso, wie die ständige Weiterbildung und Schulungsoffensiven für
arbeitslose Frauen oder Wiedereinsteigerinnen. Um einen entsprechenden Nachweis zu
haben, müssen entsprechende Daten erhoben werden. Diese Statistiken haben sich
sowohl auf den Bereich Beruf (z.B. Bezahlung, Karrieren, Berufszufriedenheit,
Berufswünsche, Vereinbarkeit von Beruf und Kindern) als auch auf den Bereich Bildung
(Höhe der staatlichen Mittel für Frauenaus- und -weiterbildung, Schulungsoffensiven,
Bildungswünsche, Bildungstrends usw.) zu beziehen und sind einmal im Jahr zu
veröffentlichen. Da es um die Entwicklung hin zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung
von Frauen und Männern geht, sind auch die entsprechenden Vergleichszahlen der
Vorjahre und entsprechende Vergleichszahlen der Männer zu veröffentlichen.

109
Zu 6.:
Kinder können im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes nicht ausschließlich Sache der
Mutter sein. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, daß Kinder und Beruf für Mütter und
Väter vereinbar sein müssen. Deshalb besteht das Recht auf eine ausreichende Anzahl
von qualifizierten Kinderbetreuungsplätzen. Insbesondere ist darauf zu achten, daß es
diese notwendigen Plätze für Kinder jeden Alters auch ganztags gibt. Tagesmütter und -
väter sind als gutes Zusatzangebot zu staatlichen Einrichtungen zu verstehen, sie
müssen aber entsprechend ausgebildet sein und selbstverständlich wie alle anderen
Erwerbstätigen auch voll arbeits- und sozialrechtlich abgesichert werden.
Kinderbetreuung durch Tagesmütter und -väter ist als Beruf zu verstehen und
keineswegs als ,,natürliche“ Berufung.
Zu 7.:
Lebenspartner haben gemeinsam Anspruch auf zwei Jahre Karenzzeit pro Kind,
AlleinerzieherInnen aber bloß eineinhalb Jahre. Diese Diskriminierung der
AlleinerzieherInnen ist zu beseitigen. Das Karenzgeld knüpft an vorhergegangene
Erwerbsarbeit an. Es wird zu überlegen sein, auf welche Weise für AlleinerzieherInnen,
die (als SchülerInnen oder StudentInnen) keine Anspruchsvoraussetzung erworben
haben, ein Äquivalent für das Karenzgeld geschaffen wird.
Zu 8.:
Um Kinder und Beruf besser vereinbaren zu können, ist ein gesetzlich garantiertes
Recht auf Teilzeitarbeit für Väter und Mütter bis zum Schuleintritt ihres Kindes
einzuführen. Danach haben sie den Anspruch, wieder auf einen entsprechenden
Vollzeitarbeitsplatz zurückzukehren. Es ist darauf zu achten, daß die Anmeldefristen für
Teilzeit und Rückkehr in die Vollzeitarbeit im Interesse der Eltern gestaltet werden.
Zu 9.:
Derzeit werden viele Frauen während ihrer vierwöchigen Behaltefrist nach der
Karenzzeit gekündigt. Dadurch sind sie nicht in der Lage, wieder einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld zu erwerben und müssen so aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Die
Ausdehnung der Behaltefrist auf 26 Wochen würde den Anspruch auf Arbeitslosengeld
neu entstehen lassen und verhindern, daß Unternehmer auf Kosten der Frauen mit
kleinen Kindern Arbeitskräfte abbauen. Außerdem ist wohl erst nach dieser Zeit objektiv

110
festzustellen, ob eine Frau/ein Mann den Anforderungen ihrer/seiner früheren
Arbeitsstelle noch gewachsen ist.
Zu 10.:
Rund ein Fünftel der Frauen im Pensionsalter hat derzeit keine eigene Pension.
Wichtiger Teil der Selbstbestimmung von Frauen ist es, auch im Alter über eigenes
Einkommen zu verfügen. Deshalb ist für Frauen und Männer eine Grundpension zu
sichern, die nicht unter dem Existenzminimum liegen darf. Das Existenzminimum
berechnet sich nach jener Pensionshöhe, ab der keine Ausgleichszulage mehr bezahlt
wird. Um diese Grundpension zu finanzieren, soll der erwerbstätige Lebenspartner für
den nichterwerbstätigen Lebenspartner Pensionsbeiträge einzahlen. Für alleinlebende
Menschen ohne ausreichende Versicherungszeiten muß der Staat einspringen.
Gleiches gilt in finanziellen Notsituationen von Familien bis zum Schuleintritt des
jüngsten Kindes. Zeiten der Kindererziehung und der Pflegearbeit wirken überdies
pensionserhöhend. Dadurch soll erreicht werden, daß Menschen, die wegen
Betreuungsaufgaben keiner Erwerbsarbeit nachgegangen sind, mehr Pension
bekommen, als Menschen, die ohne solche Betreuungsaufgaben keine Erwerbsarbeit
ausüben. Erwerbstätig im obigen Sinn sind auch alle, die arbeitslos gemeldet sind und
sich daher um Erwerbsarbeit bemühen.
Zu 11.:
Das Penionsantrittsalter der Frauen wird bis zum Jahr 2028 schrittweise an das
Pensionsalter der Männer herangeführt. Vorgezogene Anhebungen des
Pensionsantrittsalters von Frauen wären nur für den Fall gesetzeskonform, daß bereits
nachweislich in allen Bereichen die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und
Männern gegeben ist.
Als Bevollmächtigte im Sinne des § 3 Abs. 4 lit. b des Volksbegehrengesetzes 1973
wurde namhaft gemacht:
Dr. Gabriele Christa Pölzlbauer, Psychologin, Obfrau des Vereins Unabhängiges
Frauenforum, 1090 Wien, Servitengasse 19/5,
Im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 97 vom 26. April 1997 ist folgende Kundmachung
über das Ergebnis der Eintragungen erschienen:

Bundeswahlbehörde
Zl. 48 637/25-IV/6/97
Frauen-Volksbegehren
Gemäß § 16 Abs. 1 des Volksbegehrengesetzes 1973, BGBl. Nr. 344, in der
Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 505/1994 hat die Bundeswahlbehörde in
ihrer Sitzung vom 25. April 1997 auf Grund der Berichte der Bezirkswahlbehörden
folgendes Ergebnis der Eintragungen für das Frauen-Volksbegehren ermittelt:
Bundesland
Stimmberechtigte
Anzahl der
gültigen
Stimmbeteiligung
Eintragungen in %
Burgenland 213 679 24 499 11,47
Kärnten 418 049 39 604 9,47
Niederösterreich 1 127 624 125 090 11,09
Oberösterreich 977 705 102 680 10,50
Salzburg 348 249 43 170 12,40
Steiermark 903 202 99 696 11,04
Tirol 457 989 32 076 7,00
Vorarlberg 223 559 14 735 6,59
Wien 1 102 883 163 115 14,79
Österreich 5 772 939 644 665 11,17
Da somit mehr als 100 000 gültige Eintragungen von Stimmberechtigten ermittelt
worden sind, hat die Bundeswahlbehörde festgestellt, daß ein Volksbegehren im
Sinn des Art. 41 Abs. 2 B-VG vorliegt.
Wien, am 25. April 1997.
Der Stellvertreter des Bundeswahlleiters:
Szymanski

112
13.8. Literaturliste Master Thesis
Alemann, Ulrich von: Grundlagen der Politikwissenschaft: ein Wegweiser, Opladen,
1994
Angerer, Marie-Luise, Appelt, Erna; Bell Anni; Rosenberger, Sieglinde; Seidl,
Hadwig, (Hg.innen): Auf glattem Parkett. Feministinnen in Institutionen, Verlag für
Gesellschaftskritik, Wien, 1991
Arendt, Hannah: Vita activa, Piper Verlag, Neuausgabe, München, 2002
Arendt, Hannah: Was ist Politik?, Piper, 2.Auflage, München, 2005
Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht, Rowohlt Verlag, Reinbeck bei Hamburg,
1987 (1949)
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne,
Frankfurt/M., 1986
Becker, Ruth; Kortendieck, Beate, u.a. (Hg.innen): Handbuch der Frauen- und
Geschlechterforschung, Verlag für Sozialwissenschaften, 2004
Benhabib, Seyla; Butler, Judith; Fraser, Nancy: Der Streit um Differenz, Fischer
Verlag, Frankfurt, 1993
Bleek, Wilhelm: Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, Beck, München
2001
Bothfeld, Silke: Vom Erziehungsurlaub zur Elternzeit – Politisches Lernen im
Reformprozess, Campus Verlag, Frankfurt, 2005
Bourdieu, Pierre : Die feinen Unterschiede, Suhrkamp, Frankfurt, 1992a
Bourdieu, Pierre : Homo academicus, Suhrkamp, Frankfurt, 1992b
Breier, Karl-Heinz: Hannah Arendt – Zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg, 2001
Dachs, Herbert; Gerlich, Peter; Gottweis, Herbert; Horner, Franz; Kramer,
Helmut; Lauber, Volkmar; Müller, Wolfgang C.; Tálos, Emmerich (Hg.):
Handbuch des politischen Systems Österreichs, Manzsche Verlags- und
Universitätsbuchhandlung, Wien, 1991
Dahl, Robert A.: Modern Political Analysis, London, 1984
Falk, Svenja ; Rehfeld, Dieter; Römmele Andrea; Thunert, Martin (Hg.innen):
Handbuch Politikberatung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2006

113
Fourier, Charles: Aus der neuen Liebeswelt, Zit. in: Andel, Claudia (1997), Das
Menschen- und Gesellschaftsbild in der feministischen Utopiediskussion, Edition
Wissenschaft : Reihe Pädagogik 30, Tectum - Verlag, Marburg (Microfiche -
Ausgabe, 3 Microfiche).Online:
http://members.aol.com/Cypunk0815/homepage/index.html
Fraser, Nancy: Die halbierte Gerechtigkeit, Suhrkamp, Frankfurt, 2001
Geiger, Brigitte; Hacker, Hanna: Donauwalzer. Damenwahl. Frauenbewegte
Zusammenhänge in Österreich, Promedia, Wien, 1989
Gildemeister, Regine; Wetterer, Angelika: Wie Geschlechter gemacht werden. Die
soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der
Frauenforschung. In: Knapp, Gudrun –Axeli; Wetterer, Angelika (Hg.innen)
Traditionen und Brüche, Freiburg, 1992, S.235
Greven, Michael Th. : Die Allgegenwart des Politischen und die Randständigkeit der
Politikwissenschaft, In: C. Leggewie (Hrsg.), Wozu Politikwissenschaft? Über das
Neue in der Politik, Darmstadt, 1994
Grunenberg, Antonia: Ein Anfang immer und überall, In : Du, Heft Nr.710, Okt.
2000, S.81
Harding, Sandra: Das Geschlecht des Wissens. Frauen denken Wissenschaft neu,
Frankfurt/ New York, Campus, 1994 (1991)
Hark, Sabine: Dissidente Partizipation, Suhrkamp, Frankfurt, 2005
Hauch, Gabriella: Vom Frauenstandpunkt aus: Frauen im Parlament 1919-1933,
Verlag für Gesellschaftskritik, Wien, 1995
Haugg, Frigga (Hg.in): Historisch-Kritisches Wörterbuch des Feminismus, Hamburg,
Argument, 2003
Hoecker, Beate (Hg.in): Handbuch Politische Partizipation von Frauen in Europa,
Opladen, 1998
Hoecker, Beate; Fuchs, Gesine (Hg.innen): Handbuch Politische Partizipation von
Frauen in Europa, Band II, Verlag für Sozialwissenschaften, Opladen, 2004
Hofmann, Helga: Teilnehmen und Teilhaben. Frauenbewegungen in Österreich.
Eine Betrachtung, In: Graf, Andrea (Hgin): Zur Politik des Weiblichen. Wien: Verlag
für Gesellschaftskritik, 1990
Holland - Cunz Barbara: Die alte neue Frauenfrage, Edition Suhrkamp, Frankfurt
am Main, 2003
Holland - Cunz Barbara: Die Regierung des Wissens, Budrich Verlag, Opladen,
2005

114
Holland-Cunz, Barbara: Soziales Subjekt Natur. Natur- und Geschlechterverhältnis
in emanzipatorischen politischen Theorien,
Holzleithner, Elisabeth: Gleichstellungspolitik in der EU – ein unerfülltes
Versprechen?, In: Klampfl, Angelika; Lanzinger, Margareth: Das kritische EU-Buch.
Warum wir ein anderes Europa brauchen, Wien, 2006
Knapp, Gudrun – Axeli: Kurskorrekturen. Feminismus zwischen kritischer Theorie
und Postmoderne. Campus, Frankfurt/M., 1998
Krause, Ellen: Einführung in die politikwissenschaftliche Geschlechterforschung,
Leske + Budrich Verlag, Opladen, 2003
Kreisky, Eva: Der Stoff aus dem die Staaten sind - Zur männerbündischen
Fundierung politischer Ordnung, In: Becker-Schmidt, Regina; Knapp, Gudrun-Axeli
(Hg.innen), Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften,
Campus Verlag, Frankfurt/New York, 1995, 85-124
Kurz-Scherf, Ingrid; Dzewas, Imke; Lieb, Anja; Reusch, Maria (Hg.innen): Reader
Feministische Politik und Wissenschaft, Helmer Verlag, Königstein/Taunus, 2006
Lauretis, Teresa de: Technologies of Gender, Indiana University Press, Bloomington
1987
Leitner, Andrea: Gender als Mainstream - Doing Gender in Theorie und politischer
Praxis, Institut für Höhere Studien, Wien, 2005
Mayreder, Rosa: Zur Kritik der Weiblichkeit, Mandelbaum Verlag, Wien, 1998 (1905)
Millet, Kate: Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer
Gesellschaft, Reinbek bei Hamburg, 1985
Mitscherlich, Margarethe: Die friedfertige Frau. Eine psychoanalytische
Untersuchung zur Aggression der Geschlechter, Frankfurt/Main, 1989
Ostendorf, Helga: Überlegungen zur Geschlechterpolitik staatlicher Institutionen –
Die Chancen der Implementation frauenfördernder Bildungsprogramme. In:
Zeitschrift für Frauenforschung 3/96, 23-38, 1996
Pelinka, Anton: Grundzüge der Politikwissenschaft, UTB, Böhlau, Wien, 2004
Pelinka, Anton; Rosenberger, Sieglinde: Österreichische Politik, WUV-
Universitätsverlag, Wien, 2000
Rommelspacher, Birgit :Dominanzkultur, Texte zu Fremdheit und Macht, Orlanda
Frauenverlag, Berlin, 1995
Rommelspacher, Birgit: Anerkennung und Ausgrenzung, Deutschland als
multikulturelle Gesellschaft, Campus Verlag, Frankfurt 2002

115
Rosenberger, Sieglinde: Geschlechterverhältnisse als Gegenstand der
österreichischen Politik, Studien zur politischen Wirklichkeit, Band 6, Braumüller
Universitäts- Verlagsbuchhandlung, Wien, 1992
Rosenberger, Sieglinde; Sauer, Birgit: Politikwissenschaft und Geschlecht,
Facultas, WUV, Wien, 2004
Rösslhumer, Maria; Appelt, Birgit : Hauptsache Frauen, Politikerinnen der 2.
Republik, Styria Verlag, Graz, 2001
Rossmann, Eva: Unter Männern – Frauen im österreichischen Parlament, Folio
Verlag, Wien-Bozen, 1995
Sabisch, Katja: Im Zeichen des Postfeminismus - Postfeministische Zeichen?,
Diplomarbeit, Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie, 2002
Sauer, Birgit : Demokratisierung mit oder gegen den Staat? Thesen zu einer
feministischen Revision staatstheoretischer Ansätze, In: Abels, Gabriele; Sifft,
Stefanie (Hrsg.): Demokratie als Projekt. Feministische Kritik an der
Universalisierung einer Herrschaftsform, Frankfurt/M./New York (Campus), 1999, S.
79-103
Sauer, Birgit: Begrenzung und Entgrenzung des Politischen: Geschlechterforschung
in der Politikwissenschaft In: Sonderdruck, Genus – Geschlechterforschung/ Gender
Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart,
2005
Schaal, Gary S.; Heidenreich, Felix: Einführung in die politische Theorien der
Moderne, UTB Verlag, 2006
Schröttle, Monika; Glammeier, Sandra: „Gewalt gegen Frauen“, Interdisziplinäres
Zentrum für Frauen und Geschlechterforschung, Universität Bielefeld, 2005.
Schefbeck, Günter: Die Volksvertreterin, Frauenwahlrecht und parlamentarische
Vertretung der Frauen in Österreich, Katalog anlässlich des Internationalen
Frauentages, Wien, 2005
Stiegler, Barbara: Gender Macht Politik, Friedrich – Ebert – Stiftung, Abteilung
Arbeit und Sozialpolitik, Bonn, 2002)
Thürmer-Rohr , Christina: Aus der Täuschung in der Enttäuschung. Zur
Mittäterschaft von Frauen, In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Heft 8/
1983, S. 11-25

116
Thürmer-Rohr, Christina: Mittäterschaft der Frau, Analyse zwischen Mitgefühl und
Kälte, In: Studienschwerpunkt „Frauenforschung“ am Institut für Sozialpädagogik der
TU Berlin (Hrsg.): Mittäterschaft und Entdeckungslust, Berlin, Orlanda,1989, S. 87-
103
Thürmer-Rohr, Christina; Wildt, Carola; Emme, Martina; Flamm, Monika; Fritz,
Vera; Voigt, Sigrid (Hg.innen): Mittäterschaft und Entdeckungslust, Berlin, 1989
West, Candice; Zimmermann, Don: Doing Gender, In: Myers, Kristen A., Anderson,
Cynthisa D. und Risman et.al. (Hg.innen), Feminist Foundations,Towards
Transforming Sociology, Thousand Oaks u.a., S. 167-190, (Erstauflage in Gender &
Society 1987, Vol.1, No. 2, S.125-151), 1998, S. 177
Wetterer, Angelika: Konstruktion von Geschlecht, Zit. in: Reproduktionsweisen der
Zweigeschlechtlichkeit, Becker/ Korteniek, 2004
13.9. Linkliste
Die Grünen Österreich
http://www.gruene.or.at
ÖVP Frauenbewegung
http://www.frauenoffensive.at
SPÖ Frauen
http://www.frauen.spoe.at
Freiheitliche Partei
http://www.freiheitlichefrauen.at
Bündnis Zukunft Österreich
http://www.bzoe.at
Österreichische Nationalbibliothek: Ariadne
http://www.onb.ac.at/ariadne
Österreichisches Parlament
www.parlament.gv.at

117
Website Eva Kreisky
http://evakreisky.at/2002-2003/powi/protokolle/aproto051102.doc
http://evakreisky.at/2002-2003/powi/protokolle/22102002protokoll.html
Fakultätsvertretung Human- und Sozialwissenschaften
http://www.fvhus.at/view.php?name=politikwissenschaft
Universität Bielefeld (Begriffsdefinition „Deliberativ“)
http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/47558/
Website zu Intersexualität
http://www.dieuniversitaet-online.at/beitraege/news/intersexualitat-undrecht/65/neste/3.html
Statistik Austria
www.statistik.at
Heinrich Böll Stiftung, Feministisches Institut
http://www.glow-boell.de
Genderbüro
www.gender.de