Zur Lage der Gruppe - Arbeiterstimme
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30 <strong>Arbeiterstimme</strong><br />
Winter 2005<br />
Die Verbundenheit von Teilen<br />
des bürgerlichen Staates und <strong>der</strong><br />
heimlich gezeigten Sympathie seiner<br />
Organe für die Aktivitäten <strong>der</strong> Faschisten<br />
ist unübersehbar. Die faschistische<br />
Akzeptanz ist – das gilt<br />
zumindest für den Osten – weit in die<br />
bürgerliche Mitte vorgedrungen,<br />
nicht zuletzt getragen von <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Rechtsentwicklung <strong>der</strong> bundesrepublikanischen<br />
Politik, durch<br />
Demokratie- und Sozialabbau. Nur so<br />
ist erklärbar, dass die NPD im sächsischen<br />
Parlament über die eigene<br />
Fraktionsstärke hinaus Unterstützung<br />
findet.<br />
Die Entscheidung <strong>der</strong> NPD,<br />
ihre Aktivitäten auf Sachsen zu konzentrieren,<br />
hat den Hintergrund, dass<br />
sie zu Recht davon ausging und ausgeht,<br />
hier beste Voraussetzungen für<br />
ihre Sozialdemagogie vorzufinden.<br />
Die Faschisten sahen die wirtschaftliche<br />
<strong>Lage</strong> im Osten – und<br />
insbeson<strong>der</strong>e in Sachsen, dem bevölkerungsstärksten<br />
Bundesland – als<br />
den Hebel, ihre Partei in einem Landesparlament<br />
zu etablieren. Für sie ist<br />
nun Sachsen das Sprungbrett zur „Eroberung“<br />
weiterer Bundeslän<strong>der</strong>, sowie<br />
von Sitzen im Bundestag. Die<br />
Rechnung ging in den zurückliegenden<br />
Landtagswahlen in Sachsen erst<br />
einmal auf. Wenn es auch mit weiteren<br />
„Eroberungen“, insbeson<strong>der</strong>e mit<br />
dem Einzug in den Bundestag vorerst<br />
nichts geworden ist.<br />
Die Grundlage für soziale<br />
Demagogie<br />
Die Arbeitsmarktlage in Sachsen<br />
ist katastrophal. Die Erwerbslosenzahlen<br />
liegen zwar leicht unter<br />
denen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en neuen Bundeslän<strong>der</strong>,<br />
doch hatten diese nicht die vergleichbaren,<br />
quantitativen und qualitativen<br />
Industriestrukturen. Sachsen<br />
war in Deutschland seit <strong>der</strong> Industrialisierung<br />
das bedeutendste Kernland<br />
<strong>der</strong> verarbeitenden Industrie.<br />
Das än<strong>der</strong>te sich auch zu DDR-Zeiten<br />
nicht.<br />
Erst die Einverleibung <strong>der</strong> DDR<br />
durch die BRD hatte für die gesamte<br />
Ostindustrie nachhaltige Folgen. Die<br />
Betriebe wurden weitgehend durch<br />
die Treuhandanstalt zerschlagen o<strong>der</strong><br />
von westdeutschen Konzernen „gefressen“.<br />
Seit 1991 gibt es deshalb eine<br />
immense Massenarbeitslosigkeit, die<br />
sich über die ganze Zeit, laut den offiziellen<br />
Zahlen, bei ungefähr 18 Prozent<br />
bewegt.<br />
Anfänglich gab es bei den Menschen<br />
noch große Hoffnungen auf<br />
den „Aufschwung Ost“ und damit<br />
auf die soziale Angleichung. Die Anfangshoffnungen<br />
haben dazu geführt,<br />
dass die Massenloyalität, trotz<br />
<strong>der</strong> katastrophalen sozialen Verän<strong>der</strong>ungen,<br />
zu dem neuen politischen<br />
System BRD stabil blieb.<br />
Der „Aufschwung“ kam aber<br />
nicht. Im Gegenteil. Heute muss<br />
davon ausgegangen werden, dass <strong>der</strong><br />
Osten, und damit auch die Menschen<br />
mit ihren Angleichungswünschen,<br />
dauerhaft abgehängt ist. Bereits seit<br />
einigen Jahren geht die Angleichungsschere<br />
wie<strong>der</strong> auseinan<strong>der</strong>.<br />
Die Loyalität zum bürgerlich demokratischen<br />
Staat schwindet. August<br />
Thalheimer hat in einem Artikel zur<br />
Krise des Parlamentarismus 1929 folgendes<br />
festgestellt:<br />
„Die parlamentarische demokratische<br />
Herrschaft des Trustkapitals<br />
setzt die willige Gefolgschaft des<br />
Kleinbürgertums und mindestens <strong>der</strong><br />
ausschlaggebenden Teile <strong>der</strong> Arbeiterklasse<br />
voraus. ... Das ist nur möglich,<br />
wo <strong>der</strong> Kapitalismus im Aufstieg ist,<br />
wo er dem Kleinbürger und Teilen <strong>der</strong><br />
Arbeiterklasse noch Aufstiegsmöglichkeiten<br />
zeigt.“<br />
Die Suche nach Auswegen hat<br />
deshalb bei vielen Menschen und<br />
zwar nicht nur bei Erwerbslosen begonnen.<br />
Die ungenügenden Lebensperspektiven<br />
verursachen Lebens - und<br />
Zukunftsängste, sowohl bei denen,<br />
die bereits erwerbslos sind, als auch<br />
bei denen die noch eine bezahlte Arbeit<br />
haben. Immer mehr Menschen<br />
und <strong>Gruppe</strong>n werden ausgegrenzt<br />
und stigmatisiert als wertlose Parasiten<br />
<strong>der</strong> Sozialsysteme. Sie sind geprägt<br />
vom Stempel <strong>der</strong> „Außersozialen“.<br />
Geför<strong>der</strong>t wird dieser Prozess<br />
durch die Politik des Sozialabbaus.<br />
Hier wirken in beson<strong>der</strong>em Maße die<br />
Hartz-Gesetze, die den Betroffenen<br />
nicht nur die materielle Lebensgrundlage,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Würde entziehen.<br />
Die Bewegung <strong>der</strong> Montagsdemos<br />
im Sommer vergangenen Jahres,<br />
entstand aus <strong>der</strong> Empörung über die<br />
damals geplante Einführung des ALG<br />
II. Sie hat sehr deutlich die frustrierte<br />
Stimmungslage im Osten optisch unterstrichen.<br />
Die NPD hat von Anfang an versucht<br />
aus dieser Bewegung Nektar zu<br />
ziehen. Das ist ihr, wie die Landtagswahlen<br />
zeigen, auch gelungen. Sie hat<br />
dabei nicht nur Erwerbslose erreicht,<br />
son<strong>der</strong>n auch Werktätige, die unter<br />
schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen<br />
leiden und von Erwerbslosigkeit<br />
bedroht sind, sowie viele Kleingewerbetreibende.<br />
Der NPD ist damit in Sachsen das<br />
gelungen, was <strong>der</strong> historische Faschismus<br />
bis zum Ende <strong>der</strong> Weimarer Republik<br />
in <strong>der</strong> Regel erfolglos versucht<br />
hat. Sie hat tatsächlich in nennenswertem<br />
Umfang Arbeiter mit ihrer Demagogie<br />
gewonnen, bis hinein in den Bereich<br />
<strong>der</strong> gewerkschaftlich Organisierten.<br />
Der Erfolg basiert auf <strong>der</strong> Schwäche<br />
<strong>der</strong> Arbeiterbewegung, die heute<br />
über keine Massenpartei verfügt, die<br />
<strong>der</strong> Klasse die Orientierung auf eine<br />
sozialistische Alternative geben kann.<br />
Hinzu kommt, dass <strong>der</strong> Sozialismus als<br />
Gesellschaftsmodell bei den meisten<br />
Werktätigen diskreditiert ist.<br />
Hinzu kommt, dass die heutige<br />
Arbeiterklasse kein Klassenbewusstsein<br />
mehr hat; maximal gibt es noch<br />
Elemente von Klasseninstinkt. Ihr Sein<br />
wird bestimmt von kleinbürgerlicher<br />
Lebens – und Denkweise, was durch<br />
das Verschwinden proletarischer Milieus<br />
noch verstärkt wird.<br />
Insgesamt sind das die idealen<br />
Voraussetzung für faschistische Demagogen.<br />
Und gleichzeitig zeigt sich die<br />
Gefährlichkeit <strong>der</strong> Situation. Bei weiterem<br />
Anstieg <strong>der</strong> Erwerbslosigkeit –<br />
davon muss man bei weiter stark steigen<strong>der</strong><br />
Produktivitätsentwicklung in<br />
<strong>der</strong> Industrie ausgehen – und weiterem<br />
Abbau des Sozialstaats, sowie weiterem<br />
Abbau von Arbeitsschutzgesetzen<br />
wird sich die innenpolitische <strong>Lage</strong><br />
zuspitzen.<br />
Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
die Faschisten weitere parlamentarische<br />
Positionen „erobern“ ist gegeben.<br />
Die Frage nach <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong><br />
Wie<strong>der</strong>kehr des Faschismus in<br />
Deutschland muss deshalb gestellt<br />
werden.<br />
Aber wie groß ist die Gefahr tatsächlich<br />
und welcher Voraussetzungen<br />
bedarf es, dass <strong>der</strong> Fall eintritt,<br />
dass die Bourgeoisie den Faschisten<br />
die Macht übergibt?