Zur Lage der Gruppe - Arbeiterstimme
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Winter 2005<br />
<strong>Arbeiterstimme</strong><br />
7<br />
von Andreas Nahles gewesen. Interessant<br />
und gekonnt war zudem, wie<br />
Müntefering nach seinem Scheintot<br />
die Auferstehung gelang. Es war<br />
zwar als Parteivorsitzen<strong>der</strong> zurückgetreten,<br />
bleibt aber weiterhin die<br />
wichtigste Führungsgestalt <strong>der</strong> SPD.<br />
Müntefering übernahm umgehend<br />
den Posten des Vizekanzlers und das<br />
Ministeramt für Arbeit und Soziales.<br />
Bei den Koalitionsverhandlungen<br />
stand er an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> SPD-Riege.<br />
Das Trio Müntefering, Platzeck,<br />
Struck hat nun das Sagen. Sie<br />
haben dafür zu sorgen, daß<br />
die Regierungspolitik<br />
möglichst reibungslos in Partei<br />
und Fraktion durchgestellt<br />
wird, auch wenn es dem alten<br />
sozialdemokratischen Verständnis<br />
nach gegen den<br />
Strich geht.<br />
Der Sinn des Coups war<br />
es, eine Distanz herzustellen<br />
zwischen Regierungspolitik<br />
und <strong>der</strong> Partei. Der geschmeidige<br />
und nicht festgelegte<br />
Platzeck soll kommende unpopuläre<br />
und unsoziale Regierungsmaßnahmen<br />
gegenüber <strong>der</strong> Partei abfe<strong>der</strong>n<br />
und seine Hände in Unschuld waschen<br />
können. Das heißt die Fortsetzung<br />
einer Politik mit gespaltener<br />
Zunge.<br />
„Jubelstürme wird diese<br />
Regierung nicht auslösen“<br />
(Platzeck)<br />
Im Gegensatz zur SPD-Regierungspolitik<br />
hatte Müntefering im<br />
Wahlkampf die Parole ausgegeben<br />
„Geld darf nicht regieren“. Wer ihm<br />
das noch abnimmt, muß verschlafen<br />
haben, wie gerade in dieser Ära durch<br />
die Steuerpolitik <strong>der</strong> Schrö<strong>der</strong>-SPD<br />
die Reichen immer reicher wurden.<br />
Aber nein, jetzt zaubert die SPD die<br />
„Reichensteuer“ aus dem Hut, die<br />
höchstens etwa 900 Millionen Euro<br />
einbringen würde, käme sie überhaupt<br />
durch. Eichel hatte den Spitzensteuersatz<br />
mit dem Ergebnis von<br />
elf Milliarden gesenkt, ein Supergeschenk<br />
für die Reichen, Absen<strong>der</strong><br />
SPD! Man sieht, die Bluffs werden<br />
immer durchsichtiger. Nur nicht für<br />
den famosen DGB-Vorsitzenden<br />
Sommer, <strong>der</strong> auf die von <strong>der</strong> SPD-<br />
Führung angekündigte „Erneuerungspartnerschaft“<br />
mit den Gewerkschaften<br />
vertraut. Aber nicht nur<br />
Sommer kann das Geschwätz nicht<br />
lassen. Auch <strong>der</strong> DGB insgesamt<br />
scheut sich nicht, sich lächerlich zu<br />
machen mit <strong>der</strong> Erklärung, im Koalitionsvertrag<br />
sei auch „viel Einheitsgewerkschaft<br />
drin“... („Einblick“)<br />
Die Mehrheit <strong>der</strong> Wähler hat<br />
den Folgen des neoliberalen Kurses<br />
eine Absage erteilt, auch viele SPD-<br />
Wähler. Deshalb wird es heikel für<br />
den weiteren Kurs <strong>der</strong> SPD. Deren<br />
Führung hofft wohl nun darauf, ihre<br />
Wählertäuschungen besser übertünchen<br />
zu können, indem sie die Ausrede<br />
benutzt, <strong>der</strong> Unions-Koalitionspartner<br />
zwinge die Partei, auch unsoziale<br />
Maßnahmen zu unterstützen.<br />
Das wird ihnen so nicht mehr gelingen,<br />
denn die Menschen haben sieben<br />
Jahre Anschauungserfahrung<br />
hinter sich, in <strong>der</strong> die Stammwählerschaft<br />
stark enttäuscht wurde und<br />
zusammenschrumpfte.<br />
Die SPD bleibt in <strong>der</strong> Dauerkrise,<br />
die ruhigere Phasen und heftigere<br />
Ausbrüche in sich bergen wird.<br />
Diese Nie<strong>der</strong>gangsentwicklung kann<br />
auch Platzeck nicht aufhalten, <strong>der</strong><br />
gerade in Brandenburg 10 Prozent<br />
Stimmenverluste hinnehmen mußte.<br />
Eine bürgerliche Zeitung<br />
(„Nürnberger Nachrichten“) schreibt<br />
richtigerweise: „Das Unbehagen über<br />
die Folgen <strong>der</strong> Exzesse des Kapitalismus<br />
wächst.“ An an<strong>der</strong>er Stelle ist<br />
<strong>der</strong> Autor aber <strong>der</strong> Ansicht, die zunehmenden<br />
sozialen Spannungen<br />
parlamentarisch begrenzen zu können.<br />
„Die Präsenz von Grünen und<br />
Linkspartei dürfte mit dazu beitragen,<br />
daß sich keine außerparlamentarische<br />
Kraft wie 1967 bildet.“ Wenn<br />
sich <strong>der</strong> Leitartikler da mal nicht<br />
täuscht. Je ärger die Koalition <strong>der</strong><br />
Verlierer ihren neoliberalen Kurs<br />
weiterverfolgt, desto mehr wird Wi<strong>der</strong>stand<br />
aufflackern. Der Teil <strong>der</strong><br />
Bevölkerung, <strong>der</strong> sich heute schon<br />
sozial am Rande <strong>der</strong> Gesellschaft befindet,<br />
wird auf neue Sprüche und<br />
auf folgenlose „Kapitalismuskritik“<br />
kaum mehr hereinfallen. Die Phrasen,<br />
die eine ganze Schar Millionäre mit<br />
großem Geldaufwand in den Medien<br />
verzapfen – „Du bist Deutschland<br />
– Wenn du willst, geht es vorwärts“<br />
– verpuffen dann in <strong>der</strong> Luft, wenn<br />
sie merken, daß sie ihren Lebensumständen<br />
direkt wi<strong>der</strong>sprechen.<br />
Anbie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Linkspartei<br />
Kaum hat die Linkspartei<br />
ihren Bundestagswahlerfolg<br />
feiern können und endlich<br />
einen Fuß im Westen mittels<br />
WASG auf den Boden gebracht,<br />
bie<strong>der</strong>n sich ihre Führer<br />
umgehend wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> SPD<br />
an. Gysi und Bisky gieren direkt<br />
nach Regierungssesseln,<br />
das Desaster im Land Berlin ist<br />
ihnen anscheinend keine Lehre.<br />
Im Neuen Deutschland<br />
spricht Bisky eine Koalition mit <strong>der</strong><br />
SPD 2009 an. Er sieht die „Chance,<br />
daß sich die SPD ihrer sozialdemokratischen<br />
Traditionen besinnt.“ Eine<br />
unglaubliche Ansicht eigentlich, angesichts<br />
<strong>der</strong> Rechtsentwicklung in<br />
<strong>der</strong> SPD und <strong>der</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> Entsozialdemokratisierung.<br />
Aber es sind<br />
nicht nur Bisky o<strong>der</strong> Gysi allein, die<br />
solche Märchen verbreiten. Ähnliches<br />
steht nämlich auch in einem Strategiepapier<br />
des Vorstands: Die Linkspartei<br />
sei bereit, „bei entsprechen<strong>der</strong><br />
politischer Übereinstimmung 2009<br />
auch Regierungsverantwortung zu<br />
übernehmen.“ Man hoffe auf einen<br />
Kurswechsel <strong>der</strong> SPD. Die Golf-Generation<br />
<strong>der</strong> SPD, die immer mehr die<br />
Partei beherrscht, wird sich damit<br />
bestimmt beeilen.<br />
Ob die Linkspartei in den kommenden<br />
sozialen Kämpfen und im<br />
gesellschaftlichen Wi<strong>der</strong>stand den<br />
politischen Beistand geben kann, den<br />
viele Linke sich erhoffen, ist bei einem<br />
solchen Anbie<strong>der</strong>ungs- und Anpassungskurs<br />
mehr als zweifelhaft.<br />
Bei dieser Ausgangssituation ist<br />
es um so wichtiger, daß sich eine selbständige<br />
Bewegung außerhalb <strong>der</strong><br />
Parlamente entwickelt, die von außen<br />
auf die Linkspartei einwirkt und die<br />
es von linker Seite zu unterstützen<br />
gilt.