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Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig

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jungen Natur waren alle Geschwister so lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müssen,<br />

wenn einer stürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelassen hätte. Sie fuhr fort: »Nun denk'!<br />

Vor drei Nächten ist mir diese Schwester erschienen; ich lag im Bett und die Nachtlampe brannte<br />

auf jenem Tisch; sie kam herein in weißem Gewand, langsam, und blieb an dem Tisch stehen; sie<br />

wendete den Kopf nach mir, senkte ihn und sah mich an; erst war ich erschrocken, aber bald war<br />

ich ganz ruhig, ich setzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht schlafe. Ich sah<br />

sie auch an und es war, als ob sie etwas bejahend nickte; sie nahm dort den Dolch, hob ihn gen<br />

Himmel mit der rechten Hand, als ob sie mir ihn zeigen wolle, legte ihn wieder sanft und<br />

klanglos nieder; dann nahm sie die Nachtlampe, hob sie auch in die Höhe und zeigte sie mir, und<br />

als ob sie mir bezeichnen wolle, daß ich sie verstehe, nickte sie sanft, führte die Lampe zu ihren<br />

Lippen und hauchte sie aus; denk nur«, sagte sie voll Schauder, »ausgeblasen; – im Dunkel hatte<br />

mein Auge noch das Gefühl <strong>von</strong> ihrer Gestalt; da hat mich plötzlich eine Angst befallen, die ärger<br />

sein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär lieber gestorben, als noch länger<br />

diese Angst zu tragen.«<br />

Ich war gekommen, um Abschied zu nehmen, weil ich mit Savigny nach »Bettine «, rief<br />

sie mir in der Tür zu, »behalt diese Geschichte, sie ist doch merkwürdig!« Das waren ihre letzten<br />

Worte. In Marburg schrieb ich ihr oft ins Rheingau <strong>von</strong> meinem wunderlichen Leben; – ich<br />

wohnte einen ganzen Winter am Berg dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit der<br />

Festungsmauer umgeben, aus den Fenstern hatt ich eine weite Aussicht über die Stadt und das<br />

reich bebaute Hessenland; überall ragten die gotischen Türme aus den Schneedecken hervor; aus<br />

meinem Schlafzimmer ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Festungsmauer und stieg<br />

durch die verödeten Gärten; – wo sich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach ich durch<br />

die Hecken, – da saß ich auf der Steintreppe, die Sonne schmolz den Schnee zu meinen Füßen,<br />

ich suchte die Moose und trug sie mitsamt der angefrornen Erde nach Haus; – so hatt ich an<br />

dreißig bis vierzig Moosarten gesammelt, die alle in meiner kalten Schlafkammer in irdnen<br />

Schüsselchen auf Eis gelegt mein Bett umblühten; ich schrieb ihr da<strong>von</strong>, ohne zu sagen, was es<br />

sei; ich schrieb in Versen: mein Bett steht mitten im kalten Land, umgeben <strong>von</strong> viel Hainen, die<br />

blühen in allen Farben, und da sind silberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Insel<br />

Cypros; die Bäume stehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äste; der Rasen, aus dem<br />

sie hervorwachsen, ist rosenrot und blaßgrün; ich trug den ganzen Hain heut auf meiner erstarrten<br />

Hand in mein kaltes Eisbeetland; – da antwortet sie wieder in Versen: »Das sind Moose ewiger<br />

Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber<br />

weiden, ob der Winterschnee sie decket, oder Frühling Blumen wecket; in dem Haine schallt es<br />

wieder, summen Mückchen ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel, hängen Tröpfchen Tau am<br />

Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Taue, spiegelt sich die ganze Aue; du mußt andre Rätsel<br />

machen, will dein Witz des meinen lachen!«<br />

Nun waren wir ins Rätsel geben und lösen geraten; alle Augenblick hatt ich ein kleines<br />

Abenteuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt zu erraten gab; meistens löste sie es<br />

auf eine kindlich-lustige Weise auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen, was mir auf wildem<br />

einsamen Waldweg begegnet war, als einen zierlichen Ritter beschrieben, ich nannte es la petite<br />

perfection und daß es mir mein Herz eingenommen habe; – sie antwortete gleich: »Auf einem<br />

schönen grünen Rasen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blasen, da flüchteten sich alle Hasen; so<br />

hoff ich, wird ein Held einst kommen. Dein Herz, <strong>von</strong> Hasen eingenommen, <strong>von</strong> diesen Wichten<br />

zu befreien und seine Gluten zu erneuen;« – dies waren Anspielungen auf kleine<br />

Liebesabenteuer. – So verging ein Teil des Winters; ich war in einer sehr glücklichen<br />

Geistesverfassung, andre würden sie Überspannung nennen, aber mir war sie eigen. An der<br />

Festungsmauer, die den großen Garten umgab, war eine Turmwarte, eine zerbrochne Leiter stand<br />

drin; – Meline schlief, ließ es mir keine Ruhe; ich warf ein Überkleid um, stieg zum Fenster

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