Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig
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14. Juni<br />
Heute hab ich mit der Mutter Wahl gehalten, was ich Ihnen für einen Titel geben darf; da<br />
hat sie mir die beiden freigelassen, – ich hab sie beide hingeschrieben; ich seh der Zeit entgegen,<br />
wo meine Feder anders dahintanzen wird, – unbekümmert, wo die Flammen hinausschlagen; wo<br />
ich Ihnen mein verborgenes Herz entdecke, das so ungestüm schlägt und doch zittert. Werden Sie<br />
mir solche Ungereimtheiten auch auflösen? – Wenn ich in derselben Natur mich weiß, deren<br />
inneres Leben durch Ihren Geist mir verständlich wird, dann kann ich oft beide nicht mehr<br />
<strong>von</strong>einander unterscheiden; ich leg mich an grünen Rasen nieder mit umfassenden Armen und<br />
Lieber Freund! Wer dürfte zweifeln, daß das, was einmal so erkannt und so ergriffen war,<br />
wieder verloren gehen könne? – Nein! – Sie sind mir nimmer fern. Ihr Geist lächelt mich an und<br />
berührt mich zärtlich vom ersten Frühlingsmorgen bis zum letzten Winterabend.<br />
So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimnis mit der Bärenmütze für Ihren leisen Spott<br />
über meine ernste Treue auf das beschämendste erklären. – Nichts ist reizender als die junge<br />
Pflanze in voller Blüte stehend, auf der der Finger Gottes jeden frischen Morgen den zarten Tau<br />
in Perlen reihet und ihre Blätter mit Duft bemalt. – So blüheten im vorigen Jahr ein paar schöne<br />
blaue Augen unter der Bärenmütze hervor, so lächelten und schwätzten die anmutigen Lippen, so<br />
wogten die schwanken Glieder, und so schmiegte sich zärtliche Neigung in jede Frage und<br />
Antwort und hauchten in Seufzern den Duft des tieferen Herzens aus, wie jene junge Pflanze. –<br />
Ich sah's mit an und verstand die Schönheit, und doch war ich nicht verliebt; ich führte den<br />
jungen Husaren zur Günderode, die traurig war; wir waren jeden Abend zusammen, der Geist<br />
spielte mit dem Herzen, tausend Äußerungen und schöne Modulationen hörte und fühlte ich, –<br />
und doch war ich nicht verliebt. – Er ging, – man sah, daß der Abschied sein Herz bedrängte.<br />
»Wenn ich nicht wiederkehre«, sagte er, »so glauben Sie, daß die köstlichste Zeit meines Lebens<br />
diese letzte war.« – Ich sah ihn die Stiegen hinabspringen, ich sah seine reizende Gestalt, in der<br />
Würde und Stolz seiner schwanken Jugend gleichsam einen Verweis geben, sich aufs Pferd<br />
schwingen und fort in den Kugelregen reiten, – und ich seufzte ihm nicht nach. Dies Jahr kam er<br />
wieder mit einer kaum vernarbten Wunde auf der Brust; er war blaß und matt und blieb fünf Tage<br />
bei uns. Abends, wenn alles um den Teetisch versammelt war, saß ich im dunkeln Hintergrund<br />
des Zimmers, um ihn zu betrachten, er spielte auf der Gitarre; – da hielt ich eine Blume vors<br />
Licht und ließ ihren Schatten auf seinen Fingern spielen, – das war mein Wagstück, – mir klopfte<br />
das Herz vor Angst, er möchte es merken; da ging ich ins Dunkel zurück und behielt meine<br />
Blume, und die Nacht legte ich sie unters Kopfkissen. – Das war die letzte Hauptbegebenheit in<br />
diesem Liebesspiel <strong>von</strong> fünf Tagen.<br />
Dieser Jüngling, dessen Mutter stolz sein mag auf seine Schönheit, <strong>von</strong> dem die Mutter<br />
mir erzählte, er sei der Sohn der ersten Heißgeliebten meines geliebten Freundes, hat mich<br />
gerührt.<br />
Und nun mag der Freund sich's auslegen, wie es kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug für<br />
ihn offen hatte, und im vorigen Jahre nicht.<br />
Du hast mich geweckt mitten in lauen Sommerlüften, und da ich die Augen aufschlug, sah<br />
ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir schweben, und da langt ich nach ihnen.<br />
Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.<br />
Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schlosser in Ihren Briefen an die Mutter nicht mehr mit<br />
mir in einer Rubrik; es tut meinem armen Hochmut gar zu weh.<br />
Bettine