Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig
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Nun ist er fort, gewiß hat ihm der Sturm das Leben gekostet; da hab ich gedacht, wenn ich<br />
nun hinausflög, um Dich zu suchen, und käm durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Tür, die<br />
Du mir nicht öffnen würdest – nein, Du wärst fort; Du hättest nicht auf mich gewartet, wie ich die<br />
ganze Nacht auf meinen kleinen Vogel; Du gehest andern Menschen nach, Du bewegst Dich in<br />
andern Regionen; bald sind's die Sterne, die mit Dir Rücksprache halten, bald die tiefen<br />
abgründlichen Felskerne; bald schreitet Dein Blick als Prophet durch Nebel und Luftschichten,<br />
und dann nimmst Du der Blumen Farben und vermählst sie dem Licht; deine Leier findest Du<br />
immer gestimmt, und wenn sie Dir auch frischgekränzt entgegenprangte, würdest Du fragen:<br />
»Wer hat mir diesen schönen Kranz gewunden?« – Dein Gesang würde diese Blumen bald<br />
versengen; sie würden ihre Häupter senken, sie würden ihre Farbe verlieren, und bald würden sie<br />
unbeachtet am Boden schleifen.<br />
Alle Gedanken, die die Liebe mir eingibt, alles heiße Sehnen und Wollen kann ich nur<br />
solchen Feldblumen vergleichen; – sie tun unbewußt über dem grünen Rasen ihre goldnen Augen<br />
auf, sie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tausend Sterne über ihnen und<br />
umtanzen den Mond und verhüllen die zitternden, tränenbelasteten Blumen in Nacht und<br />
betäubenden Schlummer. So bist Du Poete ein vom Sternenreigen seiner Eingebungen umtanzter<br />
Mond; meine Gedanken aber liegen im Tal, wie die Feldblumen, und sinken in Nacht vor Dir,<br />
und meine Begeisterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken schlafen unter Deinem Firmament.<br />
Bettine<br />
Goethe an Bettine<br />
18. Juni<br />
Mein liebes Kind! Ich klage mich an, daß ich Dir nicht früher ein Zeichen gegeben, wie<br />
genußreich und erquickend es mir ist, das reiche Leben Deines Herzens überschauen zu dürfen.<br />
Wenn es auch ein Mangel in mir ist,<br />
Ich schreibe Dir diesen Augenblick im Flug; denn ich fürchte da zu verweilen, wo so viel<br />
Überströmendes mich ergreift. Fahre fort, Deine Heimat bei der Mutter zu befestigen; es ist ihr zu<br />
viel dadurch geworden, als daß sie Dich entbehren könnte, und rechne Du auf meine Liebe und<br />
meinen Dank.<br />
G.<br />
An Goethe<br />
Frankfurt, am 29. Juni<br />
Wenn ich alles aus dem Herzen in die Feder fließen ließ, so würdest Du manches Blatt<br />
<strong>von</strong> mir beiseite legen, denn immer <strong>von</strong> mir und <strong>von</strong> Dir, und einzig <strong>von</strong> meiner Liebe, das wär<br />
doch nur der bewußte ewige Inhalt. Ich hab's in den Fingerspitzen und meine, ich müßte Dir<br />
erzählen, was ich nachts <strong>von</strong> Dir geträumt habe, und denk nicht, daß Du für anders in der Welt<br />
bist. Häufig hab ich denselben Traum, und es hat mir schon viel Nachdenken gemacht, daß meine<br />
Seele immer unter denselben Bedingungen mit Dir zu tun hat; es ist, als solle ich vor Dir tanzen,<br />
ich bin ätherisch gekleidet, ich hab ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die Menge<br />
umdrängt mich. – Ich suche Dich, dort sitzest Du frei mir gegenüber; es ist, als ob Du mich nicht