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Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig

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mich ganz allein empfand. Ich ging zurück und schrieb an die Günderode; vielleicht finde ich<br />

den Brief noch unter meinen Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich ihr die<br />

heißesten Bitten tat, mir zu antworten; ich schrieb ihr <strong>von</strong> diesen Studentenliedern, wie die gen<br />

Himmel geschallt hätten und mir das tiefste Herz aufgeregt; ja ich legte meinen Kopf auf ihre<br />

Füße und bat um Antwort und wartete mit heißer Sehnsucht acht Tage, aber nie erhielt ich eine<br />

Antwort; ich war blind, ich war taub, ich ahndete nichts. Noch zwei Monate gingen vorüber – da<br />

war ich wieder in Frankfurt; – ich lief ins Stift, machte die Tür auf: siehe da stand sie und sah<br />

mich an; kalt, wie es schien; »Günderod«, rief ich, »darf ich hereinkommen?« – Sie schwieg und<br />

wendete sich ab; »Günderod, sag nur ein Wort und ich lieg an deinem Herzen.« »Nein«, sagte<br />

sie, »komme nicht näher, kehre wieder um, wir müssen uns doch trennen.« – »Was heißt das?« –<br />

»So viel, daß wir uns ineinander geirrt haben und daß wir nicht Meline, ich bat sie mitzugehen<br />

zur Günderode, zu sehen, was ihr fehle, sie zu bewegen, mir einen Augenblick ihr Angesicht zu<br />

gönnen; ich dachte, wenn ich sie nur einmal ins Auge fassen könne, dann wolle ich sie zwingen;<br />

ich lief über die Straße, vor der Zimmertür blieb ich stehen, ich ließ die Meline allein zu ihr<br />

eintreten, ich wartete, ich zitterte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang, der mich so oft<br />

zu ihr geführt hatte; – die Meline kam heraus mit verweinten Augen, sie zog mich schweigend<br />

mit sich fort; – einen Augenblick hatte mich der Schmerz übermannt, aber gleich stand ich<br />

wieder auf den Füßen; nun! dacht ich, wenn das Schicksal mir nicht schmeicheln will, so wollen<br />

wir Ball mit ihm spielen; ich war heiter, ich war lustig, ich war überreizt, aber Nächten weinte ich<br />

im Schlaf. – Am zweiten Tag ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da sah ich die Wohnung<br />

<strong>von</strong> Goethes Mutter, die ich nicht näher kannte und nie besucht hatte; ich trat ein. »Frau Rat«,<br />

sagte ich, »ich will Ihre Bekanntschaft machen, mir ist eine Freundin in der Stiftsdame<br />

Günderode verloren gegangen, und die sollen Sie mir ersetzen.« – »Wir wollen's versuchen«,<br />

sagte sie, und so kam ich alle Tage und setzte mich auf den Schemel und ließ mir <strong>von</strong> ihrem Sohn<br />

erzählen und schrieb's alles auf und schickte es der Günderode; – wie sie in's Rheingau ging,<br />

sendete sie mir die Papiere zurück; die Magd, die sie mir brachte, sagte, es habe der Stiftsdame<br />

heftig das Herz geklopft, da sie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre Frage, was sie bestellen<br />

solle, habe sie geantwortet: »Nichts.« –<br />

Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schlosser; er bat mich um ein paar Zeilen an<br />

die Günderode, weil er ins Rheingau reisen werde und wolle gern ihre Bekanntschaft machen.<br />

Ich sagte, daß ich mit ihr brouilliert sei, ich bäte ihn aber, <strong>von</strong> mir zu sprechen und achtzugeben,<br />

was es für einen Eindruck auf sie mache. – »Wann gehen Sie hin «, sagte ich, »morgen?« –<br />

»Nein, in acht Tagen.« – »O gehen Sie morgen, sonst treffen Sie sie nicht mehr; – am Rhein ist's<br />

so melancholisch«, sagte ich scherzend, »da könnte sie sich ein Leid's antun;« – Schlosser sah<br />

mich ängstlich an. »Ja ja«, sagte ich mutwillig, »sie stürzt sich ins Wasser oder ersticht sich aus<br />

bloßer Laune.« – »Frevlen Sie nicht«, sagte Schlosser, und nun frevelte ich erst recht: »Geben Sie<br />

acht, Schlosser, Sie finden Sie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zögern, und ich sage<br />

Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten Sie sie <strong>von</strong> unzeitiger melancholischer<br />

Laune;« – und im Scherz beschrieb ich sie, wie sie sich umbringen werde, im roten Kleid, mit<br />

aufgelöstem Schnürband, dicht unter der Brust die Wunde; das nannte man tollen Übermut <strong>von</strong><br />

mir, es war aber bewußtloser Überreiz, indem ich die Wahrheit vollkommen genau beschrieb. –<br />

Am andern Tag kam Franz und sagte: »Mädchen, wir wollen ins Rheingau Günderode<br />

besuchen.« – »Wann?« fragte ich – »Morgen«, sagte er; – ach, ich packte mit Übereile ein, ich<br />

konnte kaum erwarten, daß wir gingen; alles, was mir begegnete, schob ich hastig aus dem Weg,<br />

aber es vergingen mehrere Tage und es ward die Reise immer verschoben; endlich, da war meine<br />

Lust zur Reise in tiefe Trauer verwandelt, und ich wär lieber zurückgeblieben. – Da wir in<br />

Geisenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenster und sah ins mondbespiegelte<br />

Wasser; meine Schwägerin Toni saß am Fenster; die Magd, die den Tisch deckte, sagte: »Gestern

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