Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig
Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig
Arnim, Bettina von - Lichtgeschwindig
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
An Goethe<br />
Kassel, den 13. August 1807<br />
Wer kann's deuten und ermessen, was in mir vorgeht? – Ich bin glücklich jetzt im<br />
Andenken der Vergangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart war; mein erregtes Herz,<br />
die Überraschung bei Dir zu sein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den paar<br />
Tagen, das war alles wie eindringende Wolken an meinem Himmel; er mußte durch meine zu<br />
große Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, so wie er auch immer<br />
Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden an mein Herz drücken und Dir sagen:<br />
wie Friede und Fülle über mich gekommen ist, seitdem ich Dich weiß.<br />
Ich weiß, daß es nicht der Abend ist, der mir jetzt ins Leben hereindämmert; o wenn er's<br />
doch wäre! Wenn sie doch schon verlebt wären die Tage und meine Wünsche und meine<br />
Freuden, möchten sie sich alle an Dir hinauf bilden, daß Du mit überdeckt wärst und bekränzt,<br />
wie mit immergrünem Laub.<br />
Aber so warst Du, wie ich am Abend allein bei Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen<br />
konnte; Du hast über mich gelacht, weil ich bewegt war, und laut gelacht, weil ich weinte, aber<br />
warum? Und doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens, was mich zu Tränen rührte, so<br />
wie es meine Tränen waren, die Dich lachen machten, und ich bin zufrieden und sehe unter der<br />
Hülle dieses Rätsels Rosen hervorbrechen, die der Wehmut und der Freude zugleich entsprießen.<br />
– Ja, Du hast recht, Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz und Lust<br />
durchwühlen, ich werde mich müde tummeln, so wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub es<br />
war gestern!) mich aus Übermut auf den blühenden Feldern herumwälzte und alles<br />
zusammendrückte und die Blumen mit den Wurzeln ausriß, um sie ins Wasser zu werfen, – aber<br />
auf süßem, warmem, festem Ernst will ich ausruhen, und der bist Du, lachender Prophet. –<br />
Ich sag Dir's noch einmal: wer versteht's auf der weiten Erde, was in mir vorgeht, wie ich<br />
so ruhig in Dir bin, so still, so ohne Wanken in meinem Gefühl; ich könnte, wie die Berge,<br />
Nächte und Tage in die Vergangenheit tragen, ohne nur zu zucken in Deinem Andenken. Und<br />
doch, wenn der Wind zuweilen <strong>von</strong> der ganzen blühenden Welt den Duft und Samen zusammen<br />
auf der Berge Wipfel trägt, so werden sie auch berauscht so wie ich gestern; da hab ich die Welt<br />
geliebt, da war ich selig wie eine aufsprudelnde Quelle, in die die Sonne zum erstenmal scheint.<br />
Leb wohl, Herrlicher, der mich blendet und mich verschüchtert. – Von diesem, steilen<br />
Fels, auf den sich meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, ist nicht mehr herunterzuklettern,<br />
daran ist gar nicht zu denken, da bräch ich auf allen Fall den Hals.<br />
Bettine<br />
Und so weit hatte ich gestern geschrieben, saß heute morgen auf dem Sessel und las still<br />
und andächtig in einer Chronik, ohne mich zu bewegen, denn ich wurde dabei gemalt, so wie Du<br />
mich bald sehen sollst, – da brachte man mir das blaue Kuvert, ich brach auf und fand mich darin<br />
in göttlichem Glanz wiedergeboren, und zum erstenmal glaubte ich an meine Seligkeit. Was will<br />
ich denn? Ich begreif's nicht; Du betäubst mich, jeder kleine Lärm ist mir zuwider; – wär's nur<br />
ganz still in der Welt, und ich brauchte nichts<br />
O Goethe! – Der Gott da oben ist ein großer Dichter, der bildet Geschicke, frei im Äther<br />
schwebend, glanzvoller Gestalt. Unser armes Herz, das ist der Mutterschoß, aus dem er sie mit<br />
großen Schmerzen geboren werden lässet; das Herz verzweifelt, aber jene Geschicke schwingen<br />
sich aufwärts, freudig hallen sie wieder in den himmlischen Räumen. – Deine Lieder sind der