Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...
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Menschen und <strong>der</strong> Ausdruck seiner Vernunftnatur war (<strong>der</strong> Mensch als zoon logon echon)<br />
verliert den Status eines Mittels <strong>der</strong> richtigen allgemeinen Erkenntniswie<strong>der</strong>gabe und kann die<br />
<strong>Vielheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Welt</strong>aspekte nicht adäquat unter ein einheitliches Begriffsgefüge subsumieren.<br />
Für <strong>Montaigne</strong> kommen die Erklärungsversuche Platons und Aristoteles`, die <strong>für</strong> die<br />
metaphysischen Konzeptionen <strong>des</strong> mittelalterlichen <strong>Welt</strong>bil<strong>des</strong> grundlegend waren, nicht<br />
mehr in Betracht.<br />
1. 4 Der lachende Philosoph<br />
Er sucht an<strong>der</strong>e Furten <strong>des</strong> Denkens. Seine Einstellung kann mit <strong>der</strong>jenigen Demokrits<br />
verglichen werden, dem er in seinen Essais ein eigenes Kapitel widmet (De Democritus et<br />
Heraclitus; I, 50). 49 In <strong>der</strong> Anekdote über den „lachenden Philosophen“ Demokrit und den<br />
„weinenden Philosophen“ Heraklit kommen zwei verschiedene <strong>Welt</strong>ansichten zum Ausdruck:<br />
Heraklit ist in dieser Geschichte <strong>der</strong>jenige Philosoph, <strong>der</strong> angesichts <strong>der</strong> Schwäche <strong>der</strong><br />
Menschen verzweifelt, wohingegen Demokrit nur Spott <strong>für</strong> sie übrig hat und über die<br />
Absurdität <strong>des</strong> Menschen lacht:<br />
„(a) Democritus et Heraclytus ont esté deux philosophes, <strong>des</strong>quels le premier, trouvant vaine et ridicule<br />
l`humaine condition, ne sortoit en public qu`avec un visage moqueur et riant; Heraclitus, ayant pieté et<br />
compassion de cette mesme condition nostre, en portoit le visage continuellement atristé, et les yeux<br />
chargez de larmes, [...] J´ayme mieux le premier humeur, non par ce qu`il est plus plaisant de rire que de<br />
pleurer, mais parce qu`elle est plus <strong>des</strong>daigneuse, et qu`elle nous condamne plus que l`autre; et il me<br />
semble que nous ne pouvons jamais estre assez mesprisez selon nostre merite (S. 291).“<br />
<strong>Die</strong> Entstehungsgeschichte dieser in <strong>der</strong> Renaissance vielzitierten Anekdote liegt <strong>im</strong> Dunkeln,<br />
die ersten überprüfbaren Nachweise dieses Dictums findet man bei römischen Autoren <strong>der</strong><br />
frühen Kaiserzeit, insbeson<strong>der</strong>e bei Seneca, Juvenal und Lukian. 50 Seneca legt die Geschichte<br />
am umfangreichsten dar:<br />
„In dieser Situation [<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>geschlagenheit, Anm. N. E.] müssen wir uns so verhalten, daß wir alle<br />
Fehler <strong>der</strong> Masse nicht als uns verhaßt, son<strong>der</strong>n als lächerlich ansehen, und wir Demokrit eher<br />
49 Dass das ein Weg war, mit dem Platon nicht einverstanden gewesen wäre, zeigt sich daran, dass er die<br />
Schriften Demokrits verbrennen wollte. <strong>Die</strong>se Bemerkung hier nur <strong>des</strong>wegen, um deutlich zu machen, dass<br />
<strong>Montaigne</strong> auch in seiner Antike-Rezeption bewusst eigene Wege ging, seine Rezeption <strong>der</strong> antiken Skepsis<br />
also eine bewusste Wahl <strong>der</strong> Sichtweise war.<br />
50 Siehe dazu: Thomas Rütten, Demokrit – Lachen<strong>der</strong> Philosoph und sanguinischer Melancholiker. Eine<br />
pseudohippokratische Geschichte, E. J. Brill, Leiden-New York-Kopenhagen-Köln 1992, Kapitel I,1:<br />
„Spurensicherung“, S. 8-14. - Für den Hinweis auf dieses Buch bin ich Herrn Professor Thomas Ricklin sehr<br />
dankbar. Siehe auch August Buck, „´Democritus ridens et Heraclitus flens`, in: <strong>Die</strong> humanistische Tradition<br />
in <strong>der</strong> Romania, Verlag Gehlen Bad Homburg, Berlin-Zürich 1968, S. 101-116<br />
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