Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...
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nonchalance, m`estant en vieillissant plus arresté sur certaines formes [Kursivierung N. E.] (mon aage<br />
est hors d`institution et nà <strong>des</strong>ormais dequoy regar<strong>der</strong> ailleurs que à se maintenir), la coustume a <strong>des</strong>jà,<br />
sans y penser, <strong>im</strong>pr<strong>im</strong>é si bien en moy son caractere en certaines choses, que j`appelle excez de m`en<br />
<strong>des</strong>partir.“ (S. 1061)<br />
Ausgehend von einem ursprünglichen Zustand <strong>der</strong> Freiheit von je<strong>der</strong> Beschränkung und<br />
jedem Zwang (einem Zustand, <strong>der</strong> allerdings trotzdem in einem Training, einer dressage von<br />
außen bestand), rutscht das <strong>Selbst</strong> mit <strong>der</strong> Zeit, ohne darüber reflektieren zu können und ohne,<br />
dass es ihm bewusst geworden ist, in best<strong>im</strong>mte Gewohnheiten, die die eigene Persönlichkeit<br />
formen. Durch das Vergehen <strong>der</strong> Zeit findet eine unbewusste und nichtrationale Verfestigung<br />
<strong>des</strong> eigenen <strong>Selbst</strong> statt, indem einstige Handlungen und Verhaltensweisen unbewusst<br />
internalisiert werden und dann <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holt werden müssen. Alles, was dem<br />
Essayisten bleibt, ist, diese Gewohnheiten zu nennen, aufzulisten, ohne aber ihre Genese<br />
erklären zu können:<br />
„(b) Et, sans m`essaier, ne puis ny dormir sur jour, ny faire collation entre les repas, ny <strong>des</strong>jeuner, ny<br />
m`aller coucher sans grand intervalle, ( c ) comme de trois bonnes heures, (b) après le soupper, ny faire<br />
<strong>des</strong> enfans qu`avant le sommeil, ny les faire debout, ny porter ma sueur, ny m`abreuver d`eau pure ou<br />
du vin pur [....].“ (S. 1061)<br />
<strong>Die</strong>se Aufzählung wird von <strong>Montaigne</strong> fortgeführt, wobei auch die persönlichen<br />
Gewohnheiten an<strong>der</strong>er genannt werden. <strong>Die</strong> anaphorische Art <strong>der</strong> Präsentation (ny...ny...ny...)<br />
betont das willkürliche Nebeneinan<strong>der</strong>stehen all dieser zufälligen Gewohnheiten und kuriosen<br />
Eigenheiten. Wenig später legt <strong>Montaigne</strong> uns seine kulinarischen Präferenzen vor: „(b) Je ne<br />
suis excessivement <strong>des</strong>ireux ny de sala<strong>des</strong>, ny de fruits, sauf les melons. Mon pere haissoit<br />
toute sorte de sauces; je les a<strong>im</strong>e toutes.“ (S. 1082)<br />
Man fragt sich, warum er einem das erzählt. Aber in diesen Details seiner persönlichen<br />
Vorlieben und Abneigungen kommt die Zufälligkeit <strong>des</strong> Gewordenen zum Ausdruck. Der<br />
Vater wird erwähnt und <strong>Montaigne</strong> macht deutlich, dass seine Gewohnheiten nicht genetisch<br />
bedingt sind – hatte <strong>der</strong> Vater Pierre doch einen ganz an<strong>der</strong>en Geschmack als <strong>der</strong> Sohn<br />
Michel. Gewohnheiten und Geschmack sind zufällig, nicht durch die eigene Vernunft<br />
best<strong>im</strong>mt, und auch sie können wechseln:<br />
„(b) Il y a <strong>des</strong> mouvemens en nous, inconstans et incogneus; car <strong>des</strong> refors, pour exemple, je les ay<br />
trouvez premierement commo<strong>des</strong>, depuis fascheux, present de rechef commo<strong>des</strong>. En plusieurs choses je<br />
sens mon estomac et mon appetit aller ainsi diversifiant: j`ay rechangé du blanc au clairet, et puis du<br />
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