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Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...

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Georg Lukcács umreißt das Problem, um das es bei <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> Essays als Gattung<br />

geht, mit großer Klarheit:<br />

„Denn <strong>für</strong> uns kommt es jetzt nicht darauf an, was die Essays als „literaturhistorische“<br />

Studien bieten könnten, son<strong>der</strong>n nur, ob etwas in ihnen ist, wodurch sie zu einer neuen,<br />

eigenen Form werden und ob dieses Prinzip in jedem das gleiche ist.“ 140 Der Essay ist <strong>für</strong><br />

Lukács eine Kunstform, keine Wissenschaft, ja er ist dem wissenschaftlichen Denken zutiefst<br />

entgegengesetzt. Er ist <strong>im</strong>mer auch Kritik am Bestehenden, er scheidet sich aber von <strong>der</strong><br />

Dichtung und an<strong>der</strong>en Kunstformen, weil er die Wirklichkeit an<strong>der</strong>s darstellt, weil <strong>der</strong> Essay<br />

ein an<strong>der</strong>es Formprinzip hat, als an<strong>der</strong>e Kunstformen:<br />

„Das eine Prinzip (das <strong>der</strong> Dichtung, Anm. N. E.) ist ein Bil<strong>der</strong>-Schaffen<strong>des</strong>, das an<strong>der</strong>e (das <strong>des</strong><br />

Essays, Anm. N. E.) ein Bedeutung-Setzen<strong>des</strong>; <strong>für</strong> das Eine gibt es nur Dinge, <strong>für</strong> das an<strong>der</strong>e nur <strong>der</strong>en<br />

Zusammenhänge, nur Begriffe und Werte. <strong>Die</strong> Dichtung an sich kennt nichts, was jenseits <strong>der</strong> Dinge<br />

wäre; ihr ist je<strong>des</strong> Ding ein Ernstes und Einzigartiges und Unvergleichliches. Darum kennt sie auch die<br />

Fragen nicht: man richtet an reine Dinge keine Fragen...“ 141<br />

Der gute Essay richtet an die Dinge jedoch Fragen. Im Gegensatz zur Dichtung etwa, spricht<br />

„<strong>der</strong> Essay <strong>im</strong>mer von etwas bereits Geformten, o<strong>der</strong> bestenfalls von etwas schon einmal<br />

Dagewesenem; es gehört also zu seinem Wesen, daß er nicht neue Dinge aus einem leeren<br />

Nichts heraushebt, son<strong>der</strong>n bloß solche, die schon irgendwann lebendig waren, aufs neue<br />

ordnet.“ 142<br />

Kennzeichnend <strong>für</strong> die geistige Haltung <strong>des</strong> Essays ist es, dass die Frage, die in ihm<br />

anhand <strong>des</strong> Geformten aufgeworfen wird, letztendlich <strong>im</strong>mer unbeantwortet bleibt; „Eine<br />

Frage wird aufgeworfen und so vertieft, daß die Frage aller Fragen aus ihr wird, dann aber<br />

bleibt alles offen; [...].“ 143<br />

Charakteristisch <strong>für</strong> den Essay ist nach Lukács eine ganz best<strong>im</strong>mte geistige Haltung, die in<br />

ihm in einer ganz best<strong>im</strong>mten Form ausgedrückt wird: die Sehnsucht nach dem Erfassen <strong>des</strong><br />

ganzen Lebens in einem Thema o<strong>der</strong> Gegenstand, verbunden mit <strong>der</strong> typischen Offenheit (und<br />

<strong>der</strong> damit zwangsläufig verbundenen Ent-täuschung) <strong>des</strong> que sais-je. Wer diese Offenheit<br />

gestalten kann, findet <strong>im</strong>mer etwas, worüber er schreiben kann. Am einzelnen Gegenstand<br />

entfaltet sich die gesamte Bandbreite <strong>der</strong> Wirklichkeit: „(b) Qui ne voit que j`ay pris une route<br />

par laquelle, sans cesse et sans travail, j`iray autant qu`il y aura d`ancre et de papier au<br />

140Georg Lukács, <strong>Die</strong> Seele und die Formen. Essays, Neuwied und Berlin 1971, S. 7<br />

141Ebd., S. 12<br />

142Ebd., S. 20<br />

143Ebd., S. 26<br />

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