Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...
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angelsächsischer Autoren wie Lawrence D. Kritzman 10 , Richard L. Regosin 11 , Steven<br />
Rendall 12 und Jules Brody 13 ab.<br />
Anhand dieser umfangreichen Literatur über <strong>Montaigne</strong>, die hier nur ausschnittsweise<br />
dargestellt werden konnte, scheint es vermessen, ihr noch einen weitere Arbeit hinzuzufügen<br />
und so die Interpretationen über einen Text wie die Essais, die sich allen Ansätzen <strong>der</strong><br />
Systematisierung durch ihre offene Form bewusst entziehen, noch um einen weiteren Versuch<br />
zu vergrößern. Als Entschuldigung da<strong>für</strong> kann <strong>der</strong> Verfasser nur seine persönliche Freude an<br />
einer Lektüre anführen, die ihn aufgrund ihres Witzes und ihrer geistigen Klarheit, ihres<br />
scheinbar lockeren Plau<strong>der</strong>tons ohne den Anspruch, den Leser erziehen o<strong>der</strong> belehren zu<br />
wollen, <strong>der</strong> ebendiese Ziele aber dennoch ganz nebenbei erreicht, sofort in ihren Bann<br />
geschlagen hat und die auch <strong>für</strong> ihn „wahrlich die Lust auf dieser Erde zu leben vermehrt“ 14<br />
hat. Denn <strong>Montaigne</strong> vermag uns ebenso zu faszinieren wie seine Zeitgenossen, aus dem<br />
Grund, <strong>der</strong> die Grundlage fast aller Literatur ist: „Parce qu`il peint un homme libre.“<br />
Er hat seinen freien Geist in einer höchst unsicheren Zeit bewahrt, die von<br />
Bürgerkriegen zerrüttet war, in einer Übergangszeit zwischen dem Nicht-Mehr <strong>der</strong> feudalen<br />
Stan<strong>des</strong>organisation <strong>des</strong> Mittelalters und dem Noch-Nicht einer neuen bürgerlichen Ordnung.<br />
In einer Zeit also, in <strong>der</strong> alte und neue Glaubensordnungen sich in <strong>der</strong> Intoleranz <strong>der</strong><br />
verschiedenen politischen Lager bis aufs Blut bekämpften und in <strong>der</strong> es keine Gewissheit gab<br />
außer <strong>der</strong>, dass das eigene Leben je<strong>der</strong>zeit bedroht war. Neue Herrschaften und neue<br />
Institutionen för<strong>der</strong>ten den Skeptizismus wie den Möglichkeitssinn, da die alten<br />
Wirklichkeiten in ihrer verpflichtenden Wirkung schwankten und zu oszillieren begannen.<br />
<strong>Die</strong> Essais sind eine Antwort auf eine Realität, die dem kritischen Blick nicht mehr standhielt<br />
und die nicht mehr auszuhalten war, in <strong>der</strong> die alte <strong>Welt</strong> sich in Fraktale zerlegte, die sich wie<br />
die Splitter eines Kaleidoskops vor dem Auge <strong>des</strong> Betrachters ständig neu zusammensetzten<br />
und die noch keine endgültige Form gewonnen hatten.<br />
Auch <strong>der</strong> „mo<strong>der</strong>ne Mensch“ <strong>des</strong> 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts lebt in einer ähnlichen Lage. Unter<br />
<strong>der</strong> dünnen Oberfläche <strong>der</strong> „Errungenschaften“ <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne zeigt sich heute ebenso wie vor<br />
400 Jahren eine Zeit, die geprägt ist von scheinbarer Strukturlosigkeit und dem fehlenden<br />
10 Lawrence D. Kritzman, Destruction/Découverte. Le fonctionnement de la rhétorique dans les Essais, French<br />
Forum Publichers, Lexington, Ky., 1980<br />
11 Richard L. Regosin, The Matter of My Book. <strong>Montaigne</strong>`s Essais as the Book of the Self, University of<br />
California Press, Berkeley-Los Angeles-London 1977, siehe zur mo<strong>der</strong>nen Rezeptionsgeschichte auch: <strong>der</strong>s.,<br />
„Recent Trends in <strong>Montaigne</strong> Scholarship: A Post-Structuralist Perspective“, in: Renaissance Quarterly 28,<br />
1984, S. 34-54<br />
12 Steven Rendall, Distinguo. Reading <strong>Montaigne</strong> Differently, Clarendon Press, Oxford 1992<br />
13 Jules Brody, „´Du repentir` (III, 2): A Philological Reading“, in: Yale French Studies 64, 1983, S. 238-272<br />
14 Friedrich Nietzsche, „Unzeitgemässe Betrachtungen III. Schopenhauer als Erzieher“, KSA, Bd. 1, S. 348<br />
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