Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...
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4. Aufgrund dieser skeptischen Haltung ist <strong>der</strong> Essay kritisch gegenüber jeglichem<br />
Absolutheitsanspruch. Der Essay zeigt Möglichkeiten auf.<br />
5. Der Essay eröffnet neue Sichtweisen auf scheinbar sicher Erkanntes und hat<br />
antizipatorischen Charakter. Er dekonstruiert Festgelegtes und konstruiert neue<br />
Zusammenhänge.<br />
6. Der Essay bezieht neue Lebenswelten/Situationen ein und macht sie Literatur-würdig.<br />
7. Der Essay ist somit die Literaturgattung par excellence, in <strong>der</strong> NEUES erstmals in die<br />
Schriftwirklichkeit eintritt.<br />
2. 4 Das Formprinzip <strong>der</strong> Essais bei <strong>Montaigne</strong><br />
<strong>Die</strong> sich an diese Betrachtungen anschließende Frage ist, wie die oben genannten,<br />
allgemeinen Kriterien <strong>des</strong> Essays mit <strong>der</strong> Persönlichkeit und den Absichten <strong>Montaigne</strong>s<br />
korrespondieren. Dass er die Form <strong>des</strong> Essays benutzt, um die <strong>Vielheit</strong> <strong>der</strong> verschiedenen<br />
<strong>Welt</strong>aspekte darzustellen, ist <strong>im</strong> ersten Kapitel dieser Arbeit schon ausgeführt worden. Auch<br />
die prinzipielle Offenheit 160 <strong>der</strong> Essais und die damit einhergehende skeptische Grundhaltung<br />
<strong>Montaigne</strong>s sind hoffentlich deutlich geworden, ebenso wie die Kritik an absoluten Urteilen,<br />
die das Bewusstsein, dass es ebenso gut auch <strong>im</strong>mer an<strong>der</strong>s sein könnte, negieren.<br />
In diesem Zusammenhang sei auf einen grundlegenden Punkt hingewiesen, <strong>der</strong> <strong>für</strong> den<br />
Fortgang dieser Arbeit wichtig ist: Dass das Formprinzip <strong>der</strong> Essais nicht nur durch die<br />
äußere Vielfalt <strong>der</strong> Erscheinungen best<strong>im</strong>mt wird, son<strong>der</strong>n ebenso durch die innere <strong>Vielheit</strong>,<br />
<strong>der</strong> sich <strong>Montaigne</strong> vollkommen bewusst war. <strong>Die</strong> Essais sind <strong>für</strong> ihn – darauf weist er <strong>im</strong>mer<br />
wie<strong>der</strong> hin – nicht nur ein Buch, son<strong>der</strong>n in ihnen möchte <strong>Montaigne</strong> seine eigene<br />
Subjektivität ausdrücken. <strong>Die</strong> Essais repräsentieren den Autor:<br />
„( c ) Me peignant pour autruy, je me suis peint en moy de couleurs plus nettes que n`estoyent les<br />
miennes premiers. Je n`ay plus faict mon livre que mon livre m`a faict, livre consubstantiel à son<br />
autheur, d`une occupation propre, membre de ma vie; non d`une occupation et fin tierce et estrangere<br />
comme tous autres livres.“ (S. 647)<br />
Das Beson<strong>der</strong>e an den Essais ist ihr Versuchscharakter verbunden mit dem Willen, erst man<br />
selbst durch das eigene Werk zu werden. Sie sind ein Versuch, sich selbst durch den<br />
160<strong>Die</strong>se Offenheit lässt sich schon an den Überschriften <strong>der</strong> einzelnen Essais erkennen, die meist so vage<br />
gehalten sind, dass alles in ihnen thematisiert werden kann. Auch das Publikationsverfahren <strong>der</strong> Essais, die<br />
beständigen Erweiterungen <strong>der</strong> verschiedenen Editionen zeigen diese Offenheit und Unabgeschlossenheit<br />
ganz deutlich.<br />
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