Montaigne Die Vielheit der Welt im Spiegel des Selbst - Seminar für ...
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Bräuchen, die durch ihre lange Ausübung gerechtfertigt waren und Gesetzen, die durch den<br />
Erlass eines Souveräns o<strong>der</strong> einer Versammlung zustande gekommen waren (wie zum<br />
Beispiel <strong>des</strong> corpus iuris civilis), ein Allgemeinplatz in <strong>der</strong> juristischen Ausbildung<br />
<strong>Montaigne</strong>s, <strong>der</strong> ihm als Parlamentsrat und Bürgermeister von Bordeaux mit Sicherheit<br />
bekannt war. 86 Am Beispiel einer Äußerung <strong>des</strong> humanistisch gebildeten Juristen Louis Le<br />
Caron zur Unterscheidung von geschriebenem Gesetz und ungeschrieben Bräuchen wird dies<br />
deutlich:<br />
„La France [est] divisée en pays de droict escrit, & pays coustumier: estant le pays de droict escrit,<br />
celuy qui se gouverne par les loix Romaines, & le coustumier par les coustumes particulieres <strong>des</strong><br />
Provinces, lesquelles jadis n`estoient escrites, ains consistoient en l`usage commun, qui se prouvoit par<br />
turbes de Practiciens.“ 87<br />
Der Beweis <strong>der</strong> Existenz eines Brauches wurde <strong>im</strong> 16. Jahrhun<strong>der</strong>t, wie Le Caron ausführt,<br />
par turbe, also auf Grundlage <strong>der</strong> Befragung einer best<strong>im</strong>mten Anzahl von Mitglie<strong>der</strong>n einer<br />
sozialen o<strong>der</strong> beruflichen Gruppe angestellt. Der beste Beweis einer Sitte war, dass sie schon<br />
lange existiert hatte. 88 Ein Brauch wird dieser Argumentation nach verbindlich, wenn er<br />
historisch entstanden und geworden ist. Le Caron zufolge gilt genau dies <strong>für</strong> Gesetze nicht,<br />
denn hier ist nicht die Ausübung durch die Zeit <strong>für</strong> ihre Verbindlichkeit maßgeblich, son<strong>der</strong>n<br />
ihre überzeitliche Vernünftigkeit. Gesetze sind danach generalisierte Normsetzungen:<br />
„Toutesfois y a grande difference entre la loy & la coustume: car la loy est une ordonnance generale,<br />
laquelle à la <strong>des</strong>crire proprement, si elle n`est juste, & produite de la droite raison, ne peut estre telle<br />
reputée: mais la coustume et une commune observance, qui s`est coullée doucement par un taisible<br />
consentement de ceux qui en ont usé, & quelquefois plustost pour le profit ou commodité <strong>des</strong> plus<br />
puissans, que par iuste & droite raison: & souvent n`est generale, ains particuliere du pays, où elle a<br />
prins force & auctorité...“. (398)<br />
In diesem Zitat wird die Teilung zwischen den geschriebenen Gesetzen, die auf römisches<br />
Recht zurückgehen, und den Gebräuchen, die sich durch ihre ständige Wie<strong>der</strong>holung durch<br />
die Zeit hindurch legit<strong>im</strong>ieren, ganz deutlich. Eine ähnliche Unterscheidung findet sich auch<br />
<strong>im</strong> Prooemium <strong>des</strong> corpus iuris civilis <strong>des</strong> Iustinian, das <strong>für</strong> die Entwicklung <strong>des</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
86 Siehe dazu: André Tournon, <strong>Montaigne</strong>: La glose et l`essai, Presses Universitaires de Lyon, Lyon 1983<br />
87 Louis Charondas Le Caron, Pandectes ou digestes du droict francois, 1ère ed. 1587 (Paris: P. L`Huillier,<br />
1607), vol. 1, ch. XXV), S. 396 f.<br />
88 Siehe dazu: Francois Olivier-Martin, Histoire du droit francais <strong>des</strong> origines à la Révolution, Domat<br />
Montchrestien, Paris 1951, S. 112 ff.<br />
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