DER ALLTAG IN DER SCHULE - EmScuola
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Der Unterricht lief folgendermaßen ab: Die<br />
Kinder waren alle zusammen, die Kleineren<br />
und die Größeren... denn zu Hause waren<br />
immer Geschwister da und kleinere Kinder<br />
und auch... nach dem Alter. Die Kleinsten lernten<br />
zuerst das Alphabet schreiben, Abschrift<br />
hatten sie schon in der Schule gelernt, und während<br />
die Kleineren beschäftigt waren, lernten<br />
die Größeren auswendig, mit unglaublicher<br />
Geschwindigkeit, und es wurde viel geübt.<br />
Sobald sie ein Stück auswendig gelernt hatten,<br />
mussten sie das Buch schließen und es auf die<br />
Tafel schreiben. Dann wurde korrigiert, und<br />
das war alles für diese 2 Stunden. Dann lasen<br />
die Kinder und wurden gleich korrigiert, und<br />
abschließend gab es eine Geschichte... Ein<br />
Märchen der Brüder Grimm oder von Andersen.<br />
Auch das war wichtig. Ich las das Märchen<br />
vor dem Unterricht, um es dann zu erzählen,<br />
oder ich las es ihnen gleich vor. Es war nur ein<br />
Vergnügen. Oder wenn eine Erzählung lang<br />
war, wurde nur ein Teil gelesen und der andere<br />
Teil dann in der nächsten Stunde.<br />
Quelle: von Letizia Flaim geführtes Interview<br />
mit der Lehrerin H.S.M.<br />
Anhand der Mali-Fibel lernten die Kinder<br />
drei Schriftarten unterscheiden: gedruckte<br />
Fraktur, Sütterling-Schrift und Kurrentschrift.<br />
Mit der Geheimschule konnten sie<br />
beginnen, wenn sie die 2. italienische Schulklasse<br />
besuchten, das heißt, wenn sie in<br />
der Schule schon das lateinische Alphabet<br />
schreiben und lesen gelernt hatten. Um<br />
Kontraste zu vermeiden, hatte die Organisation<br />
strenge Regeln festgelegt, an die alle<br />
Lehrerinnen sich zu halten hatten: Die Gruppen<br />
mussten aus mindestens drei und<br />
höchstens sechs Kindern bestehen; der Unterricht<br />
musste vor sieben Uhr früh und<br />
nicht nach sieben Uhr abends gehalten<br />
werden; uninteressierte Kinder mussten<br />
vom Unterricht ausgeschlossen werden. Die<br />
Lehrerinnen hatten sich an das festgesetzte<br />
Programm zu halten. Die ersten zwei<br />
Regeln wurden fast nie geachtet. Da die Kinder<br />
um vier Uhr nachmittags aus der Schule<br />
kamen und man nicht gleich darauf mit dem<br />
Unterricht beginnen konnte, weil die Kinder<br />
müde waren und Zerstreuung brauchten,<br />
wurde in den Katakombenschulen<br />
meist zwischen sechs und zehn Uhr abends<br />
unterrichtet. Donnerstags und sonntags gab<br />
es auch Privatlektionen. Die Lehrerin H.S.M.<br />
hatte Gruppen von sechs bis acht Kindern,<br />
alle aus der Nachbarschaft, sodass es nicht<br />
22<br />
auffiel, wenn sie sich zum Unterricht in ein<br />
bestimmtes Haus begaben. Am Sonntag<br />
dagegen erteilte der Kooperator im Pfarrhaus<br />
deutschsprachigen Religionsunterricht.<br />
Die in den Geheimschulen verwendeten Lehrmittel<br />
waren auf das Äußerste beschränkt, da<br />
es bei einer möglichen Hausdurchsuchung so<br />
schnell wie möglich versteckt werden musste.<br />
So wurden oft einzelne Seiten aus den Büchern<br />
gerissen, da sie leichter zu handhaben waren.<br />
Das Material wurde aus Deutschland hereingeschmuggelt<br />
und dann von verlässlichen Südtirolern<br />
über das ganze Land verteilt. Viele im<br />
Unterricht verwendete Schulbücher gehörten<br />
den Lehrerinnen und stammten aus ihrer Schulzeit.<br />
Das Buch wurde immer in der Jacke versteckt,<br />
mehr als eins hatten wir nicht. Und das<br />
steckte in der Jacke. [...] Die Kinder haben die<br />
Bücher bekommen, zuerst die Fibel, dann ein<br />
Lesebuch, mehr gab es kaum. Ein Schreibheft,<br />
das war alles. So wurde gelesen, diktiert, auswendig<br />
gelernt und verbessert. Märchenbücher<br />
hatte ich selbst noch aus meiner Kindheit.<br />
Quelle: von Letizia Flaim geführtes Interview<br />
mit der Lehrerin H.S.M.<br />
Sehr wichtig war auch, dass die Lehrerinnen<br />
einen beruhigenden Einfluss auf die<br />
25. Lehrerinnen und Lehrer der Deutschkurse für<br />
Optantenkinder, 1942.<br />
Kinder ausübten, die von der Schule schon<br />
recht mitgenommen und von den ständigen<br />
Hausdurchsuchungen erschreckt waren.<br />
Diese häufigen Unterbrechungen, das<br />
schnelle Verstecken von Büchern und Heften,<br />
die Angst vor dem Entdecktwerden<br />
waren schädlich für den Unterricht und<br />
immer ein Schock für die Kinder.<br />
Lange konnten auch die Katakombenschulen<br />
nicht verborgen werden, und schon 1925<br />
wurde seitens der Behörden ein Rundschreiben<br />
erlassen, das drastische Maßnahmen<br />
gegen diese Geheimschulen gebot:<br />
Die Entdeckung einer beträchtlichen Anzahl<br />
von Geheimschulen, besonders im<br />
Gebiet zwischen Bozen und Salurn, beweist,<br />
dass es in Südtirol eine wahre Widerstandsorganisation<br />
gibt (...). Diese Versuche müssen<br />
mit äußerster Entschiedenheit unterdrückt<br />
werden (...). Es sind klare Anweisungen<br />
zur sofortigen Schließung der entdeckten<br />
Schulen zu geben, die Lehrmittel sind<br />
zu beschlagnahmen und die Verantwortlichen<br />
anzuzeigen. Lehrer, die keine italienischen<br />
Staatsbürger sind, sind auszuweisen;<br />
die anderen (...) sind mit amtlichem Bescheid<br />
auszuweisen. 4<br />
Im Jahr 1925 wurden 14 Lehrerinnen<br />
gerichtlich belangt. Acht von ihnen wurden<br />
angezeigt, drei mussten sich vor Gericht<br />
rechtfertigen und wurden zu einer Geldstrafe<br />
verurteilt, weitere drei wurden in ihre<br />
Heimatorte ausgewiesen.<br />
Dank des hartnäckigen und couragierten<br />
Einsatzes so vieler Frauen, dank des Enga-<br />
Eine Schülerin der Katakombenschulen<br />
erinnert sich:<br />
Meine Großmutter wollte, dass ich die Katakombenschulen<br />
besuchte, damit ich schreiben<br />
lernte, vor allem aber Deutsch sprechen. Der<br />
Unterricht - er dauerte eine Stunde - fand gewöhnlich<br />
am Donnerstag statt, nachmittags um<br />
fünf, weil wir an dem Tag nicht zur italienischen<br />
Schule gingen. Oder auch am Samstag.<br />
Im Sommer war alles leichter. Der einstündi-