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Was geschieht seitdem? - GdF

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Report<br />

Flugzeugs hatte nicht nur einen Namen, er hatte auch<br />

jemanden der zuhause auf ihn wartet.“<br />

Und genau das war schließlich der Ansatz, der bei<br />

der Einrichtung des Museums realisiert wurde. Denn<br />

die Überreste des Flugzeugs wurden nach Bologna<br />

gebracht, aufgestellt und vom Künstler Christian Boltanski,<br />

durch Installationen ergänzt, die den Opfern<br />

eine Identität geben, das Erinnern erleichtern. „Die<br />

Installation umfasst zwei grundlegende Elemente“,<br />

sagt der Chef der Kunstmuseen von Bologna, Gianfranco<br />

Maraniello, „einerseits die große Ehrfucht vor<br />

dem Gerippe des Flugzeugs und andererseits auch<br />

eine Art Unterschlagung. Es gibt nämlich keinerlei<br />

Zugeständnis an Voyeurismus. Boltanski hat alles<br />

verschwinden lassen, was die Intimität der Opfer<br />

angeht. Es wurden ja auch Kleider und Gegenstände<br />

geborgen, aber die werden alle in sargähnlichen überdimensionalen<br />

Koffern aufbewahrt“. Diese schwarzen<br />

Pakete wurden um das Flugzeugwrack drapiert.<br />

Von den gefundenen Gegenständen gibt es nur Fotos,<br />

schwarzweiß, in einem Begleitbuch. Die Nüchternheit<br />

macht viel deutlicher, wie sehr diese Fundstücke für<br />

einzelne Personen stehen. Zudem hat der Künstler<br />

81 schwarze Spiegel für die 77 Passagiere und vier<br />

Besatzungsmitglieder von Flug 870 an die Wände<br />

des Museums gehängt – wer daran vorbei geht, sieht<br />

einen Menschen, aber ohne das Bild genau zu erkennen.<br />

Zusätzlich hängen hinter jedem Bild kleine Lautsprecher,<br />

aus denen zufällige Sätze ertönen – geflüstert,<br />

so dass man die Stimmen nicht identifizieren<br />

kann. Dieses Sinnbild für die Seelen der Verstorbenen<br />

zeigt: rein theoretisch hätte es jeden treffen können.<br />

Es ist die Kombination von Realität und Kunst, die<br />

dem Besucher die Nackenhaare aufstellt. Einerseits<br />

das zusammengesetzte Flugzeug, an dem sogar noch<br />

Logos und Schriftzüge gut erkennbar sind – selbst die<br />

Türen der Notausgänge wurden wieder eingehängt,<br />

andererseits eine Lichtinstallation. Quer durch den<br />

Raum hängen nackte schwarze Stromkabel mit überdimensionalen<br />

Glühbirnen, deren Funktion Museumschef<br />

Maraniello so erklärt: „Jedes Licht ist einer<br />

vor Ustica umgekommenen Person gewidmet, diese<br />

Lampen leuchten langsam auf und verlöschen wieder,<br />

wie ein gemeinsamer Herzschlag, oder besser – wie<br />

ein Atemzug“. Unmittelbar wird einem klar: Dies ist<br />

ein Mahnmal für einen Massenmord. Umso mehr fragt<br />

man sich, wie es eigentlich möglich ist, so etwas in<br />

einem, auch durch staatliche Zuschüsse finanzierten,<br />

Museum zu zeigen, wo doch staatliche italienische<br />

Stellen jahrelang alles versucht haben, um die Aufklärung<br />

des Falles zu verhindern. Die Kunst biete da<br />

vielleicht die Gelegenheit, das Unaussprechliche auszusprechen,<br />

so Gianfranco Maraniello, leider nicht<br />

im poetischen Sinne, eher in einer anderen Form. In<br />

der eines andauernden ausdrücklichen Statements:<br />

staatliche Stellen haben offenbar nicht das gemacht,<br />

was sie hätten machen können. Im Himmel über<br />

Ustica sind vor 30 Jahren 81 Menschen gestorben. Das<br />

Museum in Bologna, das an ihren Tod erinnert, ist mit<br />

Sicherheit eine der eindrücklichsten Gedenkstätten<br />

der Welt.<br />

Photos: MAMbo<br />

65 der flugleiter 2010/04

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