Studie Kindeswohlgefährdung – Ursachen, Erscheinungs ... - FBTS
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Die Ergebnisse aus der Befragung der Fachkräfte (vgl. Kapitel 5) zeigen, dass es eine erhöhte Sensibilität<br />
für <strong>Kindeswohlgefährdung</strong> gibt, aber Vereinbarungen zur Sicherstellung des Schutzauftrages noch nicht<br />
flächendeckend abgeschlossen worden sind. Fachkräfte der Einrichtungen und Institutionen, die Leistungen<br />
nach SGB VIII oder Eingliederungsleistungen erbringen, verwenden zu einem hohen Anteil die fachlich gebotenen<br />
Instrumente und Methoden zur Risikoeinschätzung. Diese werden jedoch noch nicht flächendeckend<br />
als Standards angewandt. In der detaillierten Analyse der Risikoeinschätzbögen wird sichtbar, dass hier in<br />
der Festlegung und Konkretisierungen von Begrifflichkeiten noch Entwicklungsbedarf besteht, und ebenso<br />
Handlungsbedarf, eine empirisch gesicherte Validität und angemessene Komplexität zu überprüfen und den<br />
Anpassungsgrad der Bögen an Institutionen abzuwägen. Die vorgeschriebene Hinzuziehung der „insoweit erfahrenen<br />
Fachkraft“ zur Beratung bei der Abschätzung des Risikos ist ebenfalls noch nicht durchgängig verankert.<br />
Das Aufgabenspektrum dieser neuen Rolle einer Fachkraft muss sich in der Praxis weiter ausbilden,<br />
in einem differenzierten Tätigkeitsprofil niederschlagen und durch Kompetenzzuschreibungen auszeichnen.<br />
Die sich hier anschließende zentrale Frage ist, welche Handlungssicherheit bei den genannten Fachkräften<br />
durch die vorgegebenen Verfahrenswege erreicht ist. Handlungssicherheit, die sich möglicherweise darin<br />
zeigt, dass verschiedene Fachkräfte unabhängig voneinander bei einem Fall von <strong>Kindeswohlgefährdung</strong> annähernd<br />
zu einer ähnlichen Risikogewichtung und Entscheidung kommen, scheint noch nicht gegeben. Hier<br />
wird weiterer Forschungsbedarf deutlich, um Verfahrensregelungen zu konkretisieren und zu präzisieren<br />
und um dann Fachkräfte gezielt qualifizieren zu können (vgl. auch Ergebnisse im Abschnitt 7.5). Fachkräften<br />
des Gesundheitssystems und der Schulen sind diese Verfahrenswege und Methoden weniger vertraut und<br />
auch nicht vorgeschrieben. Zudem funktioniert die Zusammenarbeit verschiedener Fachkräfte und deren<br />
Institutionen umso besser, je enger die berufliche Nähe ist. Hier zeigt sich die Schwierigkeit, wie sozialpädagogische<br />
Standards an fachfremde Professionen herangetragen werden können und wie bedeutsam ein gegenseitiges<br />
Verstehen und Übernehmen dieser Zugänge und Sichtweisen ist. Beispiele guter Ansätze von<br />
Zusammenarbeit und Kooperation stellen die untersuchten Vereinbarungen zwischen Kommunen und Schule<br />
dar (vgl. Abschnitt 7.4). In unterschiedlichen Aushandlungsprozessen wurden sozialpädagogische Standards<br />
in teilweise modifizierter Form für das System Schule übernommen. Unter Mitarbeit verschiedener beteiligter<br />
Professionen gelang eine multiprofessionelle Perspektive auf den Kinderschutz im System Schule.<br />
Die Perspektive von Betroffenen wurde durch persönliche Gespräche mit Eltern bzw. den Sorgeberechtigten,<br />
die Hilfe zur Erziehung erhalten, herausgearbeitet (vgl. Kapitel 6). Die dargestellten Ergebnisse unterstreichen<br />
eindrücklich, dass vernachlässigende Betreuungssituationen multifaktoriell bedingt sind. Eltern können diese<br />
Faktoren nur in einem begrenzten Maße beeinflussen. Des Weiteren benennen Eltern ein negatives Erleben<br />
im Erstkontakt mit dem Jugendamt, als sie mit dem Verdacht auf <strong>Kindeswohlgefährdung</strong> konfrontiert worden<br />
sind. Angst vor Verlust der Selbstbestimmung und vor Verlust des Kindes sind als Auslöser zu nennen. Auf<br />
der anderen Seite ist die grundsätzliche Bereitschaft zur und der Wunsch nach Veränderung zu konstatieren,<br />
womit die Bereitschaft, Hilfen anzunehmen, mutmaßlich verbunden ist. Die Situation von gefährdeten Kindern<br />
kann den Ergebnissen zufolge zum einen durch niedrigschwellige sozialräumliche Angebote verbessert werden<br />
und zum anderen kann die Kinder- und Jugendhilfe an die festgestellte Bereitschaft der Eltern zur Veränderung<br />
mit präventiven Angeboten ansetzen.<br />
Die Analyse Sozialer Frühwarnsystem und Präventionsansätze aus den Frühen Hilfen (vgl. Abschnitt 7.2) ergab,<br />
dass sich alle Ansätze durch eine gemeinsame Zielvorstellung auszeichnen: Eltern sollen in ihren Kompetenzen<br />
gestärkt werden. Der Fokus liegt sowohl auf den Erziehungskompetenzen als auch auf alltagspraktischen<br />
Kompetenzen der Eltern. Um dieses Ziel zu erreichen sind für die Umsetzung mehrere Aspekte bedeutsam.<br />
Frühe Hilfen werden durch eine fundierte Beziehungsarbeit befördert und sind idealerweise interdisziplinär<br />
angelegt und regional verankert. Allerdings hat die Analyse ergeben, dass die derzeitigen Konzepte noch eingehender<br />
dokumentiert und hinsichtlich ihrer Wirkungen und ihres Nutzens zu evaluieren sind. Um Aussagen<br />
zur Wirksamkeit in Bezug auf den Schutz von Kindern treffen zu können, müssen die bestehenden Ansätze<br />
systematisch untersucht und in ihrer regionalen Qualität und Quantität analysiert werden.