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Die sechste Auslöschung

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anthropomorphe Kräfte ihrer Umwelt. Andrerseits ist in gewisser<br />

Hinsicht die gegenwärtige letzte Zivilisation der Menschheit gar nicht<br />

anthropozentrisch, sondern kapital-zentriert.<br />

Es kann nicht darum gehen, den prozessierenden Wahnsinn einer<br />

vom Kapital absorbierten Welt, 'die es eigentlich weiss', gegen die<br />

schrecklichen Folgen des blinden Handelns unserer fernen (und auch<br />

näheren) Ahnen auszuspielen. In Ahnlehnung eines Wortes von<br />

Amadeo Bordiga 56 über Faschismus und Antifaschismus könnte man<br />

sagen: Das schlimmste Produkt des Kapitalismus ist der<br />

Antikapitalismus. Der Antikapitalismus (wie auch der romantische<br />

Anti-Okzidentalismus) greift zu kurz. Es geht um eine ganze<br />

Menschheitsepoche, deren Endprodukt der Kapitalismus ist. Letztlich<br />

geht es um die Bedingungen des Menschseins überhaupt. In diesem<br />

Sinne schlage ich in Überwindung der anthropozentrischen und<br />

ökozentrischen nicht, wie David Watson, ganz in anarchistischer<br />

Tradition, eine polyzentrische, sondern holozentrische Seins-Praxis vor.<br />

57<br />

<strong>Die</strong> gegenwärtige <strong>sechste</strong> <strong>Auslöschung</strong> ist nicht primär deshalb<br />

erschreckend, weil sie für die Menschheit potenziell das Aus bedeutet.<br />

Auch die Fragen: Wieviel Natur, wieviel Wildnis oder wenigstens<br />

Bereiche spontanen Naturgeschehens braucht der Mensch? gehen am<br />

Wesentlichen vorbei. Es geht darum, die Erde als Ort aller Seinsformen,<br />

inklusive der noetischen, zu erhalten. Dadurch, dass die Menschheit die<br />

Vernichtung, Manipulation und Domestikation des Lebens in all seinen<br />

Erscheinungsformen und -weisen, die gierige Ausbeutung des<br />

Organischen und Mineralischen und des kosmischen Logos aktiv<br />

betreibt oder passiv toleriert, lädt sie metaphysische Schuld auf sich.<br />

Wir möchten den metaphysischen Aspekt der Frage der Schuld an<br />

Ethniziden auf den Spezie-, Öko- und Noozid ausdehnen. Karl Jaspers<br />

hat die Schuldfrage in seinen Vorlesungen 1945-46 aufgegriffen: 58 „Es<br />

gibt eine Solidarität zwischen Menschen als Menschen, welche einen<br />

jeden mitverantwortlich macht für alles Unrecht und alle<br />

Ungerechtigkeit in der Welt, insbesondere für Verbrechen, die in seiner<br />

Gegenwart oder mit seinem Wissen geschehen. Wenn ich nicht tue, was<br />

ich kann, um sie zu verhindern, so bin ich mitschuldig. Wenn ich mein<br />

Leben nicht eingesetzt habe zur Verhinderung der Ermordung anderer,<br />

sondern dabeigestanden bin, fühle ich mich auf eine Weise schuldig, die<br />

juristisch, politisch und moralisch nicht angemessen begreiflich ist.<br />

Dass ich noch lebe, wenn solches geschehen ist, legt sich als untilgbare<br />

Schuld auf mich. Wir kommen als Menschen, wenn nicht ein Glück uns<br />

diese Situation erspart, an die Grenze, wo wir wählen müssen: entweder<br />

ohne Zweck, weil ohne Erfolgsaussicht, bedingungslos das Leben<br />

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