von K. von DITTMAR. - Siberian-studies.org
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große Fülle an Fischen und Wild verlockend<br />
gewesen.<br />
Rückreise nach dem Peterpaulshafen durch’s<br />
Kamtschatka-Tal (im Sommer 1852).<br />
[349]<br />
Das Tierleben in und auf den Gewässern der<br />
Kamtschatka-Mündung ist ein ganz besonders<br />
reges. Die Ursache und die Haupttriebfeder zu<br />
diesem bunten Leben sind die unerhörten Massen<br />
<strong>von</strong> Lachsen, welche jährlich aus dem Meere in<br />
den Strom und bis in die äußersten, oft hoch im<br />
Gebirge gelegenen Quellbäche hinaufsteigen und<br />
dort sogar die Ufer dicht bedecken. Mit dem<br />
Eintritt der Fische in die Flüsse des Landes ist<br />
denselben neues Leben gegeben. Menschen und<br />
Tiere haben nun wieder frische Nahrung und<br />
frischen Mut. Aus dem Meere, den Fischen nach,<br />
ziehen große Herden <strong>von</strong> Seehunden in den<br />
Kamtschatka-Strom und den Nerpitschij-See und<br />
in den letzteren auch der Seelöwe. Wie die<br />
menschlichen Bewohner des Landes, so sind nun<br />
auch Bären, Wölfe, Zughunde und Füchse<br />
ständige Gäste am Strom. Zahllose Gänse, Enten,<br />
Taucher, Schwäne erfüllten die Luft und die<br />
Oberfläche des Wassers. Stiller wird es im Spätherbst,<br />
und ganz verstummen die Tierstimmen im<br />
Winter. Die Einwohner, welche sich im Sommer<br />
nicht vers<strong>org</strong>t haben, leiden im Winter Hunger,<br />
denn tot ist alsdann der große Strom, der noch<br />
eben <strong>von</strong> Leben überflutete.<br />
[360]<br />
Schestakof, der auf dieser Reise alle unsere<br />
Mundvorräte in seinen Händen hatte, war daran<br />
gegangen, die Abendmahlzeit herzurichten. Desgleichen<br />
wurde die in keinem kamtschadalischen<br />
Orte fehlende Teemaschine bald in Gang gesetzt,<br />
und dies war das Zeichen für alle Bewohner, sich<br />
im Nebenzimmer zu versammeln. Es ist hier<br />
überall zu Lande Sitte, dass der ankommende<br />
Fremde Alle mit Tee, dem Lieblingsgetränk der<br />
Kamtschadalen, traktiert, und selbstverständlich,<br />
dass Alle sich zu diesem Genuss versammeln.<br />
Dafür halten die Leute es für ebenso unfraglich,<br />
dass sie alle Lebensmittel ohne Zahlung<br />
verabfolgen, und diese, ausnahmslos Produkte des<br />
Landes, werden <strong>von</strong> den gutmütigen und immer<br />
freundlichen Menschen stets aufs freigebigste<br />
zugetragen. Brot ist in den kamtschadalischen<br />
Ortschaften eine sehr seltene Erscheinung, wird auch<br />
<strong>von</strong> den Eingeborenen gar nicht vermisst und in der<br />
Regel durch Kartoffeln, besonders aber durch Lilienknollen<br />
(Sarana, Fritillaria kamtschatica) ersetzt.<br />
Selbst die Bezahlung mit Geld für die Hundefahrten<br />
im Winter und für die Bootsleute im Sommer wird<br />
<strong>von</strong> den Kamtschadalen ungern, wenigstens sehr<br />
gleichgültig akzeptiert, und wenn diese Zahlung<br />
nicht geschieht, so ist es ihnen sogar lieber. Dagegen<br />
erfreut man sie außerordentlich durch Tee, Tabak,<br />
Schießbedarf und dergleichen Dinge. Dies sind<br />
Geschenke, auf die sie sogar bestimmt rechnen. Nie<br />
aber sind mir in Kamtschatka Bettelei und Unzufriedenheit<br />
mit der Gabe oder ein unfreundliches<br />
Wesen begegnet. Freundlich, gefällig, dienstfertig<br />
und folgsam ist der Kamtschadale stets, wo aber<br />
einmal die Unlust etwas zu tun oder der sehr<br />
verbreitete Aberglauben ihm eine Dienstleistung<br />
[361] verbieten, da stellt er sich unwissend oder<br />
irgend wie unbrauchbar.<br />
Zum Tee hatte ich den Tojon und ein paar ältere<br />
Männer zu mir aufgefordert. Zaghaft und einsilbig<br />
nahmen sie ihre Plätze in meiner Nähe ein und wurden<br />
erst gesprächiger, als sie sahen, dass ich ihnen<br />
keinerlei Befehle gab und an sie keine Forderungen<br />
hatte. Die Kamtschadalen, durch Generationen<br />
schlecht und rücksichtslos <strong>von</strong> den Beamten<br />
behandelt, sind jetzt ein sehr eingeschüchtertes<br />
Völkchen, voller Misstrauen und Vorsicht gegen<br />
jeden Russen. Sie fürchten, dass irgend eine unvorsichtige<br />
Äußerung ihnen neue Onera auferlegen<br />
könnte, und schweigen daher am liebsten ganz. Dies<br />
scheint ihnen jetzt so zur Natur geworden zu sein,<br />
dass es außerordentlich schwer ist, die Kamtschadalen<br />
zum Erzählen zu bewegen. Es ist dies sehr zu<br />
bedauern, da so manche Sage und Tradition aus alter<br />
Zeit unter ihnen fortlebt.<br />
Ich hatte sie zuerst nach ihrem Fischfang gefragt<br />
und durch das Aufbringen eines Lieblingsthemas<br />
ihren Mund geöffnet. Über die Reihenfolge der hier<br />
ziehenden Fische erfuhr ich Folgendes: der erste<br />
Fisch, der im Frühjahr aus dem Meere in den Strom<br />
steigt, ist die kleine Chacheltscha, die bereits im<br />
April bei Kamaka gefangen wird. Es ist ein kleines,<br />
nur ein paar Zoll langes Tier, das nicht gar hoch<br />
hinaufsteigt und seine Grenze höchstens bei<br />
Kosyrefsk erreichen soll, wo es durch den Kampf<br />
gegen die Strömung schon vollständig entkräftet ist.<br />
Dieser Fisch wird nur in Jahren der Not <strong>von</strong> den<br />
Menschen gegessen, sonst aber als Hundefutter<br />
gebraucht. Die Chacheltscha (Gasteracanthus<br />
K. <strong>von</strong> Dittmar, Reisen und Aufenthalt in Kamtschatka 1851–1855 ... (1890) 11