von K. von DITTMAR. - Siberian-studies.org
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Die Tschums waren sehr stark bevölkert, denn<br />
in jedem derselben wohnten mindestens 5 Familien<br />
mit einer großen Kinderschar. Auch die Zahl<br />
der Hunde war ungemein groß. Diese waren viel<br />
kleiner als die kamtschatskischen Zughunde und<br />
weniger kräftig gebaut, dafür aber viel zutunlicher.<br />
Sie waren fast alle ganz schwarz, hatten einen sehr<br />
langhaarigen Pelz, einen buschigen, aufrecht<br />
stehenden Schwanz, spitze aufgerichtete Ohren<br />
und eine spitze Schnauze. Als Zugtiere werden sie<br />
nur sehr selten gebraucht, da die Rentiere diesen<br />
Dienst verrichten, dagegen werden sie hauptsächlich<br />
gehalten, um bei besonderen Gelegenheiten<br />
den Götzen geopfert zu werden und um<br />
die schönen, schwarzen Pelze zu gewinnen, die<br />
als Verzierung an den Kleidungsstücken sehr<br />
geschätzt sind.<br />
[528]<br />
Der Regen hatte wieder begonnen und wurde<br />
stärker. Auf nasser, nackter und unebener Tundra<br />
ging unser Weg weiter zur Matuga, wo wir um 5<br />
Uhr Nachmittags vollständig durchnässt und<br />
erschöpft anlangten. Sofort wurde das Zelt aufgeschlagen<br />
und ein loderndes Feuer angemacht, um<br />
uns zu trocknen und zu erwärmen. Die Tschums<br />
der Korjaken standen leer, die Bewohner waren<br />
alle zur Obwekofka gegangen, hatten aber all’<br />
ihren Besitz hier gelassen und die Eingänge der<br />
Tschums nur mit Fellen verhängt, dessen gewiss,<br />
dass hier Niemand Hand an fremdes Eigentum<br />
legen wird.<br />
[529] Als wir vor dem Feuer saßen und uns an<br />
warmem Tee labten, erschien plötzlich Ekkit bei<br />
uns. Ich hatte früher <strong>von</strong> ihm ein Rentier<br />
erhandelt, um es als Proviant mit aufs Schiff zu<br />
nehmen, und nun führten er und sein Freund und<br />
Genösse Apkauke uns einen schönen, großen,<br />
ganz weißen Hirsch zu, den sie auch weiter bis<br />
zum Schiff schaffen sollten. Im Gespräch mit den<br />
beiden jungen Männern machte ich Ekkit im<br />
Scherz den Vorschlag, mich ganz zu begleiten,<br />
und erzählte ihm <strong>von</strong> den schönen, so sehr<br />
begehrlichen Dingen, die er in dem Lande, wo ich<br />
zu Hause sei, sehen und erhalten würde. Er wurde<br />
zuerst nachdenklich, brach aber dann freudig in<br />
den Ruf aus: «nein, ich bleibe doch lieber hier, ihr<br />
habt keine Rentiere, hier aber ist es schön; bald<br />
heirate ich, werde Tschumbesitzer, dann vergrößert<br />
sich meine Herde, und ich ziehe fröhlich<br />
im Lande umher und kann fischen und jagen, so viel<br />
ich Lust habe». Nun blieb er fest bei seinem<br />
Entschluss, und nichts konnte ihn <strong>von</strong> demselben<br />
abbringen. Es ist eben jedem Menschen die Heimat<br />
ein Heiligtum, auch wenn sie noch so abschreckend<br />
ist, wie dieses öde Taigonos.<br />
... [530]<br />
Die Tschums standen auch hier ganz leer, denn<br />
auch <strong>von</strong> hier waren alle Bewohner nach der<br />
Obwekofka zum Fischfang gezogen. Im sicheren und<br />
festen Vertrauen auf die Ehrlichkeit ihrer Volksgenossen<br />
hatten sie auch hier, wie an der Matuga, alle<br />
ihre Habseligkeiten in den Tschums liegen lassen.<br />
Während wir unseren Reisbrei verzehrten, kam<br />
Kanoa mit seinem Sohn <strong>von</strong> der Obwekofka zurück,<br />
um einige nötige Gegenstände aus seinem Tschum<br />
abzuholen. Als alter Freund nahm er sogleich Teil an<br />
unserer Mahlzeit, die ihm vortrefflich schmeckte,<br />
und trat dann mit uns zusammen den Weg zur<br />
Obwekofka an. Ekkit führte uns vortrefflich, so dass<br />
wir in kürzerer Zeit und besser durch die Moos- und<br />
Sumpftundra kamen. Am Nachmittag langten wir an<br />
der Obwekofka an, wo wir großes Leben vorfanden.<br />
Eine Menge alter Bekannter <strong>von</strong> der Matuga,<br />
Tschaibucha und Topolofka empfing uns mit dem<br />
freudigsten Zuruf. Männer, Weiber, Kinder umringten<br />
mich und begleiteten uns bis zur Mündung<br />
des Flusses, immer noch für die vielen, schönen<br />
Geschenke dankend: «nie sei ein so guter Tojon<br />
(Beamter) bei ihnen gewesen». Die braven Leute<br />
hatten mir einen vollständigen Triumphzug bereitet.<br />
Aber der Zug sollte noch größer wenden. An der<br />
Mündung der Obwekofka standen mehrere Lederzelte<br />
gestern hier angelangter Lamuten. Diese hörten<br />
nun <strong>von</strong> den Korjaken, dass ich viele Geschenke an<br />
Perlen, Tabak, Nähnadeln etc. verteilt hatte, und<br />
schlössen sich aus Neugierde ebenfalls uns an, so dass<br />
ich zuletzt ein Gefolge <strong>von</strong> über 60 Personen hatte.<br />
So [531] ging es bis zur Stelle, wo wir über die Obwekofka<br />
setzten. Hier wurde Abschied genommen,<br />
unter vielen schönen Wünschen und der wiederholten<br />
Bitte, doch gewiss bald wiederzukommen.<br />
Nur Ekkit mit dem Rentier und ein paar andere<br />
Korjaken begleiteten mich noch bis zum Tender.<br />
Unser Handel war bald in Ordnung, und als ich ihm<br />
bedeutend mehr gab, als seine unerhört bescheidene<br />
Anfrage war, meinte er, ich behandele ihn besser als<br />
ein Vater seinen Sohn. Eine Bitte aber hätte er noch,<br />
und zwar um ein Gläschen Branntwein. Als er dieses<br />
erhalten hatte, bat er um ein zweites Glas, welches<br />
ihm ebenfalls verabfolgt wurde; da sich aber darauf<br />
K. <strong>von</strong> Dittmar, Reisen und Aufenthalt in Kamtschatka 1851–1855 ... (1890) 25