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In den Mühlen des Staatsterrors - The 3 Saints

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„Sie müssen dich für jeck halten!“<br />

Während der ganzen Jahre unseres Untertauchens<br />

hatten wir eine sehr schwere, gefährliche und angstvolle<br />

Zeit zu überstehen. Immer häufiger drang die<br />

„SS“ (Schutzstaffel) und „Gestapo“ (Geheime<br />

Staatspolizei) in Häuser ein, um jüdische Bürger<br />

aufzuspüren. Auch unser Gebäude wurde von ihnen<br />

kontrolliert. Unser Zimmer im Hinterhaus <strong>des</strong><br />

historischen Gebäu<strong>des</strong> aus dem 17. Jahrhundert an<br />

der Prinsengracht befand sich in der ersten Etage.<br />

Dorthin gelangte man vom Eingang nur über eine<br />

lange Treppe, die von mir regelmäßig mit einer<br />

Bürste und Sodawasser gesäubert wurde, wofür ich<br />

als Wochenlohn ein Ei erhielt, das ich mit meinen<br />

Geschwistern teilte (Schwarzmarktpreis 15 Gul<strong>den</strong>).<br />

Die Tür konnte von oben durch Ziehen an einer<br />

langen, von Ringen entlang der Treppe geführten<br />

Schnur geöffnet wer<strong>den</strong>.<br />

Wir glaubten zu wissen, daß die Deutschen trotz<br />

ihrer Abgebrühtheit und Grausamkeit eine besondere<br />

Abneigung oder gar Furcht vor „Idioten“ (geistig<br />

Behinderten) hatten, die im allgemeinen als<br />

unberechenbar galten. Die konnten bei plötzlichen<br />

Wutanfällen die schrecklichsten Dinge tun, einem<br />

an die Kehle springen oder sonst was. Unser<br />

„onderduikvader“ hatte mir eingeschärft: „Falls es<br />

klingelt, und wir sind nicht da, öffnest du die Tür.<br />

Wird das Haus von <strong>den</strong> Besatzern kontrolliert und<br />

keiner macht auf, wer<strong>den</strong> sie erst recht mißtrauisch<br />

und schlagen die Tür ein. Solltest du <strong>den</strong> Deutschen<br />

begegnen, mußt du ‚gek doen, heel gek, daar<br />

zijn ze doodsbang voor.‘ Sie müssen dich für ‚jeck‘<br />

halten, so als ob du wirklich nicht ganz gescheit<br />

bist, weder sprechen noch richtig hören kannst. Du<br />

solltest komische Grimassen schnei<strong>den</strong>, wild gestikulieren<br />

und unverständliche Laute ausstoßen.“<br />

Um auf eine solche Situation vorbereitet zu sein,<br />

hatte ich sogar im Beisein der ganzen Familie<br />

geübt.<br />

An einem eiskalten Tag im Winter 1943/44 war<br />

ich gerade mit Bürste und Eimer auf halber Treppe<br />

beschäftigt und beeilte mich, vor Einbruch der<br />

Dunkelheit fertig zu wer<strong>den</strong>. „S’ middags om een<br />

uur of vier ging de bel.“ (mittags gegen vier Uhr<br />

klingelte es). Ich zog an der Schnur, die Tür wurde<br />

von außen aufgestoßen, und ich erstarrte vor<br />

Schreck. Unten an der Treppe erschienen tatsächlich<br />

„twee SS-Officieren“ in Uniform, bewaffnet mit<br />

Mina Sanders kurz nach der Befreiung in Holland.<br />

Auf ihrem Kleid trägt sie eine Silberbrosche mit Türkis von ihrem Lebensretter oom Jan. (96)<br />

Gewehren, die mich in bedrohlicher Weise anbrüllten:<br />

„Sind hier auch Ju<strong>den</strong>? Ju<strong>den</strong>, Ju<strong>den</strong> meinen<br />

wir?“ Ich versuchte, mich trotz meiner Panik und<br />

To<strong>des</strong>angst wie oben beschrieben zu verhalten. Ich<br />

hatte nur einen Gedanken: „Komme, was wolle, die<br />

dürfen unter keinen Umstän<strong>den</strong> nach oben, fin<strong>den</strong><br />

sie die anderen, so ist es aus!“ Ich gab keine<br />

Antwort, sondern blickte sie verständnislos an, so<br />

als ob ich nicht verstehe. Sie brüllten weiter in frechem<br />

Ton auf mich ein, aber ich reagierte immer<br />

chaotischer. Schließlich machten die zwei Anstalten,<br />

die Treppe raufzukommen. Ich hielt mich mit<br />

aller Kraft links und rechts am Geländer fest, gab<br />

schreckliche Töne von mir und ließ sie nicht vorbei,<br />

indem ich so tat, als würde ich mich irrsinnig<br />

zur Wehr setzen und mit <strong>den</strong> Schuhen jedem ins<br />

Gesicht treten, der es wagen sollte, sich mir zu nähern.<br />

Sie sahen mein wutverzerrtes und entschlossenes<br />

Gesicht, und das hielt sie wohl davon ab, mich<br />

einfach gewaltsam beiseitezustoßen und nach oben<br />

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