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In den Mühlen des Staatsterrors - The 3 Saints

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Wie haben wir es geschafft, uns unter <strong>den</strong> gegebenen<br />

Umstän<strong>den</strong> mehr als zwei Jahre <strong>den</strong> ganzen Anschließend ging mein Vater „afstoffen“ (staub-<br />

essen könnte, wenn sie mir die jetzt anbieten würde.“<br />

Tag zu beschäftigen? Im Winter blieben wir bis wischen). Aus einer alten Gardine hatte <strong>In</strong>a ihm<br />

neun Uhr „im Bett“, <strong>den</strong>n wir hatten so gut wie eine Schürze, „morsmouwen“ (Ärmelschoner) und<br />

keine Heizung im Hinterhaus, es gab einfach nichts auch ein Staubtuch genäht. Wir haben uns niemals<br />

zum Stochen. Da wir ständig auf engstem Raum vorstellen können, daß sich unser Vater als früherer<br />

Fleischfabrikant zum Staubwischen hergeben<br />

zusammenlebten, ging das Schamgefühl bald verloren.<br />

Erst nach unserer Morgenwäsche bekamen würde, aber er bestand absolut darauf und machte<br />

wir „een boterham en Nettie-thee“ (Scheibe Brot seine Sache recht or<strong>den</strong>tlich. Vater beschäftigte sich<br />

und Tee-Ersatz). „Na het onbijt“ (nach dem Frühstück)<br />

ging <strong>In</strong>a erst mal auf Jagd nach Flöhen zwien<br />

Schlachterei, nachdem wir über <strong>den</strong> englischen<br />

außerdem mit Zeichnen und Entwerfen einer neuschen<br />

dem Bettzeug. Ich höre sie immer noch zu Sender erfahren mußten, daß unsere Fabrik in<br />

mir sagen: „<strong>In</strong> jouw dekens zitten er wel hondertvijftig!“<br />

(in deiner Decke sitzen wohl hundertfünf-<br />

er sehr ernsthaft und fachkundig.<br />

Twello „was plat gebombardeerd“. Dies verrichtete<br />

zig). Das Ungeziefer war von Anfang an da und Nach der Flohjagd wischte <strong>In</strong>a <strong>den</strong> Fußbo<strong>den</strong> mit<br />

kam in Massen aus <strong>den</strong> breiten Spalten <strong>des</strong> alten „Lysol“, einem Desinfektionsmittel. Während ich<br />

Holzfußbo<strong>den</strong>s und <strong>den</strong> oben beschriebenen „Betten“.<br />

Wir konnten die Flöhe nicht wirksam be-<br />

jüngsten Schwester Sybilla Rechnen und Lesen<br />

zum Putzen zu tante Mies ging, brachte <strong>In</strong>a der<br />

bei,<br />

„duizend en een“ (tausend) Sachen, die mir damals<br />

durch <strong>den</strong> Kopf gingen, du versuchst, dich nicht genügend reinhalten konnten. Unser ganzer<br />

kämpfen, weil wir uns selbst und unsere Kleider<br />

später daran zu erinnern, aber es ist einfach unmöglich,<br />

alles zu behalten oder zu Papier zu brinlich<br />

weit mehr als hundert an der Zahl, wur<strong>den</strong> in<br />

Körper war voller Stiche. Die gefangenen Flöhe, täggen.<br />

Wir hörten <strong>den</strong> Turm Tag und Nacht, Woche einem mit Wasser gefüllten „jampot“ (Marmela<strong>den</strong>topf)<br />

ertränkt. Kopfläuse stellten sich erst ge-<br />

für Woche, all die Jahre, für mich ein vertrautes<br />

und sogar beruhigen<strong>des</strong> Gefühl. Das hatte nichts gen Ende <strong>des</strong> Krieges, im Februar 1945 ein. Ich war<br />

mit religiösen Dingen zu tun, auch wenn es sich die einzige, die nie Läuse hatte und mein Vater natürlich,<br />

der kaum noch Haare besaß. <strong>In</strong>a bekam<br />

um eine Kirche handelte, es war einfach für mich<br />

ein Stück dieser Stadt. Nein, es gab keine Sicherheit,<br />

mit einer gewissen Ausnahme: Dieser alte Mina. Zuerst fing die Tante Anna beim Aben<strong>des</strong>sen<br />

jede Menge, auch meine Mutter, Sybilla und Tante<br />

Kirchturm mit seinen Glocken und Melodien hatte an, sich zu kratzen, aber sie wollte das natürlich<br />

schon Jahrhunderte überdauert und würde auch nicht so zeigen. Später ließ sie sich die Haare vollständig<br />

abschnei<strong>den</strong> und trug immer ein Kopftuch.<br />

allen weiteren Stürmen trotzen, was immer passierte,<br />

„een rots in de branding“ (ein Fels in der Brandung).<br />

Er spielte seine „liedjes“, schlug pünktlich auch die anderen von uns im Hinterhaus von dem<br />

<strong>In</strong>nerhalb von vierundzwanzig Stun<strong>den</strong> wur<strong>den</strong><br />

die Zeit und läutete mit vollem Klang, niemand Ungeziefer befallen. Oom Jan und tante Mies waren<br />

dagegen kaum davon betroffen. Sie kauften<br />

konnte es ihm auf Dauer verbieten oder ihn aufhalten,<br />

auf ihn konnte ich mich stets verlassen, er Seife auf dem Schwarzmarkt, für uns war das unerschwinglich.<br />

„Ach, wir stinken ja alle“, sagte Tan-<br />

war einfach immer für mich da und stand auf<br />

meiner Seite, besonders nachts. Nicht für alle von te Mina dazu. „Das riecht man.“ Als tante Mies mal<br />

uns hatte der Turm diese Bedeutung, aber ich habe in ihrer Wäsche einen einzigen Floh entdeckte, geriet<br />

sie außer sich und kochte das selbstgestrickte<br />

es damals so erlebt und empfun<strong>den</strong>, und Tante<br />

Mina konnte das sehr gut verstehen. Bestimmt habe Baumwollhemd sogleich in der Kartoffelpfanne aus.<br />

ich öfter mit ihr darüber gesprochen, <strong>den</strong>n über Darauf entsetzte sich mein Vater im reinsten<br />

diese emotionalen Dinge konntest du am besten mit Deventer-Platt sehr: „Solchen Hunger kann ich<br />

ihr re<strong>den</strong>.<br />

nicht haben, daß ich Kartoffeln aus dieser Pfanne<br />

Zwischen Hoffen und Bangen<br />

<strong>den</strong>n sie konnte von ihrem 7. bis zum 12. Lebensjahr<br />

keine Schule besuchen. Mittags lernte ich dann<br />

mit ihr. Tante Mina, Vater und Mutter saßen oft<br />

beim Kartenspiel, und oom Jan kam je<strong>den</strong> Tag wohl<br />

ein paar Mal um „een praatje“ (ein Schwätzchen)<br />

zu halten und zu berichten, was der englische Sender<br />

über <strong>den</strong> Kriegsverlauf meldete. Wir verbargen<br />

dann schnell unseren mit <strong>den</strong> ersoffenen Flöhen<br />

gefüllten „jampot“, <strong>den</strong>n wir genierten uns und<br />

wollten uns die Blöße mit dem Ungeziefer nicht<br />

gerne geben.<br />

Mutter kochte zuweilen „pap van tulpenbollen“<br />

(Brei aus Tulpenzwiebeln), der immer anbrannte<br />

und <strong>den</strong> wir, falls vorhan<strong>den</strong>, mit etwas Salz würzten,<br />

<strong>den</strong>n Zucker oder Mehl gab es überhaupt nicht.<br />

Die gepreßten Tulpenzwiebeln ergaben einen süßlichen<br />

Sirup, der für eine Art Pfannkuchen oder<br />

Brotaufstrich verwendet wer<strong>den</strong> konnte. Ganz selten<br />

erhielten wir dazu noch etwas Magermilch. Zum<br />

Kochen diente ein „Salamander kachel“, ein kleiner<br />

Ofen, der nur kurz mit Holz gefeuert wurde,<br />

<strong>den</strong>n Brennstoff war mit zweihundert Gul<strong>den</strong> für<br />

eine halbe Stunde nahezu unerschwinglich.<br />

Gegen halb acht abends durften alle vom Hinterhaus<br />

in die vordere Wohnung der „onderduikouders“,<br />

die im Winter auch tagsüber mit Holz vom<br />

Schwarzmarkt beheizt wurde, was im Laufe der Zeit<br />

Tausende Gul<strong>den</strong> kostete. <strong>In</strong>a schenkte ein, und wir<br />

tranken gemeinsam mit <strong>den</strong> Angehörigen bei<br />

Karbidbeleuchtung <strong>den</strong> von tante Mies gebrauten<br />

„surrogat thee“ und konnten uns so in der kalten<br />

Jahreszeit etwas aufwärmen. Tante Mies pflegte<br />

dann häufig zu sagen: „De gebakjes moet je er<br />

maar bij <strong>den</strong>ken!“ (Das Gebäck müßt ihr euch<br />

dabei <strong>den</strong>ken.)<br />

Die Karbidlampe funktionierte ähnlich wie ein<br />

Dynamo mit einer Glühbirne. Über ein Rad, das<br />

von Hand gedreht wurde, brachte man die Karbidwürfel<br />

in einem „bakje“ (Schale) zum Leuchten.<br />

Je schneller man das Rad drehte, um so mehr dieser<br />

weißen Würfel brannten zugleich, und dann<br />

konnte man sich ein paar Minuten setzen. Das Karbid<br />

verbreitete zwar einen fürchterlichen Gestank,<br />

aber Kerzen gab es zu der Zeit nicht mehr. Die drei<br />

Fenster nach vorne zur Gracht waren abends verdunkelt.<br />

Wenn wir bei schummrigem Licht vorne<br />

im Zimmer saßen, fand oom Jan das „heel gezellig“.<br />

Dann führte er geschäftliche Gespräche mit<br />

meinem Vater und fand das so toll, daß wir alle<br />

gemütlich zusammen waren. Immerhin zweimal<br />

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