In den Mühlen des Staatsterrors - The 3 Saints
In den Mühlen des Staatsterrors - The 3 Saints
In den Mühlen des Staatsterrors - The 3 Saints
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Der Wille Gottes<br />
Die Zustände in Holland, besonders im dichter besiedelten<br />
Westen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>, verschlechterten sich<br />
tagtäglich. Im Winter 1944/45 gingen die Nahrungsmittel<br />
zu Ende, so daß Zehntausende an völliger<br />
Entkräftung starben. Obwohl sich für die Deutschen<br />
das Ende eines schrecklichen Krieges abzeichnete,<br />
häuften sich noch die Razzien in der Stadt.<br />
Bis zuletzt wur<strong>den</strong> aufgespürte „onderduikers“<br />
ohne Pardon an die Wand gestellt.<br />
Schließlich kam die Befreiung von der deutschen<br />
Gewaltherrschaft am 5. Mai 1945. Oom Jan stürmte<br />
außer sich vor Freude mit der Nachricht in unser<br />
Zimmer, gefolgt von Mies. Wir umarmten uns<br />
alle innig und voller Dankbarkeit. Mein Vater war<br />
über die lang ersehnte Kapitulation der Deutschen<br />
vor <strong>den</strong> Aliierten so perplex, daß seine erste Reaktion<br />
war: „En nu stof ik nooit meer af!“ (nun hab<br />
ich das Staubwischen für immer satt.) Meneer<br />
Tukker kam rauf: „Jan, kom nou maar te voorschijn<br />
met je jo<strong>den</strong>!“ (Komm jetzt zum Vorschein mit deinen<br />
Ju<strong>den</strong>). „Das haben wir all die Jahre gewußt,<br />
und Roza ist eine von ihnen.“ Tukker en Cram<br />
waren prima und hatten natürlich hundertprozentig<br />
dicht gehalten.<br />
Wir blieben noch fünf Wochen im Hinterhaus,<br />
nur mein Vater machte sich bald auf, unsere Rückkehr<br />
nach Deventer vorzubereiten. Als die Stunde<br />
unseres Abschieds endlich gekommen war, fragte<br />
er: „Jan, wie kann ich das jemals gutmachen, daß<br />
Mies und du uns das Leben gerettet habt?“ Daraufhin<br />
sagte oom Jan nur: „Laßt uns Roza hier“, so<br />
hatten sie sich an mich gewöhnt. „Wir wür<strong>den</strong> alles<br />
für euch tun, aber Roza nehmen wir mit. Wahrscheinlich<br />
haben wir unseren Sohn verloren. Wir<br />
können nicht noch ein Kind missen.“<br />
Es war ganz schrecklich. Was meine Eltern immer<br />
geahnt, aber nie ausgesprochen hatten, wurde<br />
immer mehr zur Gewißheit: Sallo kam nicht zurück.<br />
Nur wenige Tage nach dem Treffen mit Jan<br />
de Visscher in Deventer Anfang 1942 konnten er und<br />
sein Vetter Max wegen der deutschen Zwangsmaßnahmen<br />
nicht mehr länger als „joodse“ Arbeiter<br />
in unserer enteigneten Fabrik beschäftigt bleiben.<br />
Die „direktie“, an erster Stelle mein Vater als <strong>In</strong>haber,<br />
war schon zwei Monate zuvor entlassen wor<strong>den</strong>.<br />
Als der Befehl an alle jüdischen Männer kam,<br />
sich zum angeblichen „Arbeitseinsatz“ zu mel<strong>den</strong>,<br />
beschlossen beide, dem Beispiel anderer zu folgen<br />
und sich ohne Papiere über Frankreich in die<br />
Schweiz abzusetzen. Aus diesem Grunde ist es nie<br />
zu dem Besuch der Metzger und dem Absatz der<br />
JAMIE-Produktion von de Visscher mit Hilfe meines<br />
Bruders gekommen. Sie kamen bis Maastricht<br />
und nahmen sich ein Zimmer in einer Pension. Als<br />
sie sich an einem Tag getrennt in der Stadt aufhielten,<br />
wurde Sallo von einem holländischen<br />
„NSB-politieagent“ (NS-Polizeibeamten) aus<br />
„Bevrijdingsdag 5 Mei ’45 Ons onderduikershuis“ (Das Haus, in dem wir untertauchten).<br />
V.l. <strong>In</strong>a, Frau Somsen, Tante Mina, Roza, Sybilla, Moos und Saar Zendijk. Rechts Tochter und Sohn Somsen.<br />
Aufgenommen von Herrn Somsen, Filialleiter Simon de Wit.<br />
Das Foto wird seit dem 28. April 1999 ausgestellt im Verzetsmuseum (Widerstand gegen die Besetzung der Niederlande),<br />
Plantage Kerklaan 61, Amsterdam. (98)<br />
118