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In den Mühlen des Staatsterrors - The 3 Saints

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kannten und das Schiff an allen gefährlichen Stellen<br />

vorbeimanövrierten. Dennoch waren die Spuren<br />

<strong>des</strong> Krieges unübersehbar: Wir begegneten einer<br />

Vielzahl gesunkener Schiffe, deren Rümpfe und<br />

Masten in flacheren Gewässern aus dem Wasser<br />

ragten. Nach siebentägiger Fahrt kamen wir endlich<br />

wohlbehalten in Liverpool an.<br />

Der Aufenthalt in Liverpool und später Wigan<br />

dauerte einige Wochen, anschließend kamen wir<br />

in ein Heim in Manchester. <strong>In</strong>zwischen hatte uns<br />

der Krieg mit unverminderter Härte eingeholt: Englische<br />

Städte und <strong>In</strong>dustriezentren wur<strong>den</strong> von der<br />

deutschen Luftwaffe mit schweren Angriffen bombardiert.<br />

Ständig waren wir gezwungen, in eiligst<br />

errichtete Luftschutzbunker zu flüchten. 2<br />

Gegen Ende 1940 schickte man mich mit <strong>den</strong><br />

anderen Heimkindern in die örtliche „secondary<br />

school”. Nach 15 Monaten verließ ich die Schule<br />

im Alter von 14 Jahren und fand Aufnahme bei der<br />

Familie meiner Verwandten Josef und Martha<br />

Cohen und meinen zwei Cousins. Sie wußten anfangs<br />

nichts von meiner Ankunft in Liverpool und<br />

Weiterreise nach Manchester. Es wur<strong>den</strong> jedoch Listen<br />

veröffentlicht mit <strong>den</strong> Namen von Kindern, die<br />

aus Deutschland eingetroffen waren. Ella, die<br />

Schwester meiner Tante, schaute die Listen regelmäßig<br />

durch, fand meinen Namen und machte<br />

mich auf diese Weise nach einiger Zeit ausfindig.<br />

Onkel Josef, geboren in Kal<strong>den</strong>kirchen, der Bruder<br />

meines Vaters, wohnte vor dem Krieg in Krefeld<br />

und arbeitete bis 1936 für eine große Firma. Obwohl<br />

er ein sehr guter und qualifizierter Mitarbeiter<br />

war, konnte er auf Druck der Nazis als „Jude”<br />

nicht mehr weiter beschäftigt wer<strong>den</strong>. Die Firma<br />

verhalf ihm jedoch zu einem Nebenverdienst und<br />

ermöglichte durch eine finanzielle Beteiligung <strong>den</strong><br />

Kauf einer Maschine zum Export nach England.<br />

Er erhielt ein britisches Einreisevisum, nachdem<br />

er die Schaffung von Arbeitsplätzen in einem von<br />

ihm neu zu grün<strong>den</strong><strong>den</strong> Betrieb nachweisen konnte.<br />

Unglücklicherweise war die Maschine im November<br />

1938 noch nicht fertiggestellt, und da er<br />

sich noch in Deutschland befand, wurde er ebenfalls<br />

verhaftet und in das Konzentrationslager<br />

Dachau eingeliefert. Nachdem klar war, daß er das<br />

Land kurzfristig verlassen konnte, wurde er als einer<br />

der ersten aus Dachau entlassen. Die bei<strong>den</strong><br />

Kinder Gill und Gerald folgten mit dem Kindertransport,<br />

während seine Frau Martha noch in<br />

Deutschland blieb und sich intensiv um die Fertigstellung<br />

der Maschine und die Verschiffung nach<br />

England kümmerte. Schließlich konnte auch sie<br />

ihrer Familie noch rechtzeitig folgen. Die Maschine<br />

kam 1939 in England an, und nach einigen<br />

Schwierigkeiten gelang es Onkel Josef, die Fabrikation<br />

wie geplant in Gang zu bringen.<br />

Während meinen Eltern erlaubt war, mir über<br />

das Rote Kreuz Briefe nach Holland zu schicken,<br />

riß die Verbindung nach meiner Flucht 1940 und<br />

dem Krieg mit England völlig ab. Sie konnten, wie<br />

tausende andere Menschen auch, das Land nicht<br />

mehr rechtzeitig verlassen und wur<strong>den</strong> am 10. Dezember<br />

1941 mit <strong>den</strong> jüngeren Bürgern von<br />

Kal<strong>den</strong>kirchen, Breyell und Lobberich nach Riga<br />

deportiert. Meine Großmutter mütterlicherseits,<br />

Rosina Levy, wurde im Juli 1942 nach <strong>The</strong>resienstadt<br />

und Minsk verschleppt. Seitdem hat man nie<br />

mehr was von ihnen gehört. Henriette Cohen, die<br />

Mutter meines Vaters, kam im Mai 1943 im Konzentrationslager<br />

Herzogenbusch, Vught/Niederlande<br />

um.<br />

Wie dramatisch muß es für die Eltern und Angehörigen<br />

gewesen sein, sich von ihren Kinder zu trennen,<br />

sie in <strong>den</strong> Zug zu setzen und alleine in die<br />

Fremde ziehen zu lassen, stets in der Hoffnung, sich<br />

eines Tages wiederzusehen. Viele Kinder waren noch<br />

sehr jung, wur<strong>den</strong> zum ersten Mal von ihren Familien<br />

getrennt und vermißten ihr Zuhause. Verfolgung<br />

und Verbote durch die Nazis gab es zwar<br />

nicht mehr, aber die Eingewöhnung in einem frem<strong>den</strong><br />

Land mit anderer Sprache, die Gefahren während<br />

<strong>des</strong> Krieges mit <strong>den</strong> Bomben- und Raketenangriffen<br />

auf England, die Probleme mit der Weiterbildung<br />

und Arbeit sowie die ungewisse Zukunft<br />

und stete Sorge um die Zurückgebliebenen machte<br />

vielen weiterhin schwer zu schaffen. Die Hoffnung<br />

auf ein Wiedersehen erfüllte sich nur in wenigen<br />

Fällen, <strong>den</strong>n erst nach dem Krieg wurde das ganze<br />

Ausmaß der Deportationen in die Konzentrationslager<br />

im Osten offenbar. 3<br />

Dank Truus Wijsmuller-Meijer, einer mutigen<br />

und unbeirrbaren Frau, die sich große Verdienste<br />

um die Kindertransporte erworben hat, konnten wir<br />

Kinder aus dem Burgerweeshuis Holland gerade<br />

noch in letzter Minute verlassen, fast wäre es für<br />

uns zu spät gewesen.<br />

1. „geen tijd voor tranen” Truus Wijsmuller-Meijer, te boek gesteld door L.C. Vrooland,<br />

Verlag P.N. van Kampen & Zoon, Amsterdam, Ausgabe 1961.<br />

2. Einen guten Eindruck von <strong>den</strong> Lebensbedingungen während <strong>des</strong> Krieges<br />

von 1938 bis 1945 in London gibt der Bericht von Eva Hilde Noach ab Seite 248.<br />

3. Dokumentarfilm, der <strong>den</strong> Kindertransporten nach England gewidmet ist:<br />

„<strong>In</strong>to <strong>The</strong> Arms Of Strangers: Stories Of <strong>The</strong> Kindertransport”.<br />

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