Der letzte Brief von Eugen aus Ungarn. (90) Budapest, <strong>den</strong> 19. XII 44 Liebes Hannchen! Gerade habe ich einen Brief nach Kal<strong>den</strong>kirchen geschickt, in der Hoffnung, daß Ihr vielleicht doch noch dort seid. Ich will Euch nur kurz mitteilen, daß es mir noch gut geht und Ihr beruhigt seid. Nun haben wir gerade wieder eine neue FP No. (Feldpost-Nummer) bekommen 22928. Ich will nur hoffen, daß ich mal Glück habe und ein paar Zeilen von Euch höre. Es genügt wenn ich weiß, daß es Euch noch gut geht und wo Ihr augenblicklich steckt. Man sorgt sich und kann doch nichts daran ändern. Noch einige Tage dann haben wir Weihnachten. Im nächsten Jahr wollen wir dann wieder zusammen diese Tage genießen in Frie<strong>den</strong>? Grüße Familie Evers von mir. Sei Du liebes Hannchen und die Kinder besonders herzlich gegrüßt und geküßt von Deinem Eugen 102
Roza Zendijk, Venlo/Niederlande Ons achterhuis in Amsterdam Mina Sanders, die Schwester meiner Großmutter Sybilla de Wijze, zog am 14. August 1939 im Alter von 73 Jahren zu uns nach Deventer, mehrere Monate nach der Zerstörung der Synagogen, Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bürger in Deutschland. Ihre vier Söhne Jakob, Julius, Albert und Siegfried, um deren Schicksal sie sich stets große Sorgen machte, waren bereits wegen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen. Tante Minas Anwesenheit wirkte sich von Beginn an positiv und wohltuend bei uns aus. Durch ihre große Persönlichkeit nahm sie nach kurzer Zeit, ohne daß sie das wollte, Einfluß auf die ganze Familie und gab uns Hoffnung für die Zukunft. Sie spielte sich nie in <strong>den</strong> Vordergrund, <strong>den</strong>noch hatten ihre Meinung und ihr Wort stets Gewicht. Sie war bei uns allen sehr beliebt, besonders bei meinem Vater und Bruder, die sie dann auch sehr verwöhnte. 1939 erfolgte die Mobilmachung der niederländischen Armee, und die Bevölkerung wurde aufgerufen, „handschoenen, shawls etc.“ (Handschuhe, Schals usw.) für die Soldaten zu stricken. Tante Mina „breide en breide“ (strickte und strickte), nicht nur für die Soldaten, sondern für die ganze Familie. Außerdem konnte sie wunderbar kochen und half meiner Mutter in Küche und Haushalt, nachdem wir später als „Ju<strong>den</strong>“ keine Haushilfe mehr beschäftigen durften. Sie erfreute sich guter geistiger und körperlicher Gesundheit. Durch ihr beschei<strong>den</strong>es, liebenswürdiges Wesen und ihre – trotz allem Leid – lebensbejahende und optimistische Einstellung machte sie sich schnell unentbehrlich. „De duitse inval in Nederland“ (der deutsche Einfall in Holland) erfolgte am 10. Mai 1940. Mit großer Besorgnis war die militärische Aktion schon Wochen zuvor erwartet wor<strong>den</strong>. Die Stimmung war hoffnungslos, ängstlich, ja geradezu panisch, besonders unter der jüdischen Bevölkerung, schließlich wußte jeder von <strong>den</strong> Kriegen Hitlers gegen Polen, England und Frankreich. Hinzu kam die Vorgeschichte <strong>des</strong> Nazi-Terrors in Deutschland. Das spielte bei uns eine große Rolle, da wurde viel drüber gesprochen, wir hatten ja alle <strong>In</strong>formationen aus erster Hand. Frühmorgens hörten wir die deutschen Flugzeuge. Über <strong>den</strong> Radiosender erfuhren wir wenig später von der <strong>In</strong>vasion. Wir hörten Schüsse, Detonationen und dann eine enorme Explosion: Die holländischen Streitkräfte hatten die IJssel-Brücke in die Luft gesprengt, um die Wehrmacht aufzuhalten. Der Widerstand dauerte jedoch nur wenige Tage. Nach der verheeren<strong>den</strong> Bombardierung <strong>des</strong> Zentrums von Rotterdam am 14. Mai erfolgte die Kapitulation nur einen Tag später. Im Radio kam der Aufruf an die Bürger, alkoholische Getränke aus <strong>den</strong> Häusern zu entfernen. Die deutschen Soldaten sollten nichts vorfin<strong>den</strong>, wovon sie sich hätten betrinken können. Ich habe noch vor Augen, wie mein Vater etwa 60 Weinflaschen aus dem Keller holte und eine Flasche nach der anderen in der Badewanne ausschüttete. Nur von dem Sauerkirsch- Schnaps, <strong>den</strong> meine Mutter selbst hergestellt hatte, konnte er sich nicht trennen. <strong>In</strong> <strong>den</strong> Jahren danach wur<strong>den</strong> auch in Holland die Repressalien der deutschen Besatzer und einiger niederländischer Handlanger gegen die jüdischen Bürger immer strenger. Jüdische Geschäfte, in <strong>den</strong>en wir nur noch einkaufen konnten, durften nur zwischen drei und fünf Uhr nachmittags geöffnet sein. Unser ganzes Geld war beschlagnahmt Roza Zendijk, 1998. (91) wor<strong>den</strong>, von dem Guthaben konnte lediglich alle vier Wochen ein geringer Betrag für Unterhalt bei der Sallandse Bank abgeholt wer<strong>den</strong>. Nach acht Uhr abends war es uns generell verboten, das Haus zu verlassen. <strong>In</strong> unserem Personalausweis wurde ein Stempel „J“ für „Jude“ angebracht. Auch konnten wir nicht mehr reisen, Kino oder <strong>The</strong>ater besuchen. Der lokale Sender und die Presse befan<strong>den</strong> sich unter der Regie der Deutschen. <strong>In</strong>formationen über die Situation und <strong>den</strong> Kriegsverlauf waren nur noch über <strong>den</strong> englischen Rundfunk oder eine „Widerstands-Zeitung“ zu bekommen. Anfang 1941, in der wachsen<strong>den</strong> Not und Verzweiflung, hatte mein Vater nach Abstimmung mit einem befreundeten Rechtsanwalt Lobstein noch versucht, für uns Kinder <strong>den</strong> „Calmeyer-Stempel“ zu bekommen, eine vorläufige Freistellung von der Überführung in das Lager Westerbork. Zu dieser Zeit streuten die Besatzer <strong>den</strong> jüdischen Bürgern Sand in die Augen und spielten ihnen vor, sie könnten über Westerbork auswandern. Rechtsanwalt Lobstein stellte einen schriftlichen Antrag, und wir bekamen einen Termin bei der 103
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