EINBLICK Sonderheft „Was heißt schon normal?“ - AGAPLESION ...
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Menschen um uns<br />
„Endlich wieder ich<strong>“</strong><br />
Ralf Sommer* zog vor Kurzem aus<br />
dem Wohnhaus aus. Er hat den<br />
Schritt zurück in die Normalität<br />
geschafft. <strong>EINBLICK</strong> sprach mit<br />
dem 46-Jährigen über seine Zeit in<br />
Radeland und seine Zukunftspläne.<br />
Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfangszeit<br />
in Radeland?<br />
Ich kam nach einer Krise direkt aus<br />
dem Krankenhaus hierher. Die erste<br />
Zeit im Haupthaus war geprägt von<br />
Unsicherheit, Ängsten und der neuen<br />
Wohnsituation. Allmählich gewöhnte<br />
ich mich an die Strukturen<br />
und fasste Vertrauen zu netten Pflegern<br />
und Schwestern. Die Kontakte<br />
zu einigen Bewohnern bestehen<br />
heute noch und sind mir wichtig.<br />
An welcher Beschäftigungstherapie<br />
haben Sie teilgenommen?<br />
An der Tischtennis- und der Abendgruppe,<br />
der Kochgruppe und der<br />
Gartengruppe. Dies kann ich jedem<br />
Bewohner empfehlen. In Radeland<br />
gibt es tolle Ergotherapiegruppen.<br />
Durch die regelmäßige Teilnahme<br />
verbesserte sich meine körperliche<br />
und seelische Belastbarkeit. Ich hatte<br />
wieder Lebensmut und wollte in<br />
ein eigenständigeres Leben zurück.<br />
Der erste Schritt dahin war mein<br />
Umzug in das Wohnhaus.<br />
Was veränderte sich dadurch?<br />
Die Eingewöhnungsphase gestaltete<br />
sich teilweise schwierig. Ich fand<br />
erst nach zwei Monaten Zugang<br />
zu den anderen Bewohnern des<br />
Wohnhauses. Parallel ging ich<br />
weiter zu den therapeutischen<br />
Angeboten im Haupthaus. Das<br />
eigenständige Leben im Wohnhaus<br />
hat meine hauswirtschaftlichen<br />
Fähigkeiten wieder aktiviert. Aber<br />
auch die Möglichkeit, jederzeit in<br />
meinem Einzelzimmer Ruhe zu finden,<br />
gab mir viel Kraft. Mit der Zeit<br />
fühlte ich mich aber nicht mehr<br />
ausreichend gefordert.<br />
Welche zusätzliche Herausforderung<br />
haben Sie gefunden?<br />
Der „Zuverdienst Spandau<strong>“</strong> bot mir<br />
an zwei bis drei Tagen in der Woche<br />
eine Tätigkeit in der Gartenarbeit<br />
an. Ich fühlte mich gebraucht.<br />
Nach eineinhalb Jahren im Wohnhaus<br />
haben Sie mit Ihrer Bezugspflegerin,<br />
der Hausärztin und<br />
Einsam oder gemeinsam?<br />
ihrem gesetzlichen Betreuer über<br />
Ihren Wunsch gesprochen, in eine<br />
eigene Wohnung zu ziehen.<br />
Der Wunsch nach einem selbstbestimmten<br />
Leben wurde immer stärker.<br />
Ich fand Unterstützung durch<br />
das Pflegepersonal im Wohnhaus.<br />
In den Fallbesprechungen wurden<br />
schrittweise Regeln für meine bevorstehende<br />
Selbstständigkeit formuliert.<br />
Das gab mir eine Richtung<br />
vor. Ich habe auch das Gespräch<br />
mit den Ärzten des Hauses gesucht.<br />
Sie unterstützten meinen Heilungsprozess.<br />
Nun habe ich eine eigene<br />
Wohnung und hoffe auf meine<br />
Zukunft.<br />
Sie haben sich noch einen weiteren<br />
Wunsch erfüllt.<br />
Sie meinen meinen neuen Motorroller.<br />
Ja, den habe ich mir vor vier<br />
Wochen gekauft. Damit bin ich<br />
mobiler und nicht mehr auf die<br />
öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen.<br />
Herr Sommer, wir wünschen Ihnen<br />
für Ihre Zukunft alles Gute.<br />
Das Gespräch führte Sandra Müller.<br />
Wer in das Haus Radeland einzieht,<br />
muss sich auf eine neue Umgebung<br />
und neue Menschen einlassen. Obwohl<br />
ein Umzug für psychisch Kranke<br />
eine noch weit größere Herausforderung<br />
darstellt als für gesunde<br />
Menschen, eröffnet er auch Chancen,<br />
neues Vertrauen zu erleben<br />
und neue Freunde zu finden.<br />
Haus Radeland verfügt über Einzel-<br />
und wenige Doppelzimmer.<br />
Auf den ersten Blick scheint das<br />
Einzel-zimmer die bessere Wahl,<br />
doch es gibt auch Bewohnerinnen<br />
und Bewohner, die sich bewusst<br />
für ein Doppelzimmer entscheiden,<br />
wie Heike* und Jutta*. Die beiden<br />
Frauen wohnten zuerst in getrennten<br />
Zimmern auf der gleichen<br />
Wohnetage, bis sie beschlossen, ein<br />
Zimmer zu teilen.<br />
Während Heike im Hofladen arbeitet,<br />
ist Jutta in der Besteckgruppe.<br />
So hat man sich beim Abendessen<br />
viel zu erzählen. Dasselbe gilt für<br />
ihre Freizeitaktivitäten: Jutta interessiert<br />
sich für hauswirtschaftliche<br />
Tätigkeiten, Heike geht lieber in die<br />
Disco oder zum Fußballspiel. Neben<br />
diesen Unterschieden gibt es viele<br />
gemeinsame Aktivitäten wie Cafébesuche<br />
oder Spaziergänge. Aber<br />
auch weniger beliebte Tätigkeiten<br />
wie das Aufräumen des Zimmers<br />
werden gemeinsam leichter erledigt.<br />
Die Freundschaft der beiden Frauen<br />
bewährt sich besonders, wenn krankheitsbedingte<br />
Schwierigkeiten im<br />
Alltag auftreten. Diese werden dann<br />
mit der Stärke der jeweils anderen<br />
überwunden.<br />
Rebecca Schwerdtfeger<br />
30 | <strong>EINBLICK</strong> <strong>Sonderheft</strong>