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musik<br />
KLASSIK<br />
chorwerk von hohem ethos<br />
Von Hanspeter Renggli - Musikfestival Bern / Veress 07 (Bild: zVg.)<br />
■ Am ersten März-Wochenende steht in Bern<br />
das musikalische Geschehen wiederum ganz im<br />
Zeichen des Komponisten Sándor Veress. Das Berner<br />
Symphonie-Orchester führt unter der Leitung<br />
des Chefdirigenten Andrey Boreyko im 3. Symphoniekonzert<br />
des Blauen Abonnements am 1. und 2.<br />
März u. a. Ballettmusiken von Veress’ namhaften<br />
Lehrern Béla B<strong>art</strong>ók und Zoltán Kodály auf. Im<br />
zweiten Teil erklingen zwei Werke von Veress, eine<br />
grosse Orchesterklage zum Tode des in den USA<br />
1945 verstorbenen Lehrers und künstlerischen<br />
Übervaters Bártok sowie ein bedeutendes Chorwerk.<br />
Veress’ «Psalmus» nach einem Text des<br />
Kirchenlehrers Augustinus, der gleichermassen<br />
den Abschluss und die Krönung des Programms<br />
des Symphonie-Orchesters bilden wird, schrieb<br />
Veress 1943 und 1944 während des Krieges und<br />
vollendete es kurz vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten<br />
in Ungarn. Der Komponist spricht<br />
an seine Landsleute, die zwischen Opposition und<br />
Duldung einer faschistischen Zukunft schwankten,<br />
eine zwar verschlüsselte aber unmissverständliche<br />
Warnung aus: noch ist es Zeit, den zwar unbequemen<br />
aber rechten Weg zu gehen. Sie wurde leider<br />
nicht gehört. Das Werk ist ein Schlüsselwerk für<br />
Veress’ humanes Engagement, für seinen «unglaublichen<br />
Ethos», wie bereits der Schüler Ligeti<br />
vermerkt hatte. Zu einem spezifisch Ereignis wird<br />
das Konzert nicht allein dadurch, dass das Werk in<br />
Bern kaum erklungen ist, insbesondere auch durch<br />
die Mitwirkung des Chors der Ehemaligen und des<br />
Kammerchors Gymnasium Neufeld.<br />
Intermezzo I: Zwangsunterricht Sándor Veress,<br />
dessen Musik, die Musik seiner Lehrer, seiner<br />
Schüler und seiner «Enkelschüler» im Zentrum<br />
des ersten Musikfestivals Bern stehen und somit<br />
die Musik eines ganzen Jahrhunderts und ihren<br />
faszinierenden Weg eröffnen, war in erster Linie<br />
Lehrer. Am Berner Konservatorium unterrichtete<br />
er Harmonielehre, Kontrapunkt und Komposition.<br />
Zugleich übernahm er den Unterricht in allgemeiner<br />
Musikpädagogik, mit der er ein neues ständiges<br />
Lehrfach und zugleich eine vergleichende Kulturgeschichte<br />
anbot. Aber der Unterricht des Pädagogen<br />
mit Leib und Seele liess dem Komponisten zugleich<br />
kaum Musse zum kreativen Arbeiten.<br />
Am 13. April 1961 schrieb Veress an den<br />
deutschen Musikwissenschaftler und Pädagogen<br />
Erich Doflein, mit dem er zahlreiche geistesverwandte<br />
Züge teilte: «Wie immer, befinde ich mich<br />
in grosser Zeitnot. Zwar bin ich seit Weihnachten<br />
auf Urlaub, aber anfangs Mai muss ich mit dem<br />
Unterricht wieder beginnen. Ich musste dieses Opfer<br />
auf mich nehmen (hier bekommt man keinen<br />
bezahlten Urlaub, wenn man künstlerisch arbeiten<br />
will, nur wenn man vor Krankheit stirbt), weil, sonst<br />
hätte ich nicht komponieren können. Ich arbeite seit<br />
Monaten an zwei neuen Werken ... aber beide Werke<br />
sind noch nicht fertig und ich arbeite fieberhaft, um<br />
noch wenigstens das letztere Stück unter Dach zu<br />
bringen, bevor das Damokles-Schwert des Zwangsunterrichts<br />
meinen Komponisten-Kopf wieder zerschmettert.»<br />
Fingerspässe In Wirklichkeit lassen sich Unterrichten<br />
und Komponieren bei Veress nicht trennen.<br />
Dies demonstrieren am 2. und 3. März Schüler und<br />
Lehrer der Klavierklassen der Musikschule Konservatorium<br />
Bern in zwei einstündigen Konzerten. Sie<br />
präsentieren einen bunten Strauss an ungarischer<br />
Klaviermusik, hinter dessen Vorbereitung viel Engagement<br />
und Geduld steckt. Dass alle Kultur im<br />
Spiel ihren Ursprung hat, darüber bestand für<br />
Veress kein Zweifel. Aufgrund dieser Überzeugung<br />
schuf er beispielsweise auch die «Fingerlarks», 88<br />
kleine Klavierstücke, in denen aus dem Spiel mit<br />
den Tönen, resp. den Fingern eine eigene Sprache<br />
entsteht. Im Titel «Fingerlarks» steckt ein Wortspiel.<br />
Es bedeutet einerseits Spiele, Spässe oder<br />
Streiche mit den Fingern. «Larks» heisst aber auch<br />
Lerchen. Das Wort «fingerlarks» spielt zugleich auf<br />
die schnellen Schwanzbewegungen der Lerche an,<br />
die diese zum Fliegen braucht wie der Mensch die<br />
Fingerbewegungen zum Klavierspiel, das, wenn es<br />
gekonnt und überlegt ist, manchen Spass bereitet,<br />
das aber, wenn denn die Finger nicht wollen, dem<br />
Spieler oder der Spielerin den einen oder andern<br />
Streich spielen.<br />
Intermezzo II: Tieftraurige Augen Wer einmal<br />
in Veress’ Unterricht gesessen hat, für den oder<br />
die hat sich jene einzig<strong>art</strong>ige Atmosphäre für alle<br />
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ensuite - kulturmagazin Nr. 50 | Februar 07