art - Ensuite
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off 07<br />
<strong>art</strong>ensuite<br />
off 07<br />
Ölegässchen<br />
73, 3600 Thun.<br />
Schaufenstersituation.<br />
Öffnungszeiten<br />
nach Vereinbarung.<br />
■ Der off-Raum in Thun besteht<br />
schon seit vielen Jahren und ist gewissermassen<br />
ein Vorreiter der neuen<br />
Galerien-Generation: Ein Schaufenster,<br />
das die Passanten irritiert, erfreut<br />
– was auch immer – und zum Ziel<br />
hat, Kunst den Leuten ins Auge springen<br />
zu lassen. Man muss keinen Mu-<br />
Tabea Steiner, Jasmin Welte<br />
seumseingang passieren oder in die<br />
geschlossene Gesellschaft einer Galerie<br />
eindringen, sondern man kann<br />
von aussen, en passant, Gegenw<strong>art</strong>skunst<br />
betrachten und keiner merkt,<br />
wenn man sie nicht versteht. Man<br />
kann an der Vernissage teilnehmen<br />
und keiner merkt, dass man einfach<br />
nur Lust auf ein Glas Wein hat. Selbst<br />
der Laie merkt so aber, dass Kunst<br />
eben doch eine Faszination hat und<br />
geht vielleicht plötzlich sogar freiwillig<br />
ins Museum – Ziel erreicht.<br />
Ab dem 21. Februar wird die neue<br />
Saison am Ölegässchen eröffnet, die<br />
einzelnen Projekte sollen im Folgenden<br />
vorgestellt werden:<br />
Wer kennt sie nicht: Der Pflugstein<br />
in Herrliberg, die Grossi Flue in Steinhof<br />
oder die beiden Pierres du Niton<br />
im Genfer Hafenbecken. Der grössere<br />
der beiden letztgenannten dient<br />
als Repère Pierre du Niton, seit dem<br />
19. Jahrhundert gar als Referenzpunkt<br />
der Schweizer Landvermessung. Auch<br />
in Thun wird man ab Februar einen<br />
Findling antreffen. Ob er so berühmt<br />
wird wie sein grosser Bruder im Genfer<br />
Hafenbecken? Wer weiss. Auf jeden<br />
Fall wurde er nicht von einem<br />
Gletscher nach Thun gerollt, sondern<br />
dort durch aufwendige Arbeit von<br />
Menschenhand erschaffen.<br />
Dieser intensiven, mehrmonatigen<br />
Aufgabe hat sich Reto Steiner gewidmet.<br />
In seinem Atelier in Thun fertigt<br />
er von verschiedenen Steinbrocken,<br />
die er in Steinbrüchen gesammelt hat,<br />
Abgüsse aus Gips an. Jeder dieser<br />
Gipssteine ist eine detailgetreue Abbildung<br />
des Originals, und dennoch<br />
entsteht am Ende etwas Neues, Einzig<strong>art</strong>iges.<br />
Denn die über dreihundert<br />
Abgüsse werden zu einem künstlichen<br />
Findling zusammengesetzt, der<br />
somit einerseits ein Abbild der Natur<br />
ist, aber andererseits auch ein Produkt<br />
des Menschen oder besser gesagt des<br />
Künstlers, der durch seine Arbeit einen<br />
Teil der Natur neu erschafft.<br />
Durch die Arbeit von Reto Steiner<br />
wird Künstliches und Natürliches verbunden.<br />
Eine ungewöhnliche Symbiose<br />
– aber eine sehr faszinierende!<br />
Im März verbarrikadiert die Fotografin<br />
Myriam Aline Loepfe mit<br />
dreihundert selbstgegossenen Schokolade-Kinderköpfen<br />
den off-Raum.<br />
Die Giessschokolade wird übrigens<br />
vom besten Konditor der Stadt gesponsert.<br />
Über dem süssen Gebilde<br />
werden Glühbirnen hängen, so dass<br />
die Schoggiköpfe langsam in den milder<br />
werdenden Temperaturen dahinschmelzen.<br />
Die irgendwo an Dieter<br />
Roth gemahnende Installation wird<br />
technisch aufgemotzt und trashig beblinkt<br />
mit einer Neonschrift: «undo?».<br />
Insgeheim hoffe ich, dass die Künstlerin<br />
an der Vernissage wieder ihren<br />
Blinkgurt trägt, bei dem sie Laufbotschaften<br />
eintippen kann.<br />
Das pädagogisch wertvolle Sehbüro<br />
Bach unter der Leitung von Kunstpreisgewinner<br />
Hans Walter Graf hat<br />
ab dem 2. Mai während zehn Tagen<br />
jeden Morgen zwei Stunden geöffnet.<br />
In den Kontors sitzen Kinder, welche<br />
Bestellungen entgegennehmen.<br />
Bestellungen kann jeder machen, es<br />
geht dabei darum, das Heim, den<br />
G<strong>art</strong>en, seine Umwelt zu verschönen.<br />
Die Kinder werden ihre Kunden beraten,<br />
Offerten und Bestellungen werden<br />
direkt an die Wand geschrieben.<br />
Nach diesen ersten zehn Tagen wird<br />
der Raum für den Rest der Ausstellungsdauer<br />
nicht leerstehen, da die<br />
Wand geschmückt sein wird mit Arbeitsaufträgen.<br />
Im Anschluss an die<br />
Ausstellung wird der Künstler in Absprache<br />
mit den Auftraggebern die<br />
Bestellungen zusammen mit den Kindern<br />
ausführen.<br />
Sabine Portenier und Evelyne Roth<br />
verwandeln den Glaskasten in einen<br />
Mode-Shop. Die beiden Designerinnen<br />
haben das ehrgeizige Ziel, Thun<br />
einzukleiden mit Mode, die Welt trägt,<br />
und bieten dazu passende Schuhe<br />
und Taschen an. Fashion soll angewandt<br />
werden, man kann sich neu<br />
eingewanden, frau darf sich also freuen.<br />
Die beiden Frauen, «who present<br />
the flying fashion store», bieten ihre<br />
Ware auch auf dem Netz zum Kauf<br />
an: www.laboutiquevolante.com.<br />
Nicolas Zimny aus Strasbourg,<br />
der G<strong>art</strong>entor Stipendiat dieses Jahres,<br />
war der<strong>art</strong> beeindruckt von der<br />
Militärmacht Thun, dass er sein off-<br />
Projekt «war games in Thun» nennt.<br />
Heerestage sei Dank.<br />
Paul Le Grand bespielt den Raum<br />
mit einer kommunizierenden Spiegel-Galerie,<br />
die er treffend «alles echt<br />
wahr» nennt. Die Installation wird<br />
einfach sein, übersichtlich, und dennoch<br />
irritierend für den Betrachter.<br />
Das kennt man auch vom Friseur und<br />
von H&M, solche Lokalitäten verlässt<br />
der Betrachter auch stets etwas irritiert,<br />
da halt alles echt wahr ist.<br />
Gisela Kleinlein, seit 1999 Professorin<br />
an der Bergischen Universität<br />
Wuppertal, kommt mit Schlingen<br />
und Schlaufen nach Thun. Sie macht<br />
Rauminstallationen, Skulpturen, es<br />
schlauft und schlingt auch auf ihrer<br />
Homepage: www.giselakleinlein.de.<br />
G<strong>art</strong>entor, der Schweizerische Kulturminister,<br />
gibt sich lokalpatriotisch<br />
und nennt seine Arbeit «thun-le-Paradis».<br />
Genaugenommen setzt er sich<br />
aber mit einem kleinen Ort in Frankreich<br />
auseinander, der der hiesigen<br />
Stadt eben etwas voraus hat: einen<br />
wohlklingenderen Namen.<br />
Bei Giro Annen freut sich das Germanistenherz<br />
über den Titel: «Das ist<br />
nicht ein Kopf, ein Schrank ist das».<br />
Nummer vier wird es sein. Diese Serie<br />
besteht aus K<strong>art</strong>on-Installationen, die<br />
zusammengeschustert werden und<br />
trotz aller Fragilität sehr monumental<br />
daherkommen. Annen, der auch seine<br />
Kissen-Skulpturen auf Betonsockel<br />
setzt, arbeitet hier fragil, baut Ruinen<br />
auf, oder eben: einen Schrank.<br />
21. Februar – 25. März:<br />
Reto Steiner «Findling»<br />
28. März – 29. April:<br />
Myriam Aline Loepfe «undo?»<br />
2. Mai – 19. Mai:<br />
Sehbüro Thun «Sehbüro Bach zu Gast in Thun»<br />
23. Mai – 24. Juni:<br />
Sabine Portenier und Eveline Roth «Evelyne Roth und<br />
Sabine Portenier present the flying fashion store»<br />
27. Juni – Juli:<br />
Nicolas Zimny «war games in Thun»<br />
22. August – 23. September:<br />
Paul Le Grand «alles echt wahr»<br />
26. September – 28. Oktober:<br />
Gisela Kleinlein «Schlingen und Schleifen»<br />
31. Oktober – 2. Dezember:<br />
Heinrich G<strong>art</strong>entor «thun-le-Paradis»<br />
5. Dezember – 6. Januar:<br />
Giro Annen «Das ist nicht ein Kopf, ein Schrank ist das»<br />
<strong>art</strong>ensuite Februar 02 | 07