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magazin<br />
INSOMNIA<br />
DER DUFT VERGANGE-<br />
NER ZEITEN<br />
Von Eva Pfirter<br />
■ Wir Frauen sind kompliziert, nicht wahr? Wir<br />
wollen moderne Männer, die sensibel, emanzipiert<br />
und eigenständig sind. Aber wir wollen auch<br />
Männer, die einen Touch Altmodigkeit aufweisen,<br />
Männer, die uns die Tür aufhalten, initiativ sind<br />
und auch mal Blumen mitbringen. Und wir wollen<br />
Männer, die Walzer tanzen können. Ja: Walzer.<br />
Selbst Hobbes kann zu klassischer Musik tanzen<br />
– weshalb Ihr Männer von heute nicht?<br />
Ach ja, unsere schnelllebige Zeit. Lässt kaum<br />
Raum, sich an die Geschichten unserer Grosseltern<br />
zu erinnern, sich vorzustellen, wie unsere<br />
Grossväter einst unsere Grossmütter über einen<br />
gewachsten, quietschenden Holzboden gewirbelt<br />
haben und wie sie es genossen haben - die Damen<br />
- von den Herren geführt zu werden.<br />
Ich habe einmal eine P<strong>art</strong>y veranstaltet – aber<br />
nein: eigentlich ist «P<strong>art</strong>y» das falsche Wort. Es<br />
war eine Belle Nuit de Danse. Es gab sogar einen<br />
Dresscode: chic à très chic. Chic, nicht? Die Herren<br />
waren überdies gebeten, eine Rose mitzubringen.<br />
Und für den ersten Tanz wurde per Los<br />
jedem Herrn eine Dame zugeordnet. Es war richtig<br />
schön altmodisch-romantisch. Bis auf die Tatsache,<br />
dass beim ersten Takt Walzer die Damen<br />
die Herren übers Parkett führen mussten. Seufz.<br />
Es gab natürlich auch ein oder zwei Ausnahmen<br />
(ich möchte mich ja nicht mit den Herren anlegen,<br />
die des Walzers auch wirklich mächtig sind!),<br />
welche die adrett gekleideten Tänzerinnen hoch<br />
erhobenen Hauptes durch den Tanzsaal führten.<br />
Aber im Grossen und Ganzen war es ein lustiges<br />
Durcheinander von führenden Frauen, die ihren<br />
Tanzp<strong>art</strong>nern «eins, zwei, drei, eins, zwei, drei,<br />
eins, zwei, drei» einzuverleiben versuchten. Mit<br />
dem Resultat, dass ich mich nun nicht mehr führen<br />
lassen kann. Ja: es geht fast nicht mehr! Jedes<br />
Mal, wenn ich Walzer tanze, übernehme ich<br />
die Rolle des Mannes und führe mein Gegenüber<br />
bestimmt in die Richtung, in die ich will. Lustig,<br />
nicht? Einmal hab ich sogar aus tiefstem Bauch<br />
heraus Adi gefragt: «Bist nun Du der Mann oder<br />
ich?» Solche Verwirrung herrscht heutzutage auf<br />
dem Tanzparkett. Dabei gibt es nichts Schöneres<br />
als Walzertanzen. Wiener Walzer! Walzer ist der<br />
Gipfel der Romantik, die Inkarnation der Eleganz,<br />
die Erinnerung an Reifenröcke, Marmortreppen<br />
und wedelnde Fächer. Richtiges, leichtfüssiges,<br />
atemloses Walzertanzen ist Schweben, ist Fliegen,<br />
ist Träumen. Träumen am helllichten Tage.<br />
Manchmal, liebe Herren, gibt es nichts Schöneres,<br />
als richtig gut geführt zu werden. Zumindest<br />
einen Abend lang.<br />
POPMUSIK<br />
raphelson - musik in tiefer<br />
traurigkeit<br />
Von Lukas Vogelsang (Bild: zVg.)<br />
■ Eigentlich heisst er Raphaël Enard und spielte<br />
mit den «Magicrays», von denen zur Zeit nicht<br />
viele Informationen zu finden sind (ausser, dass im<br />
Februar ein neues Album erscheinen soll…). Letzten<br />
Oktober veröffentlichte Raphelson sein erstes<br />
überraschendes Soloprojekt: «Hold this moment<br />
still». Es war purer Zufall, dass ich in myspace.com<br />
über seine Musik stolperte, hellhörig wurde, das<br />
Album anforderte, um danach festzustellen, dass<br />
er im März gar zum Qest-Est-Festival in der Berner<br />
Dampfzentrale spielen wird. Dinge gibt’s…<br />
Es sind schwermütige sanfte Klänge, reduzierte<br />
Begleitungen, einfach produzierte Aufnahmen. Raphelson<br />
singt unüberhörbar eigenwillig und hoch.<br />
Als erstes erinnerte mich die Stimme an «Antony<br />
and the Johnsons», doch auch Raphelsons musikalische<br />
Vorbilder «Sufjan Stevens» und «Sparklehorse»<br />
sind unüberhörbar präsent. Die Stimme<br />
ist es denn auch, welche den Klängen diese klare,<br />
bizzare Mystik verleihen. Raphelson klingt verletzlich,<br />
entsagt jedem Zeitgefühl des Alltags. Er steht<br />
neben den Gleisen und möchte den fahrenden Zug<br />
anhalten, doch scheint es unmöglich, sich zu bewegen.<br />
Die Zeit dreht unaufhörlich weiter. Damit hat<br />
er bestens den «Zeitgeist» getroffen.<br />
Die Aufnahmen entstanden im Studio in Bristol.<br />
Zum Teil hört man im Hintergrund das Surren des<br />
Verstärkers oder das Knarren eines Stuhls. Doch<br />
sind es Stimmungen, die dazugehören. Der Klang<br />
dieser CD trägt eine Wahrheit in sich, die uns nicht<br />
kalt lässt. Wir möchten uns am liebsten in die Ecke<br />
zurückziehen und innehalten. Traurige Lieder, in<br />
tiefer Melancholie und wie in vielen (abgeschriebenen)<br />
Vorbesprechungen erwähnt: Lieder, die<br />
dich an Orte bringen, die du nie bereuen wirst, gefunden<br />
zu haben. Ein Vergleich mit der ersten CD<br />
von «Polar» ist durchaus angebracht, sie sind auch<br />
teils gemeinsam auf den Bühnen anzutreffen.<br />
Erstaunlich kreativ zeigt sich Raphelson in<br />
der Instrumentalisierung. Von Harfe, akustischen<br />
Gitarren, einfachen Schlagzeugen, verstimmten<br />
Klavieren, Glockenspiel, Flöten, aber auch Synthesizern,<br />
Orgeln, Mundharmonika und einem Banjo…<br />
Das mag jetzt etwas abschreckend wirken, doch<br />
bei Raphelson klingt das wundervoll – die Unterstützung<br />
von John Parish, einem nicht gerade unbekannten<br />
Performer und Multi-Instrumentalisten,<br />
tut dazu ihren Dienst. Jeder der elf Songs ist eine<br />
Perle, bildet in sich eine Einheit, ein abgeschlossenes<br />
Universum in traurig schöner Einsamkeit. Und<br />
doch wirkt die Schwermut nicht unerträglich. Im<br />
Gegenteil: Stoppt der CD-Spieler, schalten wir wieder<br />
auf «Play» – garantiert.<br />
So karg die Musik uns in Trauer stehen lässt,<br />
so karg sind die Dokumentation oder die Informationen<br />
über den Künstler. Das mir überreichte Album<br />
beschränkt sich auf die CD und eine einfache<br />
Hülle. Keine Musikerhinweise, keine Texte, nichts.<br />
Doch Raphelson wird am 22. März 2007 im Rahmen<br />
des Quest-Est Festivals in Bern spielen. Dort<br />
werden wir mehr erfahren. Das Konzert (wie auch<br />
das Festival) ist ein Geheimtipp und wärmstens<br />
empfohlen.<br />
www.raphelson.com (Weiterleitung myspace.com)<br />
www.gentlemen.ch<br />
30<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 50 | Februar 07