MÃ¼nchner Lehrerzeitung, Ausgabe 1, 2013 - BLLV

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Bildungspolitik Guter Ganztag ist gut, schlechter Ganztag ist schlecht Eindrücke vom zweiten Münchner Ganztagsbildungskongress Die Serviceagentur für Ganztagesbildung des Münchner Referats für Bildung und Sport bot auf dem diesjährigen dreitägigen Kongress ein äußerst umfangreiches und qualitätsvolles Programm für das interessierte Fachpublikum. Rund 700 Teilnehmer aus allen pädagogischen Bereichen nutzten die informativen Workshops und zahlreiche Gelegenheiten zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Auf Einladung des Stadtschulrats Rainer Schweppe war der MLLV mit einem Stand auf dem „Markt der Möglichkeiten“ vertreten. Dort konnten sich die Besucher über die aktuellen Forderungen des MLLV zur Ausstattung und Gestaltung offener und gebundener Ganztagsschulen informieren und sich nebenbei mit der beliebten „Easy going“-Schokolade stärken. Prof. Bauer: „Wenn wir den Wahnsinn der Halbtagsschule verdoppeln, haben wir nichts verstanden!“ Ein besonderes Highlight am ersten Kongresstag war das überzeugende Referat von Professor Joachim Bauer, dem Leiter des BLLV-Gesundheitsinstituts. Bauer machte auf Basis der Hirnforschung deutlich, dass es gerade im Hinblick auf erfolgreiche Erziehung und Bildung darauf ankommt, körpereigene Motivationssysteme zu aktivieren und zugleich hormonelle Stresskaskaden zu vermeiden. Dies gelingt nur, wenn die Schule für Schüler und Lehrer als Ort der persönlichen Zugehörigkeit und Wertschätzung erlebt wird. Die Gestaltung positiver Beziehungen muss demnach im Mittelpunkt des schulischen Alltags stehen. Darüber hinaus sind viel Bewegung, Musik und künstlerische Tätigkeiten äußerst wichtig für Wohlbefinden und gesunde Entwicklung, betonte Bauer. Daher plädierte er leidenschaftlich für eine Ganztagsschule, in der intensive persönliche Beziehungen und ganzheitliche Bildung in zeitlich entspanntem Rahmen möglich werden. Französische Paukschule kein Vorbild Die Passauer Grundschulpädagogin Dr. Silvia Dollinger bekräftigte Bauers Forderung in ihrem Workshop über Schlüsselfaktoren für gute Ganztagsschule. Auch sie trat entschieden für eine Gleichrangigkeit von formalem Lernen und informeller Bildung im Rahmen der Ganztagsschule ein. Dem gegenüber berichtete sie von der empirisch gegebenen akuten Gefahr einer zusätzlichen „Verschulung“ des Nachmittags bei annähernd unverändertem Vormittagsbetrieb. Dr. Dollinger: „Innovationsprozesse brauchen 8 bis 10 Jahre!“ Darüber hinaus bot Dollinger einen Überblick über ihre hoch interessanten Forschungsergebnisse zu gelungenen Schulentwicklungsprozessen im Ganztagsbereich (→ Literaturtipp). Sie stellte heraus, dass auf alle an Schule Beteiligten und insbesondere auf die Schulleitungen höchste Anforderungen zukommen. Als äußerst anspruchsvoll erweisen sich sowohl die Entwicklung des Unterrichts als auch die Personalführung und Organisationsentwicklung beim Ausbau der Schule zur „Bildungslandschaft“, in der alle Akteure gleichwertig sind und nachhaltig vernetzt handeln. „Prozesse, die überstürzt, ohne Augenmaß und ohne die Unterstützung des gesamten Kollegiums begonnen werden, sind eindeutig zum Scheitern verurteilt“, betonte Dollinger. „Es ist niemandem gedient, wenn besonders engagierte Kollegen verheizt werden.“ Überforderung und Verzettelung sowie ungenügende personelle, materielle und räumliche Rahmenbedingungen sind weit verbreitet. Insbesondere ist der Weg zur Inklusion ausreichend zu berücksichtigen. Darüber hinaus muss die Ganztagsschule eine besondere bauliche „Aufenthaltsqualität“ für Lehrer und Schüler bieten, die vielerorts erst hergestellt werden muss. Dollinger zeigte praxiserprobte Schritte für die unterschiedlichen Handlungsfelder auf, die in ihrem Buch ausführlich vorgestellt werden. Sie wies auch darauf hin, dass langfristige Innovationsprozesse ein hohes Maß an personeller Kontinuität erfordern. Steuergruppen können dabei hilfreich sein, aber die kontraproduktive Wirkung der hohen Fluktuation in vielen Kollegien nicht ausgleichen. Prinzip Freiwilligkeit – auch für Kinder! Während der Ausbau der Ganztagsschule in der Praxis weithin primär als pragmatische Reaktion auf den steigen- Literaturtipp Silvia Dollinger: Gute (Ganztags-)Schule? Die Frage nach Gelingensfaktoren für die Implementierung von Ganztagsschule. Klinkhardt forschung 2012. 370 Seiten, 36,00 €. ISBN 978-3-7815-1853-7 10 Münchner Lehrerzeitung Februar/2013
Bildungspolitik den Bedarf der Eltern an Kinderbetreuung erfolgt und bildungspolitische Ziele eher im Hintergrund bleiben, wie Bürgermeisterin Christine Strobl auf dem Podium freimütig einräumte, nahm Dollinger auch die Kinder in den Blick: „Die Ganztagsschule ist für manche Kinder nicht der richtige Ort. Nach einer Schnupperphase sollten auch die Kinder gefragt werden, ob sie dort bleiben wollen oder nicht.“ Ganztag an der GS Paulckestraße Rektorin Michaela Fellner und Konrektorin Bettina Jöller stellten ihren Workshopteilnehmern eine Fülle von Erfahrungen und praktischen Informationen zur Verfügung. Im Mittelpunkt stand die Organisation des Ganztagsbetriebs unter den gegenwärtigen Voraussetzungen und damit die intensive Zusammenarbeit mit externen Partnern. Sie bestätigten Dollingers Forschungsbefunde über den enormen Zeitaufwand. Zum einen ist die Suche nach passgenauen Lösungen vor Ort sehr aufwändig, zum anderen bindet auch die Einweisung sowie die Begleitung und Kontrolle der Externen im Alltag ein hohes Maß an Energie. Gute Laune auch bei der letzten Schicht am Stand des MLLV: Martin Göb, Annette Gieck und Liane Gläser Dennoch hat die GS Paulckestraße ihre beeindruckende Angebotspalette über die Jahre in Eigenregie organisiert. Die Partner reichen von eingetragenen Vereinen über freischaffende Künstler bis hin zu ehrenamtlichen Senioren und sozialen Stiftungen. Das eingespielte Duo hob die Unterstützung durch die Regierung von Oberbayern und die Ganztagsagentur des Referats für Bildung und Sport hervor und nahm Bedenken vor dem weithin ungewohnten Feld des Vertragsschlusses der Schule mit Externen. Außerdem gab es viele Tipps für Ansprechpartner: Vereine/Träger AWO Basketballverband Schachakademie KidsPro (Polizei) Tanz und Schule Sportschule KISS Freischaffende Schule der Phantasie Bürgerstiftung („KuKS“) Lesewelt München Gebündelte Praxiserfahrung boten Rektorin Michaela Fellner und Konrektorin Bettina Jöller von der GS Paulckestraße „Frühzeitige Buchungen erweitern den Verhandlungsspielraum der Schule enorm, unter Umständen auch bezüglich der Honorare“, so Fellner. Hinweise zu kritischen Punkten beim Einsatz von Ehrenamtlichen fehlten im Workshop ebenso wenig wie präventive und kreative Lösungsansätze für Vertretungsbedarf. Ein großes Ärgernis Ehrenamtliche Inserate in der BLLV-Zeitschrift „60 und mehr“ Stiftung brotZeit Weitere Sponsoren für „Luxusprojekte“ ist nach wie vor die ungerechte Anrechnung der Betreuung beim Mittagessen auf die Lehrerarbeitszeit. Fazit Insgesamt war der Ganztagsbildungskongress eine sehr gelungene Veranstaltung, bei der auch die gegenwärtig vorhandenen Probleme und noch zu schaffenden Voraussetzungen deutlich benannt wurden. Stadt und Staat zeigten sich gleichermaßen interessiert am Erfolg der Idee und am zügigen Ausbau. Allerdings ziehen sie nach wie vor nicht immer am selben Strang, gerade dann, wenn es ums liebe Geld geht. Martin Göb Münchner Lehrerzeitung Februar/2013 11
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