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AUF EIN WORT - Interessengemeinschaft deutschsprachiger ...

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!Maria Sassin<br />

Auszug aus: Japhet, Jahwe und die Flut<br />

SCHLIMME EREIGNISSE<br />

H<br />

inter einer dichten Hecke verborgen,<br />

beobachtete Japhet, wie der Vermummte<br />

die Ziegen mit duftenden<br />

Kräuterbündeln anlockte. Mit lautem Gemecker<br />

strömten die Tiere auf den Fremden zu. Der<br />

Mann streute langsam Kraut um Kraut auf die<br />

harte Erde, während er sich vor der Ziegenherde<br />

her von der Weide fort bewegte.<br />

„Schon wieder ein Diebstahl”, seufzte der<br />

Junge. „Und abermals habe ich mich nicht getraut<br />

einzuschreiten. Dabei hätte ich nur aus den<br />

Büschen kommen und laut schreien müssen,<br />

dann wären die Geißen dem Mann niemals gefolgt.<br />

Zu spät – weg sind sie.”<br />

Der Zehnjährige mit den schwarzen Haaren<br />

rieb sich den Arm mit der Narbe. Nicht immer<br />

war er so feige gewesen wie heute. Vor einigen<br />

Monaten, als eine Bande Jugendlicher ein Mädchen<br />

beschimpft und getreten hatte, war Japhet<br />

wie der Blitz unter sie gefahren und hatte wild<br />

um sich geschlagen, um die Angreifer zu zerstreuen.<br />

Zwar kam durch sein lautes Geschrei<br />

sein Vater herbei und verjagte die frechen Burschen,<br />

doch legten sich diese wenige Tage später<br />

auf die Lauer, als der Junge allein zum Brunnen<br />

ging, und schlugen ihn brutal zusammen. „Es<br />

wird auch immer schlimmer. Jeder achtet nur auf<br />

sich und keiner kümmert sich mehr um den<br />

Anderen”, seufzte die Mutter, als sie ihn verband,<br />

so gut sie konnte.<br />

Sie hatte zweifellos Recht – fast jeden Tag<br />

hörte man in der Stadt von Schlägereien, Diebstählen,<br />

Streit und sogar Mord. Es wurde immer<br />

schwerer, als gottesfürchtiger Mann hier zu leben,<br />

sagte Vater Noah wieder und wieder.<br />

„Eines Tages, Japhet, wird das alles anders”,<br />

versuchte er den arg zerschundenen Sohn zu<br />

trösten. „Irgendwann wird Jahwe dafür sorgen,<br />

dass dieses Unrecht aufhört!”<br />

„Abba hat gut reden”, stöhnte Japhet. „Ihn<br />

achten die Leute und bisher hat ihm keiner ein<br />

Leid angetan!”<br />

Er rieb sich die schmerzende Narbe. Dann<br />

schlich er aus den Büschen zurück zur Straße, die<br />

zu seinem Heim führte.<br />

Auf dem großen Platz in der Mitte der Stadt<br />

war Markttag. Frauen versuchten, die Erträge<br />

ihrer Gärten gegen Fleisch oder Haushaltsgegenstände<br />

zu tauschen. Stoffhändler breiteten ihre<br />

leuchtende Ware aus. Es roch gut nach Gewürzen<br />

und frischen Früchten.<br />

Japhet spürte, dass sein Magen sich vor Hunger<br />

zusammenzog. Die Mittagsstunde war längst<br />

überschritten, und da der Junge sich nicht früher<br />

aus seinem Versteck getraut hatte, musste er ohne<br />

Essen auskommen.<br />

„Das wäre ja noch schöner, wenn hier jeder<br />

käme, wie er will”, sagte seine Mutter streng,<br />

wenn eins der fünf Kinder die Essenszeit nicht<br />

einhielt.<br />

Wie gut das Obst duftete! Japhet lief schnüffelnd<br />

auf einen der Stände zu. Wie meistens hatte er<br />

keine noch so kleine Münze in der Tasche, um<br />

sich ein paar Bissen zu kaufen. Weil er seit einiger<br />

Zeit so rasch wuchs, war er ständig hungrig.<br />

Da – ein großer Junge rannte in vollem Lauf<br />

auf einen der Stände zu und krachte mit seinem<br />

ganzen Gewicht in die Obstpyramide. Datteln,<br />

Orangen und Äpfel kullerten zu Boden, verstreuten<br />

sich im Umkreis des Tischchens. Aus<br />

dem Nichts strömten zerlumpte Jugendliche herbei,<br />

stopften sich die Taschen voll und verschwanden<br />

wie der Blitz zwischen den Marktbuden.<br />

Zwei leuchtende Orangen rollten unter<br />

einen Tisch neben Japhet. Der Junge bückte sich<br />

hungrig, um sich die Früchte zu holen.<br />

Wie gut sie ihm schmecken würden!<br />

„Halt, Japhet”, hörte er plötzlich eine sehr<br />

ernste Stimme. „Du bist hungrig, ja, aber die<br />

Orangen gehören der alten Martha. Du kannst sie<br />

nicht einfach nehmen!”<br />

Japhet schrak zusammen. Wer hatte ihn gemahnt,<br />

seine Gedanken gelesen? War etwa der<br />

Vater auf dem Markt? Der Junge schaute sich<br />

IGdA-aktuell, Heft 3 (2007), Seite 23

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