AUF EIN WORT - Interessengemeinschaft deutschsprachiger ...
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Eine Diät? Sollte ich vielleicht mal fasten?<br />
Nein, so radikal sollen die Veränderungen nun<br />
doch nicht sein. Schließlich fehlt mir die Zeit, um<br />
die Kalorien zu zählen. Ich habe mir doch so viel<br />
vorgenommen. Endlich soll alles ganz anders<br />
werden. Ohne Stress und ohne Hektik.<br />
Mit Handy und Laptop bestückt gehe ich<br />
Schritte in die Selbständigkeit. Teile mir meine<br />
Sechzig-Stunden-Woche gut ein.<br />
Urlaub, Hobbys? Kommt später. Schließlich<br />
will ja das Rentnerdasein auch noch sinnvoll<br />
ausgefüllt sein.<br />
Karin Manke<br />
WARUM IMMER ICH?<br />
I<br />
n einem Brief schrieb die Freundin: „Weißt<br />
du, ich habe das Gefühl: Mareike gegen den<br />
Rest der Welt.” Diese Bemerkung, die wie<br />
eine Randbemerkung dahin gesagt sein sollte,<br />
klang lange in ihr nach. In der Nacht plötzlich<br />
aufgewacht, tauchte dieser Satz auf, manchmal<br />
auch am Tage, wenn Mareike nicht wahrhaben<br />
wollte, was alle sahen, dachten aber dann doch<br />
nicht äußerten.<br />
Mareike litt am Trotz, am Widerstand, an der<br />
Unfähigkeit ihrer Angst zu begegnen, an einer<br />
Form von Zerrissenheit, die wollte, aber nicht<br />
konnte, weil zwischen beidem die Unmöglichkeit<br />
lag, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Soweit<br />
war Mareike im Laufe ihres über fünfzigjährigen<br />
Lebens schon gekommen, das zu erkennen, wenn<br />
es ihr auch nicht gelang, dieses Wissen praktisch<br />
anwendend in ihr Leben einzubeziehen.<br />
Wie eine unanfechtbare Strategie hatte sich<br />
diese Lebensrichtlinie bis in ihre kleinsten Zellen<br />
eingenistet, und die übernahmen ganz selbständig<br />
die Regie, trat wieder einmal so ein Lebensfakt<br />
auf, in dem sie zu entscheiden hatte: zu<br />
kämpfen oder einfach nur anzunehmen und<br />
zuzulassen.<br />
Mareike konnte nicht akzeptieren, Mareike<br />
leistete immer Widerstand.<br />
Was Mareike nicht wollte, das tat sie auch nicht.<br />
Das nicht Wollen lag aber auch stets ganz dicht<br />
neben der Angst, wovor auch immer.<br />
„Du solltest dir einmal deine Ängste bewusst<br />
machen”, empfahl ihr die Freundin, die Heilpraktikerin<br />
für Psychotherapie war.<br />
Mareike verstand und nickt bestätigend, aber<br />
noch im gleichen Moment setzte sich erneut der<br />
Funke Widerstand in ihr in Bewegung und entflammte<br />
sie. Sie hörte sich von Innen heraus reden:<br />
„Ich geb doch nicht auf. Ich schaff das<br />
schon, auch ohne Hilfe.”<br />
Da konnte ihr die Freundin auch gleich noch<br />
das Spiegelgesetz erklären, Mareike verstand,<br />
aber noch im Verstehen widersetzte sie sich.<br />
Solchen Tagen folgte meist eine unruhige,<br />
schlaflose Nacht. Bilder aus der Kindheit tauchten<br />
wieder auf<br />
Da gab es einen Abend, als sie mit der Mutter<br />
allein zu Hause waren. Mit ihrem jüngeren Bruder<br />
spielte sie am großen Tisch im Wohnzimmer<br />
ein Kartenspiel. Das Abendessen lag bereits hinter<br />
ihnen, und die Geschwister wussten nicht,<br />
worauf sie noch warteten. Sonst hieß es doch<br />
immer gleich: „Ab ins Bett!”<br />
Von Mutter war auch nichts zu hören und zu<br />
sehen. Da ihr Lieblingsort, der auch ihr Rückzugsort<br />
war – aber das wusste Mareike erst viele<br />
Jahre später – die Küche war, spielte man eben<br />
noch weiter, zankte sich auch ein wenig und<br />
wechselte nach einer knappen Stunde zu Mensch<br />
ärgere dich nicht über.<br />
Die Stubenlampe mit den vier Armen hing<br />
hoch über der Tischplatte. Sie beleuchtete nur die<br />
Fläche des Tisches, die Wände ringsum versanken<br />
wie in ein Schattenspiel und warfen Spiegelbilder<br />
an die bunten Tapetenwände.<br />
Mitten im Ärgern, weil Mareike nun schon<br />
zum vierten Mal rausgeworfen wurde und mit<br />
ihrem Stein noch nicht eine komplette Runde geschafft<br />
hatte, hörten sie Lärm, der von der Straße<br />
kam. Rasch waren sie am großen Stubenfenster,<br />
vor der Gardine und Übergardine hingen. Daran<br />
etwas zu verändern war, ihnen seit Jahren eingetrichtert,<br />
streng verboten. Also gingen sie nach<br />
IGdA-aktuell, Heft 3 (2007), Seite 31